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Die Bundesregierung braucht eine Task Force „SCM“

Über den professionellen Umgang mit (Schein-)Monopolisten
Die Bundesregierung braucht eine Task Force „SCM“

Die Bundesregierung braucht eine Task Force „SCM“
Thomas Mademann, Geschäftsführer, GMVK Procurement Group (Essen), www.gmvk.de, über den Umgang mir Monopolisten.

Umgang mit Monopolisten? Gängiges Seminarthema für Einkäufer! In vielen Branchen  kennt man schließlich ein Ungleichgewicht an Machtverhältnissen bei Nachfrage und gesteuerter „Zuteilung“ verknappter Materialien, Güter, Rohstoffe und Dienstleistungen. Arrangieren? Kann man, muss man aber nicht.

Echte Monopole sind selten, zumeist handelt es sich um Scheinmonopolisten auf der anderen Seite. Hat man diese als solche erkannt, sind spezielle Vertragswerke oder clevere „Umgehungsstrategien“ gefragt. Wie man sich darauf einstellt, lernt man, wie gesagt, in geeigneten Seminaren … und das seit Jahrzehnten. Man darf getrost davon ausgehen, dass die Strategien der Nachfrageseite im Laufe der Zeit immer schlagkräftiger wurden.

In vielen weltweit agierenden Unternehmen gibt eine Reihe erfahrener Experten, die sich mit Zwängen und Abhängigkeiten auskennen. Einfacher Grund: Der Umgang mit (Schein-)Monopolisten ist erfolgskritisch für das Geschäft. Wer Risikomanagement professionell betreibt, hat Kalamitäten aller Art auf seiner Agenda. Er weiß, dass das Unternehmen jederzeit gewappnet sein muss, wenn die andere Seite mal wieder die Daumenschrauben anzieht bzw. wenn bestimmte „Umstände“ die Lieferketten bedrohen. Die Pandemie ist so ein Umstand – zweifellos ein ungeplanter mit drastischer Auswirkung. Der Aspekt Risikomanagement ist – endlich –  auch bei Zögerlichen in den Fokus gerückt. Wer glaubt, aussitzen zu können, hat auch beim Umgang mit (Schein-)Monopolisten schlechte Karten.

Unterwegs im „Auftrag des Bundes“!

Viele Unternehmen haben mit Ausbruch der Pandemie Task Forces gebildet. Das ist kein Akt der Verzweiflung, sondern ein Gebot der Stunde, das besagt: Analysieren, Vorausblicken, gezielt handeln und vor allem: Kräfte bzw. Expertise bündeln. Auch die Bundesregierung hat eine Reihe von Task Forces gebildet, so darf man annehmen. Die Expertise erfahrener Einkäufer, Logistiker und Supply-Chain-Management-Spezialisten ist allerdings nicht spürbar. Ich bezweifele stark, ob es reicht, sich mit den einschlägigen Beratern zu umgeben und die Beschaffung von Pandemieartikeln in die Hände vieler vermeintlicher „Experten“ zu geben. Wer da alles im „Auftrag des Bundes“ unterwegs war (wer gut abkassiert hat und sich damit brüstet) und wer für enorme Massen unbrauchbarer Ware gesorgt hat, ist eine separate Story wert.

Die Lage schreit nach „Task Force SCM“!

Mir geht es um das große Ganze – um das Management der Lieferketten. Von der Quelle bis zur Senke. Impfstoffbeschaffung inklusive. Die weltweit andauernde kritische Lage schreit förmlich nach einer „Task Force SCM“. „Patente und Monopole dürfen unter keinen Umständen den bezahlbaren Zugang oder eine ausreichende Produktion der jeweiligen medizinischen Produkte einschränken“, heißt es bei der Organisation Ärzte ohne Grenzen. Und: „Regierungen müssen dafür sorgen, dass es bei der aktuellen Forschung und Entwicklung zum Coronavirus und Covid-19 zuallererst um die Gesundheit von Menschen weltweit geht und nicht um Profite von Pharmaunternehmen.“ Stimmt! Aber freiwilliger Altruismus ist weder in der freien noch in der sozialen Marktwirtschaft ein relevanter Faktor. Schon gar nicht in der Pharmaindustrie, die selbstredend nur dann Milliarden in die Forschung investiert, wenn sich die Nachfrage einer kritischen Masse möglichst langfristig steuern lässt – bis der eigene Patentschutz ausläuft.

Forschungsdonator bevorzugt beliefern!

Auch wenn es so scheinen mag: Die Beschaffung des Impfstoffes ist keine klassische Monopolsituation. Es gibt in diesem Fall sehr wohl Alternativen. Pfizer-BioNTech, Moderna und AstraZenaca stehen die Impfstoffe Sputnik 5 (Russland) und Sinopharm (China) gegenüber. Die EU und Deutschland zeigen allerdings derzeit kein Interesse, das Beschaffungspotenzial dieser Vakzine zur Pandemiebekämpfung zu nutzen. Das sind geopolitisch begründete Fehler, die Menschenleben kosten. Lässt man diesen territorialen Machtfaktor außer Acht, dann bleibt immer noch die Frage, warum Milliarden Euro in die Impfstoff-Forschung investiert wurden, ohne die Nutznießer dieser Forschungsförderung zu verpflichten, den Donator der Forschung bevorzugt zu beliefern. Einkäufer und Logistiker (wie gesagt: erfahrene Strategen, keine bloßen Abwickler) hätten in einer Task Force ganz sicher Einspruch erhoben: „Moment mal … Das blinde Vertrauen in die segensreiche Wirkung der Allmacht von Märkten darf niemals zum Fallstrick werden! So baut man Lieferanten erst zu Monopolisten auf, die uns in gefährliche Abhängigkeit bringen.“

Diese Expertise ist da – aufeinander zugehen!

Forschungs- und Wirtschaftsförderung haben mit ihren Beschaffern bisher mangelhaft zusammengespielt. Es ist bekannt, dass staatliche Forschungsförderung nicht automatisch zu einer stabilen Supply Chain führt, insbesondere dann nicht, wenn sie sich an Akteure richtet, die dem Kapitalmarkt verpflichtet sind. Ein guter Einkäufer hätte die Angebotssituation frühzeitig bewertet (Alternativen, Preis, Kompromiss, Win-Win, Abhängigkeit, Auswirkungen, Zeitfaktor etc.) und mit allen Playern verbindliche Lieferverpflichtungen vereinbart. Er hätte Fördermittel an Lieferverpflichtungen gebunden. Er hätte auf Erfahrungen im Supply Chain Risk Management zurückgegriffen. Er hätte zur Transparenz beigetragen und stringent Prozesse und Ergebnisse bzw. Erfolge getrackt. Diese Expertise ist da. Warum gehen beide Seiten nicht endlich aufeinander zu? Die „besten“ Unternehmensleitungen müssen ihre „Besten“ in eine „Task Force SCM“ der Bundesregierung entsenden!

Auch Verbände müssen liefern!

Zugleich müssen aber auch die Einkäuferverbände BME und BMÖ dringend Fahrt aufnehmen. Kurzarbeit mag verständlich sein, ist aber ein fatales Signal. Die Chance wurde schon auf dem langen Weg zum Lieferkettengesetz verpasst. Pressemeldungen und Handlungsempfehlungen reichen nicht. An Lobbyarbeit geht kein Weg vorbei, wenn man Mission und Mitglieder hat. Die Verbände werden gebraucht – jetzt!

Der Autor:
Thomas Mademann
Geschäftsführer
GMVK Procurement Group (Essen)
www.gmvk.de


Tipps:

Wie geht der Einkauf mit (Schein-)Monopolisten um?

Einkaufen ist immer dann einfach, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt und es sich bei den Produkten um Commodities handelt. Wenn Artikel in vergleichbarer Spezifikation und Qualität durch verschiedene Hersteller angeboten werden. Der erste Schwierigkeitsgrad entsteht, wenn zwar das Angebot oder die Fertigungskapazität die Nachfrage übersteigt, aber Produkte verschiedener Hersteller nicht ohne weiteres substituierbar sind. Hier hilft der enge Schulterschluss mit der Technik. Bei echten Monopolen wird es freilich komplizierter. Das ist die Königsdisziplin des Einkaufs. Ist die Abhängigkeit einseitig, gibt es keine schnelle Hilfe, aber sehr wohl verschiedene mittelfristige Handlungsoptionen. Welche bieten sich an?

  • Fast immer gibt es irgendwo auf der Welt eine Alternative. Intensives Beschaffungsmarketing ist eine dauerhafte Pflicht, die nicht mit dem Projektabschluss endet.
  • Gibt es keine Alternative, dann bietet sich die Rückwärtsintegration der monopolistischen Wertschöpfungsstufe entweder inhouse oder mit neu aufzubauenden Partnern an. Da Monopolisten häufig hoch rentabel sind, ist dieser Ansatz mittelfristig erfolgsversprechend.
  • Was wäre, wenn der Monopolist dauerhaft ausfallen würde? Mit dieser Überlegung gewinnt man die Kollegen der Technik. Man muss zwar umkonstruieren, wird aber wieder handlungsfähig. Oft gibt es technologische Alternativen: Wasserstrahl statt Laser, Kleben statt Verschrauben, Elektromotor statt Hydraulikantrieb.
  • Man trennt sich von eigenen Sortimenten, die man nur mit Hilfe „unfreundlicher“ Monopolisten anbieten kann. Also besser einmal kurz als ständig leiden.
  • Auch ein Bluff kann helfen! Mitunter gelingt es, Monopolistenbedarfe über Handelskanäle, Verwerter etc. zu beschaffen. Gelingt das, kann man durchaus mit Bestellungen aussetzen, wenn der Monopolist wieder einmal die Zuteilungen rationiert und die Preise erhöht. Oft kommt man so wieder auf Augenhöhe mit dem Monopolisten.
  • Alle Handlungsoptionen gegenüber Monopolisten funktionieren freilich nur, wenn der Einkauf nicht das Bestellbüro ist, sondern wenn er als Manager der externen Dienstleistung zu agieren (nicht zu reagieren) versteht – und wenn er dann auch wahrgenommen und akzeptiert wird.
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