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Stahlbeschaffung in der Türkei

Stahlpreisentwicklung aktuell – eine Analyse
Stahlbeschaffung in der Türkei

In einer der vorherigen Ausgaben der Beschaffung aktuell hatten wir angekündigt, uns zukünftig auch der alternativen Stahlbeschaffung auf den Märkten Osteuropas zu widmen. Mit dem russischen Stahlmarkt hatten wir uns bereits beschäftigt. Jetzt möchten wir über einen weiteren, für deutsche Einkäufer durchaus interessanten Beschaffungsmarkt berichten, die Türkei.

Die Türkei hat sich von einem unbedeutenden Standort in den 80er-Jahren mit 2000 bis 3000 Tonnen Stahlproduktion pro Jahr zwischenzeitlich zu einem der größten Stahlproduzenten weltweit entwickelt. So rangierte die Türkei global beispielsweise 2012 auf Position 8 mit 35,9 Mio. Tonnen. In Europa ist sie damit hinter Deutschland bereits zweitgrößter Stahlproduzent, dies noch vor Ländern wie Frankreich oder der Ukraine. Über 50 Prozent dieser Produktion wird dabei exportiert.

Fünf türkische Firmen sind in der Liste der größten Stahlproduzenten der Welt laut einer Studie aus dem Jahr 2010 aufgeführt. Die Firma Erdemir, der führende Stahlhersteller der Türkei, nimmt dort den 47. Platz in der Liste der 116 produktionsstärksten Unternehmen ein. Habaş kommt mit 4,4 Mio. Tonnen auf den 72. Platz, die türkischen Stahlproduzenten iCDAŞ, Diler und Colakoglu sind auf den Plätzen 76, 108 und 110 zu finden. Mittlerweile sind türkische Stahlfirmen in den USA sogar so erfolgreich, dass die dort ansässigen Produzenten bereits Schutzzölle gefordert haben.
Die Stahlqualität genügt in einigen Bereichen mittlerweile auch den westeuropäischen Anforderungen. Dies ist Folge der massiven Investitionen der Branche, sowohl im In- als auch aus dem Ausland. So wurde in Kooperation zwischen der türkischen Kibar Holding und der südkoreanischen Posco in Kocaeli, im Westen der Türkei, ein Werk für kaltgewalzten Edelstahl errichtet. Der türkischer Stahlhersteller Tosyali-Holding hat wiederum in Partnerschaft mit der japanischen Toyo Kohan gerade den ersten Spatenstich für eine Anlage in der südlichen türkischen Provinz Osmaniye gesetzt, die Spezialstähle für eine Vielzahl von Anwendungen (Automobile, Haushaltsgeräte oder Computerprodukte) produzieren wird. Gonvarri (Spanien) hat ferner 51 Prozent des Stahlunternehmens CEPAS aus Ankara übernommen. Auch die türkischen Werke selbst haben in der jüngeren Vergangenheit stark investiert. Haba beispielsweise hat 2012 eine neue Anlage bei SMS Siemag gekauft, um in die Erzeugung von Flachprodukten einzusteigen.
Die jetzt modernen Produktionsanlagen und qualifiziertes Personal führen daher in den entsprechenden türkischen Stahlwerken auch zu einem guten Qualitätsniveau.
Grundsätzlich ist die türkische Stahlindustrie gut aufgestellt, allerdings wurde das Wachstum in den letzten zwei Jahren gebremst. In 2013 gab es erstmals seit zehn Jahren leicht rückläufige Produktionsmengen. Die Ursachen hierfür liegen in den Unruhen im Mittleren Osten und der Ukraine. Sorgen bereiten zudem auch Importe aus China, sodass am 18. Oktober 2014 ein Gesetz zur Anhebung der Importzölle erlassen wurde. Die Auswirkungen sind noch nicht wirklich absehbar, vermutlich werden aber nicht alle Nachfragerückgänge komplett kompensiert werden können. Hinzu kommen eventuell noch die oben erwähnten Schutzzölle der USA auf ausländischen Stahl. Als Folge dessen ist die Nachfrage in der Türkei zuletzt zurückgegangen. Als Einkäufer finden wir also einen Markt mit einem Angebotsüberhang, was tendenziell zu geringeren Preisen führt.
Kulturelle Unterschiede als Hindernis? Die häufig vermuteten Kommunikationsprobleme und Unterschiede in den Ansprüchen, etwa Termintreue etc., sind bei genauerer Betrachtung deutlich geringer als man gemeinhin annimmt. Aufgrund der engen Verbindungen der letzten 60 Jahre zwischen der Türkei und Deutschland gibt es in vielen Unternehmen – insbesondere im Vertrieb und Projektmanagement – qualifizierte deutsch- oder englischsprachige Mitarbeiter. Diese haben häufig mehrere Jahre im Ausland studiert und Berufserfahrung gesammelt und kennen die Anforderungen internationaler Kunden bestens.
Des Weiteren gibt es auch einige kleinere Handelsunternehmen in Deutschland, die sich auf türkische Stahlexporte spezialisiert haben. Teilweise haben diese Büros sowohl in der Türkei, um dort den direkten, persönlichen Kontakt zur Stahlindustrie zu halten, als auch in Deutschland, um den hier ansässigen Kunden einen kontinuierlichen Ansprechpartner vor Ort zu bieten. Man muss allerdings durchaus darauf achten, hier diejenigen Unternehmen herauszufiltern, die wirklich professionell arbeiten. Für Stahleinkäufer bieten sich hierbei insbesondere folgende Möglichkeiten an:
  • türkische Stahlwerke direkt kontaktieren und nach Handelsvertretern in Deutschland fragen,
  • Verbände (www.haddecilerdernegi.org; www.tucsa.org; www.yisad.org.tr),
  • Deutsch-Türkische Industrie- und Handelskammer (www.dtr-ihk.de).
Die Türkei ist ein interessanter Beschaffungsmarkt für verschiedene Stahlsorten. Aufgrund der aktuellen Lage sowie der grundsätzlich geringeren Lohnkosten lassen sich vermutlich auch die höheren Frachtkosten oftmals kompensieren.
Wie in fast allen Beschaffungsmärkten gilt aber auch hier, dass man nicht von heute auf morgen eine funktionierende Lieferkette aufbauen kann, die unmittelbar Kosten erspart. Es muss ein gewisser Anfangsaufwand einkalkuliert werden, der vermutlich auch den einen oder anderen Besuch bei möglichen Lieferanten erforderlich macht. Denn insbesondere der persönliche Kontakt spielt hier eine größere Rolle, als deutsche Einkäufer dies regelmäßig gewohnt sind. Wenn man jedoch erst einmal zusammen einen „çay“, einen türkischen Tee, getrunken hat, ist die Vertrauensbasis erfahrungsgemäß gleich viel größer.
Stahlpreisentwicklung 2015. Grundsätzlich erwarten wir für 2015 eine Seitwärtsbewegung der Stahlpreise. Schwankungen werden relativ gering und nur kurzfristig ausfallen. Grundsätzlich bewegen wir uns auf einem stabilen Preisniveau. Große Nachfragesteigungen sind genauso wenig zu erwarten wie deutlich rückläufige Angebotsmengen. Preisveränderungen ergeben sich daher höchstens punktuell.
Was passiert allerdings, wenn die Rohstoffpreise (Kohle, Erz) wieder anziehen? Die Stahlhersteller konnten das aktuelle Stahlpreis-Niveau schon seit längerer Zeit realisieren, auch schon vor einigen Monaten, als die Rohstoffkosten noch höher waren als aktuell. Sollten die Erz- und Kohlepreise also wieder anziehen, besteht vermutlich noch ein ausreichender Puffer, bis sich spürbare Auswirkungen auf die Stahlpreise ergeben.
Wann genau dieser Punkt erreicht sein wird, lässt sich nicht vorhersagen. Aber selbst wenn demnächst der Erzpreis mal wieder um 10 USD oder 20 USD je Tonne steigen würde, bestünde für Stahleinkäufer kein Grund, deshalb „nervös“ zu werden.
Zusammenfassend gehen wir von konstanten Stahlpreisen aus. Nach oben wird es kaum Bewegung geben. Bei weiter sinkenden Rohstoffkosten wären in einigen Bereichen ggf. noch weitere Preissenkungen möglich.
Mehr zum Thema „Stahl und Stahlbeschaffung“, insbesondere auch zu den aktuellen Stahlpreisentwicklungen, finden Sie auf www.stahl-kompakt.de.
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