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Das Schweigen der Kaufleute

Einkaufsrecht
Das Schweigen der Kaufleute

Schweigt der Kaufmann, heißt das – was eigentlich? Es ist keine Willenserklärung, also ziemlich sicher kein „Ja“. Eher ein „Nein“. Näheres erläutert unser Autor Prof. Dr. Karlheinz Schmid.

Prof. Dr. Karlheinz Schmid

Einer der weit verbreiteten Irrtümer im Handelsrecht besteht darin, dass immer wieder behauptet wird, es bedeute Zustimmung, wenn Kaufleute nach Aufforderung schweigen. So lange dies in Schulen, insbesondere in Berufsschulen, gelehrt wird, ist diese Fehleinschätzung wohl kaum auszurotten. Doch es gibt bedeutsame Ausnahmen von diesem Grundsatz. Auch im Einkaufsrecht.
Schweigen als reine Untätigkeit bedeutet, dass die betreffende Person weder eine Erklärung abgibt, also weder etwas sagt, schreibt, mailt, faxt usw., noch durch Körpersprache Signale aussendet, also durch Mimik, Gestik, Körperhaltung usw. kommuniziert. Schweigen – eines der am schwierigsten zu widerlegenden Argumente – ist also im Regelfall überhaupt keine Erklärung und kann schon deshalb keine Willenserklärung im positiven Sinne sein. Schweigen bedeutet grundsätzlich Ablehnung eines Angebots. Wer also auf eine Verkaufsofferte nicht reagiert, lehnt sie ab.
Nicht bestellte Ware nicht zurückschicken
Durch den Empfang einer Offerte wird man normalerweise nicht verpflichtet, zum Angebot Stellung zu nehmen. Dies ist selbst dann nicht der Fall, wenn der Anbietende mitteilt, er betrachte den Antrag als angenommen, wenn nicht innerhalb einer genannten Frist geantwortet wird. Der Empfänger einer solchen Offerte muss jedoch alles vermeiden, was als Annahme des Antrags ausgelegt werden könnte. Er muss die übersandte Ware nicht zurückschicken und sie nur im Rahmen seiner räumlichen Verhältnisse eine angemessene Zeit aufbewahren (§241a BGB).
Beispiel: Eine unbestellt zugesandte Ansichtssendung stellt eine Verkaufsofferte dar. Legt der Empfänger die Ware beiseite, so hat er das ihm gemachte Angebot abgelehnt. Nimmt er jedoch die Ware, zum Beispiel ein Buch, in Gebrauch, etwa dadurch, dass er Worte unterstreicht oder Bemerkungen einträgt, dann hat er damit durch schlüssiges Verhalten die Verkaufsofferte angenommen und muss den geforderten Preis bezahlen.
Eine Erklärung durch Schweigen ist überall dort möglich, wo das Gesetz nicht eine bestimmte Form vorgeschrieben hat oder durch ein Gesetz oder einen Vertrag eine ausdrückliche Erklärung verlangt wird.
Es gibt auch das Schweigen an Erklärungs Statt. Hier ordnet das Gesetz an, das Schweigen solle in einer bestimmten Situation als Erklärung bestimmten Inhalts gelten. Die Rechtsfolge ist hier allein an die Tatsache geknüpft, dass der Betreffende geschwiegen, also nichts Gegenteiliges verlautbart oder sonst ein bestimmtes Verhalten gezeigt hat.
Gemäß §§612, 632 BGB gilt zum Beispiel eine Vergütung als „stillschweigend vereinbart“, wenn jemand von einem anderen eine Dienstleistung oder die Herstellung eines Werkes verlangt und die betreffende Dienst- oder Werkleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung erwartet werden kann.
Privatpersonen und auch Kaufleute können dem Schweigen im Einzelfall eine ganz bestimmte Bedeutung zumessen. Im positiven Sinne, wenn vereinbart wird: „Wenn Sie bis morgen 12 Uhr nichts mehr von mir hören, bin ich damit einverstanden.“ Negativ: „Sollte ich mich bis Mittwoch dieser Woche, 14 Uhr, nicht melden, kommt der Vertrag nicht zustande.“
Auch das Gesetz kann bestimmen, dass dem Schweigen ein bestimmter Erklärungsinhalt – negativ oder positiv – zukommt. Diese gesetzlichen Bestimmungen sind jedoch für das Einkaufsrecht – mit Ausnahme der Regelung in §362 HGB, auf die noch einzugehen sein wird – unbedeutend. Wichtiger sind dagegen höchstrichterliche Entscheidungen, die dem Schweigen bestimmte Erklärungsinhalte zumessen.
Hier bedeutet Schweigen Zustimmung:
  • Nimmt ein Einkäufer ein ihm gemachtes befristetes Angebot verspätet an, so gilt die verspätete Annahme nach §150 Abs.1 BGB als ein neues Angebot an den Lieferanten. Da Lieferanten regelmäßig auch bei einer verspäteten Annahme ihres Angebots am Vertragsabschluss interessiert sind, kann sich ein Einkäufer, der geringfügig verspätet angenommen hat, hierauf einstellen und eine ausdrückliche Ablehnung erwarten, falls sein neues Angebot nicht angenommen werden sollte. Nach der Rechtsprechung gilt daher das Schweigen des Lieferanten als Zustimmung zu dem in der verspäteten Annahme liegenden Angebot, so dass der Vertrag zustande kommt (BGH NJW 1951 S. 313). Diese Rechtsprechung gilt jedoch nur in solchen Fällen, in denen die Verspätung so geringfügig ist, dass der Annehmende erwarten darf, der andere werde ihr keine Bedeutung beimessen.
  • Wer einem anderen die Schließung eines Vertrags anträgt, ist an den Antrag gebunden, es sei denn, dass er die Gebundenheit ausgeschlossen hat (§145 BGB). Diese Bindung an den Antrag kann durch Zusätze, wie „freibleibend“, “unverbindlich“ „ohne Obligo“ usw. ausgeschlossen werden. Ein solches freibleibendes Angebot bedeutet, dass der Anbietende die volle Entschlussfreiheit behalten möchte. Sein „Angebot“ ist im Regelfall nur als Aufforderung an den Empfänger zu verstehen, er möge nun seinerseits ein Angebot machen (Aufforderung zur Abgabe eines Angebots). Bestellt daraufhin der Einkäufer, so ist das erst das Angebot, das angenommen werden muss, damit der Vertrag zustande kommt.
  • Wer eine solche freibleibende Erklärung abgibt, hat aber hinsichtlich des ihm zu gehenden Angebots (Bestellung) eine Erklärungspflicht. Schweigt er, so wird dies von den Gerichten als Annahme des Angebots (Bestellung) gewertet (BGH, Der Betrieb 1984 S. 2030).
  • Schweigt ein Kaufmann auf ein Angebot, das nach eingehenden Vorverhandlungen gemacht wurde und bei dem sich die Verhandlungspartner schon weitgehend über das abzuschließende Geschäft geeinigt hatten, so gilt dieses Schweigen als Annahme des Angebots (BGH , Betriebs-Berater 1955 Seite 1068).
  • Ausnahmsweise kann auch das Schweigen eines Vertragspartners auf ein Schreiben des anderen Vertragspartners als Zustimmung gewertet werden, wenn in diesem Schreiben ein Angebot zu einer Vertragsänderung enthalten ist und der Verfasser des Schreibens mit einer Ablehnung dieses Angebots nicht zu rechnen brauchte bzw. im Fall einer Ablehnung nach Treu und Glauben mit einem ausdrücklichen Widerspruch rechnen durfte. Dies gilt vor allem in Fällen ständiger Geschäftsverbindung (OLG Düsseldorf, Der Betrieb 1982 S.592).
Das kaufmännische Bestätigungsschreiben
Eine sehr bedeutende Ausnahme von dem Grundsatz, dass Schweigen Ablehnung bedeutet, gilt auch im Zusammenhang mit dem kaufmännischen Bestätigungsschreiben. Wird ein formlos, also mündlich abgeschlossener Vertrag von einem Vertragspartner protokolliert und dann dem anderen zugesandt, dann wird dadurch ein Vertrag „bestätigt“. Es handelt sich dann um ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben. Der Vertrag ist also hier eindeutig vor dem kaufmännischen Bestätigungsschreiben wirksam abgeschlossen worden. Im Gegensatz hierzu kommt durch den Zugang einer „Auftragsbestätigung“ der Vertrag erst zustande.
Das kaufmännische Bestätigungsschreiben ist daher die „schriftliche Zusammenfassung des Inhalts eines zuvor mündlich ausgehandelten und bereits geschlossenen Vertrages. Es dient der endgültigen Fixierung dessen, worauf sich die Parteien schließlich geeinigt haben. Es soll künftige Streitigkeiten über das „ob“ des Vertragsschlusses und vor allem über den Inhalt des Vertrages ausschließen.
Wenn deshalb der Empfänger das kaufmännische Bestätigungsschreiben ohne Widerspruch entgegennimmt, so muss er dessen Inhalt gegen sich gelten lassen. Sein Schweigen führt dazu, dass der bereits vereinbarte Vertragsinhalt im Sinne des kaufmännischen Bestätigungsschreibens geändert bzw. ergänzt wird. Es muss sich allerdings im Regelfall um Ergänzungen handeln, die bei entsprechenden Verträgen vorkommen können. Üblich wäre zum Beispiel, dass zusätzlich die Allgemeinen Einkaufsbedingungen gelten sollen oder Skonti vereinbart wurden.
Das kaufmännische Bestätigungsschreiben muss eindeutig abgefasst sein. Unklarheiten gehen zu Lasten des Absenders. Die Bezeichnung als kaufmännisches Bestätigungsschreiben ist nicht erforderlich. Das Schreiben muss aber nach seinem äußeren Erscheinungsbild zur Wiedergabe von Verhandlungen wenigstens nach ihrem wesentlichen Inhalt bestimmt sein. Deshalb ist die Übersendung eines nur als eigene Erinnerungshilfe gedachten Aktenvermerks nicht ausreichend.
Wird im kaufmännischen Bestätigungsschreiben um Gegenbestätigung gebeten, bedeutet das Schweigen des Empfängers im Regelfall keine Zustimmung.
Das kaufmännische Bestätigungsschreiben muss sich zeitlich unmittelbar an den Vertragsabschluss anschließen. Es gibt jedoch keine allgemein gültige Frist. Jedenfalls hat der Bundesgerichtshof eine Frist von fünf Tagen für unbedenklich erklärt. Der Widerspruch gegen ein unzutreffendes Bestätigungsschreiben muss dagegen unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern erfolgen. Im Regelfall muss der Widerspruch innerhalb von ein bis zwei Tagen ausgesprochen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können unter bestimmten Umständen auch einmal drei Tage ausreichen (BGH NJW 1962 S.246). Dagegen ist eine Woche in der Regel zu lang.
Wurden die Vertragsverhandlungen von einem Vertreter ohne entsprechende Vollmacht geführt, so liegt im Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben die Genehmigung des Vertrags nach § 177 Abs.1 BGB.
Das kaufmännische Bestätigungsschreiben entfaltet allerdings dann keine rechtsbegründende Wirkung, wenn es sich inhaltlich so weit von den getroffenen Vereinbarungen entfernt, dass der Bestätigende vernünftigerweise mit einer Billigung nicht mehr rechnen durfte.
Diese Grundsätze für das kaufmännische Bestätigungsschreiben haben sich als Handelsbrauch (§346 HGB) im Verkehr unter Kaufleuten herausgebildet. Sie gelten aber heute auch für Personengruppen, die insoweit ähnlich wie Kaufleute auftreten, wie zum Beispiel Architekten, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Insolvenzverwalter.
Die wohl beachtenswerteste Ausnahme von dem Grundsatz, dass Schweigen auch unter Kaufleuten Ablehnung bedeutet, stellt §362 Abs.1 HGB dar. Geht danach „einem Kaufmann, dessen Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt, ein Antrag über die Besorgung solcher Geschäfte von jemand zu, mit dem er in Geschäftsverbindung steht, so ist er verpflichtet, unverzüglich zu antworten. Sein Schweigen gilt als Annahme des Antrags.“. Es kommt dann durch das Schweigen ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit dem Inhalt des Antrags zustande, selbst wenn der Empfänger dies gar nicht will. Der Antragende kann daher auf Erfüllung des Geschäftsbesorgungsvertrages bestehen und nicht nur Schadenersatz verlangen. Das Gleiche gilt, wenn einem Kaufmann ein Antrag über die Besorgung von Geschäften von jemand zugeht, dem gegenüber er sich zur Besorgung solcher Geschäfte erboten hat. Mitgesandte Waren sind jedenfalls vor Schaden zu bewahren (§362 Abs.2 HGB).
Die Bedeutung dieser gesetzlichen Bestimmung darf jedoch keineswegs überschätzt werden. Ihr Anwendungsbereich ist vielmehr recht begrenzt. § 362 Abs.1 HGB findet nur Anwendung auf Kaufleute, deren Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt. Geschäfte für einen anderen besorgt nur, wer eine an sich dem anderen zukommende Tätigkeit diesem abnimmt. Dies ist der Fall für bestimmte Bankgeschäfte, für Speditionsunternehmen, Lagerhalter, Handelsmakler, Handelsagenturen, gegebenenfalls auch für bestimmte Druckerei- und Verlagsgeschäfte. Keineswegs also für alle Kaufleute, insbesondere nicht für Verkäufer, Groß- und Einzelhändler oder Lieferanten, die Waren unverändert oder nach Verarbeitung weiterveräußern.
Kaufleute müssen die Ausnahmen beachten
Der Antrag zum Vertragabschluss muss von einem Kunden kommen, mit dem der Kaufmann „in Geschäftsverbindung steht“. Eine solche Geschäftsverbindung ist nur dann anzunehmen, wenn die geschäftliche Beziehung auf eine gewisse Dauer angelegt ist; sie setzt aber keine Mindestdauer voraus. Im Regelfall wird eine ständige Geschäftsverbindung vorliegen.
§362 Abs.1 HGB findet keine Anwendung, wenn ein Kaufangebot vorliegt. Es muss vielmehr ein Angebot zum Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrages nach §675 BGB gegeben sein.
Es bleibt jedoch beim Grundsatz, dass Schweigen sowohl bei Privatpersonen wie auch unter Kaufleuten Ablehnung bedeutet. Aber unter Kaufleuten gibt es eine Reihe von nicht unwichtigen Ausnahmen. Dies kann zur Verunsicherung führen. Wer sich jedoch als Einkäufer die zuvor genannten Ausnahmen merkt, bei dem stellt sich die Sicherheit wieder ein.
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