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„Gute Lieferantenbeziehungen zahlen sich in der Krise aus“

Interview mit Dr. Ines Ploss, CPO bei HeidelbergCement
„Gute Lieferantenbeziehungen zahlen sich in der Krise aus“

HeidelbergCement gehört zu den weltweit größten Baustoffherstellern. Die Leitung des globalen Strategischen Einkaufs sitzt in der Konzernzentrale in Heidelberg. In jedem Land gibt es darüber hinaus eine eigene lokale Einkaufsorganisation. Beschaffung aktuell sprach mit CPO Dr. Ines Ploss über Lieferketten, Teamwork als Mindset, die Jagd auf junge Talente und die spannenden Seiten einer traditionellen Industrie auf dem Weg in die Digitalisierung.

Beschaffung aktuell: Was tun Sie als Erstes, wenn Sie morgens ins Büro kommen?

Dr. Ines Ploss: Ich trinke den ersten Kaffee und telefoniere mit meinen Kollegen in Asien. HeidelbergCement ist in über 50 Ländern vertreten und sehr international aufgestellt. Wir haben Standorte auf fast allen Kontinenten mit Ausnahme von Südamerika. Da sind die Kollegen in Asien morgens immer die ersten, mit denen ich spreche, und die Amerikaner abends dann die letzten.

Beschaffung aktuell: Wo sehen Sie die wichtigste Aufgabe für den Einkauf?

Ploss: Unsere wichtigste Aufgabe ist die Sicherstellung der Bedarfe im Unternehmen. Letztendlich sind wir eine Servicefunktion, die dafür sorgen muss, dass alles Nötige vorhanden ist, damit unsere Werke laufen und am Ende die Produkte zu unseren Kunden gelangen. Das ist unser Job, Lieferantenmanagement im wahrsten Sinne des Wortes. Gerade in unsicheren Zeiten wie diesen ist das extrem wichtig – genauso wie das Risikomanagement.

Beschaffung aktuell: Wie gehen Sie da genau vor?

Ploss: Auf der einen Seite müssen wir bestehende Lieferantenbeziehungen pflegen. Hierfür haben wir einen sogenannten Management Cycle mit regelmäßigen Abstimmungsrunden, in denen wir – durchaus gegenseitig – evaluieren, was gut läuft und wo es Verbesserungspotenzial gibt. Uns geht es dabei um eine lösungsorientierte, zuverlässige und effiziente Zusammenarbeit. Auf der anderen Seite beobachten wir sehr genau, welche neuen Anbieter auf dem Markt sind und wie der Wettbewerb aussieht. Fällt beispielsweise durch eine Fusion ein Lieferant weg und ich habe plötzlich nur noch einen im Portfolio, wo ich mindestens zwei haben sollte, dann müssen wir gegensteuern. Ein Teil des Risikomanagements ist es daher, immer wieder zu schauen, inwieweit wir auch neue Lieferanten entwickeln können.

Beschaffung aktuell: Hat sich aufgrund der Corona-Krise Ihr Lieferantenmanagement bzw. die Zusammenarbeit mit den Lieferanten verändert?

Ploss: Gute Lieferantenbeziehungen zahlen sich natürlich in einer Krise besonders aus, vor allem wenn beide Seiten betroffen sind. Der Beginn der Pandemie war für uns eine Art zweistufiger Prozess: Erst wurden in Europa alle Lieferanten nervös, weil sie befürchteten, aus China keine Lieferungen mehr zu bekommen. Nur um kurze Zeit später festzustellen, dass diese Lieferungen gar nicht gebraucht wurden, weil wir ohnehin Produktionsstillstand hatten. Daraufhin haben wir überlegt, wie wir so eine Situation zukünftig vermeiden können. Wie abhängig sind wir von internationalen Lieferanten? Macht es Sinn, eher auf eine lokale Versorgung anstelle globaler Lieferketten zu setzen? Klar ist, dass ein kompletter Verzicht auf globale Lieferketten für uns als internationales Unternehmen utopisch ist. Andererseits haben wir aufgrund unserer dezentralen Struktur in den jeweiligen Ländern auch noch viele lokale Lieferantenbeziehungen. Von daher ist das Risiko für uns überschaubar, man sollte es aber im Blick behalten. Außerdem setzen wir auf Predictive Analysis, um besser und vor allem vorausschauender planen zu können und dadurch noch besser vorbereitet zu sein.

Beschaffung aktuell: Welches sind aus Ihrer Sicht – abseits von Corona – aktuelle Herausforderungen, denen sich der Einkauf stellen muss?

Ploss: Neben Strategie und Risikomanagement, Digitalisierung und Nachhaltigkeit ist das Thema Mitarbeitergewinnung nicht nur für mich persönlich, sondern für das gesamte Unternehmen sehr, sehr wichtig. Eine Frage, die sich auf jeden Fall stellt, ist hierbei die, nach der Zukunftsfähigkeit des Einkaufs. Wie stelle ich sicher, dass ich künftig Jobs anbieten kann, die interessant und modern sind, um damit wirklich attraktiv zu sein für neue junge Talente?

Beschaffung aktuell: Was tun Sie konkret, um junge Talente für Ihr Unternehmen und für eine Karriere im Einkauf zu begeistern?

Ploss: Wir bieten im Bereich Einkauf Praktika, Bachelor- und Masterarbeiten zu aktuellen Themen an. Darüber hinaus ist es uns wichtig, sowohl im In- als auch im Ausland aktiv mit den entsprechenden Lehrstühlen zusammenzuarbeiten. So stellen wir einerseits sicher, dass wir immer nah an den Trends und aktuellen Entwicklungen bleiben und andererseits finden wir auf diese Weise mögliche Talente, die unser Unternehmen weiterbringen können.

Beschaffung aktuell: Hat sich das Anforderungsprofil an die Einkäufer geändert, ist es technischer geworden?

Ploss: Das Skillset des zukünftigen Einkäufers wird und muss sich im Zuge der weiteren Digitalisierung der Supply Chain weiter verändern. Klar ist auch: Es gehören immer zwei dazu, auch die Lieferanten müssen sich entwickeln. Und das braucht Zeit. Wir sind eine traditionelle Branche und unsere Lieferanten sind u. a. traditionelle Maschinenhersteller. Die klassischen Gussteile, die man in ein Zementwerk einbaut, kommen eben nicht von Herstellern, die statt auf Vertriebsmitarbeiter nur noch auf Chatbots setzen. Das kommt sicher irgendwann, aber im Moment sind wir davon noch weit entfernt.

Beschaffung aktuell: Welche Rolle spielt denn das Thema Digitalisierung bei Ihnen im Moment und wo wollen Sie hin?

Ploss: Wir haben mit Dr. Dominik von Achten seit Februar 2020 einen neuen CEO und damit auch einen Generationswechsel an der Vorstandsspitze. Die Digitalisierung ist ein Schwerpunkt unserer neuen Unternehmensstrategie „Beyond 2020“. Um dahin zu kommen braucht es zunächst einmal viel Basisarbeit: Standardisierung von Prozessen, Harmonisierung und Bündelung transaktionaler Prozesse und Automatisierung der Abläufe. Wir nutzen bereits KI wie beispielsweise Machine Learning im Bereich des Warengruppenmanagements. Aber insgesamt haben wir im Bereich der Digitalisierung noch Luft nach oben.

Beschaffung aktuell: Welchen Beitrag leistet Ihre Einkaufsorganisation zur Wertschöpfung Ihres Unternehmens?

Ploss: Insgesamt bewegen wir ein Einkaufsvolumen von 12,6 Millionen Euro, das sind 67 Prozent vom Gesamtumsatz. Die Verantwortung des Einkaufs ist dementsprechend groß. Wir managen eine sehr hohe Zahl an Verträgen und Lieferanten, um unseren internen Beitrag zu leisten, und der wird natürlich kontinuierlich optimiert. Jeder Cent, der gespart werden kann, trägt zum Gesamtergebnis und damit zur Wertschöpfung bei. Wir können es uns nicht leisten, dass ein Werk stillsteht, weil zum Beispiel die Kohle, die gebraucht wird, um das Werk zu befeuern, nicht vorhanden ist. Das liegt nicht immer unbedingt nur am Einkauf, aber wenn es eine Unterbrechung in der Lieferkette gibt, dann ist das, vorsichtig ausgedrückt, nicht gut.

Beschaffung aktuell: Schlägt sich das auch nieder in der Wertschätzung, die der Einkauf innerhalb des Unternehmens erfährt?

Ploss: Der Einkauf hat einen wichtigen Anteil daran, dass der HeidelbergCement-Kunde sein Produkt bekommt und zufrieden ist. Das ist der Anspruch und das ist auch ein Mindset, das dazu führt, dass alle Mitarbeiter in die gleiche Richtung arbeiten. Letztlich ist unser Erfolg Teamwork, denn alle im Unternehmen arbeiten für das gleiche Ziel. Wir erleben als Einkäufer eine hohe Interaktion mit sehr vielen internen und externen Stakeholdern. Dazu kommt unsere Aufgabe, die Kosten zu optimieren, was naturgemäß eine Herausforderung ist. Aber auch das ist Teil des Jobs und hilft letztendlich allen dabei, das Unternehmensergebnis zu verbessern.

Beschaffung aktuell: Sie sagten ja, dass das Thema Mitarbeiter für Sie ein Herzensthema ist – was ist denn Ihr Rat an jemanden, der in den Einkauf möchte? Was sollte er oder sie mitbringen?

Ploss: Ganz wichtig sind Team- und Kommunikationsfähigkeit, analytische Fähigkeiten, Neugier, Risikobereitschaft und der Wille, immer wieder dazuzulernen. Er oder sie sollte offen und kritikfähig sein und mit Veränderungen umgehen können. Die Kollegen der jungen Generation, die aus dem doch ziemlich verschulten System von Bachelor und Master kommen und in der Ausbildung sehr viel vorgegeben bekommen, müssen als Erstes lernen, dass sie bei uns quasi ins kalte Wasser geworfen werden, dabei aber selbst Verantwortung übernehmen und Dinge voranbringen und entwickeln können. Das ist vielleicht nicht überall so, aber es bewährt sich bei uns in der Praxis. Das hat auch etwas mit Selbstorganisation zu tun. Analytik ist das eine, aber ohne gut organisiert zu sein geht es nicht.

Beschaffung aktuell: Sie haben das Thema Nachhaltigkeit bereits angesprochen – wie unterstützen Sie im Einkauf die Nachhaltigkeitsziele Ihres Unternehmens?

Ploss: Eines meiner Teams verantwortet die Beschaffung alternativer, also nichtfossiler Brennstoffe sowie die Nutzung erneuerbarer Energien. Wir unterstützen und implementieren beispielsweise Projekte wie Windparks oder Solaranlagen – hier ist der Einkauf mit seiner Expertise mit dabei. Und natürlich sind wir einbezogen bei den großen Pilotprojekten, mit denen wir künftig CO2 einsparen wollen. Des Weiteren müssen wir dafür sorgen, dass auch die Zulieferer unsere Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Dabei selektieren wir entweder die Lieferanten bereits so, dass sie den Ansprüchen des Lieferantencodex genügen, oder wir arbeiten gemeinsam mit ihnen daran, diese Kriterien zu erfüllen.

Beschaffung aktuell: Wo sehen Sie für sich, Ihr Unternehmen und Ihre Einkaufsorganisation die größten Herausforderungen in den kommenden Jahren?

Ploss: Es sind spannende Zeiten und die Frage ist, was man daraus macht. Das Arbeitsumfeld verändert sich, das private Umfeld ist unter Druck, das ist eine sehr große Herausforderung für alle – für Führungskräfte vielleicht ganz besonders. Und dann sind wir ja davon abhängig, was mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung passiert. Ich denke, wir müssen künftig insgesamt flexibler werden. Wir müssen dranbleiben, was die technologischen Entwicklungen angeht und wir müssen zukunftsfähig werden, um ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben. Das ist und bleibt eine große Herausforderung, gerade in Zeiten der Digitalisierung, um junge Talente und vor allem mehr Frauen für unsere Branche zu gewinnen. Wir sind immer noch eine traditionelle Industrie und das wird sich auch so schnell nicht ändern. Letztendlich wird es in Zukunft noch viel mehr darum gehen, lösungsorientiert zu arbeiten und verantwortungsvoll zu handeln.

Das Interview führte für Beschaffung aktuell
Ulrike Dautzenberg.


Dr. Ines Ploss

… ist in Leipzig geboren und aufgewachsen. Sie studierte Biochemie in Leipzig, Glasgow und Heidelberg. Nach einer ersten, temporären Visite bei The Boston Consulting Group (BCG) promovierte sie am European Molecular Biology Lab in Heidelberg und stieg im Anschluss daran bei BCG als Consultant ein. Beratungsprojekte, vorwiegend im Industriegütersektor, führten sie nach Frankfurt, Berlin, Santiago de Chile, Sao Paolo und Dallas. Seit 2008 ist Dr. Ines Ploss bei HeidelbergCement tätig. Sie leitet seit 2014 als CPO den globalen Einkauf und ist seit 2019 auch Mitglied des Aufsichtsrats.


Beschaffungsmanagement

Eine Lead-Buyer-Organisation ermöglicht die Beschaffung wichtiger Warengruppen auf Konzernebene. Das bedeutet, ablaufkritische Waren und Dienstleistungen mit meist hohen Volumen zu Warengruppen zu bündeln, um bessere Konditionen von den Lieferanten zu erhalten. Zu den Aufgaben der Lead Buyer im Konzern gehören das Führen von Preisverhandlungen, der Abschluss von Rahmenverträgen, das Lieferantenmanagement und das Beobachten aktueller Markt- und Preisentwicklungen.

Eine zweite Komponente des Beschaffungsmanagements ist der lokale Einkauf an den Produktionsstandorten. Die lokalen Einkaufsabteilungen rufen außerdem direkt Waren und Dienstleistungen aus den vorliegenden Konzern-Rahmenverträgen ab. Damit werden die Vorteile der zentralen mit der lokalen Beschaffung verbunden.

Für die Beschaffung von Brennstoffen und Strom verfolgt der Konzern eine Strategie, die auf einer Mischung aus kurzfristigen indexbasierten Verträgen und Fixpreisverträgen basiert. Darüber hinaus optimiert HeidelbergCement kontinuierlich den Brennstoffmix abhängig von Marktpreisbewegungen.


Im HeidelbergCement-Werk in Lengfurt, Deutschland, wird bereits seit 1899 produziert.
Bild: HeidelbergCement

HeidelbergCement AG

Der börsennotierte Baustoffkonzern hat seinen Sitz in Heidelberg. Das Unternehmen ist weltweit die Nummer 1 bei Zuschlagstoffen, Nummer 2 bei Zement und Nummer 3 bei Transportbeton. Der Konzern ist in 60 Ländern tätig mit 55.000 Mitarbeitern und 3000 Standorten. Im Jahr 2019 erzielte das Unternehmen bei einem Umsatz von 18,9 Mrd. Euro einen Jahresüberschuss von 1,2 Mrd. Euro.

Laut Geschäftsbericht 2019 wurden von HeidelbergCement insgesamt Waren und Dienstleistungen im Wert von 12.654 Mio. Euro beschafft. Das entspricht einem Anteil von 67,1 % am Gesamtumsatz.

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