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Wie man sich bei Lieferanten durchzusetzen lernt

Wie man sich bei Lieferanten durchzusetzen lernt
Nachhaltigkeit umsetzen – was müssen Einkäufer können?

Unternehmen sollen Verantwortung übernehmen für die Einhaltung von Menschenrechten, von Sozial- und Umweltstandards bei der Herstellung ihrer Produkte und Dienstleistungen. Und zwar nicht nur in den eigenen Produktionsstätten, sondern mit Blick auf die gesamte Lieferkette. Nach wie vor wird jedoch über die Umsetzung dieses Anspruches viel diskutiert. Was ist, wenn Instrumente wie Vertragsbestandteile, Self-Assessment-Fragebögen oder Audits viel Aufwand bereiten, aber wenig ändern? Woher soll die Motivation kommen?

Ein entscheidender Erfolgsfaktor für nachhaltiges Lieferkettenmanagement wird bisher oft vernachlässigt: Es sind Einkaufsverantwortliche, die in ihrem täglichen Geschäft Nachhaltigkeit umsetzen sollen. Ein neues, auf wissenschaftlicher Basis entwickeltes Kompetenzmodell für Nachhaltigkeit im Einkauf setzt genau hier an und dient als Grundlage für gezielte Trainings und Personalentwicklungsstrategien.

Was genau sind Kompetenzen zu „Nachhaltigkeit“? Betrifft dies nur relativ wenige Teilprozesse des Strategischen Einkaufs wie die Lieferantenauswahl? Oder zieht sich dies durch mehrere der Einkaufsprozesse und betrifft damit – je nach Einkaufsorganisation und dazugehöriger Stellenprofile – ein breiteres Spektrum der Mitarbeiterschaft im Einkauf? Diesen Fragen nachzugehen war das Ziel eines Forschungsprojektes von Dr. Heike Schulze und Prof. Dr. Lydia Bals.

Auf der Basis von Forschungsergebnissen und durch eine Befragung von Experten aus Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Wissenschaftlern in diesem Gebiet (Delphi Studie) haben die beiden ein Kompetenzmodell für Nachhaltigkeit im Einkauf entwickelt. Es liefert 26 Kompetenzen in vier Kompetenzfeldern: „Fachspezifische Kompetenzen“ umfassen beispielsweise die Kenntnis von Nachhaltigkeitsinstrumenten wie Fragebögen und Audits und deren Anwendung in der Lieferbeziehung. Auch das Wissen zu gesetzlichen Regelungen, zu Nachhaltigkeitsstandards und Zertifikaten gehören dazu. Zum Feld „kognitive Kompetenzen“ gehört unter anderem systemisches Denken. Im Nachhaltigkeitskontext heißt dies, Zusammenhänge zu verstehen und verschiedenen Perspektiven einnehmen zu können. Was heißt es zum Beispiel, den Nachweis eines Umweltzertifikates von einem Lieferanten einzufordern? Wie wirkt sich das auf dessen interne Prozesse, aber auch auf die Lieferkette aus? Und wie auf den Preis des Produkts? Was ist der Business Case für Nachhaltigkeit? Im dritten Kompetenzfeld „Soziale Kompetenzen“ geht es um Kommunikationsfähigkeit, Stakeholder Management, Lieferantenmanagement. Dabei geht es um Zuhören, De-Eskalation, Verhandeln und das Erarbeiten gemeinsamer Lösungen. Als viertes Kompetenzfeld umfasst das Modell sogenannte „Metakompetenzen“ wie beispielsweise Selbstreflexion, der Umgang mit Veränderung oder auch politisch-taktisches Geschick. Für jede Kompetenz gibt es eine detaillierte Definition und exemplarische Verhaltensbeschreibungen in Bezug auf nachhaltiges Einkaufen.

Die Kompetenzen können insbesondere Strategischen Einkaufsprozessen zugeordnet werden und weniger solchen im operativen Einkauf. In der oben abgebildeten Prozessdarstellung sind das die blau hinterlegten Schritte im strategischen Einkaufsprozess sowie spezifische Kompetenzzentren oder Querschnittsfunktionen, sogenannte „Centers of Competence“ (manchmal auch genannt „Centers of Excellence“) in der Mitte der Abbildung. Rot umrandet sind die Prozessschritte, in denen spezifische Nachhaltigkeitskompetenzen besonders relevant sind.

In den operativen Einkaufsprozessen finden sich keine solchen Schwerpunkte. Das verwundert wenig, denn wenn die Einkaufsentscheidungen bereits getroffen sind und umgesetzt werden, sind Nachhaltigkeitsaspekte entweder bereits berücksichtigt worden oder sie werden es auch hier nicht mehr.

Sind Nachhaltigkeitskriterien beispielsweise bereits in Verträge mit Lieferanten aufgenommen und Teil eines Lieferantenauswahlprozesses, können Nachhaltigkeitsthemen in einer laufenden Beziehung zu Geschäftspartnern auf einer klaren Basis gemeinsam angegangen werden. Wenn allerdings ein Nachhaltigkeitsproblem bei einem Geschäftspartner auftritt, ohne dass vorab Anforderungen und Erwartungen des Auftraggebers geklärt wurden, ist es schwer, Maßnahmen einzufordern und Konsequenzen zu ziehen.

Das Kompetenzmodell und die zugeordneten Einkaufsprozesse bilden eine fundierte Grundlage für gezielte Schulungen im Einkauf. Ein innovatives Konzept für einen Trainingsworkshop war daher der letzte Teil des Forschungsprojektes. Dieses Konzept basiert auf der sogenannten „Critical Incident Technique“ und wurde im Rahmen des Projektes sowohl im Unternehmens- als auch im Hochschulkontext bereits für Workshops eingesetzt. Im Zentrum des nun ausgereiften Schulungskonzeptes steht die Arbeit an Fallstudien aus der nachhaltigen Einkaufspraxis. Die Teilnehmenden erarbeiten, erleben und diskutieren verschiedene Lösungsansätze und deren Auswirkungen aus verschiedenen Perspektiven. Dabei geht es beispielsweise um die erfolgreiche Lösung von Situationen wie dieser:

Erleben der kritischen Situation im Workshop

Ein neuer Vertrag mit einem wichtigen Lieferanten im Ausland steht zur Unterschrift bereit. Allerdings weigert sich der Geschäftspartner, die im Vertrag enthaltenen Nachhaltigkeitsstandards anzuerkennen. Es sind bereits mehrere Gespräche zu diesem Thema geführt worden, bisher jedoch ohne eine Lösung. Der Vertragsabschluss eilt, die internen Auftraggeber an den Einkauf warten darauf, die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten starten zu können. Die Unternehmensrichtlinien schreiben vor, dass die Nachhaltigkeitsstandards verpflichtender Vertragsbestandteil sind. Ein weiteres Gespräch mit Vertretern des Lieferanten steht nun an und soll unbedingt zum Vertragsabschluss führen.

Die Schulungsteilnehmer und Teilnehmerinnen diskutieren, wie man die Situation so vorbereiten kann, dass das gewünschte Ergebnis erreicht wird.

Gleichzeitig schlüpft eine andere Gruppe in die Rolle des Lieferanten, und bereitet sich aus dieser Perspektive ebenfalls auf das Gespräch vor. Der vorgegebene Grundtenor aus Lieferantensicht ist es, Kosten für möglicherweise erforderliche Zertifikate und andere Maßnahmen zu vermeiden, und außerdem keine vertraglich festgelegte Verantwortung für Nachhaltigkeitsstandards in der eigenen Lieferkette übernehmen zu müssen. Beide Gruppen bereiten sich im Workshop ausführlich vor, und erproben im Rollenspiel die entwickelte Gesprächstaktik. So erfahren die Teilnehmenden im Workshop, wie man Lieferanten so steuert und berät, dass Nachhaltigkeitsrisiken minimiert werden. Sie lernen, Verhandlungen in Nachhaltigkeitsthemen erfolgreich zu führen und Konflikte zu entschärfen – im Kontakt mit Lieferanten, internen Partnerabteilungen und mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen.

Die gezielte Schulung an Praxissituationen, die im übrigen sehr oft ein Dilemma darstellen, hilft bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstandards im Einkauf, ist aber natürlich nicht der einzige Erfolgsfaktor.

Verhandlungen führen, Konflikte entschärfen

Wenn jedoch die gezielte Entwicklung von individuellen Nachhaltigkeitskompetenzen mit einer fundierten strategischen und prozessualen Ausrichtung auf organisatorischer Ebene im Unternehmen kombiniert wird, kann Nachhaltigkeit im Einkauf erfolgreich und wirksam umgesetzt werden. Mitarbeiter und Führungskräfte im Einkauf sind diejenigen, die nachhaltiges Lieferkettenmanagement umsetzten müssen, und es lohnt sich, sie dafür bestmöglich auszubilden und sie durch Prozesse und Strukturen zu unterstützen. Nur dann kann gelingen, was das Ziel ist: Menschenrechte, Sozial- und Umweltstandards umzusetzen als Basis für zuverlässige Geschäftsbeziehungen, Produktqualität und Innovationen.

 


Kompetenzcluster und Kompetenzbeschreibungen (Beispiele)

„Fachspezifische Kompetenzen“: Nachhaltigkeits-
instrumente im Lieferantenmanagement

Lernzielbeschreibung:

Einkaufsverantwortliche kennen Instrumente, die für ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement angewendet werden können. Sie wählen passende Instrumente in spezifischen Einkaufssituationen aus und können diese Instrumente anwenden.

Beobachtbares Verhalten (Beispiele)

Der/die Einkaufsverantwortliche …

  • analysiert und bewertet die Nachhaltigkeitsperformance von Lieferanten.
  • achtet bei der Auswahl neuer Lieferanten auf mögliche Umwelt- und Sozialrisiken.
  • nutzt Nachhaltigkeitsrichtlinien als Basis für die Lieferantenbewertung.
  • überlegt, wie man Nachhaltigkeitsstandards überprüfen kann.
  • fragt Lieferanten nach Nachhaltigkeitskennzahlen, Zertifikaten und anderen spezifischen Informationen.
  • führt Besprechungen mit Lieferanten durch, um gemeinsam die einzelnen Punkte einer Nachhaltigkeitsrichtlinie durchzugehen und Maßnahmen zur Umsetzung zu ermitteln.
  • fragt Lieferanten nach deren Richtlinie für nachhaltige Beschaffung.
  • Sucht in Lieferantengesprächen gezielt nach Belegen für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen.
  • führt Lieferantentrainings durch.
  • wendet einen Self-Assessment Fragebogen an.
  • wendet Nachhaltigkeitsaudits zielgerichtet an.
  • bereitet sich auf die Durchführung von Audits vor.
  • kennt Deeskalationsprozesse und wendet sie an.

“Kognitive Kompetenzen”: Systemisches Denken

Lernzielbeschreibung:

Einkaufsverantwortliche verstehen, welche Auswirkungen nachhaltiges Lieferkettenmanagement auf Akteure im Liefernetzwerk hat. Sie erkennen Zusammenhänge und können Situationen aus unterschiedlichem Blickwinkel bewerten.

Beobachtbares Verhalten (Beispiele)

Der/die Einkaufsverantwortliche …

  • entwickelt einen Business Case für Nachhaltigkeit.
  • versteht Modelle der Kreislaufwirtschaft.
  • kann in kritischen Situationen verschiedene Anforderungen unter einen Hut bringen.
  • versteht den Gesamtzusammenhang und die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Interessensgruppen.
  • leitet aus übergeordneten Unternehmenszielen gezielt Maßnahmen für den Einkauf ab, die diese Ziele unterstützen.
  • kann darlegen, wie der Einkauf zur Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens beiträgt.
  • vertritt die Einkaufssicht in komplexen interdisziplinären Entscheidungsprozessen.
  • erkennt den Zusammenhang zwischen Risikomanagement und Nachhaltigkeit.
  • versteht den Zusammenhang zwischen schlechten Arbeitsbedingungen in der Lieferkette und Produktqualität.
  • erkennt die Auswirkung von Umweltverstößen in der Lieferkette für den Lieferanten, für das eigene Unternehmen und die gesamte Branche und kann die Risiken beschreiben.



Die Autorinnen:

Prof. Dr. Lydia Bals

Professorin für BWL mit den Schwerpunkten Material/-Produktionswirtschaft, Logistik und Supply Chain Management an der Hochschule Mainz

lydia.bals@source4future.de

https://source4future.de


Dr. Heike Schulze

Coordinator Drive Sustainability at CSR Europe, Consultant, Dozentin

mail@heikeschulze.de

www.heikeschulze.de

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