Flexibilisierung von Lieferketten weiter im Fokus
Die globalen Lieferketten sind durch die andauernde Covid-19-Pandemie nach wie vor stark unter Druck. Die daraus resultierenden Unsicherheiten haben starke Auswirkungen auf globale Wertschöpfungsketten, denn der Ausfall wichtiger Lieferanten kann schnell zu teuren Produktionsausfällen führen. Um das zu vermeiden, müssen Organisationen und Unternehmen nicht nur günstig, sondern vor allem strategisch einkaufen. Ich bin sicher, dass die Flexibilisierung von Lieferketten auch 2021 weit oben auf der Agenda aller Procurement-Entscheider stehen wird.
Aufbau neuer Wertschöpfungsketten
Nach der erfolgreichen Globalisierung von Lieferketten ist eine Tendenz zu Protektionismus in einigen Regionen der Welt entstanden: Von Herstellern wird zunehmend erwartet, dass sie stärker auf Lieferanten setzen, die in den präferierten Absatzmärkten ansässig sind. Organisationen und Unternehmen müssen auf diese Anforderungen reagieren. Sie können entweder auf einen Verkauf ihrer Produkte in den Märkten verzichten, Zölle in Kauf nehmen oder ihre bisherige Sourcing-Strategie überdenken. Entscheiden sie sich für Letzteres, müssen sie auch ihre Wertschöpfungsketten anpassen – die Beauftragung neuer Lieferanten allein reicht dafür jedoch nicht aus. Der Schlüssel liegt in der wirklichen End-to-End-Betrachtung aller Prozesse und mit allen Beteiligten. Daher steht die weitere Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und den Stakeholdern innerhalb der eigenen Organisation zukünftig noch mehr im Vordergrund. Der Einkauf und die SCM-Organisation wird sich 2021 stärker mit diesen Themen auseinandersetzen und zugleich als Treiber für die notwendigen Change-Prozesse agieren müssen.
Supplier Portfolio Management wird ausgebaut
Flexible Lieferketten, neue Wertschöpfungsketten und eine bessere Zusammenarbeit erfordern nicht nur ein Umdenken, sondern bedeuten für den Einkauf eine Veränderung der Beschaffungs- und Lieferantenstrategie. Hier sehe ich zwei Trends: Beim Einkauf von Direktmaterialien und Leistungen werden Organisationen 2021 ihre Lieferantenbasis verbreitern (müssen) und auf einen ausgewogenen Mix aus verschiedenen Sourcing-Strategien setzen. Um Risiken entlang ihrer Lieferketten zu minimieren, werden sie ihr Lieferantenportfolio ähnlich konsequent managen, wie Fond-Manager ein Wertpapierdepot und dafür leistungsfähige digitale Plattformen setzen. Körber setzt hier auf die Zusammenarbeit mit Ivalua. Bei indirekten Materialien und Leistungen, wie beispielsweise Büromaterial oder IT-Services, ist es umgekehrt: Hier erwarte ich eher eine Konsolidierung der Lieferantenbasis, die Ausweitung der Zusammenarbeit mit bestehenden Top-Lieferanten und Zurückhaltung beim Onboarding neuer Partner.
Organisationen und Unternehmen passen Lager- und Logistik-Strategie an
Produktionsmethoden wie Just-in-time oder Just-in-sequenz waren lange Jahre sehr erfolgreich. Angesichts der aktuellen Pandemie bieten sie jedoch reichlich Risikopotenzial: Fällt nur ein Lieferant aus, reicht der für die Produktion notwendige Vorrat oft nur für wenige Stunden oder Tage. Dies gilt auch für Logistik: Wenn Transportunternehmen Direktmaterialien verspätet anliefern oder fertige Produkte die Kunden nicht pünktlich erreichen, geraten Hersteller schnell in Lieferverzug. Neben der Flexibilisierung bestehender Lieferketten werden 2021 vor allem produzierende Unternehmen ihre Lager- und Logistik-Strategien an die neue Situation anpassen. Ich sehe hier einen klaren Trend zu einer Schaffung flexibler Lagerkapazitäten, um eine angemessene Bevorratung mit Direktmaterialien sicher zu stellen und bei Bedarf auch mehr Platz für versandfertige Produkte zu schaffen. Außerdem werden Organisationen und Unternehmen nach Möglichkeiten und Strategien suchen, wie sie zu diesen Themen besser mit Lieferanten, internen Stakeholdern und Kunden zusammenarbeiten können.
Nachhaltigkeit wird vierte Kraft bei Einkaufsentscheidungen
Traditionell erfolgte die Bewertung von Lieferanten vor allem nach den Kriterien Kosten, Qualität und Zeit. Doch Organisationen und Unternehmen setzen inzwischen auch auf Nachhaltigkeit: Denn sie sind sich zunehmend ihrer sozialen Verantwortung bewusst, wollen nachhaltiger wirtschaften und haben Nachhaltigkeit als Wettbewerbsfaktor entdeckt. Entsprechend verändern sich aktuell auch die Erwartungen an die Lieferanten. Ich gehe deshalb fest davon aus, dass Organisationen und Unternehmen im kommenden Jahr Nachhaltigkeit als vierte und mitentscheidende Kraft fest im Einkauf und der SCM-Organisation verankern. Lieferanten und Dienstleister werden zum Beispiel in entsprechenden Audits klar belegen müssen, dass sie internationale Nachhaltigkeitsstandards einhalten – und dies auch von ihren Partnern verlangen.
Der Autor: Michael Stietz, Senior Vice President & Chief Procurement Officer, Körber AG