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„Dem Kostendruck mit innovativen Lösungen begegnen“

Expertengespräch mit Peter Bosch, CPO, Chiron Group, Tuttlingen
„Dem Kostendruck mit innovativen Lösungen begegnen“

Die Chiron Group mit Sitz in Tuttlingen ist Spezialist für CNC-gesteuerte, vertikale Fräs- und Fräs-Dreh-Bearbeitungszentren sowie Turnkey-Fertigungslösungen. Beschaffung aktuell sprach mit CPO Peter Bosch über den Strukturwandel im Maschinenbau und die damit verbundenen Herausforderungen, den Umgang mit volatilen Absatz- und Beschaffungsmärkten und die Grenzen der Standardisierung.

Beschaffung aktuell: Herr Bosch, Sie leiten die Beschaffung der Chiron Group. Wie ist Ihre Einkaufsorganisation strukturiert?

Peter Bosch: Mit der Neuausrichtung der Chiron Group in 2020 haben wir auch unsere Beschaffung neu aufgestellt. Bisher war unser Einkauf ganz klassisch in operativen und strategischen Einkauf unterteilt, die konsequent nach einem Materialgruppenmanagement ausgerichtet sind. Um den Einkauf frühzeitig in die Entwicklung neuer Produkte einbinden zu können, haben wir nun zusätzlich einen Projekteinkauf etabliert. Inzwischen haben wir das fest institutionalisiert, mit drei Kollegen, die zu 80 Prozent von allen anderen Aufgaben freigestellt sind, sich nur auf den Projekteinkauf konzentrieren und in jeder Phase eines Projektes eingebunden sind. Inzwischen ist der Einkauf über den Projekteinkauf von der Evaluierung eines Lieferanten bis zur Serienreife komplett in den Entwicklungsprozess involviert.

Außerdem haben wir den Serviceeinkauf aus dem operativen Einkauf ausgegliedert und zu einem eigenständigen Bereich gemacht, um die Bedürfnisse des Services noch schneller und zielgerichteter erfüllen zu können. Dazu gehört vor allem das Thema Ersatzteile sowie Umbauten und Nachrüstungen bei den Kunden vor Ort. Ein eigener Serviceeinkauf kann das optimal unterstützen.

Beschaffung aktuell: Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Lieferanten aus? Spielt deren Innovationskraft dabei eine Rolle? Sind sie in die Entwicklungen Ihrer Produkte involviert?

Bosch: Den Leitfaden für die Auswahl der Lieferanten bildet bei uns die Materialgruppenstrategie. Neben den klassischen Kriterien wie Preis, Lieferzeit und Termin spielen hier weitere Kriterien wie Internationalität, weltweite Ersatzteil- und Serviceverfügbarkeit und Produktsortiment, aber auch logistische Aspekte, finanzielle Risiken und Nachhaltigkeitsaspekte eine Rolle. Da die zerspanende Werkzeugmaschinenindustrie sich ständig innoviert, ist auch die Innovationskraft unserer Lieferanten überaus wichtig, um unsere Produkte ständig weiterzuentwickeln. Ein schönes Beispiel dafür ist die Entwicklung eines Getriebes für den ersten serienreifen Einsatz einer zerspanenden Werkzeugmaschine im Rahmen einer Technologiepartnerschaft. Mit der Entwicklung des Antriebssystems hat der Lieferant eine Schlüsselkomponente für die dynamische Schwerzerspanung beigesteuert und zeigt, wie Technologiepartnerschaften Innovationsvorhaben beschleunigen können. Das Projekt war ein echtes Highlight auch für unseren Einkauf.

Auch bei anderen Neuentwicklungen binden wir die Lieferanten mit ein. So haben wir gemeinsam mit einem weltweit führenden Hersteller in der Automatisierungstechnik ein komplett neues Hintergrundmagazin entwickelt. Am Ende steht dann ein Produkt des Lieferanten, das sowohl auf unsere Erfordernisse zugeschnitten als auch für die komplette Gruppe verwendbar ist. So etwas können in der Regel nur Unternehmen, die sowohl über die entsprechende Kompetenz als auch die notwendige Organisation dahinter verfügen.

Beschaffung aktuell: Hatten Sie im bisherigen Verlauf der Pandemie Ausfälle mit Auswirkungen auf Ihr Lieferantenmanagement?

Bosch: Ja, die hatten wir, aber nicht gleich zu Beginn. 2020 war für uns gut zu managen, da wir über ausreichend Bestände verfügten – allerdings dem konjunkturellen Einbruch geschuldet. Im vierten Quartal hat der Auftragseingang wieder angezogen und jetzt spüren wir es deutlich. Die elektronische Bauteilversorgung ist sehr schlecht geworden, das hängt schon mit der Pandemie zusammen – es fehlt Material, das bisher noch nie gefehlt hat. Es gibt hier weltweite Verlagerungen und die Effekte aus der Automobilindustrie sind auch bei uns angekommen. Wir haben inzwischen dramatische Lieferzeitverlängerungen, die für uns schon deshalb schwierig sind, weil wir genau in diesen Bereichen nicht ausweichen können. Wenn wir Steuerungskomponenten bekannter Hersteller in einer Maschine haben, dann müssen wir diese auch einsetzen, es gibt kein Alternativmaterial und keine Substitutionsmöglichkeiten. Wir versuchen zwar gegenzusteuern, so wie es vermutlich derzeit alle machen: mit erneuten Bestellungen und entsprechenden Liefervereinbarungen, aber schlussendlich sind wir Teil der Supply Chain und haben keine Ausweichmöglichkeiten. Anders sieht es da aus, wo wir keine Abhängigkeiten haben. Wir verlagern zum Beispiel Anteile von China oder Indien nach Europa. Die Frachtraten sind während der Pandemie enorm gestiegen, insofern ist Europa zumindest für die Dauer der Pandemie die bessere Lösung.

Beschaffung aktuell: Wie wichtig ist das Thema Digitalisierung für Ihr Unternehmen, Ihre Produkte und Ihre Einkaufsorganisation?

Bosch: Die Digitalisierung ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Unternehmensstrategie. Der anhaltende Trend zu Digitalisierung und Vernetzung ist auch im Werkzeugmaschinenbau ein prägendes Thema. Unsere Unternehmensgruppe hat sich inzwischen von einem Hersteller klassischer CNC-Bearbeitungszentren zu einem Systemanbieter entlang der zerspanenden Prozesskette entwickelt und unser Portfolio an digitalen Produkten ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Mit dem modularen SmartLine Programm bieten wir digitale Systeme an, die Fertigungsprozesse steuern und optimieren, die Produktivität und Verfügbarkeit der Anlagen steigern sowie die Bedienung und Handhabung unserer Werkzeugmaschinen erleichtern. Diese Systeme passen in das Umfeld von vernetzter Produktion und werden von unseren Kunden auch sehr gut angenommen.

Im Einkauf arbeiten wir mit einer Beschaffungsplattform und anderen kleineren Insellösungen im Non-Production Material. Derzeit sind wir dabei, einen Masterplan aufzusetzen, um vor allem die Bereiche Office und Prozesse noch digitaler zu gestalten.

Beschaffung aktuell: Wo sehen Sie aktuell die wichtigsten Trends und Herausforderungen im Einkauf?

Bosch: Für mich sind Digitalisierung und Internationalisierung derzeit die wichtigsten Trends. Insbesondere die Internationalisierung ist ganz klar das Thema, das uns im Maschinenbau beherrschen und treiben wird. Die Herausforderungen im Einkauf der zerspanenden Werkzeugmaschinenindustrie sind sehr vielschichtig, wir werden mit sinkenden Stückzahlen und Volumina zu kämpfen haben, die Marktpositionierung gegenüber unseren Lieferanten wird durch die sinkenden Volumina geschwächt. Auch der Kostendruck wird durch die Wettbewerbssituation immer dramatischer. Deshalb werden wir intelligente Produktentwicklungen benötigen, die es uns ermöglichen, in der Variantenvielfalt mit Gleichteilen operieren zu können, und wir werden qualifiziertes Personal benötigen für eine Branche, die sich im Strukturwandel befindet.

Beschaffung aktuell: Sie haben zu Beginn die Neuausrichtung Ihrer Unternehmensgruppe angesprochen. Welche Auswirkungen hatte diese Neuausrichtung auf Ihren Einkauf?

Bosch: Durch die Ausrichtung des Standortes Schlierbach mit der Marke Stama auf Vertrieb und Service und die Produktionsverlagerung der Stama Maschinen in die Precision Factory in Neuhausen o. E. bei Tuttlingen wurde auch der Einkauf des Produktionsmaterials nach Tuttlingen verlagert. Wir sind derzeit dabei, die Integration der Produkte und auch die Beschaffungsprozesse nach Tuttlingen zu verlagern. Einige der Kollegen aus dem Schlierbacher Einkaufsbüro sind auch weiterhin dort vor Ort im Einkauf tätig, so dass wir jetzt von mehreren Standorten aus arbeiten. Das funktioniert gut, nicht zuletzt da die Pandemie ja den Trend zum Homeoffice gestärkt hat. Vorher waren wir dezentral aufgestellt, jede Marke, jeder Standort hatte seinen eigenen Einkauf, verbunden durch ein gemeinsames Materialgruppenmanagement. Jetzt betreuen wir von einem Standort aus alle Marken und Produkte, sind also zentral organisiert.

Beschaffung aktuell: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Ihr Unternehmen und sich selbst als Einkaufsverantwortlichen in den kommenden Jahren?

Bosch: Die größten Herausforderungen im Umfeld der zerspanenden Werkzeugmaschinenindustrie sind einerseits der Umgang mit den volatilen Absatz- und Beschaffungsmärkten und andererseits der enorme Margendruck einer Branche, die sich mitten im Strukturwandel befindet.

Ungefähr 60 Prozent unserer Kunden kommen aus der Automobilindustrie, so dass auch wir letztendlich eine hohe Abhängigkeit vom Verbrennungsmotor haben, der ja in mehr oder weniger naher Zukunft an Bedeutung verlieren wird. Dadurch entsteht für uns als Unternehmen ein Gap, das wir füllen müssen. In dieser Situation befindet sich derzeit die gesamte Branche, auch unsere Wettbewerber. Das heißt, wir werden uns alle fokussieren müssen. Die Märkte werden kleiner, die Anbieter sind die gleichen, also müssen wir uns in diesen Märkten behaupten. Und es ist ein altes volkswirtschaftliches Gesetz, dass bei hohem Angebot und geringer Nachfrage die Preise sinken, was zu einem starken Margendruck führt. Diesem Margendruck müssen wir begegnen, mit einer größeren Internationalisierung des Einkaufs und vor allem mit neuen und innovativen Konzepten. Wir haben einen starken Kostendruck durch den steigenden Individualisierungsgrad bei gleichzeitig sinkender Stückzahl. Also müssen wir – vergleichbar mit der Plattformstrategie aus der Automobilindustrie – auf den fundamentalen Baugruppenstufen eine relativ hohe Anzahl von Gleichteilen finden, um hier weiterhin Mengeneffekte generieren und gleichzeitig den Individualisierungsgrad der einzelnen Produkte erhalten zu können. „Einkäufers Zauberwort“ lautet ja immer Standardisierung. Das wird uns aber nur helfen, wenn wir es auf der untersten Teileebene hinbekommen, da wir weiterhin eine hohe Varianz bei den Kundenlösungen brauchen. Damit wird auch der Druck, die Kosten zu senken, weiter steigen.

Für Beschaffung aktuell führte Ulrike Dautzenberg, Journalistin aus Wiesbaden, das Interview.


Peter Bosch

… ist in Kirchheim unter Teck geboren und aufgewachsen. Nach einer kaufmännischen und gewerblichen Ausbildung als Industriemechaniker studierte er Wirtschaftsingenieurwesen an der Fachhochschule für Technik in Esslingen. Seine Berufslaufbahn begann er bei der Schuler AG im technischen Einkauf. Internationale Anlagenprojekte führten ihn schon Mitte der 90er Jahre nach Osteuropa und Asien. Bei der Schuler AG verantwortete er für den Geschäftsbereich Hydraulische Pressen den Bereich Einkauf, Materialwirtschaft und Logistik. Seit 2003 ist Peter Bosch bei der Chiron Group tätig. Er leitete bis 2020 die Bereiche Einkauf, Materialwirtschaft, Logistik und Facility Management der Stama Maschinenfabrik in Schlierbach, einem Unternehmen der Chiron Group. Seit der Neuausrichtung der Chiron Group in 2020 ist er für den Einkauf der Gruppe zuständig und außerdem seit 1997 aktives Mitglied im VDMA-Ausschuss für Einkauf und Materialwirtschaft.


Mit Produkten und Lösungen für die Additive Fertigung ergänzt die Chiron Group ihre Kernkompetenzen.
Bild: Chiron

Chiron Group

Die Chiron Group mit Sitz in Tuttlingen ist Spezialist für CNC-gesteuerte, vertikale Fräs- und Fräs-Dreh-Bearbeitungszentren sowie Turnkey-Fertigungslösungen. Die Gruppe ist mit Produktions- und Entwicklungsstandorten, Vertriebs- und Serviceniederlassungen sowie Handelsvertretungen weltweit präsent. Mit 2.100 Mitarbeitern erzielte sie 2019 einen Umsatz von 443 Millionen Euro. Rund zwei Drittel der verkauften Maschinen und Lösungen werden exportiert. Wesentliche Abnehmerbranchen sind die Automobilindustrie, der Maschinenbau, die Medizin- und Präzisionstechnik, die Luft- und Raumfahrt sowie die Werkzeugherstellung.

Die CHIRON Group führt die Marken Chiron, Stama und Factory5 für Neumaschinen sowie CMS für Retrofit. Alle Marken repräsentieren präzise, produktive und flexible Bearbeitung. Die Bearbeitungszentren von Chiron stehen dabei für höchste Dynamik. STAMA fokussiert auf Stabilität und Schwerzerspanung. Factory5 konzentriert sich auf die Hochgeschwindigkeitszerspanung mikrotechnischer Komponenten. CMS bietet komplett überholte Maschinen der Gruppe sowie entsprechende Dienstleistungen an. Mit Produkten und Lösungen für die Additive Fertigung ergänzt die Chiron Group ihre Kernkompetenzen

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