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Juristische Besonderheiten des Serienliefervertrags in der Automobilindustrie

Juristische Besonderheiten des Serienliefervertrags in der Automobilindustrie
OEM und Lieferant, ein schwieriges (Rechts-)Verhältnis

VW macht es öffentlich, Opel im Verborgenen: Sich mit seinen Zulieferern vor Gericht streiten. Das Verhältnis zwischen Autobauer und Lieferant ist traditionell konfliktgeladen. Mit dem richtigen juristischen Handwerkszeug gibt man der Geschäftsbeziehung ein solides Fundament.

Über etliche Jahre dauert nun schon der Schlagabtausch zwischen dem Volkswagenkonzern und der Prevent-Gruppe, hinter der die mächtige bosnische Unternehmerfamilie Hastor steht. Obwohl die Hastors bereits seit Jahrzehnten mit ihren Unternehmen zum Kreis der VW-Zulieferer gehören, kam es 2016 zur Eskalation: Lieferstopp durch Prevent, mehrtägiger Produktionsausfall bei VW – das ganz große Programm. Der Zulieferer wollte höhere Preise durchdrücken, der Autobauer musste zunächst zähneknirschend zustimmen. Seitdem versucht die Prevent-Gruppe, systematisch kleinere Zulieferbetriebe aufzukaufen und so den Volkswagen-Konzern noch abhängiger zu machen, während dieser sich heimlich andere Lieferanten sucht und sukzessive die Verträge mit den Prevent-Unternehmen kündigt. Schadensersatzklagen in Millionenhöhe könnten folgen. Auch der Komponentenhersteller TSK Träger ging vor Gericht: Er verklagte den Autobauer Opel auf 300 Millionen Euro entgangenen Gewinn. Der jahrzehntelang währende Streit wurde jetzt im Frühjahr vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main zugunsten der Rüsselsheimer entschieden.

Ausgangslage vor Vertragsschluss

Das Verhältnis OEM und Zulieferer scheint „konstruktionsbedingt“ angespannt. „Die Interessen der beiden sind gegensätzlich: Der OEM möchte Handlungsspielräume, der Lieferant Planungssicherheit“, umreißt Frank Welge, Managing Director und Experte für die Automobilbranche bei der Unternehmensberatung Inverto die schwierige Ausgangslage, wenn es um den Abschluss von Lieferverträgen geht. „Zwar verwenden die Hersteller in der Regel ihre Standardverträge für Abschlüsse; je bedeutender aber der Lieferant für den Hersteller ist und je enger die Partnerschaft, umso stärker kann der Lieferant seine eigenen Vorstellungen in den Serienliefervertrag einbringen.“ Der Regelfall bleibt laut Welge aber: „Keine festen Mengen, Preise oder Abnahmegarantien in den Verträgen.“

Problem: Unvollständige Verträge

So unterschiedlich die Positionen auch sein mögen, ein unvollständiger oder unklarer Vertrag kann für keinen der Beteiligten von Interesse sein. Sich durch alle Detailfragen zu quälen, genau darin liegt der Sinn von Vertragsverhandlungen und Niederschrift. „Die Parteien sollten sich vor dem Abschluss vergegenwärtigen, welche Prämissen und Ziele sie für das konkrete Lieferverhältnis haben und diese in das Vertragswerk aufnehmen“, rät Rechtsanwalt Janik Goßler, Automotive-Experte der Kanzlei Noerr in Frankfurt am Main. Was selbstverständlich erscheint, will der Anwalt ausdrücklich betont wissen: „Wichtig ist, dass der Vertrag alle Punkte der Einigung zwischen den Parteien vollständig wiedergibt.“ In der Praxis bereiteten regelmäßig Fälle Schwierigkeiten, bei denen die Verträge „stecken bleiben“, also nicht Schritt hielten mit den tatsächlichen Entwicklungen. „Typischer Fall: es wird ein unverbindlicher Letter of Intent unterzeichnet, dann ohne weitere schriftliche Absprachen mit gemeinsamen Entwicklungen begonnen und statt eines Rahmenvertrages über die Serienbelieferung liegt nur eine unbestätigte, knappe Rahmenbestellung vor“, warnt der Jurist.

Das ist insbesondere dann problematisch, wenn die Vertragssituation jahrelang ungeklärt bleibt und sich irgendwann keiner mehr daran erinnert, was einst die Grundlagen der Zusammenarbeit waren. Deshalb sollte sich aus jedem Vertrag eindeutig ergeben, ob damit rechtsverbindliche Pflichten begründet oder lediglich unverbindliche Absichtserklärungen abgegeben werden sollen.

Vertragsanpassung

Lieferverträge werden in der Automobilindustrie auf Basis von Plänen und Prognosen geschlossen – eine recht wackelige Grundlage. Deshalb sind Klauseln zur Anpassung der Verträge in der Zukunft so wichtig. Hierbei ist juristisches Fingerspitzengefühl vonnöten, denn einseitige Änderungsrechte in Standardverträgen müssen sehr sorgfältig formuliert werden; es droht die Unwirksamkeit, wenn die Regelungen zu pauschal sind. Auch über die Folgen von Vertragsverletzungen wie Lieferverzug, Qualitätsmängel oder Verstoß gegen Geheimhaltungspflichten sollte man sich einigen, denn davon hängen später Gewährleistungsrechte, Kündigungsrechte und/oder Schadensersatz ab.

Sand im Getriebe

In der Langzeitbeziehung beginnt es zu kriseln, wenn etwa der OEM qualitative oder technische Beanstandungen hat und deshalb Spezifikationen im laufenden Projekt ändert. Wer kommt für die neu anfallenden Entwicklungskosten auf? Überhaupt spitzt sich im Laufe der Zeit alles meist auf das Thema „Kosten“ zu und auf die Frage, wer der Mächtigere der beiden Partner ist. „Im Hinblick auf die eigene Lieferkette hat der Zulieferer wenig Bewegungsfreiheit und muss den Hersteller über alle geplanten Änderungen informieren oder sie freigeben lassen“, sagt Inverto-Mann Welge. „Sollte er durch die Änderung eine Preisersparnis anstreben, fordert der Hersteller unter Umständen, die Einsparung an ihn weiterzugeben.“

Streit gibt es spätestens dann, wenn die Realität von den Erwartungen abweicht, also weniger Fahrzeuge gebaut werden als geplant oder ein Modell vorzeitig eingestellt wird. „Dann ist die Produktionslinie beim Lieferanten nicht ausgelastet, sodass das Geschäft für ihn unwirtschaftlich wird“, so Welge.

Beendigung des Vertragsverhältnisses

Ist der Sand aus dem Getriebe nicht mehr weg zu bekommen, bleibt theoretisch die Beendigung des Vertragsverhältnisses. Tatsächlich ist es schwer, einen Zuliefervertrag, befristet oder nicht, zu kündigen. Je nach zugrunde liegendem Vertragstyp – und hier gibt es feine Nuancen – bestimmen sich die gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten. „Unbefristete Dauerschuldverhältnisse können nach der gesetzlichen Konzeption mit ‚angemessener‘ Frist gekündigt werden“, erläutert Anwalt Goßler. „Was ‚angemessen‘ ist, muss aber der Richter im Einzelfall entscheiden.“ Dies erspart sich, wer bereits vorab Kündigungsgründe (etwa durch eine „Change of Control“-Klausel), Fristen und Folgen vertraglich festgelegt hat.

Das „Ob“ der Zulässigkeit einer Kündigung ist die eine Frage, das „Wie“ nach einer Kündigung die andere. Was ist mit Zeichnungen, Plänen, Entwicklungen des Lieferanten – darf der OEM diese nutzen? Hat der Lieferant Anspruch auf Ersatz von Werkzeug- oder Ramp up-Kosten? Was geschieht mit Material oder Rohlingen im Lager des Lieferanten? Muss an der Überleitung der Produktion auf den neuen Lieferanten mitgewirkt werden? „Die Abwicklung des Vertrages nach Kündigung ist oft nicht ausreichend geregelt“, sagt Goßler.

VW war das alles egal: Als der Streit eskalierte, kündigte man entnervt sämtliche Verträge mit Prevent und harrt jetzt der juristischen Aufarbeitung.


Die typische Abfolge von Verträgen zwischen Automobilhersteller und Zulieferer

  • Anfrage durch OEM
  • Angebot durch Zulieferer
  • Unverbindliche Absichtserklärung (auch Grundsatzvereinbarung, Nomination Letter oder Letter of Intent genannt)

Ab jetzt: rechtsverbindlich

  • Rahmenvertrag mit abstrakter Belieferungspflicht/Sukzessivliefervertrag/Dauerliefervertrag
  • Kaufvertrag über konkrete Stückzahlen (Bestellung)
  • Eventuell zusätzlich: Entwicklungsvertrag (wenn der Lieferant das zu liefernde Teil allein oder in Zusammenarbeit mit dem OEM entwickeln soll)

Typischer Fall: es wird ein unverbindlicher Letter of Intent unterzeichnet, dann ohne weitere schriftliche Absprachen mit gemeinsamen Entwicklungen begonnen und statt eines Rahmenvertrages über die Serienbelieferung liegt nur eine unbestätigte, knappe Rahmenbestellung vor“
RA Janik Goßler, Automotive-Experte


Anja Falkenstein,
Rechtsanwältin,
Karlsruhe

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