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Einkauf an der Uni Twente

Prof. Dr. Holger Schiele, Professor of Technology Management – Innovation of Operations, Universität Twente
Innovationen im Einkauf – wenn Forschung der Praxis hilft

Die aktuelle Situation mit Kurzarbeit nutzen viele Einkäufer zur Fortbildung und Weiterentwicklung. Im Gespräch mit Prof. Dr. Holger Schiele haben wir erfahren, welche Möglichkeiten die Uni Twente für Einkaufsinteressierte bereithält, wie wichtig Forschung für die Praxis ist und warum Einkäufer sich um die Zufriedenheit ihrer Lieferanten kümmern müssen.

Beschaffung aktuell: Warum sollten deutsche Studenten oder Einkäufer nach Twente gehen, um dort den Master im Einkauf zu machen?

Prof. Dr. Holger Schiele: Die Universität Twente ist die erste öffentliche Universität der Niederlande, die im Studienfach Betriebswirtschaftslehre das Vertiefungsfach Einkauf anbietet, sowohl im Bachelor als auch im Master. Bis heute gibt es in ganz Europa tatsächlich nur zwei öffentliche Universitäten, nämlich in Twente und in Lappeenranta in Finnland, an denen man Einkauf regulär als Master studieren kann. 2010 sind wir mit dem Bachelor an den Start gegangen. Seit 2015 gibt es auch den Mastertrack „Purchasing and Supply Management“, der demnächst in einer industriellen und öffentlichen Variante angeboten wird. Das gesamte Studienangebot ist in Englisch. Somit können auch Deutsche in der Grenzstadt studieren.

BA: Welche Voraussetzungen gelten für die Zulassung zu dem Masterprogramm?

Schiele: Bewerber müssen ein abgeschlossenes Bachelor-Studium in Betriebswirtschaftslehre von einer Universität vorweisen. Das ist die Grundvoraussetzung. Alle anderen, die nicht an einer Uni waren oder nicht BWL studiert haben, müssen sich einer Einzelfallprüfung unterziehen. Wenn nicht genug BWL-Kenntnis vorhanden ist oder nicht auf dem geforderten Niveau, gibt es noch die Möglichkeit, einen halbjährigen „Pre-Master“ zu machen. Insgesamt gibt es viele individuelle Möglichkeiten, um den Master Einkauf in Twente zu studieren. Das ist das Besondere in den Niederlanden: Man findet meistens flexibel einen individuellen Weg.

BA: Welche Möglichkeiten haben Master-Studenten?

Schiele: Für Bachelor, die bereits Einkaufserfahrung mitbringen, weil sie den Abschluss mit dem Vertiefungsfach Einkauf gemacht haben oder eigene Erfahrungen aus der Praxis mitbringen, bieten wir ein einjähriges Masterstudium. Wer erst im Masterstudium beschließt, Einkauf zu machen, dem empfehlen wir ein zweijähriges Programm, das wir gemeinsam mit der LUT University in Finnland anbieten: Diese Studenten gehen zusätzlich ein Jahr nach Finnland, um dort weitere Grundlagen sammeln zu können.

BA: Wie viele Absolventen nutzen das Angebot?

Schiele: Dieses Programm wird jährlich von ca. 25 Studenten besucht. Diese Master-Absolventen werden von den Unternehmen sehr gesucht. Interessant ist, dass wir Klagen von Unternehmen bekamen, dass viel Wettbewerb um die wenigen Master-Absolventen besteht, sie aber Bacherlor nicht einstellen wollen. Deswegen haben wir mit Unternehmen jetzt ein Master-Traineeprogramm aufgebaut: Bachelor-Absolventen werden vom Unternehmen eingestellt und bekommt einen zweijährigen Traineevertrag. Dieser umfasst die Teilnahme am Einkaufsmaster, welcher ein einjähriges Programm ist, wovon etwa zwei Quartale Präsenz an der Uni erfordern und der restliche Teil mit dem Masterprojekt auch im Unternehmen stattfindet. Auf diese Weise gelingt es, Talente in den Einkauf zu locken und ihnen gleichzeitig eine fachlich fundierte Ausbildung mitzugeben. Dieses Modell wollen wir weiter fördern und bekanntmachen.

BA: Warum lohnt es sich, einen Einkaufs-Master zu machen?

Schiele: Der Bachelor bereitet den Materialgruppeneinkäufer vor, erst im Master werden die Studierenden auf weiterführende Aufgaben wie Gruppen- oder Abteilungsleitung vorbereitet. Dazu kommen noch Purchasing Strategy und Organisation u.  Ä. hinzu.

BA: Können Einkäufer mit Berufserfahrung auch berufsbegleitend in Twente studieren?

Schiele: Wir haben auch Leute, die sich neben ihrer Berufstätigkeit tageweise freistellen lassen. Aber natürlich kann man sich auch ein ähnliches Modell überlegen wie bei den Mastertrainees, die nur ein paar Monate lang aus dem Betrieb heraus sind und parallel ein Projekt bearbeiten, das dann auch die Masterthesis wird. Wichtig ist, dass die Studenten zwei Quartale an der Uni präsent sind. Die Themen und das Studium sind so anspruchsvoll, dass man sie nicht nur am Wochenende bewältigen kann. Die „Freitagabend-Studiengänge“ verleihen vielleicht einen netten Titel, bringen ihre Absolventen aber nicht wirklich weiter. Denn ein hohes Niveau ist wichtig. Schließlich ist unser Ziel, den Einkauf auf das Level der Geschäftsführung zu bringen. Das ist unsere Mission in der Ausbildung und der Forschung, dafür brauchen wir Beschaffung an der Universität. Der Einkauf muss seinem Platz entsprechend, als Verantwortlicher für 70 Prozent des Umsatzes, ernst genommen werden und auf Augenhöhe mit den Leuten agieren, die zum Beispiel in London Finance studiert haben und nun den Finanzbereich verantworten.

Einkauf 4.0 ist mehr als Digitalisierung

BA: Ich möchte gerne auch über Ihre Forschungsprojekte reden.

Schiele: Wir beschäftigen uns mit drei großen Themenfeldern: Das eine ist Innovation von und mit Lieferanten, das zweite ist Lieferantenzufriedenheit und das dritte ist Industrie 4.0 im Einkauf.

Bei Letzterem sind wir bei einem Projekt mit dem Fraunhofer Institut sehr früh in Kontakt mit 4.0-Technologien gekommen. Wir haben auch untersucht, was Industrie 4.0 für die Beschaffung bedeutet und dafür vorhandene Einkaufssoftware untersucht. So entstand ein Reifegradprofil für 4.0 im Einkauf.

Dabei haben wir festgestellt, dass viele klassische Softwareanbieter nicht über Industrie 3.0 hinauskommen. I4.0 wird definiert als autonomes cyberphysisches System, meint also nicht nur die Digitalisierung, die wir bereits seit 20 oder 30 Jahren machen. Jetzt muss die physische Welt hinzukommen. Die meisten Softwareanbieter präsentieren auf Anfragen nach 4.0-Lösungen indes bestenfalls den einen oder anderen individuellen Showcase, aber keine Standardlösung. Dabei möchten die meisten Unternehmen ein 4.0-System von der Stange kaufen, das auch wirklich funktioniert. Erst dann sind sie bereit, dafür zu zahlen. Die Vendors wollen sich aber die Entwicklung bezahlen lassen. Also passiert wenig. Ein Henne-Ei-Problem. Logistik und Produktion sind da deutlich weiter und somit fällt der Einkauf hier wieder etwas zurück.

Die Grenzen der Blockchain

BA: Viele sehen in der Blockchain eine Lösung für die Zukunft der Wertschöpfungskette.

Schiele: Meine Erwartungen an die Blockchaintechnologie sind durchwachsen. Ihr Einsatz ist bislang teuer, weil der Aufwand für die Schnittstellen, die Maschinenausstattungen und die vielen miteinander vernetzten Server, die in einer gleichen Sprache arbeiten, sehr groß ist. Deswegen erfordert sie eine starre Kette bzw. langfristige Beziehungen. Ein Wechsel des Geschäftspartners ist kompliziert, weil dieser möglicherweise eine andere Technologie benutzt.

In der Zukunftsvision sehen wir zwei Szenarien: Die starre Lieferkette ist eine davon. Die andere Variante sind die losen Ketten, quasi die Renaissance der Marktplätze.

Dazu habe ich in Brasilien ein interessantes Beispiel gesehen: Ein Bot besucht alle zwei Stunden ein halbes Dutzend Marktplätze bzw. Lieferanten und fragt die Preise zu einer Commodity ab. Das System läuft automatisiert mehrere Runden pro Tag. Der Bot kann vom Einkäufer programmiert werden: Wenn der Preis den Wert x hat, dann bestell dort die Menge y, wenn der Preis aber günstiger ist, dann bestell doppelt so viel. Das ist ein interessantes Zukunftsmodell, weil es zeigt, wie der Einkäufer der Zukunft sein könnte. Er gestaltet solche Systeme. Er ruft nicht mehr irgendwo an oder holt Angebote rein.

BA: Schon im Jahr 2000 sprachen viele von der Revolution im Einkauf und meinten die Marktplätze. Viele von den damals gegründeten sind nicht mehr übrig.

Schiele: Meiner Meinung nach sind viele von damals pleitegegangen, weil dahinter immer noch eine Mensch-Maschine-Interaktion steckte, eben I3.0: Da saß jemand vor seinem Computer, der über einen Katalog bestellt und jeden Bedarf teuer manuell gesucht und eingegeben hat. Damit wurde kein großer Produktivitätsfortschritt erreicht. Wenn wir aber jetzt die Variante Maschine-zu-Maschine-Interaktion haben, also Industrie 4.0, dann könnte das eine Renaissance der Marktplätze bedeuten. Wie der Bot, der jeden Tag Anfragen einholt. Ein Mensch wäre für diese Aufgabe viel zu teuer.

BA: Diese automatisierten Bots funktionieren aber nur bei Commodities.

Schiele: Nein, im Gegenteil. Bots können auch Verhandlungen führen. Da haben wir angefangen, selber zu programmieren, weil in unserer Vision auch Verhandlungen automatisiert ablaufen werden. Der Einkäufer programmiert seine Taktik in seinem Avatar, der Verkäufer macht das Gleiche und dann tauschen sich die Programme aus. Nach x-tausend Iterationen kommen sie zu einem Ergebnis, was besser ist als ein paar Runden menschliche Verhandlung mit nur einem Lieferanten und nicht mit allen fünf.

Der von uns an der Uni entwickelte Verhandlungsavatar ist eine „Einkaufsmaschine“ mit einer kleinen künstlichen Intelligenz, die ein mehrstufiges Auktionsverfahren ermöglicht. Je nachdem wie viele Lieferanten nach einer Runde noch übrig sind, wählt er die eine oder andere Auktion in der nächsten Phase aus. Wir haben es in mehreren Experimenten getestet und noch zusätzliche Einsparungen von etwa vier Prozent erreicht. Wir haben eine erste Version davon in unserem Serious-Game-Training für Einkäufer, suPlay, eingesetzt.

Innovation mit Lieferanten – neue Aufgaben im Einkauf

BA: Sie forschen auch zum Thema „Zusammenarbeit mit Lieferanten für Innovationen“.

Schiele: Ich habe vor gut zehn Jahren meine Habilitationsschrift über Innovationen von und mit Lieferanten verfasst, mit der Unterstützung von BME und BMÖ. Es stellte sich heraus, dass Unternehmen, die erfolgreich Innovationen einkaufen, nicht nur eine Operative Beschaffung und einen Strategischen Einkauf haben, sondern auch eine Abteilung „Procurement Engineering“ oder „Advanced Sourcing“. Dort werden Einkaufsmitarbeiter speziell für die Projekte in der Entwicklung abgestellt. So ein Procurement Engineer spricht dann mit den jeweiligen Materialgruppenverantwortlichen und bringt deren Wissen in den Innovationsprozess ein. Nur auf diese Art und Weise erreicht man es, den Einkauf wirklich frühzeitig einzubinden.

BA: Der Procurement Engineer ist die Schaltstelle zwischen Entwicklung und Einkauf.

Schiele: Genau, das war die Lösung für das Dilemma. Dabei ist es wichtig, dass der Procurement Engineer organisatorisch im Einkauf angesiedelt ist und nicht in der Entwicklung. Weil der Einkauf dann sonst doch wieder nur zum Bestellschreiber würde.

Wir haben auch festgestellt: Wenn der Einkauf früh eingebunden ist, dann werden doppelt so viele Lieferanten früh mit eingebunden. Wenn der Einkäufer erst am Ende kommt – nach dem Motto: Jetzt verhandelt mal einen guten Preis, wir haben aber ein Patent mit einem Monopolisten –, führt es zu viel schlechteren Preisen, genauso wie wenn der Einkauf nicht eingebunden wurde. Wir haben auch herausgefunden, dass die frühe Einbindung eines Lieferanten ohne die Einbindung des Einkaufs im Schnitt sogar Schaden verursacht, weil sich die Ingenieure oft über den Tisch ziehen lassen. Deswegen brauchen sie einen kompetenten Einkäufer, der sich beispielsweise in einem Vertrag die Second-Source-Fähigkeit zusagen lässt.

Der Nutzen, ein Preferred Customer zu sein

BA: Einkäufer erleben die Forschung oft als sehr praxisfern und nicht nutzbringend. Wie sehen Sie das?

Schiele: Der Einkauf ist akademisch gesehen noch ein sehr junges Forschungsfeld und deswegen ist er immer noch recht praxisbezogen. Ich selbst beispielweise habe ja zehn Jahre im Unternehmen und in der Beratung gearbeitet, weswegen unsere Forschungsfragen auch nicht aus Theorien abgeleitet sind.

Das sieht man auch an unserem dritten Forschungsfeld: die Lieferantenzufriedenheit. Es entwickelte sich aus der Innovationsforschung. Nachdem wir geklärt hatten, wie eine Organisation aussehen muss, um sie innovationsoffen zu gestalten, stellte sich die Frage: Welche Lieferanten sind denn innovativ? Was sind die Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit mit Lieferanten? So sind wir auf das Thema „Preferred Customer“ gekommen. Denn auch Lieferanten müssen selektiv sein. Für sie ist es viel zu riskant, mit jedem Kunden neue Produkte zu entwickeln, also konzentrieren sie sich auf ihre Lieblingskunden.

Während Verkäufer früher um ihre Kunden werben mussten, ist es nun die große Aufgabe des Innovationsmanagers im Einkauf: Wie schaffe ich es zum „Preferred Customer“ des Lieferanten zu werden, mit dem er bereit ist, Neues zu entwickeln und zu teilen? Darüber hinaus haben wir festgestellt: Der Preferred Customer ist nicht nur für Innovationen wichtig, er erhält auch bessere Preise und hat Vorteile bei den Lieferungen. Das haben wir bei der Tsunami-Krise gesehen und das werden wir bei der Corona-Krise genauso erleben.

Beschaffung aktuell: Was ist damals in dieser Krise passiert?

Schiele: Durch den Tsunami ist in Japan Produktionskapazität verloren gegangen. Es stellte sich die Frage: Wer bekommt als Erstes die Kapazität, die wieder zur Verfügung steht.

Hier sehen wir wieder, wie praktisch Universitätsforschung ist: Zuvor hatten wir mit einem Unternehmen das Preferred-Customer-Konzept entwickelt. Für jede Materialgruppe wurde ein Preferred Supplier ausgewählt, eingeladen und nach einem Workshop mit Unterschrift bestätigt, dass das Unternehmen auch deren Preferred Customer ist. Mit dabei war auch ein japanischer Lieferant. Und dann kam der Tsunami. Und wer bekam als Erster wieder Ware, nach dem Ramp-up? Genau, der Preferred Customer in Deutschland und nicht die direkten Wettbewerber unseres Unternehmens, die dort ebenfalls Kunde waren. So konnte dieser gut sechs Wochen lang exklusiv seine Produkte weltweit verkaufen, bis die Wettbewerber endlich ihre Kette auch wieder aufgebaut hatten.

Auch jetzt sind durch Corona die Lieferketten unterbrochen. Wenn es wieder losgeht, werden die Lieferanten wieder selektiv entscheiden müssen, wer als Erstes sein Material bekommt und wer damit die besseren Startchancen hat. Deshalb: Über die klassische Lieferantenbewertung hinaus, muss man sich auch fragen und das monitoren, welche Priorität man als kaufendes Unternehmen bei seinen wichtigsten Lieferanten hat. Es ist eine Aufgabe des strategisch denkenden Einkäufers, sein Unternehmen so zu positionieren, dass es Vorzugskunde wird.

BA: Funktioniert so ein Preferred-Customer-Konzept auch für kleinere Unternehmen?

Schiele: Voraussetzung, um Preferred Customer zu sein, ist Lieferantenzufriedenheit. Wenn der Lieferant mit dem kaufenden Unternehmen nicht zufrieden ist – aus welchem Grund auch immer –, dann besteht überhaupt keine Chance, Vorzugskunde zu werden. Um zu erkennen, ob der Lieferant mit einem Kunden zufrieden ist, haben wir mit unserer Forschung in zehn Jahren ein Tool entwickelt. Denn da hilft es nicht, einfach den Vertriebsmitarbeiter zu fragen.

Zum Entsetzen der Großunternehmen hat sich dabei mehrfach herausgestellt, dass nicht unbedingt die Umsatzgröße das K.o.-Kriterium ist. Auch kleinere Unternehmen haben die Chance, zum Beispiel durch gemeinsame Entwicklungsprojekte, in der Priorität zu steigen.

BA: Wie messen Sie denn die Lieferantenzufriedenheit, wenn es nicht der Umsatz ist?

Schiele: Dazu haben wir in Zusammenarbeit mit einem Dutzend Unternehmen ein Schema mit etwa 20 Kriterien entwickelt, das gut funktioniert. Wir befragen mehr oder weniger subtil die Lieferanten. So kann man als Außenstehender ganz gut die Lieferantenzufriedenheit messen. Die Zukunftserwartung des Lieferanten, Beziehungsqualität, Profitabilität und operative Exzellenz sind dabei die wichtigsten Faktoren, aber auch die Reputation des kaufenden Unternehmens.

BA: Welche Rolle spielen dabei Informationen über das Internet?

Schiele: Ich habe kürzlich die Doktorarbeit von Antonia Kappel abgenommen, sie hat untersucht, ob man auch auf anderen Wegen als über Interviews mehr über Lieferanten herausfindet, z. B. über virtuelle Netze oder Fachpublikationen. Dabei stellte sich ganz klar heraus, dass der persönliche Kontakt mit Abstand das Wichtigste ist. Menschen liefern bessere Informationen über Lieferantenbeziehungen als irgendwelche Medien. Deswegen muss man die Produktivität, die man durch die 4.0-Systeme gewinnt, investieren, um Besuche beim Lieferanten zu machen oder auf Messen zu gehen. Ich kenne ein sehr erfolgreiches Unternehmen, dessen Einkaufsleiter die Devise ausgegeben hat „jede Woche ein Lieferantenbesuch“. Bei der jetzigen Krise werden vermutlich jedoch wieder die Budgets gekürzt, insbesondere die Reisebudgets. Das führt dann dazu, dass die Unternehmen blind, ohne valides Feedback vom Lieferanten agieren.

BA: Ist es nicht so, dass für Einkäufer die Zufriedenheit der Lieferanten eigentlich nur sekundär wichtig ist?

Schiele: Von zufriedenen Lieferanten bekomme ich bessere Preise. Deswegen ist sie nicht sekundär. Bei unzufriedenen Lieferanten muss ich Schmerzensgeld bezahlen. Unsere Untersuchungen zeigen hier eindeutig, dass schwierige Kunden einen höheren Preis zahlen als Kunden, mit denen die Lieferanten gut und gerne zusammenarbeiten. Das alte Diktum ‚Ist mein Lieferant zufrieden, habe ich was falsch gemacht‘ ist aus Sicht der modernen Forschung eher, wie es im Englischen so schön heißt, „self-defeating“: Ich schieße mir damit ins Bein.

BAl: Was raten Sie Unternehmen jetzt?

Schiele: Das ist nicht die erste Krise und wird auch nicht die letzte sein. Natürlich ist jede anders und einen Shutdown hatten wir noch nie, aber bald wird es wieder weitergehen und dann gilt das Gleiche wie die letzten Male: Ein Unternehmen mit einem hohen Reifegrad profitiert von Krisen mehr als ein Unternehmen, das sich auch vor der Krise gerade nur über Wasser gehalten hat. Der „Rabatteinkäufer“, der ohne Struktur, Planung und Strategie vorgeht, ist der Getriebene oder, wie die Kids es heute sagen: das „Opfer“. Wir haben ein Reifegradmodell entwickelt, wo sich zeigte, dass fünf Prozent mehr Reifepunkte etwa einem Prozent mehr Savings entsprechen. Das bedeutet ganz klar: Niemand kann zaubern, auch jetzt nicht. Es gibt keine Abkürzung zum Erfolg. Erfolg ist Konsequenz von Professionalität: moderne Systeme, effiziente Prozesse und vor allem gut ausgebildete Mitarbeiter.

Das Interview führte Sabine Schulz-Rohde, Beschaffung aktuell.


Der Mann

Prof. Dr. Holger Schiele

Der Diplom-Ökonom ist in Deutschland und Brasilien aufgewachsen. Er studierte Ökonomie in Maastricht und Hannover. 2000 promovierte er zum Dr. rer. pol. („Strategisches Management in Wertschöpfungssystemen“) und 2008 schrieb er seine Habilitation in Betriebswirtschaft („Innovationen von und mit Zulieferern“) an der Leibniz Universität Hannover. Neben der Wissenschaft war er zehn Jahre lang in der Strategieabteilung der Preussag AG, als Berater für PricewaterhouseCoopers und als Projektleiter bei H&Z Business Consulting tätig. Zu den beratenen Unternehmen gehören sowohl Großkonzerne wie Shell, Siemens oder ThyssenKrupp als auch mittelständische Firmen. Vor seinem Eintritt in die Universität Twente im Jahr 2009 war er an der Jacobs University in Bremen tätig. Forschungsschwerpunkte sind Innovationen von und mit Lieferanten, Lieferantenzufriedenheit und Preferred Customer Status sowie Industrie 4.0 im Einkauf.


Die Universität

University of Twente

Die Universität Twente liegt in Enschede (NL) direkt an der deutsch-niederländischen Grenze. Die Unterrichtssprache ist Englisch. Etwa die Hälfte der Studenten kommen aus Deutschland. Twente ist die einzige niederländische Universität, die eine Einkaufsvertiefung bereits im Bachelor anbietet und ein Masterprogramm „Purchasing and Supply Management“.

www.utwente.nl/mb/ba/staff/schiele/

www.utips.eu

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe mehr über das Studienangebot für Einkauf und Supply Management in Twente.


Es ist eine Aufgabe des strategisch denkenden Einkäufers, sein Unternehmen so zu positionieren, dass es Vorzugskunde wird.“

Holger Schiele


Bei der jetzigen Krise werden vermutlich jedoch wieder die Budgets gekürzt, insbesondere die Reisebudgets. Das führt dann dazu, dass die Unternehmen blind, ohne valides Feedback vom Lieferanten agieren.“
Holger Schiele

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