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Einkauf in der Automobilindustrie: Setzteilmanagement

Einkauf in der Automobilindustrie
Setzteilmanagement – reduziert Risiken und realisiert Bündelungseffekte

Setzteilmanagement – reduziert Risiken und realisiert Bündelungseffekte
Bild: hamik/123rf
Ein aktives Management der Unterlieferanten gewinnt in der Automobilindustrie immer mehr an Bedeutung. Die zunehmende technische Komplexität sowie die Realisierung von Bündelungseffekten erhöht die Nutzung von Setzteilen. Jedoch entstehen durch deren Verwendung wachsende Herausforderungen. Geeignete Beschaffungsstrategien, strukturierte Entscheidungsmodelle sowie Verantwortlichkeitsvereinbarungen sichern die zuverlässige Beschaffung bei OEMs ab.

Ein weit verbreitetes Phänomen in der Automobilindustrie ist die Vorgabe der OEMs gegenüber ihren Lieferanten, welche Bauteile sie von welchen Unterlieferanten zu verwenden haben. Diese vorgegebenen Bauteile werden Setzteile genannt.

Mit dieser Praxis verändern die OEMs Rollen und Verantwortlichkeiten für zahlreiche Aktivitäten entlang der Lieferkette der Automobilindustrie. Denn im herkömmlichen Beschaffungsmodell bezieht der Lieferant die erforderlichen Bauteile eigenverantwortlich von den Unterlieferanten.

Der Anteil von Komponenten mit Setzteilen am gesamten Einkaufsvolumen der OEMs steigt in der Automobilindustrie seit Jahren kontinuierlich an. Dieser Trend konnte im Rahmen der Deloitte-Studie „Sub-supplier Management: Directed Parts in the Automotive Industry“ (2018) bestätigt werden und wird von den folgenden Faktoren getrieben:

  • Steigende Komplexität der Bauteile
  • Realisierung von Gleichteil- und Baukastenstrategien
  • Zunehmende Qualitätsansprüche der Endkunden
  • Höhere gesetzliche Anforderungen an Produkteigenschaften

Diese Faktoren tragen zu einer zunehmenden Komplexität in den globalen Beschaffungsstrategien der OEMs und Zulieferer bei. Um diese Komplexität beherrschen zu können, bietet die Verwendung von Setzteilen zahlreiche Vorteile. Im Rahmen der Studie konnte durch eine Umfrage bei OEMs und deren Lieferanten bestätigt werden, dass klare Vorteile durch die Verwendung von Setzteilen gesehen werden:

  • Sicherung einer hohen Produktqualität
  • Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen
  • Vermeidung von Produktrisiken
  • Erzielung von Skaleneffekten
  • Sicherung einer einzigartigen Optik
  • Optimierung der Logistikkosten
  • Gewährleistung der Versorgungssicherheit
  • Sicherung der Technologieführerschaft
  • Sicherung der strategischen Marktpositionierung

Die Erfahrungen aus relevanten Projekten zeigen, dass Setzteile jedoch nicht hinreichend strukturiert vergeben werden. Auch entsprechende effiziente Geschäftsmodelle für ihre Beschaffung sind in der Automobilindustrie nicht ausreichend etabliert. Darüber hinaus sind klare Rollen und Verantwortlichkeiten im Vergabeprozess für Setzteile nicht klar genug definiert. Setzteilentscheidungen erfolgen also vorwiegend ohne standardisierte Entscheidungsmodelle, sodass wirtschaftliche und technologische Entscheidungskriterien oftmals unberücksichtigt bleiben.

Der Weg zum optimalen Geschäftsmodell

Ein strukturierter Ablauf der Setzteilentscheidung mit Berücksichtigung der wesentlichen Entscheidungsfaktoren ist notwendig, um einen fundierten Entscheidungsprozess zu ermöglichen. Dieser Prozess sollte Lösungsoptionen in Form von verschiedenen Geschäftsmodellen für den Bezug von Setzteilen anbieten können, um die jeweiligen Vor- und Nachteile der einzelnen Geschäftsmodelle für den spezifischen Anwendungsfall abwägen zu können. Hierbei sollten ebenfalls regulatorische Aspekte Beachtung finden. Denn die Projekterfahrung hat gezeigt, dass die OEMs die Weitergabe von Preisinformationen zwischen konkurrierenden Lieferanten selbst als kritisches Vorgehen betrachten.

Der OEM greift durch die Vergabe von Setzteilen in das operative Geschäft der Lieferanten ein – und das verändert Verantwortlichkeiten in allen Geschäftsmodellen. Dadurch steigen die Aufwände zur Planung und Durchführung von Logistik- und Qualitätsaufgaben aufseiten des OEMs und müssen im Rahmen der Kosten- und Nutzenabwägung berücksichtigt werden.

Zudem müssen vor allem in Regressfällen die Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen den Akteuren klar definiert und kommuniziert worden sein. Durch die Verschiebung der Verantwortlichkeiten für die Reklamation der Setzteile kommen neue fachliche und technische Anforderungen auf die OEMs und die Lieferanten zu.

Mit der zunehmenden Anzahl von Vertragspartnern und Verträgen wird die Definition von Verantwortlichkeiten durch das Vertragsmanagement wichtiger. Anwendungsfälle aus der Praxis zeigen, dass die Leistungsschnittstellenvereinbarungen zwischen Vertragspartnern auf Basis neuer Geschäftsmodelle angepasst werden müssen, sodass die Rollen und Verantwortlichkeiten klar zugeordnet werden.

Mit dem neuen Setzteilmodell kommen auf die OEMs außerdem neue steuerliche Anforderungen zu – das konnte man in diversen Projekten feststellen. Einige Geschäftsmodelle erfordern unter Umständen den Erwerb von Eigentum des Setzteils durch den OEM. Dies kann sich erheblich auf steuerliche Meldepflichten für die OEMs auswirken.

Das richtige Geschäftsmodell

Unsere Erfahrungen und die Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich in der Automobilindustrie folgende Geschäftsmodelle etabliert haben:

a.  Systemführerschaft

b.  Directed Buy

c.  Kostenlose oder verkaufte Beistellung

Am meisten verbreitet ist in der Automobilindustrie die Beschaffung einer Komponente über das Geschäftsmodell Systemführerschaft. Dabei gibt der OEM keine Setzteile vor. Der direkte Lieferant bezieht die erforderlichen Bauteile eigenständig und eigenverantwortlich von seinen Unterlieferanten. Das bringt mehrere Vorteile für den OEM mit sich: Der Koordinationsaufwand ist gering. Gewährleistung- und Haftungsrisiken des bezogenen Bauteils liegen beim direkten Lieferanten. Allerdings hat er nur einen geringen Einfluss auf den Unterlieferanten, da er lediglich mit dem direkten Lieferanten in Kontakt steht. Zudem sind die Beschaffungsaktivitäten des direkten Lieferanten oftmals nicht transparent.

Im Geschäftsmodell Directed Buy gibt der OEM dem direkten Lieferanten vor, bei welchen Unterlieferanten dieser das Setzteil beziehen muss. Dennoch besteht ein reguläres Vertragsverhältnis zwischen dem direkten Lieferanten und den Unterlieferanten. Der direkte Lieferant koordiniert eigenständig alle weiteren Beschaffungsprozesse mit dem Unterlieferanten. Dieses Modell bietet im Wesentlichen zwei Vorteile. Zum einen kann der OEM dem direkten Lieferanten vorgeben, welches spezifische Setzteil er beim jeweiligen Unterlieferanten beziehen soll. Zum anderen hat der OEM vergleichsweise geringe Koordinationsaufwände, da die beiden Lieferanten die operative Abwicklung selbstständig steuern. Dieses Geschäftsmodell birgt jedoch für den OEM rechtliche Risiken, falls er zwischen den beiden Lieferanten aktiv Preise für die als Setzteil vergebenen Bauteile kommuniziert und die beiden Lieferanten mit diesem Setzteil im Wettbewerb zueinander stehen.

Bei der kostenlosen oder verkauften Beistellung bezieht der OEM das Setzteil vom Unterlieferanten und stellt dieses dem direkten Lieferanten zur Herstellung der Komponente zur Verfügung. Der wesentliche Unterschied bei diesem Geschäftsmodell liegt darin, dass der OEM der Eigentümer des Setzteils wird, bevor dieses in der Komponente verbaut wird. In diesem Geschäftsmodell kann zwischen einer kostenlosen und einer verkauften Beistellung differenziert werden. Bei der kostenlosen Beistellung stellt der OEM dem direkten Lieferanten das Setzteil kostenlos zur weiteren Verarbeitung zur Verfügung. Bei der verkauften Beistellung kauft der OEM das Setzteil vom Unterlieferanten ab und verkauft dieses anschließend an den direkten Lieferanten zu einem marktüblichen Preis. Bei beiden Geschäftsmodellen wird die zuvor beschriebene Preistransparenz zwischen Lieferanten vermieden und ein rechtskonformes Geschäftsverhältnis zwischen allen Parteien ermöglicht. Ein weiterer Vorteil ist, dass der OEM im Falle eines Qualitätsmangels am Setzteil Regressansprüche direkt gegenüber dem Unterlieferanten geltend machen kann.

Für die Auswahl eines optimalen Geschäftsmodells für die Beschaffung von Setzteilen sind nachvollziehbare Indikatoren notwendig. Folgende Indikatoren sollten während des Entscheidungsprozesses berücksichtigt werden:

  • Kritikalität des Bauteils
  • Versorgungsrisiko des Bauteils
  • Komplexität des Bauteils
  • Wertigkeitsverhältnis des Setzteils gegenüber der Komponente
  • Länderkonstellationen der Lieferanten und der OEM-Werke

Die Befragung unter OEMs und Lieferanten bestätigt die bisher gesammelten Projekterfahrungen. Es fehlen in der Automobilindustrie größtenteils Konzepte und Handlungsmaßnahmen für den Umgang mit Setzteilen.

Künftig werden jedoch regulatorische Anforderungen sowie technische Spezifikationen die Verwendung von Setzteilen noch weiter begünstigen. Umso wichtiger wird es für die OEMs und Lieferanten sein, ihre Entscheidungen für oder gegen Setzteile nachvollziehbar zu gestalten. Darüber hinaus sollten die OEMs und Lieferanten in der Lage sein, ihr optimales Geschäftsmodell für ihren spezifischen Anwendungsfall methodisch fundiert auswählen zu können. Hierbei können bewährte Geschäftsmodelle wie die Beistellung Vorteile von Setzteilen mit einer rechtskonformen Beschaffungspraxis vereinen.


Definition

Setzteile in der Autoindustrie

… aus dem SQMS Handbuch für Lieferanten der Daimler AG:

  • Direkte Lieferanten der Daimler AG werden Tier-1-Lieferanten genannt. Diese Lieferanten sind verpflichtet, ihre Teile an die
    Daimler AG zu bemustern.
  • In einigen Fällen gibt die Daimler AG Tier-2-Lieferanten und andere vorgelagerte Lieferanten vor. Diese Lieferanten werden auch Setzteil-Lieferanten genannt.
  • Teile, welche in der Serie von Setzteil-Lieferanten an andere (verbauende) Lieferanten der Daimler AG geliefert werden, heißen Setzteile.

Quelle: SQMS Handbuch für Lieferanten, SQMS Version 4.6 – Juni 2015, 2. Bemusterung, S. 66

Bei VDA heißt es:

Fertigt eine Organisation Baugruppen und hat dazu Teile zu verwenden, bei denen der Kunde vorschreibt, bei welchem Lieferanten diese zu beziehen sind, spricht man von Setzteilen. In diesem Fall liegt die Qualitätsverantwortung trotzdem bei der Organisation. D. h. sie muss durch geeignete Maßnahmen die Einhaltung der Qualitätsanforderungen an diese Teile sicherstellen.

Quelle: Referenz Band (sowie bandspezifische, ergänzende oder abweichende Definitionen zur Norm): VDA Band 2, 5. Auflage 2012


Alexander Brox, Manager,
Deloitte Germany


Dr. Nikolaus Helbig, Partner,
Deloitte Germany

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