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Rechtssicher Verträge schließen

Update zu den wichtigsten Klauseln im Vertragsrecht
Rechtssicher Verträge schließen

Rechtssicher Verträge schließen
Rechtsanwalt Professor Tobias Lenz, Vertragsrechtsexperte im Kölner Büro der Kanzlei Graf von Westphalen. Bild: privat
Das Vertragsrecht ist einem steten Wandel unterworfen. Manche Gepflogenheiten gelten zwar schon seit vielen Jahrzehnten, doch neue Fallstricke kommen im Zuge der Digitalisierung der Geschäftsprozesse und der Reform des Kauf- und Handelsrechts dazu. Und auch das weltweite Sourcing bringt ständig neue Herausforderungen rechtlicher Art.

Ob E-Mail oder Bierdeckel, ob Smart Contract oder Handschlag – ein Grundsatz des Vertragsrechts hat nach wie vor Bestand: Ein Vertrag kommt durch Angebot und Annahme zustande. Beides sind empfangsbedürftige Willenserklärungen, jede Partei muss ihren Willen gegenüber der anderen Partei äußern – ob schriftlich oder mündlich, per Mail oder SMS, ist vom Grundsatz her zunächst gleichgültig.

Liegt ein Angebot vor, sollte es laut unserem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) „rechtzeitig“ angenommen werden, sonst erlischt es. Ist die Annahmefrist nicht ausdrücklich bestimmt, kommt es auf die „regelmäßigen Umstände“ an – und die können höchst unterschiedlich sein. Wenn per Post kommuniziert wird, sind die üblichen Beförderungszeiten einzurechnen; per Mail entfallen diese. Die Entscheidungsfindung kann in großen Konzernen länger dauern als in kleinen Betrieben. Und schließlich ist auch die übliche Bearbeitungszeit zu berücksichtigen. Dies alles kann von Unternehmen zu Unternehmen stark variieren, sodass es auf die regelmäßigen Umstände innerhalb der konkreten Geschäftsbeziehung ankommt und keine allgemeingültigen Regeln oder Zeiträume aufgestellt werden können – weder „fünf Tage sind unbedenklich“ noch „nach drei Wochen ist es auf jeden Fall vorbei“. Eine verspätete Annahme eines Vertragsangebots gilt als neues Angebot, das dann wiederum die andere Partei annehmen kann, aber nicht muss.

Kaufmännisches Bestätigungsschreiben

Schweigt eine Partei auf ein Angebot, dann kann dieses Schweigen nicht als Annahme gewertet werden. Dieser Grundsatz des deutschen Zivilrechts wird jedoch durch einen bedeutenden Handelsbrauch aus den 1950er-Jahren durchbrochen: das kaufmännische Bestätigungsschreiben. Wenn der Empfänger nach abgeschlossenen Vertragsverhandlungen auf ein solches Bestätigungsschreiben schweigt, gilt der Vertrag trotzdem als mit dem dort wiedergegebenen Inhalt geschlossen.

„Ein solches Bestätigungsschreiben kann auch in einem Fax, einer E-Mail und/oder nur in einer SMS liegen, wenn es sich auf eine mündliche Vereinbarung bezieht“, erläutert Rechtsanwalt Professor Tobias Lenz, Vertragsrechtsexperte im Kölner Büro der Kanzlei Graf von Westphalen. Es müssen aber tatsächlich zeitnah abschlussreife Verhandlungen (schriftlich oder mündlich) stattgefunden haben. Wer mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens nicht einverstanden ist, muss unverzüglich nach Erhalt widersprechen. „Die erfahrenen Einkäufer kennen diese konstitutive Wirkung, die jüngeren häufig nicht mehr“, weiß Anwalt Lenz aus seiner Seminartätigkeit.

Textform

Früher war „schriftlich“ nicht anders denkbar als „auf dem Papier“. Doch gilt „schwarz auf weiß“ auch auf einem Display oder Monitor? Der Gesetzgeber hat 2001 die „Textform“ eingeführt und lässt dafür sowohl papierne als auch elektronische Dokumente gelten. So sollte man es auch vertraglich vereinbaren – individuell oder per Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Selbst wenn die schriftliche Form vereinbart ist, lässt das Gesetz die „telekommunikative Übermittlung“, also auch per E-Mail, genügen. Das dürfte erst recht gelten, wenn die gesamte Korrespondenz zwischen den Vertragsparteien per Mail geführt und dies nie bemängelt wurde.

Rechtswahl

Ein typischer Fallstrick im internationalen Kontext ist nach wie vor die Frage des anwendbaren Rechts. Wer einen Liefervertrag schließt, sollte unbedingt vereinbaren, welche Rechtsordnung für das Vertragsverhältnis gelten soll. „Einkäufer machen immer wieder den Fehler, bei Vertragsschluss mit dem Lieferanten nicht direkt auf das deutsche Recht zu bestehen“, warnt Rechtsanwalt Lenz. Vergisst man die Rechtswahl, greift innerhalb der Europäischen Union (EU) typischerweise das nationale Recht des Leistungserbringers, also des Lieferanten, außerhalb der EU gilt dann UN-Kaufrecht – beides eher unbekanntes Terrain. Da sich in Deutschland ansässige Unternehmen in der heimischen Rechtsordnung am sichersten bewegen, sollte diese die erste Wahl sein.

Sinnvolle Vertragsklauseln

Beim weltweiten Sourcen können zwei weitere vertragliche Maßnahmen die Rechtssicherheit für den Einkäufer erhöhen: die Gerichtsstandsklausel und eine Schiedsgerichtsklausel. Streitigkeiten vor einem deutschen Gericht auszutragen, spart Wege-, Anwalts- und Übersetzungskosten – Vertrauen in die deutsche Justiz vorausgesetzt. Wem dagegen die Mühlen der hiesigen Justiz zu langsam mahlen und die Öffentlichkeit deutscher Gerichtsverhandlungen nicht behagt, kann sich stattdessen an ein Schiedsgericht wenden – vorausgesetzt, diese Möglichkeit wurde vorab zwischen Einkäufer und Lieferant vertraglich vereinbart.

Cyber-Klausel

Ein echter Newcomer unter den sinnvollen Vertragsklauseln ist die Cyber-Klausel, mit der sich Einkäufer gegen das Risiko digitaler Angriffe auf die Unternehmens-IT absichern können. Die globale Supply Chain gilt als Schwachpunkt der Cyber-Sicherheit, angeblich lassen sich 60 Prozent der Attacken im Ursprung auf Teile der Lieferkette zurückverfolgen. Wer mit seinem Lieferanten eng zusammenarbeitet, tauscht Daten aus, nutzt gemeinsame Online-Plattformen, operiert in derselben Cloud. Die Cyber-Klausel formuliert Anforderungen an die IT-Sicherheit und die interne IT-Organisation beim Lieferanten, etwa den Schutz von Daten, die regelmäßige Schulung der Mitarbeiter, die technische Ausstattung. Der Siemens-Konzern verpflichtet seit einigen Monaten seine Lieferanten weltweit, Mindestanforderungen an die IT-Sicherheit zu erfüllen, und macht die Klausel für alle neuen Einkaufsverträge verbindlich. Die Sicherheit der eigenen Systeme wird damit plötzlich auch Aufgabe des Einkaufs.

Gefährliche Vertragsklauseln

Eine andere Klausel kommt immer mehr in Mode: Ship to stock, also die direkte Lieferung an das Lager. Um den Materialfluss zu straffen, verzichten Käufer beim Ship to stock auf eine gründliche und zeitaufwendige Wareneingangskontrolle. „Das wird heute oft vereinbart, im Automobilbereich zu nahezu 100 Prozent“, sagt Vertragsrechtler Lenz. Der Gesetzgeber sieht dies jedoch nicht gerne, denn er hat dem Käufer eigentlich eine Rügeobliegenheit auferlegt. Unterlässt dieser die Untersuchung der Ware und die Anzeige eines Mangels, so gilt die Ware als genehmigt und er verliert sämtliche Ansprüche auf Gewährleistung. Ship to stock ist also nicht ganz ungefährlich für den Käufer. „Deshalb sollte der Einkäufer die Chance ergreifen und seinem Zulieferer vertraglich die Warenausgangskontrolle auferlegen“, rät Tobias Lenz.

Der Verzicht auf eine Wareneingangskontrolle hat seit anderthalb Jahren noch eine andere unangenehme Komponente, die nicht alle vor Augen haben: Seit der Reform der kaufvertraglichen Mängelhaftung im vergangenen Jahr muss der Lieferant einer mangelhaften Sache, die bereits weiterverbaut worden ist, die Kosten für den Austausch übernehmen, inklusive aller Ein- und Ausbaukosten. Eigentlich eine gute Sache für das einkaufende Unternehmen, denn es kann umfassend Regress beim Lieferanten fordern. Allerdings gilt dies nur, wenn die Untersuchungs- und Rügepflicht eingehalten wurde. Aufpassen, sonst beißt sich die Katze hier in den Schwanz.


Da sich in Deutschland ansässige Unternehmen in der heimischen Rechtsordnung am sichersten bewegen, sollte diese die erste Wahl sein.“


Der Siemens-Konzern verpflichtet seit einigen Monaten seine Lieferanten weltweit, Mindestanforderungen an die IT-Sicherheit zu erfüllen, und macht die Klausel für alle neuen Einkaufsverträge verbindlich.“


Anja Falkenstein, Rechtsanwältin, Karlsruhe

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