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Wann kommt der Wandel in der Unternehmenssanierung?

Insolvenzrecht
Wann kommt der Wandel in der Unternehmenssanierung?

Wann kommt der Wandel in der Unternehmenssanierung?
Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren der EU wird kommen, daran besteht in Expertenkreisen kein Zweifel – zumal Deutschland neben Tschechien das einzige EU-Mitglied ist, das bislang nicht über ein solches Instrument verfügt. Wichtig für Unternehmen ist es, die Entwicklungen kontinuierlich zu verfolgen und sich frühzeitig auf die neuen Rahmenbedingungen einzustellen. (Bild: 123rf)
Angestoßen von einem Vorschlag der EU-Kommission im März 2014 ist die Diskussion um die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens in vollem Gange. Offen ist, ob dabei auch Eingriffe in vertragliche Lieferbeziehungen ermöglicht werden sollen.

Die Zielsetzung auf europäischer Ebene ist dabei die Schaffung von Mindeststandards in den Insolvenzgesetzen der Mitgliedstaaten, um einheitliche Bedingungen für Unternehmen zu gewährleisten und damit Handels- und Investitionshemmnisse abzubauen. Ziel ist es außerdem, die Kultur einer zweiten Chance zu etablieren und das Stigma des unternehmerischen Scheiterns zu bekämpfen.

Diese Diskussion ist in Deutschland nicht neu. Bereits im Rahmen der Reform der Insolvenzordnung durch das ESUG im Jahr 2012 wurde darüber debattiert. Der Gesetzgeber entschied sich damals gegen ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren und ergänzte das insolvenzrechtliche Sanierungssystem um das Schutzschirmverfahren. Die neuen Regelungen sollten nach fünf Jahren auf deren Funktionalität hin geprüft und gegebenenfalls ergänzt werden. Da die Eingangsvoraussetzungen des Schutzschirmverfahrens hoch sind und es sich formal gesehen noch immer um ein Insolvenzverfahren handelt, gab es in der Vergangenheit weniger erfolgreiche Schutzschirmverfahren als erhofft.
Einigung auf Sanierungsmaßnahmen
Es gab deshalb auch vor dem neuerlichen Vorstoß der EU-Kommission beständig Rufe nach einem Sanierungsinstrument, das eine Restrukturierung ermöglicht, ohne dass es der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bedarf. Die wesentlichen Vorteile werden dabei in der Geräuschlosigkeit gesehen, mit der eine solche Restrukturierung durchgeführt werden könnte, wodurch das Stigma des unternehmerischen Scheiterns zu vermeiden wäre.
Da durch ein Insolvenzverfahren zwangsläufig Kosten für das Gericht und den Insolvenzverwalter ausgelöst werden und bei einer drohenden Betriebsstilllegung schnell große Verluste des Unternehmenswerts eintreten, ist eine vorherige Sanierung unter Abwendung der Insolvenz oft die wirtschaftlich bessere Lösung. Im Erfolgsfall kann das Unternehmen erhalten werden und damit auch die geschaffenen Arbeitsplätze, Geschäftsbeziehungen und Wertschöpfungsmöglichkeiten.
Die frühzeitige Einleitung von Sanierungsmaßnahmen erhöht die Chancen einer erfolgreichen Sanierung. Zeit und Liquidität gehören zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren einer Sanierung. Je weiter eine Unternehmenskrise voranschreitet, umso kritischer wird oft die Liquiditätslage und umso weniger Zeit bleibt, um erforderliche Maßnahmen umzusetzen, bevor Zahlungsunfähigkeit eintritt.
Bereits heute steht es Unternehmen frei, sich außerhalb eines Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern auf Sanierungsmaßnahmen zu einigen. Die Umsetzung solcher Maßnahmen außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist allerdings deutlich schwieriger als in einem Insolvenzverfahren, da eine Einigung mit allen Beteiligten erzielt werden muss. Oft dauert dies länger oder kostet schlicht mehr Geld. Sollte die Sanierung scheitern und später doch ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, können zudem seinerzeit getroffene Maßnahmen leicht durch den Insolvenzverwalter angefochten werden. Auch wer in bester Absicht Sanierungsbeiträge geleistet hat, kann dadurch eventuell erneut belastet werden. Der wesentliche Vorteil eines Insolvenzverfahrens ist die Beschlussfassung der Gläubiger nach dem Mehrheitsprinzip. Seit dem ESUG können auch die Gesellschafter des Unternehmens im Rahmen eines Insolvenzplans an Beschlüsse gebunden werden. Dadurch können abweichende Akteure überstimmt werden und es besteht weniger Blockadepotenzial. Sanierungsmaßnahmen können leichter beschlossen und umgesetzt werden.
Kernpunkt eines vorinsolvenzlichen Verfahrens wäre also die Möglichkeit, Beschlüsse mehrheitlich zu fassen und die Beteiligten auch gegen deren Willen einzubinden. Dieser Einschnitt in die grundrechtlich geschützten Rechte der Beteiligten bedarf einer Legitimation. In der Insolvenz folgt diese daraus, dass das vorhandene Vermögen nicht ausreicht, um alle Gläubiger zu befriedigen und eine gleichmäßige Verteilung geboten ist, um die Rechte aller Beteiligten in möglichst hohem Maße zu wahren. Besteht ein solches Verteilungsproblem nicht, bedarf es einer eigenen Legitimation, sofern Eingriffe in die Rechte der Beteiligten möglich sein sollen.
Nicht ohne eine gerichtliche Anordnung
Auch ein vorinsolvenzliches Verfahren wird vermutlich nicht ohne eine gerichtliche Anordnung und Überwachung auskommen. Die Einhaltung von Verfahrensvorschriften, wie etwa die Gleichbehandlung der Gläubiger und die faire und gerechte Durchführung von Beschlussfassungen, bedarf der Überprüfung. Dies ist, wie viele weitere Detailfragen des Reformvorhabens, noch völlig ungeklärt.
Offen ist auch, ob es im Rahmen eines vorinsolvenzlichen Verfahrens künftig möglich sein wird, in bestehende vertragliche Lieferbeziehungen einzugreifen. Derzeit hat der Insolvenzverwalter erst im eröffneten Insolvenzverfahren ein Wahlrecht hinsichtlich noch nicht vollständig erfüllter Verträge. Dadurch kann er beispielsweise für das Unternehmen nachteilhafte Verträge, wie langfristige Liefer- oder Abnahmeverpflichtungen, vorzeitig beenden. Dies soll eine Betriebsfortführung und Sanierung in der Insolvenz erleichtern. Sofern ein Eingriff in vertragliche Beziehungen in einem künftigen vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren möglich sein soll, bedarf auch dies einer ausreichenden Legitimation.
Gesetzesentwurf wird vorgelegt
Sowohl auf nationaler Ebene durch das BMJV als auch bei den zuständigen Stellen innerhalb der EU-Kommission wird mit Nachdruck an einem Gesetzesentwurf gearbeitet. Die Ergebnisse der von der EU-Kommission in diesem Frühjahr durchgeführten Konsultationen liegen noch nicht vor. Gleichwohl hat die Kommission bereits für Oktober 2016 einen weiteren Entwurf angekündigt, der die bisherigen Vorschläge konkretisieren soll. Die beschleunigte Initiative bei EU und BMJV lässt darauf schließen, dass ein Gesetzesentwurf bereits im kommenden Jahr vorgelegt werden könnte. Mit dem Inkrafttreten der neugefassten EuInsVO im Juni 2017 und der anstehenden Reform der Regelungen zur Insolvenzanfechtung stehen bereits weitere wesentliche Änderungen des Insolvenzrechts in naher Zukunft an. Ein sauber erarbeitetes und differenziertes Gesetz, das die Balance zwischen den Interessen der Unternehmen und denen der Gläubiger wahrt, kann die bisher vorhandenen Werkzeuge zur Sanierung von Unternehmen abrunden und eine Sanierungskultur fördern. Welche Auswirkungen dies auf Einkaufs- und Lieferantenbeziehungen haben wird, lässt sich derzeit noch nicht sagen.

Expertenbefragung zum Insolvenzrecht

ESUG-Studie

Die EU-Kommission plant ein unionsweites vorinsolvenzrechtliches Sanierungsverfahren. Konkrete Maßnahmen sind noch nicht bekannt, es scheint aber auf ein grundsätzlichfinanzwirtschaftliches Restrukturierungsverfahren für große Unternehmen außerhalb der Insolvenzordnung herauszulaufen.
Laut einer Studie der Heidelberger gemeinnützigen Gesellschaft für Unternehmensrestrukturierung (HgGUR) und Roland Berger haben Praktiker haben hohe Erwartungen an das vorinsolvenzliche Verfahren.
„Die Instrumente des ESUG haben die Erwartungen erfüllt“, sagt Christopher Seagon, Geschäftsführer der HgGUR. „Die Gläubigermitwirkung ist gut in der Praxis angenommen und war ein Schritt in die richtige Richtung für die Akzeptanz der Insolvenz als Sanierungsmöglichkeit. Dennoch zeigt die lebhafte Diskussion um ein mögliches vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren das Interesse, bestehende Regelungslücken vollends zu schließen. Der Insolvenzbegriff ist eben immer noch zu negativ belegt.“
„Im Gegensatz zum europäischen Ausland fordern aber deutsche Sanierungsexperten Zugangsbeschränkungen und klare Regeln, um unkalkulierbare Risiken zu vermeiden“, sagt Rainer Bizenberger, Partner von Roland Berger.
Nach Ansicht von 69 Prozent der Befragten sollte der Eintritt in das vorinsolvenzliche Verfahren nur im Stadium der Existenz- oder Liquiditätskrise möglich sein. „Das Verfahren sollte in der Regel nicht öffentlich ablaufen, damit Unternehmen keine leistungswirtschaftlichen Nachteile aus dem Verfahren erleiden“, ergänzt Bizenberger.

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Alexandra Schluck-Amend, Rechtsanwältin und Partnerin der Sozietät CMS Hasche Sigle in Stuttgart
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