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Risikoanalyse in Supply Chains

Analyse und Maßnahmenplanung unternehmensübergreifend notwendig
Risikoanalyse in Supply Chains

In der Zulieferkette ist die Risikosituation der beteiligten Unternehmen unterschiedlich. Eine rein unternehmensinterne Risikobetrachtung bildet demnach nicht alle Risiken adäquat ab. In der Forschung wird verstärkt das Supply Chain Risk Management (SCRM) als ein Ansatz unternehmensübergreifenden Risikomanagements betrachtet. Dieser Beitrag stellt eine Vorgehensweise für die Risikobeurteilung und -bewältigung anhand eines Praxisbeispiels vor.

Ursprünglich führten Unternehmen lange Zeit die Risikoanalyse im klassischen Sinne nur unternehmensintern durch. Dieser klassische Risikomanagementprozess mit einer rein unternehmensinternen Betrachtungsweise ist seit einigen Jahren aufgrund der gestiegenen Komplexität in der Zulieferkette nicht mehr ausreichend. Um auf die veränderte Risikosituation einzugehen, sind ein gemeinschaftliches Risikoverständnis der Verlader, der Transportunternehmen und des Empfängers sowie ein übergreifendes Managementsystem notwendig: Das SCRM ist ein SCM-Konzept, mit dem Ziel Supply Chain Risiken zu verringern. Das Institut für Technische Logistik der TU Hamburg hat mit Unternehmen der Forschungsgemeinschaft für Logistik e. V. dazu eine Vorgehensweise zur Risikobeurteilung und -bewältigung entwickelt.

Um eine Risikobeurteilung zu gewährleisten, kommen verschiedene Methoden zum Einsatz. Anfangs werden mit Fragenkatalogen relevante Supply-Chain-Risiken in Gesprächen mit Experten der Partner separat identifiziert. Außerdem wird der Stand des Risikomanagementsystems bei den Partnern abgefragt. Dies gibt Aufschluss über vorhandene Systeme, die im Zuge der unternehmensübergreifenden Risikountersuchung mitberücksichtigt werden sollten. Danach werden die identifizierten Risiken unternehmensintern bewertet. Hierzu muss eine Bewertungsskala festgelegt werden, die sich für die Risikobewertung in Experteninterviews eignet.

Die bedeutendsten Risiken für jeden Supply-Chain-Partner werden anschließend unternehmensübergreifend aggregiert. Zur Visualisierung kann eine gemeinsame Risikomatrix dienen. Eine Möglichkeit zur Risikoaggregation ist die Erstellung Risikoportfolios, um Aussagen über das aggregierte Schadensausmaß für die Supply Chain treffen zu können.

Anfangs werden eher allgemeine Risiken betrachtet. Im Verlauf einer Risikobetrachtung kann eine weitere Konkretisierung einzelner Risiken oder eine tiefergehende Untersuchung notwendig sein. Zur Identifikation und Bewertung der Risiken bietet sich eine detaillierte Analyse der Geschäftsprozesse an. Hierbei werden tiefer zu betrachtende Hauptprozesse, Schnittstellenproblematiken oder andere Fehlerquellen bzw. Risiken herausgearbeitet und bewertet.

Da die Geschäftsabläufe Schnittstellen zu Prozessen der Partnern besitzen, werden Prozessrisiken, die auch für die Partner von Bedeutung sind, ebenfalls von diesen bewertet. Entsprechende Risikomatrizen geben ein vollständiges Bild der Situation.

Abschließend werden die Ergebnisse aus allen Stufen zusammengeführt und ganzheitlich betrachtet. Als Ergebnis werden die bedeutendsten Risiken abgeleitet.

Risikobewältigung

Die erarbeiteten Risiken sind die Ausgangsbasis für die Risikobewältigung. Generierte Maßnahmen sollten schon im ersten Schritt hinsichtlich ihrer Wirkung kategorisiert werden. Hierzu wird erfasst, ob es sich bei der Maßnahme um eine ursachen- oder eine wirkungsbezogene Maßnahme handelt. Die weitere Spezifizierung der Maßnahmen hat das Ziel, für jeden Partner einen spezifischen Maßnahmenkatalog zu erarbeiten, der für jedes Risiko potenziell mögliche Maßnahmen enthält.

Die Abhängigkeiten der Maßnahmen werden in Anlehnung an die Methodik aus der Risikobeurteilung, mit einer Cross-Impact-Analyse ermittelt. Maßnahmen, die andere Maßnahmen stark beeinflussen, können somit identifiziert werden. Die zwei durchgeführten Cross-Impact-Analysen, für die Maßnahmen sowie für die Risiken, werden im folgenden Schritt weiter verwendet. Die Risiken sowie die Maßnahmen untereinander bilden Abhängigkeitssysteme bzw. Wirksysteme. Jede Maßnahme wirkt auf verschiedene Risiken, und Risiken können oft erst durch den Einsatz verschiedener Maßnahmen optimal minimiert werden. Zur Aufstellung des Abhängigkeitssystems zwischen den Maßnahmen und den Risiken wird ebenfalls die Methodik der Cross-Impact-Analyse herangezogen. Das Ziel dieses Abhängigkeitssystems ist es, in einer Übersicht Maßnahmen zu erkennen, die in ihrer Wirkung das größte Potenzial zur Risikominimierung besitzen und wo Abhängigkeiten zu beachten sind. Auf einer definierten Skala wird bewertet, wie stark eine Maßnahme auf ein Risiko einwirkt. Auch die vorher ermittelten Risiko- und Maßnahmenabhängigkeiten fließen in die Betrachtung mit ein und können als Priorisierungshilfen dienen. Fragestellungen, die mithilfe des Abhängigkeitssystems beantwortet werden können sind:

  • Mit welcher Maßnahme werden die meisten Risiken positiv beeinflusst?
  • Welche Maßnahme minimiert ein Risiko am stärksten?
  • Welche Maßnahme hat einen negativen Einfluss auf ein Risiko?
  • Welche Maßnahme lässt sich theoretisch am einfachsten umsetzten?

Anschließend findet die Bewertung und Priorisierung der Maßnahmen statt: Wirkungsbezogene Maßnahmen mit einer hohen Bewertung reduzieren das Schadensausmaß des Risikos. Ursachenbezogene Maßnahmen mit einer hohen Bewertung hingegen minimieren die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos. Da das Reduzierungspotenzial einer Maßnahme von den verschiedenen Supply-Chain-Partner unterschiedlich bewertet werden kann, ist es sinnvoll, die potenzielle Eintrittswahrscheinlichkeit und das Schadensausmaß eines Risikos, nach Implementierung einer Maßnahme, bei den einzelnen Partnern abzufragen. Durch diese erneute Parameterschätzung kann ein präziser Vergleich der Risikosituation vor und nach Implementierung einer Maßnahme erzeugt werden. Mithilfe der Situations-Maßnahmen-Ergebnis-Analyse (SMEA) lassen sich zusätzlich Aussagen über die Effektivität und die Effizienz der Methoden treffen. Als Ergänzung zu dieser Bewertungsmethode kann auch eine Nutzwertanalyse angewendet werden. Diese erlaubt es, mehrere Kriterien, bezüglich derer die Maßnahmen bewertet werden sollen, selbst zu definieren und somit eine Maßnahme umfangreicher zu betrachten. Eine ausschließliche Betrachtung der Maßnahmen mit dem Abhängigkeitssystem ist nicht aussagekräftig genug, da hierbei wichtige Kriterien vernachlässigt werden. Mögliche Kriterien, die in einer Nutzwertanalyse zusätzlich aufgenommen werden können sind:

  • die Plausibilität einer Maßnahme,
  • der Aufwand oder zeitliche Aspekte bezüglich einer Maßnahmenumsetzung,
  • Wechselwirkungen mit anderen Supply-Chain-Partnern
  • das Auftreten anderer Risiken durch eine Maßnahme.

Die Nutzwertanalyse stellt ein gutes Instrument zur Maßnahmenpriorisierung dar. Jeder Partner ermittelt so die für ihn am höchsten bewerteten Maßnahmen.

Anschließend werden die Ergebnisse zusammengeführt. Das Ziel ist die Einigung alle Unternehmen auf umzusetzende Maßnahmen. Neben der Risikopräferenz der Entscheidungsträger spielen hierbei Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen und strategische Überlegungen eine Rolle. Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Prozessabläufe mit Zeit- und Kostenplänen werden ebenfalls festgelegt. Im letzten Schritt geht es an die Implementierung der Maßnahmen. Hierbei ist eine enge Zusammenarbeit aller Partner nötig.

Projektbeispiel: Die an der Papierlogistik beteiligten Unternehmen befassen sich mit der Konzeptionierung und Realisierung eines Online-Monitoring-Tools für die Transportketten zwischen Skandinavien und Deutschland. Innerhalb dieses Projektbeispiels wird vorrangig die Zulieferer-Abnehmer-Beziehung betrachtet. Das Logistikdienstleistungsunternehmen wird aufgrund seiner steigenden Bedeutung ergänzend miteinbezogen. Durch ein gemeinsames Verständnis über die Risikosituation und eine ganzheitliche Ableitung von Maßnahmen soll die Risikosituation aller Partner langfristig verbessert werden.

Im Methodenportal MEPORT.net findet sich eine Beschreibung der Risikoanalyse mit einer Kurzeinführung in die Vorgehensweise am Beispiel des Supply Chain Risk Managements. Gemäß der Methodenarchitektur kann die Vorgehensweise Schritt für Schritt an einem Beispiel nachverfolgt werden.

Als Ergebnis der ersten Phase liegen die bedeutendsten Risiken für die gesamte Supply Chain vor. Für die Risiken werden Maßnahmen generiert. Der Einfluss der Maßnahme auf jedes einzelne Risiko wird zur Erstellung des Abhängigkeitssystems auf einer Skala von +2 bis –2 bewertet.

Die als aktiv identifizierten Risiken „Kurzfristige Bestelländerung“, „Plötzliche Nachfrageänderung“ und „Verzögerung im Transport“ weisen die höchsten Zeilensummen auf. Eine Vielzahl der generierten Maßnahmen wirkt demnach auf diese Risiken und folglich auch auf das Risiko „Lieferung zu spät“ risikominimierend. Aus dem Abhängigkeitssystem kann auch abgelesen werden, welche Maßnahme einen negativen Einfluss auf ein Risiko hat. Beispielsweise wirkt sich der flexible Einsatz der Transportkapazitäten beim Logistikdienstleister, wie beispielsweise spontane Fahrten, negativ auf die Transportkosten aus. Zudem lässt sich hier ebenfalls erkennen, welche Maßnahme sich, ohne Beeinflussung anderer Risiken, umsetzen lässt.

Fazit

Im unternehmensübergreifenden Risikomanagement stellt die Cross-Impact-Analyse einen neuen methodischen Ansatz dar. Diese kann zur Ermittlung von Abhängigkeitszusammenhängen zwischen Risiken und Maßnahmen untereinander und zur Aufstellung eines Abhängigkeitssystems zwischen Risiken und Maßnahmen herangezogen werden. Das Ziel ist, die komplexen Zusammenhänge zwischen Risiken und Maßnahmen zu verstehen und somit Maßnahmen in ihrer Wirkung optimal auf die richtigen Risiken abzustimmen. Hierdurch kann die Risikosituation aller an der Supply Chain beteiligten Unternehmen grundlegend verbessert werden.


Prof. Dr.-Ing. Günther Pawellek, Leiter des Instituts für Technische Logistik der Technischen Universität Hamburg-Harburg

Dipl.-Ing. Ingo MartenGeschäftsführer der ILS Integrierte Logistik-Systeme GmbH, Hamburg

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Kerstin DallmannProjektassistentin im ILS Integrierte Logistik-Systeme GmbH, Hamburg

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