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Von der grauen Maus zum Schwan

Dr. Kai-Uwe May, Leiter Beschaffungsstrategie der Bahn, im Gespräch
Von der grauen Maus zum Schwan

Von der grauen Maus zum Schwan
Die Deutsche Bahn AG ist im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland, ist hierzulande mit knapp 250 000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber und gehört international zu den führenden Transport- und Logistikdienstleistern. Die Bahn hat 19 direkte Tochtergesellschaften sowie 352 Filialen bzw. Zweigniederlassungen. Das Einkaufsvolumen beträgt nach Auskunft von D&B Deutschland rund 20 Mrd. Euro, die Zahl der Lieferanten rund 30 000 (Foto: Deutsche Bahn)
Der Einkäufer ist keine graue Maus – er muss auch argumentieren können, was er selbst leistet. So wird er zum „wunderschönen Schwan“. Das sagt Dr. Kai-Uwe May, Leiter Beschaffungsstrategie Deutsche Bahn AG. Wir dokumentieren hier ein Gespräch mit Dr. May über den Einkauf der Bahn und die Besonderheiten der öffentlichen Beschaffung.

Der Gesprächspartner, Dr. Kai-Uwe May, sieht im Einkauf der Deutschen Bahn AG eine Reihe von Herausforderungen.

Erste Herausforderung: Versorgungssicherheit. May: „Wir haben es mit extrem schwankenden Rohstoffpreisen zu tun, aber ich glaube, dass langfristig der Trend steil nach oben geht. Der internationale Verteilungskampf um Ressourcen wird größer. Das wird sich in steigenden Preisen ausdrücken, und diese steigenden Preise werden uns im Einkauf vor die Frage stellen, wie gehen wir damit um? Also erst mal ganz banal: Wie stellen wir unter den Bedingungen noch Versorgungssicherheit her? Zweitens: Zu welchen Preisen gelingt uns das? Und drittens: Mit welchen Lieferanten sehen wir uns in der Lage, diese Versorgungssicherheit zu vernünftigen Preisen überhaupt herstellen zu können?
Zweite Herausforderung: das fehlende Input-/Output-Modell. May: „Wir haben im Moment kein wirklich stringentes Input-Modell. Wir wissen präzise, was wir derzeit an Ressourcen verbrauchen, aber eigentlich nicht, wie viel Einkauf, wie viel Ressourcen wir für das Geschäft brauchen sollten. Da haben wir zwar eine grobe Vorstellung, ob das in der Summe passt oder nicht – Stichwort: Benchmarking von Einkaufskostenquoten –, aber wir wissen es nicht präzise, prozessscharf.
Beim Input-Modell müssen wir richtigerweise nicht mit den Quantitäten, sondern mit den Qualitäten als Inputfaktoren beginnen – d. h. mit der Qualifikation der Mitarbeiter. Das schafft dann übrigens auch wieder die Verbindung zur Output-Orientierung. Da sage ich: Wir brauchen auf der Inputseite ein bestimmtes Mitarbeiterqualifikationsprofil. Wir sind ja als Einkauf bei der Bahn in der Tat in einer verstaubten Funktion – das gab es schon zu Behördenzeiten. Aber hier wissen alle Spieler am Markt: Diese Aufgabe erfüllen wir in hervorragender Qualität. Weil wir in der Tat Einkauf präzise abwickeln, hochqualitativ, an vielen Stellen sehr effizient, extrem rechtssicher, extrem regelkonform. Das betrifft die Qualität des Einkaufsprozesses.
Input-Modell heißt aber auch: Wir wissen zurzeit nur sehr begrenzt, warum wir genau so viele Ressourcen in der Beschaffung brauchen, wie wir haben – oder ob wir einen Überhang oder einen Mangel an Ressourcen haben.
Nach dem Output-Modell müssen wir einen strategischen Einkauf aufbauen mit Mitarbeitern, die diese Kostendetails, diese Ingenieurdetails, diese Innovationsdetails, diese Marktsubstitutionsdetails kennen und erschließen können. Das ist eine andere Form von Mitarbeitern. Das sind keine grauen Mäuse. Da ändert sich das ganze Thema. Wenn der Einkauf sich ändern will, also nicht mehr nur eine graue Maus sein will, dann reicht es nicht, effizient zu funktionieren. Sondern er muss auch argumentieren können, was er selbst leistet. Auch dazu muss der Einkauf erst einmal sagen: Warum koste ich genau das, was ich heute koste? Da komme ich zwar wieder um die Notwendigkeit eines Input-Modells nicht herum. Aber wir brauchen eben auch ein mindestens genau so präzises Output- Modell. Er muss sagen können: Ich graue Maus habe mich jetzt gewandelt, ich bin ein Schwan geworden.
Wenig Wettbewerb und lange Nutzung
Aber ich bin nicht nur einfach ein Schwan geworden, sondern ich bin ein wunderschöner Schwan geworden und ich habe wunderschöne weiße Federn und das kann jeder sehen! Und hier fängt das Problem an: Wir wissen in der Regel nicht, was ist eigentlich der Output, den wir hier im Einkauf generieren. Was kommt dabei raus?“
Dritte Herausforderung: Kostensenkung. May: „Wir müssen uns an den Kostensenkungen im Unternehmen beteiligen. Selbst wenn der Einkauf seine aktuellen Kosten rechtfertigen könnte, wir müssen, was die Kosten betrifft, an vielen Stellen signifikant nach unten.
Zum Beispiel durch Standardisierung und Katalogeinkauf von Investitionsgütern. Wir müssen zum einen auch in unserem investitionsintensiven Geschäft bei der Bahn zu einer viel stärkeren Standardisierung kommen. Click-Shop-Fähigkeit. Ich möchte, dass die Beschaffung in einem Click-Shop, einem Katalog oder Konfigurator abgewickelt wird. Sie können ein Auto konfigurieren, warum können Sie keine Brücke konfigurieren? Ich möchte die Click-Shop-fähige Brücke. Das ist die Perspektive.
Die Aussage, es gäbe für Investitionsgüter diese Möglichkeit nicht, würde ich nicht teilen. Es muss daran gearbeitet werden.
Ebenso wünsche ich mir eine stärkere IT-Untersetzung im operativen Einkauf, um eine Prozesskostensenkung zu erreichen. Da fehlt es. Also das ist jetzt vielleicht ein Sonderthema bei der Bahn, wir sind ja im öffentlichen Vergaberecht an vielen Stellen, wir sind auch mit viel zu viel Papier gesegnet, das muss radikal runter.
Der Einkauf muss Change-Agent werden zwischen den Lieferanten und dem Unternehmen. Wir als Einkauf müssen die Technologie in den Markt rein treiben. Ich fordere meine Einkäufer auf: Sie müssen sagen, was wir als Unternehmen als Nachfrager haben wollen und nach dieser Nachfragepräferenz wird sich die Produktion im Markt ausrichten. Das ist doch der Urgedanke einer Marktwirtschaft. Wir müssen also als Einkauf viel stärker in den jeweiligen Markt rein und diesen Markt nach unseren Präferenzen gestalten. Das ist mit der Aufgabe Change Agent gemeint.
Wir als Bahn müssen formulieren können, welche Anforderungen wir an die Innovationen haben. Wir haben seit 20 Jahren praktisch keine größeren Innovationen in der Schienenverkehrsindustrie gehabt. Die Autos sind jedes Jahr effizienter geworden, verbrauchen immer weniger Benzin, aber schauen Sie sich die Schienenfahrzeuge an. Da sind wir in schlechten, weil extrem langen Innovationszyklen. Das liegt zum einen daran, dass unsere Assets so lange Lebensdauern haben. Wir reden von Assets, die 20 und mehr Jahre halten, Once in a lifetime, wir kaufen das Ding einmal und dann haben wir es eben 20 und mehr Jahre, d.h. die Investitionsentscheidung ist extrem wichtig für die nächsten 20 Jahre des ganzen Geschäfts. Deshalb stecken wir auch viel Kraft rein.
Zum anderen liegt es daran, dass es so wenig Wettbewerb in diesem Markt gibt. Der Wettbewerb, der Innovationen erzeugt, kommt nicht vom Markt allein. Der Markt ist extrem vermachtet, der Markt ist an vielen Stellen unbeweglich, unterstützt durch viel Aufarbeitung und nur wenig Neukauf. Man hat sich auch prima miteinander eingerichtet, wir liegen mit einigen unserer Lieferanten seit Urzeiten ,im Bett miteinander´. Hier brauchen wir wieder mehr ,Change-Agent´ im Sinne von Rotation. Wir müssen als Einkauf die Innovationen in die Märkte tragen. Der Funken zur ,schöpferischen Zerstörung´wird von hier ausgelöst.
Das Gespräch ist ein Auszug aus dem Buch „Die kreativen Strategen: Im Gespräch mit Einkaufsexperten führender deutscher Unternehmen“ von Michael Seifert und Christian Noack (beide D&B Deutschland), erschienen im Wiley-VCH Verlag, welches wir hier in Teilen wiedergeben
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