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Partnerwahl in der Königsdisziplin

Kontraktlogistik: Informationen intelligent nutzen
Partnerwahl in der Königsdisziplin

Die Kooperation von Industrie- und Handelsunternehmen mit ihren Logistikpartnern ist komplex und nicht frei von Spannungen. Der Grundstein für eine faire und partnerschaftliche Zusammenarbeit wird bereits in der Ausschreibung gelegt. Doch die Tücken einer Leistungsbeschreibung beginnen bereits bei den Basisdaten.

Kostensenkung und Konzentration auf Kernkompetenzen haben sich Handel und Industrie schon seit vielen Jahren auf ihre Fahnen geschrieben. In jüngerer Zeit rücken andere Motive zum Outsourcing kompletter Logistikleistungen stärker in den Fokus: Kontraktlogistik gilt hier als Strategie zur Vermeidung von Investitionen und damit teurer Kapitalbindung, aber auch als Hebel, die eigene Servicequalität nachhaltig zu verbessern. Summa summarum haben alle genannten Faktoren dazu beigetragen, dass das Marktvolumen der Kontraktlogistik auf rund 90 Mrd. Euro angeschwollen ist, das entspricht rund 40 Prozent des Gesamtmarktes der Logistik-Dienstleistungswirtschaft von etwa 228 Mrd. Euro. Dabei ist das Marktpotenzial bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. So ist die industrielle Kontraktlogistik in puncto Outsourcing-Potenzial und EBIT-Margen bei Weitem nicht so gut aufgestellt wie die Konsumgüter-Kontraktlogistik. Allerdings sind Durchschnittszahlen nur bedingt aussagekräftig, da dieses Geschäft stark branchenabhängig und projektbezogen ist. Der Erfolg hängt hier in besonderem Maße nicht nur vom fachlichen Know-how, sondern auch vom Beziehungsmanagement ab – Kontraktlogistik ist People’s Business. Industrie- und Handelsunternehmen stehen vor der Herausforderung, den passenden Partner zu identifizieren. Doch genau hier liegt der entscheidende Knackpunkt. Nicht wenige Industrievertreter teilen die Auffassung, dass es viele Dienstleister gibt, die eine Aufgabe lösen können, aber nur wenige, die zu ihrem Unternehmen passen. Passen muss es allerdings schon in der Organisation. Bereits die Ausschreibung ist sehr ressourcenintensiv. Wichtig ist daher ein effektives Tender Management, aber auch die Bereitstellung der Daten sowie die Zusammenarbeit zwischen Einkauf und Fachabteilung. Die Unternehmen haben also zunächst interne Abstimmungsprozesse zu bewältigen.

Aber auch der Dienstleister muss eine Ausschreibung auf Passgenauigkeit überprüfen: Könnte es sich um eine Scheinausschreibung oder Benchmark-Ausschreibung handeln? Auch hier spielt der effiziente Ressourceneinsatz eine wichtige Rolle. Dabei ist etwa zu klären, ob Anfragen vor allem am Anfang kürzer oder intensiver beantwortet werden. In der Kalkulation ist zu fragen, welche Risiken mit der Verwendung von Standardwerten verbunden und ob diese gegebenenfalls zu ergänzen sind.
Diese und über 70 weitere Fragen im Rahmen eines Ausschreibungsprozesses thematisiert ein aktueller Leitfaden, den der Arbeitskreis Kontraktlogistik der Bundesvereinigung Logistik (BVL) e.V. erarbeitet hat. Hauptgegenstand des Handlungsleitfadens sind Lagerdienstleistungen. Die für die Teilnehmer entscheidende Frage sei dabei das Zustandekommen von Entscheidungen gewesen, sagte der Leiter des BVL-Arbeitskreises Kontraktlogistik, Prof. Dr. Norbert Schmidt, FH Würzburg-Schweinfurt, im Rahmen des 30. Deutschen Logistik-Kongresses Ende Oktober in Berlin. Das Ziel des Leitfadens sei eine für beide Seiten „ressourcenschonende Abwicklung“ des Ausschreibungsprozesses, denn bei allem Wettbewerb stehe am Ende der gemeinsame Erfolg im Vordergrund.
Unter der Vielzahl von Fragen kristallisierten sich einige Grundfragen heraus, deren Klärung als Basis jedes Ausschreibungsprozesses gesehen werden kann. Dazu zählt zunächst die Frage, welche Daten für ein vollständiges Angebot überhaupt benötigt werden. Außerdem: Was macht eigentlich eine gute Angebotspräsentation aus und wie soll diese bewertet werden? Wie können zeitliche Engpässe im Rahmen einer Ausschreibung vermieden werden? Und: Auf welche Punkte sollten eingehende Angebote überprüft werden? Hier möchte der Leitfaden Orientierung in der Einschätzung ihrer strategischen Relevanz bieten.
Eine Art Mustervertrag unter Klärung aller wichtigen Haftungsfragen enthält der Leitfaden hingegen nicht. Diese Zusammenhänge erwiesen sich als zu komplex und zu umfangreich. Dabei wäre aus der Sicht der Unternehmen eine gewisse Standardisierung der Verträge durchaus wünschenswert. Sandra K. Schlaak, Corporate Lead Buyer, Global Warehousing Services, Robert Bosch GmbH, Stuttgart, verwies aber angesichts immer neuer Anforderungen auf die Notwendigkeit, einen Vertrag auch entsprechend individuell auszugestalten.
Auch der Dienstleister müsse „irgendwann genau wissen, welche Leistungen er bringen muss. Leistungsbeschreibung und Lastenheft müssen klipp und klar und ausführlich sein. Investitionen, Zahlungsziele und Haftung sind genauso wichtig und müssen schriftlich im Vertrag verankert sein“, erklärte Thomas Hüttemann, Geschäftsführer Panopa Logistik GmbH, Duisburg.
Spannungen im Ausschreibungsprozess können häufig aus ungeklärten Fragestellungen resultieren, die nicht immer offen angesprochen werden. Auf Seiten der Industrie wird häufig bemängelt, dass die gut gemeinten Anfragen zu oft falsch eingeschätzt und dann allzu leichtfertig und oberflächlich beantwortet werden. Nicht nachvollziehbare Angebote und fehlendes Logistik-Know-how stoßen bei den Verladern ebenfalls negativ auf. Der operative Erfolg eines Kontraktlogistik-Projekts hängt aber ganz wesentlich vom Sourcing in der Ausschreibungsphase ab, so Brendan Lenane, Head of Procurement Transport & Logistics Services, Magna Logistics Europe (MLE), Graz: „Je dezidierter meine Basisdaten und je professioneller das Leistungsspektrum und das Lastenheft aufgebaut sind, umso dezidierter kann der Dienstleister dann auch auf meine Anforderungen reagieren“. Der Automobilzulieferer Magna setzt auf ein dienstleisterorientiertes Handeln, also darauf, sehr spezifisch mit den Dienstleistern umzugehen und sehr genau zu formulieren. In den gesamten Prozess werden die Servicepartner möglichst früh einbezogen. Für ein Unternehmen wie Magna ist es laut Lenane „sehr wichtig, Dienstleister zu entwickeln“. Der passende Partner bleibe abhängig vom Angebotsportfolio. Dabei seien Referenzen ein wichtiges Thema. Allerdings bekomme jeder Anbieter „eine faire Chance“, auch wenn branchentypische Ausprägungen noch nicht vorhanden seien.
In Referenzen sieht auch die Dienstleisterseite ein wichtiges, aber nicht das entscheidende Kriterium. Thomas Reppahn, Leiter Zentrale Logistics Product and Process Management, Schenker Deutschland AG, Kelsterbach, warnte in Berlin davor, nur mit dem Blick in den Rückspiegel nach vorne fahren zu wollen. Schließlich seien es häufig auch die Kunden, die auf Diskretion in der Geschäftsbeziehung Wert legten und einer entsprechenden Vermarktung von Kontraktlogistik-Projekten skeptisch gegenüberstehen. Zudem müsse man einem Dienstleister „auch mal zugestehen, dass er Neuland betritt“.
Nicht selten sehen Dienstleister Grund zur Klage in einer unzureichenden Datenqualität. „Datenunzulänglichkeiten können über die langen Laufzeiten zu einem schwerwiegenden Hebel werden“, betont Reppahn. Dabei fehlen Daten sowohl unwissentlich, können aber auch absichtlich unterschlagen sein. Daraus resultieren im schlimmsten Fall Neukalkulationen, die natürlich sehr ressourcenintensiv sind. Reppahn warnte vor einer zu starken Fixierung auf vergangenheitsbezogene Durchschnittswerte: „Eine Kuh kann auch in einem durchschnittlich 15 cm tiefen See ertrinken.“ Der Dienstleister sollte sich aber trotz aller Verlockungen mit Kundennamen und Volumen gut überlegen, wo er wie anbietet. Branchenkompetenz, Kapazitäten, Know-how, aber auch Entwicklungsstrategien, sollten dabei Faktoren sein, die in die Entscheidung miteinfließen. Wichtig ist eine klare Positionierung, die sowohl eine branchenabhängige, regionale oder kundentypologische Spezialisierung und Fokussierung bedeuten kann. Ein „ich mache alles für alle“ gilt nicht als zukunftsträchtiges Geschäftsmodell.
Das mit der Kontraktlogistik verbundene Risikomanagement ist ein ganz wichtiger Punkt für den letztlichen Erfolg. Der Vertrag und das nachfolgende Controlling spielen eine zentrale Rolle. Ein Dreh- und Angelpunkt der Vertragsgestaltung ist die Frage der Haftung. Dabei sind unakzeptable Vertragsklauseln ein latenter Konfliktherd. Die Sichtweise der Verlader formulierte die Bosch-Logistikerin Schlaak: „Wenn wir als Industrieunternehmen zu 100 Prozent outsourcen und die Logistik in Dienstleisterhände legen, die dann Strategien ausrollen und Mitarbeiter auswählen, worauf wir als Kunde keinerlei Einfluss haben, dann muss das unternehmerische Risiko auch bei dem jeweiligen Dienstleister liegen.“
Aus der Dienstleister-Perspektive erklärte Thomas Hüttemann die „unbegrenzte Haftung“ zum „Unwort“: „Das gibt es nicht und ist schlicht nicht versicherbar.“ Für Dienstleister sei das manchmal auch ein „K.O.-Kriterium“. Nötig sei dagegen ein „vernünftiges Versicherungskonzept auf der Grundlage einer seriösen Bewertung“. Dr. Johannes Söllner, Geschäftsführer Geis Holding GmbH & Co. KG, Nürnberg, schwebt eine Risikoteilung oder -deckelung vor, die sich an Margen orientiert.
Die Kontraktlogistik-Dienstleister setzen auf eindeutige Regelungen bei langfristigen Investitionen für den Fall, dass der Auftraggeber seine Strategie ändert. Schließlich besteht immer das Risiko von Änderungen in den Rand- und Rahmenbedingungen. Die Übernahme von Risiken dürfe daher „kein Blindflug werden“, betont Thomas Hüttemann.
Bosch-Logistikerin Schlaak differenziert hier zwischen Lager- und Transportverträgen. In der Kontraktlogistik sei wichtig, sich nicht nur auf ein Kriterium, den Preis, zu fixieren, um ein außerordentliches Kündigungsrecht zu begründen. Hüttemann brachte als weitere Kriterien Equipment, Technik und Qualität ins Spiel. Wichtig sei in jedem Fall, ausreichende Fristen zu gewähren, um Fehler auch beseitigen zu können. „Ein guter Kontraktlogistik-Vertrag hat eine Anpassungsklausel und einen Reparaturmechanismus, wie Schwierigkeiten zu bewältigen sind“, so der Panopa-Geschäftsführer.
Differenziert urteilen die Vertragspartner über den Einsatz von Beratern und Subunternehmern in der Kontraktlogistik. Der Vorteil für die Verlader liegt zunächst darin, mit dem Einsatz von Beratern auch externes Know-how in das Unternehmen zu bekommen. Zudem seien „Berater dazu angehalten, ihre Ziele eher über zu erfüllen“, benannte Bosch-Logistikerin Schlaak einige Vorteile. Negativ zu Buche schlügen allerdings Reibungsverluste, da Berater in der Kürze der Projektlaufzeit die Strukturen eines Unternehmens nicht wirklich verinnerlichen könnten. Aus der Sicht des ehemaligen Beraters und heutigen Geis-Chefs Söllner sollte ein Berater im Unternehmen als „Teamführer eingesetzt werden, aber das Unternehmen sollte selbst entscheiden“.
Kaum begeistern können sich die Unternehmen für den Einsatz von Subunternehmen in der Kontraktlogistik. Je komplexer die Anforderungen sind, umso wichtiger ist es, in einem direkten Kontraktlogistik-Verhältnis zu stehen. Magna-Logistiker Brendan Lenane machte eine einfache Gleichung auf: „Je höher die Wertschöpfung und je komplexer die Anforderung ist, umso wichtiger ist es, ein direktes Kontraktlogistik-Verhältnis zu haben.“ Auch für Thomas Reppahn ist klar, dass die Planung und Wertschöpfung in der Hand des eigentlichen Vertragspartners liegen sollten. Allerdings sei nicht generell auszuschließen, einzelne Gewerke in andere Hände zu legen.
Idealerweise sollte auch diese Frage gleich in der Ausschreibungsphase durchdekliniert werden. Denn über den letztlichen Erfolg eines Kontraktlogistik-Projektes wird ganz wesentlich schon bei dessen Start entschieden.
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