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Wie Einkaufsleiter der Fußballklubs in der 1. und 2. Liga den Einkauf und die Finanzen rocken

Einkauf in der Bundesliga
Wie Einkaufsleiter der Fußballklubs in der 1. und 2. Liga die Finanzen rocken

Tabellenstand und sportliche Rivalitäten spielen an diesem Tag keine Rolle. An einem kühlen Mittwoch im Februar tauschen sich elf Einkäufer aus acht Bundesligaklubs über ihre speziellen Belange aus. Gastgeber Oliver Diefenbach hat ins Stadioncenter seines Klubs VfL Bochum geladen. „Beschaffung aktuell“ war exklusiv dabei.


Die Autorin Sabine Ursel ist freie Journalistin in Wiesbaden

Oliver Diefenbach ist seit 2018 beim Fußball-Zweitligisten VfL Bochum 1848 im Amt. Er begann bei einem Stand von 0:0, denn bis dato gab es weder Struktur noch Transparenz. Sein Ziel: „Einkauf muss als interner Dienstleister wahrgenommen werden.“ Dass das harte Arbeit „über Jahre hinweg“ bedeutet, wurde schnell deutlich.

Die Frage des Standings (tue Gutes und rede darüber) treibt  auch die Einkaufskollegen der anderen Klubs am runden Tisch um. „Die Unterstützung für die Funktion, neue Prozesse und Systeme muss von oben kommen“, sagt Reinhild Müller-Holthusen von Bayer 04 Leverkusen. Elf Jahre war sie als Assistentin der Geschäftsführung der Fußball GmbH aktiv, später verantwortete sie als kaufmännische Geschäftsführerin der TecArena+ GmbH den technischen Betrieb der BayArena, des Nachwuchs-Leistungszentrums und diverser Liegenschaften.

Seit sechs Jahren ist der Einkauf der gesamten Bayer 04-Gruppe nun ihr Metier. Bei den Einkäufer-Treffen der Bundesligisten thematisierte sie unter anderem Aspekte in Sachen Corporate Compliance und Kartellrecht. Reinhild Müller-Holthusen weiß aus Erfahrung, welche Steine Oliver Diefenbach als Bochumer One-Man-Show den Berg hinaufrollen muss.

Einkaufsprozess beim VfL Bochum

Der 28-jährige Einkaufsexperte hat beim VfL Bochum eine Menge strategischer To-dos vor der Brust: Implementierung eines Einkaufs-Tools mit lückenloser Bedarfsdokumentation und Umstrukturierung des Rechnungslaufs, Mengenbündelung, Verhandlungsführung, Lieferantenauswahl und -bindung, Vertragsmanagement, sinnvoller Einsatz von Barter-Deals … die Aufgaben sind – vorsichtig ausgedrückt – herausfordernd, die Kapazitäten hingegen begrenzt.

Er hat mittlerweile auch Tank-Karten eingeführt und die Beschäftigung von Inklusions-Mitarbeitern angeschoben. Immerhin werde ihn ab August ein Auszubildender unterstützen, erzählt Oliver Diefenbach. Im laufenden Jahr auf seiner Agenda: Ausschreibung von Reinigungsdienstleistungen, Umbau des Stadion-Fanshops, Ökoprofit-Zertifikat, Versicherungen, Fuhrpark, Projekt „VfL-Fußballschule“ – und vor allem: Reduzierung von Maverick Buying durch die Fachabteilungen.

Die Kollegen der anderen Klubs raten dem Bochumer Einkaufsleiter, nicht zu viel auf einmal anzupacken. „Unsere primäre Aufgabe als Beschaffer ist ist es, Savings zu generieren“, wirft Enrico Noatsch vom VfL Wolfsburg ein. Diefenbach zeigt sich unbekümmert optimistisch: „Ich bin mittlerweile akzeptiert und will mich bzw. den Einkauf in Zukunft als Wissensdatenbank für alle Fachabteilungen positionieren.“

Stichwort Savings: Bereits nach dem ersten Jahr konnte Diefenbach beträchtliche Kostensenkungen für die Bereiche Arbeitskleidung, Physiobedarf, Büromaterial oder Greenkeeping-Bedarf vermelden; die Einsparungen lagen zwischen 15 und 45 Prozent. Hinzu kam eine sehr hohe Kostenreduzierung in Sachen Mannschafts-Transport – eine diffizile Thematik, wie die anderen Kollegen am runden Tisch bestätigen.

Spieler verzichten nur ungern auf liebgewonnene Privilegien. „Das gleiche gilt für Hotels“, bekräftigt Reinhild Müller-Holthusen von Leverkusen. In Sachen Statussymbole habe man generell viel zu bohren.

Daniel Lüders von der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. meint: „Budgets müssten sich im Prinzip immer der jeweiligen Liga anpassen.“

Der Controller ist an diesem Tag mit seinem Kollegen Sascha Porczynski nach Bochum gekommen. Beide betreuen einkäuferische Tätigkeiten in ihrer Fachabteilung mit. Eine eigene Abteilung Einkauf steht zumindest kurzfristig noch nicht auf der Agenda von Hannover 96. Aber beim Erfahrungsaustausch mit den Experten der anderen Klubs wollen beide Controller auch in Zukunft mitmachen.

Barter-Geschäfte: Frage der Philosophie

Allen Beteiligten ist klar, dass sich Erfolge nur dann erzielen und auch belegen lassen, wenn Transparenz und Datenbasis stimmen.

Der Einkaufschef von Werder Bremen, Sebastian Janzen, hat nach eigener Aussage bereits einen „guten Überblick“. Bei der digitalisierten Prozesssteuerung setzt er eine Benchmark. Über das Warenwirtschaftssystem e-Philos CM Procure 5.0 laufen derzeit rund 2000 Bestellungen; demnächst werden hierüber auch 12.000 Rechnungen von der Beauftragung von Bauleistungen bis zu Büroartikeln abgewickelt.

Sein Einwand: „Wenn man die Bestimmung der Menge den Fachabteilungen überlässt, wird es kritisch. Das gilt auch für Barter-Geschäfte. Hier müssen wir im Einkauf genau abwägen und belastbar argumentieren können.“ Bei Reisen kann sich Bartern schon mal als Minusgeschäft erweisen – diese Erfahrung haben auch andere Einkaufsleiter gemacht.

Für Panagiotis Alexopoulos vom FC Schalke 04 ist Bartern ohnehin eine Frage der Philosophie: „Wir klären jeden Fall auf Compliance-Ebene.“ Alle Bedarfe müssen für ihn aus den Fachabteilungen kommen – „aber die Verträge schließen wir im Einkauf, sonst geht nichts“, bekräftigt der Schalker.

Bundesligist VfL Wolfsburg mit Alleinstellungsmerkmal

Die Bedeutung der Beschaffung haben noch längst nicht alle 36 Bundesligisten erkannt. „Aber wo der Einkauf ein Mandat erhalten hat, ist er auch geblieben“, sagt Werders Sebastian Janzen. Er ist seit 2013 bei Werder, im Jahr darauf initiierte er die Einkaufsleiter-Runde mit Kollegen aus anderen Klubs. Eintracht Frankfurt hatte als erster Verein vor rund 13 Jahren einen Einkauf etabliert, es folgten unter anderem Schalke, Leverkusen, Werder, Mainz, St. Pauli, Wolfsburg, Bochum und RB Leipzig.

Zur Wahrheit gehört laut Janzen aber auch: „Klubs, die von Konzernen geführt werden, haben im Einkauf schlichtweg bessere Voraussetzungen.“ Beispiel: Der VfL Wolfsburg hat die Implementierung einer Beschaffungseinheit „in Rekordzeit umgesetzt“, wie der Beschaffungsleiter vom VfL Wolfsburg Enrico Noatsch berichtet.

Die VfL Wolfsburg-Fußball GmbH wurde als Tochterunternehmen der Volkswagen Group Services direkt an die System- und Prozesswelt der Volkswagen-Konzernbeschaffung Allgemein angebunden. Das Beschaffungsteam des VfL Wolfsburg kann so die Synergien des weltweiten Beschaffungsnetzwerks vollumfänglich nutzen – ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Bundesliga.

Der Klub bezieht einen Großteil seiner Bedarfe, wie Reisedienstleistungen oder IT-Hardware, direkt über Konzernverträge – und das laut Enrico Noatsch „zu besten Konditionen“. „Marktanfragen werden über die Konzern-Global-Sourcing-Plattform Globe vorgenommen. Neben Bündelungseffekten können wir dort auch aktuelle Benchmarks anderer Marken und Regionen für die benötigten Bedarfe einsehen und auf ein umfangreiches Lieferantenportfolio zugreifen.“

Zudem stelle man die aktuellen Konzernvorgaben hinsichtlich Compliance und Nachhaltigkeit prozessual sicher. Alle Lieferanten des VFL Wolfsburg müssen sich auf der Konzern-Business-Plattform registrieren und einen Compliance- und Nachhaltigkeits-Check absolvieren. Eine Beauftragung kann nur nach erfolgreicher Registrierung und positivem Rating erfolgen. 

In Wolfsburg hat sich im Einkauf das papierlose Büro durchgesetzt

Der VfL Wolfsburg bildet den gesamten Beschaffungsprozess bereits papierlos ab. Das reicht von der Einkaufswagen-Erstellung über den Genehmigungsprozess bis hin zur Bestell-Auslösung und Archivierung. Genutzt wird primär das SAP-basierte Konzern-Beschaffungssystem (K-SRM/B).

Kleinbedarfe werden mittlerweile verstärkt über Amazon Business beschafft. Navision bildet den nachgelagerten Rechnungsprozess digital ab.

„Im Travel Management stehen wir aktuell vor einer ähnlichen Herausforderung wie seinerzeit bei der Implementierung der Beschaffungssysteme“, so Enrico Noatsch. „Beantragung, Buchung und Abrechnung der Dienstreisen erfolgen momentan noch nicht in digitaler Form. Wir prüfen daher in Abstimmung mit dem Konzern-Travel-Management die Anbindung an das Travel-Management-System des VW-Konzerns. Klappen die Prozesse, fällt hier 2021 der Startschuss.“

Für die Abwicklung der Dienstreisen seiner Mitarbeiter hat der VfL Wolfsburg einen Rahmenvertrag mit dem Partner Liga Travel abgeschlossen. Dieser bucht im Auftrag z. B. Hotels, Flüge und Mietwagen zu VW-Konzernkonditionen. Auch Sonderreisen, etwa wenn Fans oder Sponsoren die Mannschaft zu Auswärtsspielen begleiten, werden über den Rahmenvertrag mit Liga Travel abgewickelt.

Das Buchen von Mannschaftsreisen übernimmt das VfL-Beschaffungsteam selbst. „Grund dafür sind die besonderen Anforderungen aus dem sportlichen Bereich“, erläutert Lavinia Coscione, Beschafferin im Team von Enrico Noatsch. Sie ist für die Reisen der Lizenzmannschaft in der aktuellen Euro League-Saison zuständig. „Auch bei diesen speziellen Themen unterstützen uns Konzern-Travel-Management und Volkswagen Air Service mit fachlicher Expertise“, so Lavinia Coscione.

Abstieg aus der 1. oder 2. Bundesliga? Dann zählt Einkauf erst recht

An diesem Tag in Bochum wird deutlich: Die Bandbreite der professionellen Ausgestaltung in den Klubs ist groß. Lernen können freilich alle voneinander.

Die meisten Einkäufer befinden sich in Implementierungs-Prozessen. Man kämpft in der Regel mit dem Handling der Systeme und muss sich erst inmitten der anderen zuweilen trägen und unwilligen Fachabteilungs-Kollegen freischwimmen.

Die Diskussion ist rege. Man ist nicht immer einer Meinung. „Muss man auch nicht, wichtig ist der Austausch über Best Practice, aber auch über Hemmnisse und Fehler“, sagt Sebastian Janzen vom SV Werder. Sein Jahresbudget von rund 25 Millionen Euro hätte sich beträchtlich reduziert, wenn sein Klub abgestiegen wäre, die Gefahr war ja groß. Aber er wusste auch: Sein Job wäre dann umso wichtiger gewesen. Das unterstreicht die Tatsache, dass auch Zweitligisten wie der VfL Bochum und der FC St. Pauli das Potenzial erkannt haben.

Im Herbst kommt die Einkaufsleiterrunde der Bundesligisten wieder zusammen. „Dann will auch der Kollege von RB Leipzig wieder dabei sein“, kündigt Februar-Gastgeber Oliver Diefenbach in seinem Schlusswort an. Und: „Wir hoffen auch auf Klubvertreter aus dem Süden.“


Hinweis/Aktualisierung

Dieser Artikel bezieht sich auf das Treffen der Einkaufsleiter am 12. Februar 2020. Corona war zum damaligen Zeitpunkt nicht akut. Seit Mitte März beschäftigt sich z. B. beim SV Werder Bremen eine nicht von Hierarchie getriebene Task Force mit dem Corona-Thema. Im Einkaufsfokus: C-Artikel wie Seife, Handtücher, Desinfektionsmittel und medizinische Artikel. Sebastian Janzen verhandelt dabei auch direkt mit Herstellern und Vorlieferanten, um Versorgungslücken zu verhindern bzw. zu schließen. „Das ist mal eine andere Art des Einkaufs“. Aber: „Manche Hersteller nahmen Bestellungen im März erst im Mai wieder an, vorher konnten Sie nicht liefern“, so Janzen. Er ist bestrebt, den Klub als Preferred Customer zu positionieren – und das verstärkt vom Home Office aus.

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