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European Procurement Excellence 2018: Wandel trotz klassischer Baustellen?

European Procurement Excellence (EPE) 2018
Wandel? Wenn da nicht die klassischen Baustellen wären …

Taschenbergpalais in Dresden: Hier kamen im Juni 220 Einkaufschefs und erstmals auch Supply Chainer aus 15 Nationen zusammen. Der BME hatte zur 13. Auflage des EPE-Gipfels geladen. Zentrale Botschaften: Digitale Transformation macht das Leben leichter – im Prinzip. Schwer zu trainieren sind Mindset und Agility. Baustellen jenseits des Digitalisierungshypes kamen in den Pausen zur Sprache.

Verhandlungen in Sachen indirektes Material? „Verschwendete Zeit.“ Das zumindest meinte Jan Fokke van den Bosch, Global Chief Procurement Officer bei der britischen Großbank HSBC. Einfache Begründung: Es gebe längst ausgereifte Technologien am Markt, die Einkäufern zeitaufwendiges Agieren in diesem Bereich abnähmen. So mancher EPE-Teilnehmer mochte das nicht widerspruchslos hinnehmen – man habe ja schließlich Preisspielräume auszureizen. Van den Bosch ließ sich nicht beirren: Was sich hierbei im Schnitt noch als „Savings“ generieren lasse, sei den vergleichsweise hohen organisatorischen Aufwand nicht wert. Aufgabe des Einkaufs müsse vielmehr sein, den Bedarfsträgern das Entscheiden so einfach wie möglich zu machen – „denn diese wissen oft nicht genau, was sie wollen, sie kennen die Märkte nicht, erwarten aber einen unmittelbaren Zugriff auf Lieferanten, wie sie es vom Kauf im Supermarkt gewohnt sind“. Den B2B-Prozess unterstützen selbst solche Systeme, die nicht auf KI beruhen, befand Jan Focke van den Bosch. Er riet den versammelten Expertenkollegen zur Fokussierung auf Wertschöpfendes, wie den Bereich Services. Hierbei gehe es um echte Spezifikationen mit hohem Beratungs- und Savings-Potenzial.

Kein Big Data ohne Small Data

Vision, Ziele, Plan, finanzielle Ausstattung, interne Unterstützung? „Vielfach unterentwickelt“, wusste Dr. Christian Heiss (Partner bei Oliver Wyman) zu berichten. Die Ausgangsposition der Unternehmen sei generell schlecht; selbst große stünden vor mächtigen Herausforderungen. Jeder Zweite – so habe eine Studie mit dem BME ergeben – hält die Bewältigung des Komplexes Big Data für einen kritischen Erfolgsfaktor im Hinblick auf künftige Geschäftserfolge. 25 Prozent des Datenflusses sind laut Heiss dem Sektor „Small Data“ zuzurechnen; der Großteil entfalle künftig auf große, komplexe, schnelldrehende oder auch schwach strukturierte Daten-Sets mit teilweise „drastischer“ Auswirkung auf Bereiche wie Risk Management, Lieferantenrecherche, Predictive Procurement sowie Preis- und Kostenmodelle. Heiss machte deutlich: „Wenn Unternehmen Small Data nicht in den Griff bekommen, sind sie auch bei Big Data nicht erfolgreich.“ Zudem verwies er auf große Veränderungen in Sachen Personal. Laut den Studienergebnissen werde der operative Einkauf im Vergleich zu 2018 bis zum Jahr 2025 um 37 Prozent schrumpfen; für den strategischen Einkauf und den SCM-Sektor erwarteten die Befragten jeweils ein Minus von 24 Prozent. Heiss: „Talent-Pools sind entsprechend umzugestalten“ – vom „Sourcing Professional“ (gestern) über den „Procurement Manager“ (heute) zum „Data-driven Performance Manager“ (morgen). Kompetenzfelder: strategisches Risikomanagement, Kosten- bzw. Wertmanagement, Change Management – gepaart mit Skills wie Leadership-Mentalität, Durchsetzungsvermögen, Problemlösungs- und Analysefähigkeit, Verhandlungskompetenz sowie belastbares Verständnis für Daten und Qualität.

Wie sind neuralgische Aufgabenbereiche und Schnittstellen fachlich adäquat zu besetzen? Wie lassen sich Talente finden und an den Einkauf binden? Jürgen Freund hält es für indiskutabel, dass Kandidaten noch immer gefragt würden, ob etwas mit ihnen nicht stimme, wenn sie in den Einkauf gingen. „Nie waren die Chancen im Einkauf so groß wie heute. Das müssen wir aber durch gute Beispiele auch explizit bewerben“, betonte der CPO von B. Braun Melsungen.

Reden Sie über Projekte!

Auf den Faktor Image verwies auch Arnaud Morange, CPO bei Arval: „Erklären Sie intern und extern die Bedeutung von Procurement, wann und wo immer es nötig ist. Reden Sie über Ihre Projekte und Ziele. Und vor allem: Kommunizieren Sie Ihre Erfolge!“ Der Einkauf habe aber auch zu akzeptieren, dass Talente in Zukunft bei agilen Unternehmensstrukturen und mehr Durchlässigkeit schneller in andere Bereiche wechseln würden als erwartet. Besondere Bedeutung schreibt Morange dem Training zu. Arval schult im Methodencluster „Basic“ Tools, Verhandlung, Recht, Standards/Normen und im Cluster „Advanced“ Kommunikation, Best Practice, agile Methoden und Finance. Die Säule „New“ bietet cross-funktionale Trainings, Benchmarking, Networking sowie Trainings durch und mit Lieferanten. „Schwer zu trainieren sind Mindset und Agility“, gab Arnaud Morange zu bedenken.

Der BME hatte seinen EPE-Bogen erstmals auch über Supply Chainer gespannt. Während Einkauf und SCM im Alltag keine echte Leidenschaft verbindet, zeigten beide in Dresden zumindest Einigkeit bei den Erfolgsfaktoren für die Bewältigung anstehender Aufgaben. Beispiele: Integration von Systemen, Tools und Geschäftspartnern, Generierung von Innovation, Gewinnung und Bindung von Talenten, Abstimmung (interner) Prozesse und Ziele, Herbeiführung von Transparenz über Projekte, Leistungen und Savings sowie Schaffung einer glaubwürdigen Feedback- und Vertrauenskultur. Die zentralen – wenn auch nicht neuen – Botschaften: Digitale Transformation erhöht die Produktivität signifikant. „Sie macht unser Leben gar um 75 Prozent leichter“, wie Petra Becker, Vice President Supply Network and Supply Chain Riskmanagement, für ihr Unternehmen Continental festgestellt hat. „Es gilt zu akzeptieren, dass Unternehmen sich wandeln müssen“, unterstrich Hans Ehm, Lead Principal Supply Chain bei Infineon.

In den Netzwerkpausen wurde deutlich: Der „Wandel“ bereitet angesichts Langzeitbaustellen im Unternehmen Kopfschmerzen. „Digitalisierung und Big Data thronen über allem. Aber viele Einkäufer haben Basics wie Stammdaten noch immer nicht im Griff“, so Dr. Silke Mayer, Principal bei H&Z. Echte Fortschritte würden durch heterogene Tools, eine oft unbefriedigende Zusammenarbeit mit der IT und die zu starke Fokussierung auf das vermeintlich vorrangige Thema Preise gehemmt. Zudem sei der Umgang mit Budgets und Bemessungsgrundlagen längst nicht überall geklärt. „Wer Visionen definieren und diese dann auch konsequent mit Maßnahmen unterlegen will, muss ausreichend Freiraum schaffen. Das gilt für Einkauf und Geschäftsleitung gleichermaßen“, so Mayer.

Her mit den provokanten Thesen!

Auf die breite Palette „unversorgter Themen jenseits reiner Digitalisierungsfragen“ verwies auch Astrid Borgmann, ehemals CPO bei Swarovski (Schweiz). Beispiele seien Compliance und Nachhaltigkeit. Borgmanns Rat: „Wichtig ist, eigene Wege zu skizzieren und eine eindeutige Agenda in vernünftigem Tempo umzusetzen.“ Dabei gelte es, authentisch zu agieren und provokante Thesen explizit einzufordern.

Provokante Thesen waren in Dresden nicht zu vernehmen. Abgebildet wurden wieder einmal Ist-Zustände, Anforderungen und Szenerien. Spannend könnte es dann werden, wenn auch die diversen Stolperfallen auf beschwerlichen Wegen zu höheren Zielen diskutiert würden. Fehlermanagement wurde in vielen Präsentationen als ein kritischer Erfolgsfaktor benannt. Welcher europäische CPO hat also die Courage, „auf offener Bühne“ ehrlich über Fehleinschätzungen, Sackgassen und Lektionen zu berichten?


Sabine Ursel,

freie Journalistin in Wiesbaden

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