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Produktion im globalen Dorf

Daimlers Smart Factory
Produktion im globalen Dorf

Die ganze Welt wird vernetzt – da können auch die Automobil-hersteller nicht zurückstehen. Mercedes-Benz hat die Echtzeit-Verknüpfung der Wertschöpfungskette in vielen Bereichen bereits umgesetzt.

Unser Ziel ist es, bei digitalen Technologien der innovativste Automobilhersteller der Welt zu sein“, stellt Markus Schäfer klar, Bereichsvorstand Mercedes-Benz Cars, Produktion und Supply Chain Management, der Daimler AG. „Wenn sich Mensch, Maschine und industrielle Prozesse intelligent vernetzen, können schneller individuelle Produkte in hoher Qualität und zu wettbewerbsfähigen Preisen entstehen. Am Ende steht die Vision, dass wir jedes Auto praktisch in Losgröße 1 nach den individuellen Kundenwünschen bauen“.

Bessere Autos aus der smarten Fabrik
Einen ersten großen Schritt hin zum digitalen Automobil hat Mercedes-Benz bei der neuen E-Klasse getan. Von der Entwicklung bis zum Vertrieb durchziehen digitale Prozesse die Baureihe. Techniken wie Sicherheits- und Assistenzsysteme und die Vernetzung der E-Klasse mit dem eigenen Smartphone sind dabei nur die für den Kunden sichtbare Spitze des Eisbergs.
Jenseits der Produktfunktionen hat Mercedes-Benz das Konzept der „Smart Factory“ entwickelt, bei der Produkte, Maschinen und die gesamte Produktionsumgebung untereinander und mit dem Internet digital vernetzt sind. Auf diese Weise entsteht ein so genannter „Digitaler Zwilling“, der die Simulation von Prozessen, Systemen und ganzen Fabrikhallen in Echtzeit ermöglicht. Mit dieser digitalen Smart Factory will Mercedes-Benz die Fertigung flexibler, effizienter und schneller gestalten, die vor- und nachgelagerte Logistik enger mit der Fertigung verknüpfen sowie die Arbeitsplätze attraktiver gestalten, um begehrte Fachkräfte zu gewinnen und im Unternehmen zu halten.
Im Vorgriff darauf hat man globale Komponentenstandards, standardisierte Systemarchitekturen und standardisierte Automatisierungs-, Regelungs- und Steuerungstechniken definiert und implementiert. So werden beispielsweise in allen Mercedes-Benz-Werken weltweit standardisierte Technologiemodule in Robotik und Fertigungsverfahren eingesetzt. In einem nächsten Schritt werden auf Produktmodule abgestimmte, weltweit einsetzbare Anlagenmodule und einheitliche Gewerkestrategien eingeführt. Und noch in diesem Jahrzehnt soll eine Referenzfabrik entstehen, die alle Methoden und Verfahren der Smart Factory zusammenführt. Keimzelle vieler digitaler Prozesse und realer Produktionskonzepte bei Mercedes-Benz ist die sogenannte Tec-Fabrik. Sie ist als klassische Querschnittsfunktion der zentrale Ansprechpartner für die Planung, Fahrzeugentwicklung sowie Produktions- und Produktkonzepte und stellt deren Reifegrad sicher. Die Tec-Fabrik ist zudem das Kompetenzcenter für Kaufteile, Werkzeuge, Produktionsanlagen, Anlauffabrik und Presswerk.
Ein wichtiger Bestandteil ist die Versuchsfabrik im Werk Sindelfingen, in der Produktionsideen ausprobiert und idealerweise bis zur Serienreife weiterentwickelt werden. Hier tüfteln Ingenieure und Techniker an Leichtbaurobotern, die Bauteile greifen und bewegen oder direkt im Fahrzeug montieren. Und das ohne Schutzzäune, da die Roboter der neuesten Generation mit Sensoren ihre Umgebung lückenlos erfassen und bei Fremdkontakt mit einem Menschen oder Anlagenteil ihren Bewegungsablauf sofort stoppen.
Diese sogenannte Mensch-Roboter-Kooperation (MRK) hat den Sprung in die Serie bereits geschafft. Bei der Doppelkupplungsgetriebe-Produktion im Werk Hedelfingen nehmen Leichtbauroboter den Werkern das Einsetzen der etwa zehn Kilogramm schweren Kupplungsscheiben in das Getriebegehäuse ab. Der Werker legt dem Roboter lediglich die Werkstücke bereit und übernimmt vertretungsweise – falls der Roboter die Kupplungsscheiben einmal nicht sauber einführen kann – dessen Aufgabe.
Mensch und Roboter arbeiten Hand in Hand
Bei der Fertigung der neuen E-Klasse geht die MRK einen Schritt weiter. Hier arbeiten Mensch und Maschine buchstäblich miteinander Hand in Hand. Der Roboter sitzt dabei mitten in der Rohkarosserie und übernimmt vor allem ergonomisch anstrengende Arbeiten, wozu der Werker häufig über Kopf arbeiten oder in die Karosserie klettern müsste. Parallel dazu arbeiten die Werker andere Aufgaben ab. Ab Mitte 2016 werden die Werker in der E-Klasse-Montage per Tablet und WLAN auch in der Lage sein, den Leichtbauroboter als Helfer bei der Montage des Dachhimmels zu nutzen.
Des Weiteren perfektioniert Mercedes-Benz die MRK für die Montage von großen und schweren Batterien in Hybridfahrzeugen. Erstmalig im Werk Bremen hat man 2015 diese Technik eingeführt.
Avatar nimmt die Realität vorweg
Dort liefert ein fahrerloses Transportfahrzeug – per WLAN und im Boden eingebauten Permanentmagneten gesteuert – die Batterie an die Montagestation. Ein Roboter führt die Batterie dann an den Einbauort passgenau ein. Die Mitarbeiter mit ihren überlegenen visuellen Fähigkeiten überwachen nur noch den Arbeitsraum des Roboters und entfernen bei Bedarf in der Einfahrkurve hängende Kabel. Doch nicht überall ist der Roboter das Maß der Dinge. Bei der Kalibrierung des Head-Up-Displays etwa erweist sich ein Werker mit mobilem Endgerät, das seine Lage im Raum genau ermitteln kann, als überlegen. Bislang wurde diese Kalibrierung von zwei fest installierten Roboter in einem aufwendigen Schutzraum durchgeführt. Bei der neuen E-Klasse wird ab Mitte 2016 ein Mitarbeiter mit dem Tablet den Spiegel des Head-Up-Displays so einmessen und justieren, dass die Anzeige genau im Sichtfeld des Fahrers liegt.
Bei der E-Klasse wurde der Fertigungsprozess vom Presswerk bis zur Endmontage digital simuliert; allein bei der Montage wurden rund 4000 einzelne Prozesse untersucht und lange vor Serienanlauf deren technische Machbarkeit geklärt. Einen Großteil davon haben Ingenieure bereits zwei Jahre vor Produktionsstart mit der virtuellen Montagestation geprüft. Digitale Modelle des Fahrzeugs, aller zu montierenden Bauteilen und der Werkzeuge waren zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden. Die virtuelle Montagestation besteht aus Metallprofilen, die die Umrisse der Karosserie wiedergeben und rundherum platzierten Kameras. In diesem Raum deutet ein Montage Spezialist, ausstaffiert mit etwa 60 reflektierenden kleinen Kugeln, die Montageschritte an. Die von den Kameras aufgenommenen Positionsdaten werden in menschliche Bewegungsmuster umgerechnet und mit den virtuellen Fahrzeugdaten fusioniert. Visualisierungssoftware aus der Filmindustrie zeigt auf einem Bildschirm an, wie sich der Avatar in der realen Montagestation am Fahrzeug bewegen würde. Computer und Bildschirme sind bei dieser Produktionssimulation allerdings nur Hilfsmittel. Erfahrene Mitarbeiter müssen einschätzen, wie sich die jeweilige Arbeit prozesstechnisch und ergonomisch am besten bewerkstelligen lässt.
Die Vernetzung von Produkt- und Prozessdaten vollzieht Mercedes-Benz aber nicht nur auf Detailebene, sondern per Cloud weltweit mit allen Werken. So ist inzwischen weltweit der Zugriff auf die Qualitäts- und anderen Kennzahlen im Rohbau bis hinunter zur Sensor-Aktor-Ebene in Realzeit möglich. Basis dafür ist die durchgängige Nutzung der Steuerungssoftware „Integra“ und die Ethernet-basierte Vernetzung aller Automatisierungskomponenten. Im Rohbau der E-Klasse etwa sind 87 Fertigungsanlagen mit 252 SPS-Steuerungen, 2400 Roboter, 42 verschiedene Fügetechniken und insgesamt etwa 50 000 Netzwerkteilnehmer mit eigener IP-Adresse miteinander vernetzt.
Zugriff weltweit
Bei Wartung und Problemen kann aus der Ferne sofort geholfen werden, ökologisch unvorteilhafte Reisen von Technikern entfallen und Verbesserungen können für alle Werke übernommen werden. Leadwerke haben weltweit Zugriff auf die Produktionsdaten in allen anderen Werken des jeweiligen Netzwerks und können sogar die dortigen Roboter neu programmieren.

Hartmut Hammer, freier Jounalist
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