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Instandhaltung – das gallische Dorf der Digitalisierung?

Elektronische Anbindung der Instandhaltung als Schritt zur Industrie-4.0-Vision
Instandhaltung – das gallische Dorf der Digitalisierung?

Fachbeiträge zur Digitalisierung der Instandhaltung haben inhaltlich eine ebenso große Spannbreite, wie die Wirklichkeit im deutschen Mittelstand. Alle haben eines gemeinsam, sie identifizieren die Instandhaltung als ein Thema, das in der Betrachtung zu kurz kommt – trotz immenser Potenziale.

Der Kommunikationswissenschaftler und Erfolgsautor Christian Hoffmeister sagt plakativ, dass „deutsche Unternehmen die Potentiale der Digitalisierung eher ankratzen.“ Er begründet es damit, dass sich Unternehmen weniger mit der fundamentalen Veränderung und deren Möglichkeiten befassen. Bei seiner Betrachtung bezieht er sich maßgeblich auf die Produktentwicklung, auf die Veränderung von bestehenden Produkten, um sie zukunftsfähig zu machen und auf die Entwicklung ganz neuer Produkte und Services.

Unternehmen sollten auf der einen Seite eine Vision entwickeln, aber auf der anderen Seite darf man sie eben auch nicht überfordern“, sagen hingegen die Einkaufsexperten René Schumann und Tim Romswinkel von der Kerkhoff Negotiate & Contract GmbH, mit denen zusammen dieser Artikel entstanden ist. „Wir stellen jeden Tag fest, dass der Einkauf für Instandhaltung oft nicht einmal strategisch positioniert ist, die Prozesse unzureichend standardisiert sind und elektronische Kataloge nicht genutzt werden. Da gleicht der Weg zur Predictive Maintenance manchmal doch eher dem Jakobsweg in Glauben und Länge.“

Die Nutzung von elektronischen Katalogen ist der erste und bedeutsame Schritt zu einer ganzheitlichen Digitalisierungsstrategie. Das Bewusstsein zur Notwendigkeit dieser für indirekte Warengruppen, wie z. B. für Büroartikel, C-Teile oder IT-Hardware, ist bei vielen Einkaufsverantwortlichen präsent und hier ist man auch bereits weiter. Die etwas salopp formulierte Überschrift lässt es erahnen: Für die Instandhaltung ist eine Digitalisierungsstrategie jedoch oft nicht vorhanden.

Bedarfsträger beschaffen ohne den Einkauf einzubinden, bei Störungen werden händeringend die richtigen Ansprechpartner gesucht, Unterlagen mühsam zusammengetragen und Aufträge hektisch vergeben. Dabei ist gerade die automatische Anlagensteuerung das Paradebeispiel für den Einsatz von Industrie-4.0-Lösungen – und denkt man konsequent weiter, eben auch die Instandhaltung dieser Maschinen und Anlagen. Ein Thema, das umgehend auf die digitale Agenda gehört.

Erster Schritt: Nutzung von E-Katalogen

Doch nehmen wir nicht gleich wieder volle Fahrt auf. Ein bedeutsamer Schritt und eine solide Grundlage zur Realisierung einer umfassenden Digitalisierungsvision ist die elektronische Katalogisierung und somit die Digitalisierung der Einkaufsprozesse, wie es die Mitarbeiter vieler Konzerne kennen, die ihre Bleistifte oder PCs bereits über den internen elektronischen Katalog bestellen. Dabei ist zu bedenken: Prozesskosten für Offline-Bestellungen liegen durchschnittlich 70 Prozent über den Kosten einer vollautomatisierten Bestellung. Die Zielsetzung, Teile und Dienstleistungen für die Instandhaltung der eigenen Anlagen und Maschinen zu katalogisieren und zu digitalisieren, zwingt dazu, sich umfassend mit den eigenen Prozessen und Bedarfen auseinanderzusetzen.

Alles wird in seinen Grundzügen hinterfragt – das ist heilsbringend und eine bedeutsame Grundlage für die erfolgreiche Entwicklung einer Digitalisierungsvision für die Maschinen- und Anlagensteuerung im neuen Zeitalter. Noch bedeutsamer wird es, wenn eine standortübergreifende Betrachtung erforderlich ist. „Produktionsstandorte und Servicecenter des eigenen Unternehmens bestellen Artikel und Dienstleistungen bei unterschiedlichen Lieferanten, obwohl die Bedarfe und Spezifikationen identisch sind. Das zeigt die Erfahrung aus dem Tagesgeschäft“, sagt der Berater.

Alles auf dem Prüfstand

Eine professionelle Einkaufsoptimierung muss sich demnach einer Vielfalt von Maschinen und unterschiedlicher Werkzeuge stellen und diese betrachten. Service- und Wartungsintervalle kommen genauso auf den Prüfstand, wie die entsprechenden Verträge und Dienstleister sowie Ersatzteillieferanten. Alles kann, nichts muss, lautet die Devise für die Herstellerleistungen – je nachdem, ob sich Leistungen und Preise als marktgerecht erweisen.

Die Initialoptimierung lässt bereits durchschnittlich 13,5 Prozent der jährlichen Instandhaltungskosten einsparen und schafft den Spielraum für Investitionen in die weitere Digitalisierung. Bedenkt man, dass die durchschnittliche Konsolidierung der Lieferanten mit einer Kennzahl um 76 Prozent einhergeht, werden darüber hinausgehende Einsparungen bei internen Prozesskosten und der Verbesserung durch eine compliance-gerechte Vergabe deutlich.

Kooperationsmodel der drei Partner

Doch was sind nun die konkreten Schritte zu einem digitalen Instandhaltungskatalog? Sinnvoll ist es, zunächst mit der Konsolidierung einer Unterwarengruppe der Instandhaltung zu beginnen, um sich so nach und nach der gesamten Warengruppe zu widmen. Die Instandhaltung für Großwerkzeuge, wie z. B. CNC-Fräsen, bieten sich als Teilbereich dafür an. Wartung, Verschleiß- und Reparaturteile sind weniger komplex, als ganze Produktionsanlagen. Lernschritte zu gehen ist bedeutsam, um Mitarbeiter für das veränderte Denken im Zeitalter der Digitalisierung mitzunehmen. Es ist für alle Unternehmen und Entscheidungsträger Neuland.

Möglichkeiten und Zusammenhänge müssen verstanden werden, um Ideen zu entwickeln, die zunächst eigene Prozesse verbessern und im späteren Reifegrad sogar an Produktinnovationen denken lassen. Es ist noch Pionierarbeit, die sich lohnen wird, aber man sollte sich zugleich nicht vom Wettbewerb überholen lassen.

Die Ist-Analyse dient dabei der Grundlagenermittlung durch eine strukturierte Aufbereitung der Zahlen, Daten und Fakten. Transparenz über Bedarfe, Lieferanten und Prozesse bilden die Absprungbasis für die Ableitung geeigneter Maßnahmen. Ziel einer jeden Optimierung im Bereich der Instandhaltung ist es, eine standortübergreifende Warengruppenstruktur zu erarbeiten. Chancen und Risiken müssen beleuchtet werden, um die Ressourcen und Prioritäten innerhalb der Projektarbeit maßvoll zu verteilen.

Es sollte ein Kooperationsmodel entwickelt werden, bei dem Bedarfsträger, Einkauf und Lieferanten eng miteinander verzahnt werden. Um diese Ziele zu erreichen, müssen die Bedarfe standardisiert und konsolidiert werden. Für den Einkauf heißt das, dass zunächst die Produktvielfalt der unterschiedlichen Werkzeuge und zugehörigen Betriebsstoffe soweit wie möglich verringert werden muss, was zu einem höheren Standardisierungsgrad und damit zu geringeren Stückkosten pro Artikel durch Mengenbündelung führt. Notwendig sind eine sinnvolle Clusterung sowie eine standortübergreifende Bündelung der Bedarfe.

Bedarfe standardisieren und konsolidieren

Ein besonderer Hebel ist der Einsatz von herstellerunabhängigen White-Labeling-Produkten mit denen z. B. Ersatzteilpreise, bei gleichbleibender oder zum Teil besserer Qualität, erheblich gesenkt werden können. Aber nicht nur die Standardisierung der Produkte ist notwendig, sondern auch die Vereinheitlichung und das Clustern der Dienstleistungen sind von kritischer Bedeutung. Dies öffnet gegebenenfalls die Tür für preisgünstige herstellerunabhängige Dienstleister.

Vereinheitlichung und Clustern von Services

Durch die in der dritten Phase erreichte Clusterung, Standardisierung und Volumenbündelung wird in der vierten Phase eine Neudefinition des Lieferantenstamms ermöglicht. Zielsetzung ist die Reduktion der Lieferantenzahl, die zu einer Erhöhung der Verhandlungsmacht des Einkaufs führt. Jeder Bestandslieferant wird in Frage gestellt und es wird ein optimierter Lieferantenstamm passend für die zuvor festgelegten Bedarfscluster definiert.

Ziel muss es sein, mit den nun festgelegten Lieferanten einheitliche Rahmenverträge abzuschließen, deren Einhaltung mittels cross-funktionaler Performanceüberwachung durch Einkauf und Bedarfsträger sichergestellt werden sollte.

All diese Schritte haben zum Ziel, später über einen elektronischen Katalog jede Dienstleistung und jedes Ersatzteil per „click“ einzukaufen. Sinnvoll aufgesetzt, lassen sich selbst individuelle Sonderwartungen und Reparaturen über ein Katalogsystem abwickeln.

Es entsteht ein durchgängiger, transparenter und vertragskonformer wie lückenloser und automatisierter Einkaufsprozess. Dabei ergibt sich durchschnittlich eine E-Procurement-Anbindung sämtlicher Bedarfe von 91 Prozent nach sechs Monaten und von 98 Prozent nach 12 Monaten. Der Einkauf erhält Entlastung und widmet sich strategischen Aufgaben, wie dem Ausbau dieses lebendigen Katalogsystems. Er überwacht Einhaltung und Lieferanten-Performance. Die elektronische Kataloglösung ist also ein wichtiger, sehr effizienter Schritt der Digitalisierung und bildet eine solide Grundlage für die Entwicklung einer eigenen Industrie-4.0-Vision. Dann erhalten Anglizismen, wie Smart Maintenance und Predictive Maintenance nicht nur in Instituten und Hochschulen Bedeutung, sondern haben eine erfolgreiche Chance auf Einzug in die Produktionshallen der Mittelständler. Dann ist die Zeit gekommen, dass vernetzte Maschinen voll automatisiert ihre Bestellungen melden und ausführen.

Einkaufsverantwortliche und ganze Einkaufsabteilungen sollten den Mut und das Selbstverständnis entwickeln, eine führende Rolle als Prozess- und Wertetreiber zu übernehmen, um die digitale Agenda proaktiv mitzugestalten. Traut Euch an das gallische Dorf. Es lohnt sich! sas

www.kerkhoff-nc.com


Über die Gesprächspartner

Rene Schumann und Tim Romswinkel

Rene Schumann und Tim Romswinkel sind Strategischer Einkäufer für Instandhaltung bei der Kerkhoff Negotiate & Contract GmbH. Ihre Aufgabe ist die Professionalisierung und Performancesteigerung im indirekten Einkauf. Die Düsseldorfer Einkaufsberater bieten vorverhandelte Verträge und ermöglichen so eine strategische und dauerhafte Einkaufsfunktion für ausgewählte indirekte Bedarfe. Sie begleiten Unternehmen bei der Digitalisierung der Beschaffung durch eine elektronische Kataloganbindung und Prozessautomation.

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