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(K)ein Grund zum Feiern

Mindestlohn steigt auf 8,84 Euro
(K)ein Grund zum Feiern

(K)ein Grund zum Feiern
RA Thomas Lausenmeyer, Mindestlohnexperte bei der Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Rödl & Partner in Nürnberg
Zu Beginn des neuen Jahres ist der gesetzliche Mindestlohn erstmals erhöht worden. Durch Verordnungen und Gerichtsentscheidungen konkretisieren sich die gesetzlichen Vorgaben für die Unternehmen immer mehr und lassen sich so in die firmeneigenen Compliance-Richtlinien integrieren.

Der gesetzliche Mindestlohn feierte am 1. Januar 2017 seinen zweiten Geburtstag. Zur Feier dieses Tages haben Mindestlohnkommission und Bundesregierung beschlossen, den Stundensatz, der einem Arbeitnehmer in Deutschland mindestens bezahlt werden muss, von 8,50 Euro auf 8,84 Euro anzuheben. Auch für Abweichungen durch einzelne Branchentarifverträge, die man bei Inkrafttreten des Gesetzes zugelassen hatte, gilt seit Januar eine Untergrenze; sie liegt bei dem bekannten Wert von 8,50 Euro.

Meldeportal Mindestlohn
Ebenfalls zum neuen Jahr wurde die Mindestlohnmeldeverordnung novelliert. Sie normiert die Anforderungen an ausländische Unternehmen, die Mitarbeiter in Deutschland einsetzen. Dazu genügte bisher das Einreichen einer allgemeinen Einsatzplanung per Fax für sechs Monate im Voraus. Seit 1. Januar 2017 ist nun das Meldeportal Mindestlohn bei der Zollverwaltung in Betrieb, wo die Meldungen online abgegeben werden sollen. Die bisherige Praxis der Anmeldungen per Fax wird nur noch bis zum 30. Juni 2017 möglich sein.
Ausnahmen für Flüchtlinge
In Deutschland entfaltet das Gesetz grundsätzlich für alle volljährigen Arbeitnehmer Wirkung – mit wenigen Ausnahmen. So sind Auszubildende vom Anwendungsbereich des MiLoG ebenso ausgenommen wie ehemalige Langzeitarbeitslose. Für Praktikanten gilt: Ein Pflichtpraktikum, das im Rahmen einer Berufs- oder Hochschulausbildung notwendig ist, ist nicht mindestlohnpflichtig.
Diesen Umstand will man nun nutzen, um mehr Flüchtlinge für den deutschen Arbeitsmarkt nachzuqualifizieren. Wenn für die Anerkennung ihres Berufsabschlusses hierzulande noch der Nachweis von praktischen Kenntnissen erforderlich ist, können sie diese in einem hiesigen Betrieb erwerben, und zwar ohne Mindestlohnbindung – das macht den Einsatz für Arbeitgeber interessant. Die Bundesregierung erwägt aktuell, entsprechende Auslegungshinweise zu veröffentlichen. „Rechtsänderungen oder Änderungen der Verwaltungspraxis oder der Kontrollpraxis wären hiermit aber nicht verbunden“, so eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Anrechenbarkeit
Noch nicht vollständig geklärt ist, welche Lohnbestandteile neben dem Festgehalt auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechenbar sind. Zulagen, die für die eigentliche Arbeitsleitung gewährt werden, werden bei der Berechnung einbezogen, nicht dagegen Zulagen, die Mehrarbeit oder besondere Belastungen abfedern sollen, wie zum Beispiel Nachtarbeitszuschläge, Schmutz- oder Gefahrenzulagen, Akkordprämien sowie Überstundenzuschläge. Provisionen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld bleiben ebenfalls unberücksichtigt. Das wurde mittlerweile durch mehrere Gerichtsurteile bestätigt. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus 2016 gehören zur vergütungspflichtigen Arbeit auch Bereitschaftszeiten.
Transitverkehr
Unklar ist die Lage noch beim klassischen Transitverkehr. Auf Druck aus dem Ausland wurde die Anwendung des Gesetzes auf ausländische Lkw-Fahrer im Transit rasch ausgesetzt. Seitdem laufen die Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Europäischer Kommission, die mittlerweile ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hat, weil sie die Regelung für überzogen und gefährlich für den europäischen Binnenmarkt hält.
Auftraggeberhaftung
Die meiste Aufregung verursachte 2015 die Auftraggeberhaftung in § 13 Mindestlohngesetz. Wer mit langen Liefer- und Auftragsketten agieren muss – das trifft auf Logistiker ebenso zu wie auf Einkäufer –, hat seitdem die Pflicht dafür zu sorgen, dass jeder Auftragnehmer und jeder Subunternehmer bei Erfüllung eines Auftrages den gesetzlichen Mindestlohn vollständig und rechtzeitig zahlt. „Das birgt Risikopotenzial, da Unternehmer vielfach gar nicht wissen, welche und wie viele zusätzliche Unternehmer in die Leistungskette eingeschaltet sind“, kritisiert Vincent Charles vom Hannoveraner Automobilzulieferer Continental. „Gerade Einkaufsabteilungen als Auftraggeber sollten bemüht sein, als Mindestmaß der Absicherung von den Auftragnehmern Versicherungen über die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten einzuholen“, sagt Rechtsanwalt Thomas Lausenmeyer, Mindestlohnexperte bei der Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Rödl & Partner in Nürnberg. „Besser ist es allerdings, wenn in der Erklärung auch die Einhaltung der Pflichten, die sich aus dem Mindestlohngesetz und dem Arbeitnehmerentsendegesetz gegenüber Behörden sowie den eigenen Arbeitnehmern und anderen Dritten ergeben, garantiert wird.“ Der Auftragnehmer sollte sich zusätzlich verpflichten, dieselben Erklärungen auch von seinen Subunternehmern einzufordern. Anwalt Lausenmeyer empfiehlt außerdem, dass sich Auftraggeber von ihren Auftragnehmern auch weitere Rechte wie Kontrollrechte – etwa bezogen auf anonymisierte Lohnunterlagen und Arbeitszeitaufstellungen – und Sonderkündigungsrechte bei Pflichtverletzungen einräumen lassen.
In der Praxis sind die Empfehlungen der Juristen mittlerweile angekommen und umgesetzt, wie etliche Unternehmen auf Anfrage von Beschaffung aktuell mitteilten. Die Adam Opel AG erklärte hierzu knapp: „Unsere Lieferanten verpflichten sich grundsätzlich zur Einhaltung der lokal gültigen Gesetze.“ Bei Continental in Hannover klingt dies differenzierter. „Wir konzentrieren uns vor allem auf drei Maßnahmen: 1. Durchführung einer sorgfältigen Due Diligence bei der Beauftragung im Rahmen von Werk- und Dienstleistungen, 2. vertragliche Vorkehrungen und Zusicherungen für die gesamte Leistungskette und 3. Monitoring der laufenden Geschäftsbeziehung durch die Verantwortlichen“, so Unternehmenssprecher Charles.
Compliance
Hier spannt sich der Bogen zur Compliance. „Gerade unter dem Gesichtspunkt Auftraggeberhaftung bietet sich die Einführung interner Compliance-Richtlinien an“, erklärt Berater Lausenmeyer. „Diese sollten festlegen, wie bei einer Auftragsneuvergabe vorzugehen ist und welche Versicherungen und Ansprüche mit dem Auftragnehmer und dessen Subunternehmern vorher ausgehandelt werden müssen.“ Und auch Dr. Ruth Schorn, Konzernverantwortliche für Compliance beim Intralogistikanbieter Kion aus Wiesbaden, sieht beide Bereiche in einem engen Zusammenhang: „Die Einhaltung von Regeln im Sinne von ‚Compliance‘ als Teil unserer Unternehmenskultur umfasst selbstverständlich auch die Beachtung der gesetzlichen Vorgaben aus dem Mindestlohngesetz“, sagt die Expertin. „Dazu gehört, dass wir bei unseren Geschäftspartnern auf die Einhaltung des Gesetzes hinwirken.“
Und auch unternehmensintern besteht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen Compliance und Mindestlohn – wenn es nämlich um die Entlohnung der eigenen Mitarbeiter geht. Der Satz „Die Arbeit aller Menschen ist wertzuschätzen“ stammt aus der Begründung des Gesetzgebers für das Mindestlohngesetz, könnte aber genauso in jedem guten Verhaltenskodex stehen.

Der Mindestlohn in der EU

Weitere Infos

Eine gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohnhöhe hat sich mittlerweile in fast allen europäischen Ländern durchgesetzt, 21 EU-Mitgliedstaaten haben eine entsprechende Regelung. Die Höhe des Mindestlohns variiert allerdings stark: in Bulgarien liegt er derzeit bei 1,24 Euro pro Stunde, in Luxemburg bei über elf Euro. Frankreich hat im vergangenen Jahr durch sein „Loi Macron“ für Aufsehen gesorgt. Seit 1.7.2016 gilt dort auch für ausländische Transportunternehmer ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von rund zehn Euro, verbunden mit erheblichen bürokratischen Auflagen. Die EU-Kommission hat dagegen – wie gegen Deutschland – ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

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Anja Falkenstein, Rechtsanwältin, Karlsruhe
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