Wird der Einkauf überflüssig, wenn die Digitalisierung die Regie in der gesamten Wertschöpfungskette übernimmt? Diese Frage stellen sich viele Manager. Experten sehen dagegen in der Digitalisierung eine Chance für den Einkauf. Sie sei essenziell, um neue, anspruchsvollere Aufgaben dieser Funktion zu meistern.
Die Einkaufsabteilung wird einfach zugemacht. Was früher Menschen organisierten, übernehmen Maschinen. Die Roboter in der Fertigungshalle bestellen ihren Nachschub selbst – vollautomatisch und kabellos. Künstliche Intelligenz löst alle Probleme bei Zeitverzug, Zertifizierung und Zahlungsziel.
Ist das Einkauf 4.0? Übernimmt die Digitalisierung die Regie in der gesamten Wertschöpfungskette, die sich ja meist zu 70 Prozent außerhalb des Unternehmens darstellt, also bei Dienstleistern und Lieferanten?
„Industrie 4.0 ist nicht der Todesstoß, sondern die große Chance für den Einkauf. Er schafft sich nicht ab, er nimmt endlich den ihm zugedachten Platz ein“, meint Ralf Schulz, Partner bei der Unternehmensberatung h&z. Gemeinsam mit seinen Kollegen vertritt er die These, dass sich der Erfolg von Unternehmen künftig am Wettbewerb ihrer Wertschöpfungsketten entscheidet.
Da reicht es nicht, nur die großen direkten Lieferanten zu betrachten, die „Tier One Supplier“. Man muss dahinter und in die Tiefe schauen und die Lieferanten finden (seien sie noch so klein und weit weg), die beim Endprodukt eine Differenzierung im Wettbewerb ausmachen.
Die Digitalisierung ist dabei nur ein Aspekt, ein Hilfsmittel, ein „Enabler“ im Sinne von: mehr wissen, besser verstehen, schneller reagieren, klüger zusammenarbeiten. Die eigentliche Herausforderung aber liegt im Wandel hin zu flacheren, sich selbst steuernden Organisationen und in der Vorbereitung der Mitarbeiter auf ihre neue, strategische Rolle. Digitalisierung ist an sich schließlich auch die grundlegende Voraussetzung für effizientere Prozesse, um sich so überhaupt den Freiraum für strategische Überlegungen zu schaffen.
In Procurement 4.0, einem Überlebensratgeber, der im März 2017 erscheinen wird, werden diese Zusammenhänge näher untersucht und mit konkreten Beispielen und Hilfestellungen belegt. So zeigen Erfahrungen mit Wertschöpfungsketten bei renommierten Kunden national wie international, dass die meisten Unternehmen die Notwendigkeit von ausgebauter, weiterentwickelter Digitalisierung schon sehr stark auf der Agenda haben. „85 Prozent unseres Einkaufsvolumens betreffen Dienstleistungen und werden überwiegend per frei formulierter Bestellung vergeben“, berichtet etwa Claus Hahne, Vice President Corporate Procurement bei der ProSiebenSat.1 Media AG. Dafür müsse dringend eine flexible Auktionslösung aus der Cloud her.
Neue digitale Werkzeuge aus dem App-Shop sind für Claus Hahne aber nicht nur zwingend für ein besseres Projektmanagement, sondern auch notwendig mit Blick auf den Mitarbeiter der Zukunft – die Generation Y und bald die Generation Z. Als überholt sieht er Bestellsysteme im Sinne kostspielig eingeführter Software-Monolithe, zu deren Bedienung die Mitarbeiter tagelang geschult werden müssen.
Das wird die nächste, die junge Generation an Einkäufern nicht mehr mitmachen, meint der Vice President. Das, was sie aus ihrem privaten Umfeld kennt – das Nutzererlebnis, die intuitive Bedienbarkeit, die Mobilität – werde auch bei Business-to-Business-Anwendungen die Zukunft sein. Der Fachmann nennt das „Amazonisierung“.
Instrument für mehr Qualität
Generell gilt es jetzt, intern darauf hinzuwirken, dass ein Unternehmen die digitalen Trends nicht verpasst. Denn die Generation Y und Z wird den Umgang mit großen Datenmengen gewohnt sein. Mehr noch, sie wird diese neue Transparenz geradezu einfordern.
Dabei geht es nicht nur darum, jederzeit zu wissen, wie groß das Einkaufsvolumen gerade ist. Sondern auch darum, die Bestandsplanung mithilfe von „Analytics“ zu optimieren. Und Risiken zu kennen, die sich an jeder einzelnen Stelle der Lieferkette zeigen könnten, und frühzeitig Alternativlieferanten in den Blick zu nehmen. Ziel ist, heute schon zu wissen, was der Kunde morgen bestellt. Das bedeutet einen immensen Wissensvorsprung und eine unglaubliche Beschleunigung in der Steuerung des Beschaffungsprozesses.
Gute Beziehungen bleiben wichtig
Das heißt aber nicht, dass künftig nur noch weltentrückte Datenspezialisten in den Einkaufsabteilungen arbeiten werden. Im Gegenteil: „Die Eigenschaft, qualitativ hochwertige Beziehungen mit Zulieferern und Geschäftspartnern eingehen zu können, wird wichtiger“, meint Jacob Gorm Larsen, Head of Digital Procurement beim skandinavischen Logistikunternehmen Maersk Group.
Weil Einkäufern viele standardisierte Prozesse von neuen digitalen Werkzeugen abgenommen werden, können sie sich in eine strategische Position bringen, um eigenständig die Zusammenarbeit mit den Zulieferern und Geschäftspartnern auf eine neue Ebene zu heben. Lieferanten sind eben nicht einfach Leute, die Kosten produzieren (die es zu drücken gilt), sondern sie sind wertvolle Partner, die gute Ideen haben (in die man investieren sollte).
„Category Manager müssen Masterminds sein und Scouts für Innovationen auf den Beschaffungsmärkten“, wird Turan Sahin zitiert, Chief Procurement Officer des Versicherungskonzerns Allianz. „Wer wäre besser geeignet als der Einkäufer, um das Bindeglied zu sein zwischen den Lieferanten mit ihren Innovationen und Ideen und den internen Fachabteilungen mit ihren speziellen Anforderungen?“, meint Dr. Alexander Batran, Principal und Leiter der Practice Group Einkauf bei h&z. „Procurement sitzt an der Schnittstelle und hat eine ganz neue Daseinsberechtigung. Procurement sollte für das eigene Unternehmen in Sachen Industrie 4.0 die Führung übernehmen“.
Agnes Erben, Partnerin bei h&z, verantwortet Projekte zur Professionalisierung von Einkaufsorganisationen sowie Durchführung von Kostensenkungsprogrammen.
Franziska Sperl, Beraterin bei h&z
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