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Die Mängelrüge als Teil des Beschaffungsprozesses

Rechtsprechung für die Beschaffung: Mängelrüge
Wenn der Einkäufer rügen muss

Die Ware trifft ein – aber nicht im zugesagten Zustand und/oder zum vereinbarten Zeitpunkt. Damit der Einkäufer jetzt zu seinem Recht kommt, muss er unverzüglich und richtig reagieren. Anderenfalls kann er auf dem Schaden sitzen bleiben.

Um Mängel einer Ware reklamieren zu können, müssen zwei Grund-voraussetzungen erfüllt sein: Sowohl Käufer als auch Verkäufer müssen Kaufleute sein und durch einen Kaufvertrag verbunden. Dabei gilt generell: Individualrecht geht vor gesetzlichen Regelungen. Individuelle Vereinbarungen können beispielsweise vorsehen, dass Reklamationsrechte erweitert oder aber auch außer Kraft gesetzt werden. Grenzen zieht hier nur das AGB-Recht sowie die aktuelle Rechtsprechung, die sich verbindlich beispielsweise zum Umfang der notwendigen Warenkontrolle oder auch zu Art und Weise der Mängelrüge äußert. Wurde ein verbindlicher Kaufvertrag abgeschlossen und keine individuellen Regelungen getroffen, tritt unter Kaufleuten in Deutschland § 377 des Handelsgesetzbuches (HGB) in Kraft. Überschreitet das Vertragsverhältnis Ländergrenzen, so kann ergänzend auch die Rechtsprechung der Europäischen Union eintreten, die aber prinzipiell den deutschen Gesetzen entspricht. Das Handelsgesetzbuch schreibt eine kaufmännische Untersuchungs- und Rügepflicht vor. Demnach muss der Käufer Waren direkt nach der Anlieferung auf Mängel untersuchen und diese gegebenenfalls unverzüglich dem Verkäufer anzeigen.

Das Recht von der Stange

Der Teufel liegt wie immer im Detail: Wann gilt eine Ware als ausgeliefert, wie muss die Untersuchung erfolgen, was ist ein Mangel und was passiert nach einer unterlassenen Mängelrüge? Oder wenn der Mangel erst später entdeckt wird?

Die Frist zur Abgabe einer Mängelrüge beginnt ab dem Augenblick, in dem der Käufer über die Ware verfügen kann und damit die Möglichkeit hat, die Lieferung zu unter-suchen. Das ist im Alltagsgeschäft direkt nach Unterzeichnung des Lieferscheins der Fall. Der Käufer darf nicht abwarten, bis sich ein Mangel zeigt. Dabei wird zwischen einem offenen und einem verdeckten Mangel unterschieden. Ein offener Mangel ist beispielsweise eine erkennbare Mengenabweichung, beschädigte Produkte oder Fehlfarben.

Mangelhaft ist aber auch eine Maschine, welche die vereinbarte Stückzahl pro Stunde nicht erreicht oder aber nicht für den Drei-Schicht-Betrieb geeignet ist, obwohl das vereinbart wurde. Zu den versteckten Mängeln zählen nicht belastbare Lötstellen, fehlende Verschleißfestigkeit oder Materialfehler.

Mögliche und unmögliche Mängel

Ein offener Mangel liegt nicht erst dann vor, wenn er entdeckt wird, sondern bereits dann, wenn er durch eine frist- und sachgemäße Untersuchung hätte festgestellt werden können. Diese Untersuchung muss wiederum dem Käufer zumutbar sein. Dabei zählen unter anderem die Kosten, der organisatorische und technologische Aufwand sowie nicht zuletzt auch eine frühere Mängelauffälligkeit. Was also schon einmal fehlerhaft angeliefert wurde, muss besonders akribisch geprüft werden. Dabei kann der Verkäufer laut BGH-Urteil keine umfassende „Rundum-Untersuchung“ aller infrage kommenden Mängel einer Ware vorschreiben. Zwar können Art und Umfang der geforderten Untersuchung durch die AGBs konkretisiert und sogar generalisiert werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass die beiderseitigen Interessen berücksichtigt werden – namentlich auch die des Käufers. So kann beispielsweise die Untersuchung der Ware durch einen neutralen Sachverständigen nicht verbindlich vorgeschrieben werden.

Zeigt sich ein tatsächlicher Mangel erst später, muss er unverzüglich nach der Entdeckung angezeigt werden; anderenfalls gilt die mangelhafte Ware als abgenommen. Dann gelten nur noch die vereinbarten bzw. gesetzlichen Gewährleistungspflichten, die den Abnehmer schlechter stellen, als die berechtigte Anzeige eines Mangels. Er hat dann beispielsweise keinen Anspruch mehr auf Ansprüche aus Schlechterfüllung oder der Verletzung von Nebenpflichten. Einzige Ausnahme: Hat der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen, steht dem Käufer trotz versäumter Fristen weiterhin das Recht auf Nacherfüllung, Umtausch oder Rücktritt vom Kaufvertrag zu.

Untersuchungspflichten

Laut Gesetzgeber dauert die Standard-Mängelhaftungszeit 24 Monate. Wird in diesem Zeitraum zum Beispiel bei einer Maschine eine schadhafte Komponente ausgetauscht, beginnt die Gewährleistungszeit für dieses Teil von Neuem. Das kann zu einer aufwendigen „Kettengewährleistung“ führen, die deshalb im Liefervertrag berücksichtigt werden sollte: zum Beispiel durch den Ausschluss von unsachgemäßem Betrieb oder anhaltender Überlast. Dies kann der Hersteller ggf. durch Monitoring der Maschinendaten belegen. Was aber häufig dem Datenschutzbeauftragten oder auch dem Betriebsrat im Unternehmen nicht gefällt. Hier müssen die unterschiedlichen Interessen angesprochen und abgewogen werden.

In der Rechtsprechung haben sich branchentypische Regeln herausgebildet. Auskünfte dazu erteilen die Industrie- und Handelskammer oder die jeweiligen Fachverbände. Sie wissen, welcher Brauch in welcher Branche gilt und wie geprüft und gerügt werden muss. So genügt in der Lebensmittelbranche normalerweise eine sensorische Prüfung von Aussehen, Geruch und Geschmack. Geräte müssen dagegen unter Einsatzbedingungen getestet, Maschinen und Anlagen in Betrieb genommen werden. Das passiert üblicherweise in Zusammenarbeit mit dem Lieferanten. Dabei entdeckte Mängel müssen protokolliert und bestätigt werden. Die Lieferung von Marken- und Qualitätswaren befreit nicht von der Untersuchungspflicht. Bei größeren Stückzahlen reicht eine aussagefähige Stichprobe. Besteht ein Mangelverdacht, muss der Käufer die Untersuchung automatisch intensivieren. Zur Untersuchung gehört nicht nur die Quantität und Qualität der erhaltenen Waren, sondern auch die Prüfung der Angaben des Lieferscheins, der Übergabeprotokolle und ggf. Zolldokumente sowie die Zuordnung zu einer bestimmten Order und Charge. Dies kann bei der späteren Feststellung verdeckter Mängel wichtig werden.

Die richtige Rüge

Die Rüge selbst muss „unverzüglich“ erfolgen. Bei Just-in-time-Lieferungen oder bei verderblicher Ware sollte die Rüge innerhalb von Stunden erfolgen; ansonsten laut Rechtsprechung innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Feststellung des Mangels. Entscheidend ist aber der jeweilige Einzelfall. Gerichte haben bei der Lieferung von komplizierten technischen Anlagen auch schon einen Zeitraum von zwei Wochen als noch unverzüglich beurteilt.

Bei der Mängelrüge selbst ist keine bestimmte, aber eine Mindestform einzuhalten. Laut eines Urteils des Oberlandesgerichts Düsseldorf gilt die Äußerung: „Wieder derselbe Mist geliefert“ nicht als Mängelrüge. Wie auch immer: Der Abnehmer sollte den Verkäufer genau darüber in Kenntnis setzen, in welchen Punkten und in welchem Umfang er die gelieferte Ware beanstandet. Häufig werden diese Details in den AGBs geregelt. Dabei darf der Verkäufer aber keine unverhältnismäßig hohen Hürden aufstellen. Dass die Mängelrüge nur gegenüber der „Betriebsleitung“ des Lieferanten erhoben werden kann, ist beispielsweise laut Urteil des BGH unwirksam. Dem Käufer darf demnach nicht das Risiko der betriebsinternen Weiterleitung einer Mängelrüge innerhalb der Organisation des Lieferanten auferlegt werden.


Serie

Das Recht in der Beschaffung

Unsere Serie beantwortet juristische Fragen rund um den Einkauf. Sie schafft ein generelles Verständnis für den aktuellen Stand der Rechtsprechung, kann und soll aber nicht die anwaltliche Beratung im Einzelfall ersetzen.


Michael Grupp, freier Journalist, Stuttgart

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