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Wenn der Nachschub ausbleibt

Rechtsfragen bei der Insolvenz des Lieferanten
Wenn der Nachschub ausbleibt

Ein Lieferant in wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist für den Einkäufer eine Herausforderung. Es gilt, bei einer drohenden Insolvenz schnell die richtigen Schritte einzuleiten. Noch besser ist es, sich bereits im Vorfeld vertraglich abzusichern.

Global Sourcing macht es schwierig, die Zuverlässigkeit jedes einzelnen Lieferanten zu überblicken und frühzeitig zu erkennen, wenn ein Zulieferer in eine wirtschaftliche Schräglage gerät. Dabei birgt die Insolvenz eines Lieferanten viele Risiken, allen voran den Produktionsausfall im eigenen Hause wegen fehlender Teile oder Materialien. Eine Betriebsunterbrechung, zum Beispiel aufgrund einer Unterbrechung der Lieferkette, ist laut dem aktuellen Risk-Barometer 2016 der Allianz-Versicherung das am meisten gefürchtete Geschäftsrisiko weltweit; so sahen es 53 Prozent der befragten Risikoexperten aus Europa. Fällt ein Lieferant aus, können Aufträge oft nur mit erhöhtem Kostenaufwand oder mit zeitlicher Verzögerung erfüllt werden und es drohen Vertragsstrafen oder sogar Schadensersatzansprüche der eigenen Kunden.

Kein Sonderkündigungsrecht
Risikominimierung. Jedes Unternehmen sollte deshalb ein entsprechendes Frühwarnsystem entwickeln. „Sinnvoll ist es, zumindest die strategischen Lieferanten regelmäßig einem Rating zu unterziehen, wie sie von Ratingagenturen oder auch neutralen Gutachtern durchgeführt werden, unter anderem anhand von Bilanzen und der möglichen Geschäftsentwicklung in der Zukunft“, sagt Dr. Gregor Eckerth von der Unternehmensberatung Agiplan aus Mülheim an der Ruhr. Bei Verschlechterungen des Ratings müsse man die Gründe genau untersuchen und die Frequenz der Überprüfung erhöhen. Man sollte auch die Kundenstruktur des Lieferanten untersuchen, rät Eckerth: Das Risiko der Insolvenz des Zulieferers reduziere sich, wenn er nicht selbst Opfer einer Insolvenz eines anderen Kunden werde. Der Unternehmensberater empfiehlt: „Mehrere Kunden mit heterogenen Umsatzanteilen sind ideal.“ Der eigene Umsatzanteil beim Lieferanten solle unter einem Drittel liegen, damit die eigene Umsatzreduktion bei ihm nicht zu seiner Insolvenz führt. „Es ist Aufgabe des Risikomanagements, rechtzeitig Fallback-Lösungen zu entwickeln.“ Abhängig von der Wettbewerbssituation und der Auftragslage möglicher alternativer Zulieferer kann schon bei ersten Anzeichen einer Krise des strategischen Lieferanten ein Eingreifen notwendig sein.
„Mitunter müssen alternative Lieferanten bereits vorauseilend ertüchtigt werden“, so Eckerth.
Doch ganz so einfach ist es nicht, sich von insolventen Lieferanten zu trennen. Bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung muss nach deutschem Recht ein Insolvenzantrag gestellt werden. Das Gericht eröffnet nach Prüfung der Voraussetzungen das Insolvenzverfahren und bestellt einen Insolvenzverwalter. Ab diesem Zeitpunkt steht die noch vorhandene Insolvenzmasse unter einem besonderen Schutz. „Die in der Vergangenheit gern verwendete Regelung, wonach Lieferverträge bei Insolvenz des Lieferanten gekündigt werden können, ist nach jüngerer Judikatur des Bundesgerichtshofs nicht mehr wirksam“, warnt Rechtsanwalt Christian Thomas Stempfle von der Kanzlei Reed Smith in München. „Eine auf eine solche Regelung gestützte Kündigung kann Schadenersatzansprüche des Insolvenzverwalters nach sich ziehen.“
Hintergrund: Der Insolvenzverwalter hat bei laufenden Verträgen ein Wahlrecht, diese zu erfüllen oder die Erfüllung abzulehnen, wenn ihm dies sinnvoller erscheint. Der Zweck dieses Erfüllungswahlrechts ist es, die Masse zu schützen und zu mehren, womöglich das Unternehmen sogar zu sanieren. Je mehr Geschäftspartner kündigen, desto geringer werden jedoch die Sanierungschancen; das Erfüllungswahlrecht des Verwalters liefe ins Leere. Der Bundesgerichtshof hat deshalb vor einiger Zeit insolvenzabhängigen Lösungsklauseln in Lieferverträgen eine Absage erteilt. Jeder Einkäufer sollte darauf achten, dass eine solche Formulierung nicht mehr verwendet wird.
Lösungsklauseln
Wirksam sind dagegen Klauseln, die für den Fall der Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse eine Vertragsbeendigung oder ein Sonderkündigungsrecht des Geschäftspartners vorsehen; ebenso Klauseln, die nicht unmittelbar auf die Insolvenz abstellen, sondern allgemeiner auf eine Verletzung einer vertraglichen Pflicht, zum Beispiel auf den Verzug mit einer Lieferung. Möglich ist auch die Vereinbarung eines Zurückbehaltungsrechts zugunsten des Auftraggebers, wenn sich Schwierigkeiten ankündigen. „Dann kann er Zahlungen erst einmal zurückhalten, bis die Unsicherheit beim Lieferanten beseitigt ist“, sagt Jurist Stempfle. Zur weiteren Risikominimierung bei drohender Insolvenz empfiehlt Eva Kilgus, Juristin bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Karlsruhe, Vorauszahlungen an den Lieferanten nur gegen Sicherheit oder Bürgschaft zu leisten.
Besteht der Vertrag mit dem Lieferanten fort, sollte der professionelle Umgang mit der Situation im Vordergrund stehen.
Eigentum und Eigentumsvorbehalt
Agiplan-Berater Eckerth schlägt vor, unmittelbar eine Task Force zu gründen und das Gespräch mit dem Insolvenzverwalter zu suchen, um ihm die Auswirkungen des Produktionsausfalls vor Augen zu führen. „Die Leitfrage in diesem Gespräch sollte sein, was getan werden kann, damit der Lieferant den OEM zügig wieder versorgen kann.“
Scheitern all diese Versuche, treten im Rahmen des Insolvenzverfahrens Eigentumsfragen in den Vordergrund. Warenlieferungen erfolgen oftmals unter einem Eigentumsvorbehalt – etwa „Die Ware bleibt bis zur vollständigen Zahlung in unserem Eigentum.“ Hat der Lieferant die Ware geliefert, der Kunde aber noch nicht bezahlt, hat er zwar noch kein Eigentum erworben, aber ein Anwartschaftsrecht. Darauf weist IHK-Expertin Kilgus hin: „Dieses Recht ist insolvenzfest.“ Zahlt der Käufer, kann der Verwalter nichts mehr zurückverlangen.
Wer als Kunde das Eigentum an einem Gegenstand, der sich beim Lieferanten befindet, beweisen kann, kommt in den Genuss eines sogenannten Aussonderungsrechts: Der Insolvenzverwalter muss den Gegenstand herausgeben. „Wichtig ist die saubere Regelung von Rechten an Vormaterial, insbesondere des Eigentums an Werkzeugen des Auftraggebers, die für die Serienfertigung beim Lieferanten verbleiben“, sagt Jurist Stempfle. „Wenn das nicht klar geregelt ist und ein Eigentumstransfer nicht sauber stattgefunden hat, wird der Insolvenzverwalter das Eigentum an Werkzeugen nicht anerkennen.“ Stempfle rät zur Dokumentation, wann welches Werkzeug überlassen worden ist und zur Vereinbarung eines zusätzlichen Werkzeugleihvertrages. Er warnt: „Die Zahlung des Preises für das Werkzeug allein schafft keinen Eigentumsübergang.“ In dem Leihvertrag sollte eine klare Rückgabepflicht des Auftragnehmers vorgesehen werden, die nach freiem Ermessen des Auftraggebers ausgeübt werden kann. Unternehmensberater Eckerth: „Das Werkzeug kann dann bei einem anderen Zulieferer auf dessen Maschine weiter gefahren werden – sofern man mehrere Lieferanten für die spezielle Technik hat.“
Lackmustest für Vertragsdokumente
Wie gezeigt, gibt es einige Möglichkeiten, schon bei Vertragsschluss die Risiken einer Lieferanteninsolvenz zu minimieren. „Ein Insolvenzverfahren stellt häufig eine Art Lackmustest für die Vertragsdokumente dar, die der Einkäufer bisher verwendet hat, denn dann werden diese Bedingungswerke auf Herz und Nieren geprüft“, stellt Rechtsanwalt Stempfle fest. „Deshalb sollte man nie auf irgendwelche Geschäftsusancen oder mündlichen Nebenabreden bauen, denn von diesen weiß der Insolvenzverwalter nichts und wird sie deshalb auch nicht berücksichtigen.“

Anja Falkenstein, Rechtsanwältin, Karlsruhe
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