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Interview mit Hans-Joachim Herzog, CPO der RWE-Gruppe

Hans-Joachim Herzog, CPO der RWE-Gruppe
„Zum Einkauf der Zukunft gehört Leidenschaft“

Hans-Joachim Herzog, CPO der RWE, spricht im Interview darüber, wie die Energiewende die Arbeitsweisen und die Organisation des Einkaufs verändert hat, wie wichtig Weiterbildungen sind und welche Chancen, aber auch Herausforderungen die Digitalisierung mit sich bringt.

Das Interview führte Sanja Döttling, Redakteurin Beschaffung aktuell.

Beschaffung aktuell: Wie ist die Einkaufsabteilung der RWE-Gruppe organisiert und was hat sich in den letzten Jahren verändert?

Hans-Joachim Herzog: Durch die Energiewende hat sich die RWE-Gruppe massiv verändert. Unser gesamter Konzern soll bis 2040 klimaneutral werden. Wir befinden uns mitten in einer Transformation und setzen auf den Ausbau unseres Erneuerbare-Energien-Portfolios. Parallel steigen wir aus der Stromerzeugung mit fossilen und nuklearen Brennstoffen aus, 2022 geht unser letztes Kernkraftwerk vom Netz, bis spätestens 2038 beenden wir die Kohleverstromung. All das bedeutet große Veränderungen für unseren Einkauf. Durch die Ausrichtung auf Erneuerbare Energien haben wir, neben unserem zentralen Konzerneinkauf, seit Juli 2020 eine neue Einkaufsabteilung aufgesetzt, die den direkten Spend für die Erneuerbaren Energien betreut, das Renewables Procurement. Damit decken wir die spezifischen Bedarfe für den Bau, die Instandhaltung und den Betrieb der Erneuerbaren Erzeugungsanlagen ab, die so von anderen Konzerngesellschaften nicht benötigt werden und bei deren zentraler Organisation wir keine Bündelungs- oder Synergiepotenziale heben könnten.

Materialien und Dienstleistungen, die im gesamten Unternehmen benötigt werden, beschaffen wir weiterhin zentral. Des Weiteren beschaffen wir auch direkte Bedarfe für den konventionellen und nuklearen Erzeugungsbereich, und zwar für Standorte in Deutschland, den Niederlanden, UK und der Türkei. Dazu gehören etwa Materialien und Leistungen für Kessel, Turbinen, Armaturen, Großaggregate, aber auch Gerüstbau, Isolierung oder Reinigungsleistungen für unsere Anlagen sowie die Beschaffung von weiteren Dienstleistungen, wie temporäres Personal, Management Consulting oder Facility Management.

Hier nutzen wir Bündelungen und Prozessoptimierungen, und zwar sowohl im Bereich des direkten als auch indirekten Bedarfs. Bestimmte lokale und zum Teil kleinteilige Bedarfe sind hier ausgenommen, denn das Motto ist: Zentralisierung ja, aber nur da, wo sie Wert schafft!

Wie sind Ihre EinkäuferInnen organisiert?

Herzog: Wir haben eine Category-Management-orientierte Organisation. Eine EinkäuferIn verantwortet eine Warengruppe oder ein Warengruppensegment. Das hat aus unserer Sicht den Vorteil, dass wir über Spezialisten verfügen, die die Märkte detailliert kennen und die Bedarfe fachlich gut bündeln können. Für Lieferanten, die über mehrere Warengruppen hinweg für uns tätig sind, haben wir ein Key-Account-Management eingeführt, um hier ein ganzheitliches Lieferantenmanagement sicherstellen zu können.

In den letzten Jahren sind viele Softwarelösungen für den Einkauf auf den Markt gekommen. Welche Lösungen nutzen Sie?

Herzog: Wir arbeiten mit SAP-R3-Systemen in Kombination mit weiteren, integrierten Lösungen. Im taktischen Beschaffungsprozess nutzen wir die E-Sourcing-Lösung Futura Solution, um unsere Bedarfe auszuschreiben und zu auktionieren. Wir verschlanken unsere Prozesse insbesondere durch die Nutzung von E-Auctions, die die Ergebnisse unseres Einkaufs deutlich verbessern. Bei diesem Thema gab es anfangs große Vorbehalte seitens der EinkäuferInnen und Lieferanten. EinkäuferInnen fühlten sich in ihrer Verhandlungsmacht beschnitten. Inzwischen hat der Erfolg von E-Auctions aber nicht nur sie überzeugt, sondern wird auch von unserer Lieferanten akzeptiert; alle sehen das mittlerweile als transparentes und objektives Instrument und bewerten es als sehr gut.

Welche integrierten Lösungen nutzen Sie im SAP-System?

Herzog: Wir sind gerade dabei, im gesamten Unternehmen SAP-Hana einzuführen und schauen uns zudem weitere Lösungen an, beispielsweise von Start-ups. Unser Ziel ist es, möglichst keine Stand-alone-Lösungen mehr zu nutzen, sondern nach Möglichkeit nur noch integrierte Lösungen. Eine noch stärkere Digitalisierung hilft uns, noch schneller und effizienter zu werden und gleichzeitig MitarbeiterInnen von repetitiven Tätigkeiten zu entlasten. So kann der Einkauf seine begrenzten Ressourcen für werthaltige Tätigkeiten einsetzen wie Lieferantenmanagement, Beschaffungsmarktforschung, weitere Professionalisierung von Verhandlungen oder Innovationsmanagement.

Sie haben ein Benchmark des Reifegrads der Digitalisierung durchführen lassen. Was waren die Ergebnisse?

Herzog: Die Analyse wurde von einer Unternehmensberatung durchgeführt, die sowohl den Reifegrad der Digitalisierung in unserem gesamten Unternehmen, als auch speziell im Einkauf, bewertet hat. Das Ergebnis war sehr erfreulich: Wir sind gut aufgestellt bei automatisierten Lösungen, also Ausschreibungsplattformen, E-Auctions oder auch bei Themen wie der digitalen Signatur. Beim Thema Verhandlungstraining sehen wir noch Verbesserungsmöglichkeiten. Hier entwickeln wir derzeit einen „digitalen Verhandlungscoach“ mit Hilfe von künstlicher Intelligenz. Dieser bereitet interne und externe Daten zu konkreten Bedarfen auf, analysiert sie und schlägt der EinkäuferIn bereits konkrete Verhandlungsansätze vor. Das Tool liefert den Dateninput für die EinkäuferInnen, damit diese noch gezielter und besser vorbereitet in Verhandlungen einsteigen können.

Welche Fähigkeiten braucht die EinkäuferIn in der Zukunft?

Herzog: Meiner Meinung nach wird sich durch die Digitalisierung die klassische Aufteilung zwischen strategischen und operativen Einkäufern auflösen. Wiederkehrende Tätigkeiten werden automatisiert, Routinetätigkeiten entfallen zunehmend. MitarbeiterInnen im Einkauf müssen sich stetig weiterentwickeln und ihre analytischen Fähigkeiten stärken, Automatisierungspotenziale erkennen und mehr und mehr digitale Lösungen in ihren Bereichen einführen, um für sich Freiräume für strategische Aufgaben zu schaffen. Künftig werden wir weniger von einer klassischen EinkäuferIn sprechen, sondern vielmehr von einer ProjektmanagerIn. Das bedeutet im Detail, dass analytische Fähigkeiten immer wichtiger werden, dass Führungs- und Sozialkompetenz an Bedeutung gewinnen. Zusätzlich müssen EinkäuferInnen in allen Bereichen offen sein für Neues und neugierig bleiben. Stichwörter sind Veränderungsbereitschaft und Innovationsfähigkeit. Außerdem sind IT-Kenntnisse, Prozessmanagement und Methodenkompetenz entscheidend. Das bedeutet, dass wir eine breitere akademische Ausbildung für EinkäuferInnen benötigen und durch Weiterbildungsangebote dafür sorgen müssen, dass diese Kompetenzen auf- und ausgebaut werden.

Welche Qualifizierungsmöglichkeiten bietet die RWE dem Einkauf?

Herzog: Bei RWE sind wir führend, was die Weiterbildung unserer EinkäuferInnen zu diplomierten EinkaufsmanagerInnen angeht. Dieser Lehrgang wird bei uns gemeinsam mit der BME-Akademie durchgeführt. Inzwischen haben ihn fast alle Mitarbeitende im Einkauf absolviert. Damit erhalten sie zum einen ein solides Einkäuferwissen, zum anderen können wir wichtige Schwerpunkte selbst setzen, wie etwa beim Thema Digitalisierung. Ein Beispiel: Zusammen mit dem BME haben wir ein Modul zum Thema „Preis-, Kosten- und Wertanalyse im Einkauf“ eingeführt. Hier geht es nicht einfach darum, den günstigsten Preis durch Preisvergleiche zu ermitteln, sondern Angebote zu analysieren und zu verstehen. Dadurch identifizieren EinkäuferInnen die relevanten Hebel für Verhandlungen mit unseren Lieferanten und sind in der Lage, wettbewerbsfähige und angemessene Preise zu vereinbaren.

Welche Themen, außer der Digitalisierung, beschäftigen den Einkauf im Moment?

Herzog: Die Sicherstellung unserer Lieferketten ist ein Thema, dass uns im Moment besonders beschäftigt. Wir bemerken Verknappungen. Die Blockade des Suez-Kanals im Sommer und die derzeit bestehenden Engpässe haben einen signifikanten Einfluss auf weite Teile der Wirtschaft und den internationalen Güteraustausch. Wenn ein Rädchen in der Lieferkette nicht greift, hat das große Auswirkungen. Für uns bedeutet das, dass wir für bestimmte Materialien Vorsorge-Szenarien aufbauen müssen, um uns gegen eventuelle Engpässe zu schützen. Im Moment stehen für uns in der Beschaffung besonders Stahlprodukte, Ersatzteile für elektronische Bauteile, aber auch diverse andere Rohstoffe wie Holz und Kupfer im Fokus. Die Preise haben sich signifikant erhöht. Und selbst zu diesen Preisen bekommt man kaum mehr Materialien in der benötigten Qualität und Quantität zum benötigten Zeitpunkt. Hier zahlen sich jetzt für uns gewachsene Strukturen, bestehende Langfristverträge und die über lange Jahre gut gepflegten Lieferantenbeziehungen aus.

Zusammen mit den Lieferanten erarbeiten wir derzeit Lösungen, um Engpässe zu vermeiden. Hierzu haben wir eine spezielle Task Force aufgesetzt, die die relevanten Materialmärkte monitort und dort, wo es Veränderungen gibt, Strategien ableitet, um darauf sach- und zeitgerecht zu reagieren.

Wie definieren sie im Konzern Nachhaltigkeit?

Herzog: Als Beitrag zur Klimaneutralität, aber auch als Einhaltung fairer Arbeitsbedingungen nach unseren eigenen und UN-Standards. Nachhaltigkeit beschäftigt uns im Einkauf sehr.

Wir führen gerade ein Supplier Sustainability Monitoring ein, indem wir transparent machen, wo unsere Produkte herkommen und wie diese produziert werden. Wir legen vermehrt Wert auf Vor-Ort-Audits, um uns davon zu überzeugen, dass die Angaben, die gemacht werden, auch zutreffen. Dazu schulen wir unsere EinkäuferInnen dementsprechend.

RWE hat einen Verhaltenskodex für Lieferanten. Wie wird dieser in der Praxis gelebt?

Herzog: Bei sämtlichen Beschaffungsvorgängen achten wir genau auf unsere Compliance-Regeln und -Prinzipien sowie der RWE-Verhaltenskodex. Wir überprüfen unsere Partner, indem wir bei Lieferanten Prä-Qualifizierung-Checks durchführen. Wir haben aber auch automatisierte Regelprozesse, in denen etwa Sanktionslisten, Arbeitssicherheitszertifikate und ähnliches geprüft werden. Und wir führen gerade eine integrierte IT-Lösung für das Nachhaltigkeitsmanagement ein, in der wir die verschiedenen Aspekte der Coporate Responsibility bei der Auswahl der Lieferanten prüfen und nachverfolgen können. Dabei handelt es sich um die Software-Lösung Integritynext.

Was beschäftigt den Einkauf in der Zukunft?

Herzog: Zum Einkauf der Zukunft, wie in der Vergangenheit auch, gehört Leidenschaft. Wir müssen den EinkäuferInnen den Raum, das Selbstverständnis und die Instrumente geben, diese Leidenschaft auch leben zu können, und damit Werte fürs Unternehmen zu schaffen. Unser Geschäft wird von und mit Menschen gemacht, trotz zunehmender Digitalisierung. Das bleibt der Mittelpunkt unserer Arbeit.


Hans-Joachim Herzog

… stammt aus dem Rheinland und absolvierte eine Ausbildung im Maschinenbau. Auf dem zweiten Bildungsweg holte er das Abitur nach und studierte BWL mit dem Abschluss Diplom-Kaufmann. Danach arbeitete er im Vertrieb einer Steinkohlezeche. 1981 wechselte er zur damaligen RWE Energie. Hier war er über die Jahre für die Beschaffung von Großprojekten verantwortlich. Nach der Wende war er beratend tätig im Zusammenhang mit dem Aufbau von Einkauf und Materialwirtschaft in den neuen Bundesländern. Danach arbeitet er mit an einem Projekt zur Erhöhung der Sicherheit der Energieversorgung der Europäischen Union in der Ukraine. Anschließend übernahm er die Verantwortung für den Einkauf der RWE-Kernkraftwerke, später folgte eine leitende Aufgabe beim Aufbau einer internen Servicegesellschaft für Querschnittsfunktionen. 2006 übernahm er die Leitung des konzernweiten Projekteinkaufs. Nach einigen weiteren leitenden Funktionen im Einkauf der RWE verantwortet er heute als CPO den konzernweiten Einkauf.


Einkaufsorganisation bei RWE

Die RWE-Grupp verfügt über einen zentralen Einkauf, in dem etwa 200 Mitarbeiter arbeiten, 9000 Lieferanten betreut werden und der ein Einkaufsvolumen von 2 Mrd. Euro im Jahr managt. Hinzu kommt eine Einkaufsabteilung für die Sparte Erneuerbare Energien mit weiteren 100 Mitarbeitern. Hier werden ein jährliches Einkaufsvolumen von 2,3 Mrd. Euro sowie 3000 Lieferanten betreut. Beide Einkaufsabteilungen nutzen weitestgehend die gleichen Systeme und Prozesse.


Der RWE-Campus in Essen ist seit 2020 der Hauptsitz des Unternehmens.
Bild: Andre Laaks, RWE

RWE AG

Der RWE-Konzern ist ein börsennotierter, internationaler Stromerzeuger. Die Gruppe besteht aus mehreren operativen Gesellschaften.

RWE Renewables

RWE Renewables, jüngste Tochter des RWE Konzerns, ist ein Unternehmen im Bereich Erneuerbare Energien. Das Unternehmen mit rund 3500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verfügt über Onshore- und Offshore-Windparks, Photovoltaikanlagen sowie Batteriespeicher mit einer Kapazität von rund 9 Gigawatt.

RWE Generation

Mit ihren hocheffizienten Kraftwerken in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden produzieren die rund 3000 Beschäftigten der RWE Generation Strom aus Gas, Steinkohle, Wasserkraft und Biomasse.

RWE Power

Die RWE Power ist im RWE Konzern mit ihren rund 11.000 Beschäftigten verantwortlich für die Stromerzeugung aus Braunkohle und Kernenergie. Sie betreibt im Rheinland drei Braunkohletagebaue. Darüber hinaus steuert das Unternehmen Betrieb, Nachbetrieb und Rückbau der kerntechnischen Anlagen von RWE. Die Kraftwerke dieses Geschäftsfelds speisen eine Gesamtleistung von rund 13 Gigawatt ins Netz ein.

RWE Supply & Trading

Die RWE Supply & Trading ist die Schnittstelle zwischen RWE und den Energiemärkten in aller Welt. Rund 1600 MitarbeiterInnen aus 50 Nationen handeln mit Strom, Gas, Rohstoffen und CO2-Emissionszertifikaten.

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