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Argumente für und gegen eine deutsche Gesetzgebung zur Regulierung von Lieferketten

Lieferkettengesetz
Lieferkettengesetz – Pro und Contra

Lieferkettengesetz – Pro und Contra
Meinungen zur geplanten Einführung des Lieferkettenkettengesetzes: Pro und Contra. Bild: Kateryna Kovarzh/stock.adobe.com

Die Einführung des Lieferkettengesetzes ist in der deutschen Industrie nicht unumstritten. Während die einen drauf drängen, „Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden im Rahmen der globalen Geschäftstätigkeit von deutschen Unternehmen effektiv zu reduzieren und den Rechtsschutz der Betroffenen zu verbessern“, stellen andere die Frage, wie sehr deutsche Firmen überhaupt haftbar gemacht werden können für das, was Unternehmen in fernen Ländern tun. Wir haben Vertreter beider Seiten um ein Statement gebeten.

In Deutschland hat die Regierung bislang am Prinzip der freiwilligen Unternehmens-Verantwortung beim Menschenrechtsschutz festgehalten. Allerdings wurde im Nationalen Aktionsplan (NAP) für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 festgehalten, dass falls eine Überprüfung im Jahr 2020 zu dem Ergebnis käme, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werde man eine gesetzliche Regelung durchsetzen und sich für eine EU-weite Regelung einsetzen. Die im Juli 2020 veröffentlichten Endergebnisse der Überprüfung des Aktionsplans zeigten deutlich, dass nur 18 Prozent der Unternehmen die Vorgaben erfüllt hätten. Daraufhin wurde verkündete, dass nun die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag greife und man Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz beschließen werde.

Die Einführung ist umstritten. Wir haben Vertreter beider Seiten gefragt, wie ihre Sichtweise und Argumentation aussieht. Yvonne Jamal, Vorstandsvorsitzende des JARO Instituts für Nachhaltigkeit und Digitalisierung e. V., steht für die Befürworter der Gesetzgebung. Dipl.-Ing. Wilfried Krokowski, Geschäftsführer der Global Procurement Service, vertritt einkäuferseitig die Gegner des Gesetzes. Er besitzt langjährige Erfahrungen im Bereich Global Sourcing und weiß um die Schwierigkeiten in internationalen Lieferketten.

Uns interessiert auch Ihre Meinung zu diesem Thema. Schicken Sie uns Ihren Kommentar per Mail an: ba.leserbrief@konradin.de

 

Das Lieferkettengesetz – ProDer Weg zur Nachhaltigkeit Das Lieferkettengesetz – Contra
Der Weg in die Unmündigkeit
Ihr habt die Macht – macht was draus!“ Das ist unser Aufruf an alle Einkaufsverantwortlichen. In den kommenden 10 Jahren entscheiden wir, ob auch die nachfolgenden Generationen noch einen lebensfähigen Planeten vorfinden werden. Einkäufer haben gegenüber den meisten Menschen einen entscheidenden Vorteil: Sie tragen die Verantwortung für Milliardenaufträge, die sie an Lieferanten auf der ganzen Welt vergeben. Sie können mit ihren nachhaltigen Einkaufsentscheidungen die Welt tatsächlich verändern. Viele Beschaffer haben dieses Potential für mehr Nachhaltigkeit und die eigene Positionierung bereits erkannt. Mit dem „Sorgfaltspflichtengesetz“ (Lieferkettengesetz) der Bundesregierung, erhalten sie für das Mandat der Geschäftsführung zur Implementierung einer nachhaltigen Beschaffung nun zusätzlichen rechtsstaatlichen Rückenwind.
Es sind die Einkäufer, die entscheidende Weichen für eine nachhaltige Entwicklung stellen können. Sie sind diejenigen, die Lieferanten auswählen, bewerten, entwickeln und sie eventuell auch wieder ausschließen. Sie formulieren die Beschaffungsstrategie und schärfen die Bedarfe ihrer internen Kunden. Kein Unternehmen kann ohne eine nachhaltige Beschaffung und eine verantwortungsvolle Lieferkette glaubwürdig nachhaltig sein. Nie hatten Einkaufsabteilungen eine größere Chance, aus dem eigenen Unternehmen heraus‧ echte Werte für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt zu schaffen als jetzt. Der Einkauf hat die Macht: Er kann existenz‧sichernde Löhne durchsetzen und dadurch Ausbeutung und Kinderarbeit vermeiden. Er kann den ökologischen Fußabdruck im gesamten Wertschöpfungsprozess ermitteln und im Sinne der Kreislaufwirtschaft nachhaltig reduzieren.
Gesetzliche Freiheiten, niedrige Arbeitslöhne und damit potenzielle Effizienzsteigerungen, locken Unternehmen seit Jahrzehnten in den globalen Süden. Doch die scheinbar perfekte Lösung zeigt zunehmend ihre Schattenseiten in Form von Kinderarbeit, unzumutbaren Arbeitsbedingungen, Landraub, Korruption, Umweltverschmutzungen u. v. m. Die Organisation Shiftproject hat ermittelt, dass in den globalen Lieferketten mehr als 450 Millionen Menschen beschäftigt sind. Berücksichtigt man noch deren zu versorgende Familienmitglieder, so kann eine nachhaltige Beschaffung das Leben von mehr als zwei Milliarden Menschen verbessern und mit existenzsichernden Löhnen zu 11 der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen beitragen. Welche andere Funktion im Unternehmen kann solch ein Wert(e)schöpfungspotential vorweisen?
Die Bundesregierung kommt mit dem geplanten Sorgfaltspflichtengesetz ihren internationalen Verpflichtungen nach und kann damit außerdem bei dem Gesetzesvorhaben auf europäischer Ebene wichtige Impulse setzen. 65 renommierte deutsche Unternehmen, darunter z. B. Vaude, Tchibo, Rewe und Hapag-Lloyd, unterstützen das Gesetzesvorhaben. Andere argumentieren empört: Man könne doch in diesen globalisierten Zeiten seine Lieferketten nicht komplett kennen! Das halte ich für fatal. Warum denn nicht? Der Einkauf hat damit die Chance, frühzeitig Risiken und Innovationspotenziale zu identifizieren. Fehler in Vorprodukten und Einsparpotentiale in der Fertigung werden bereits seit langem in der Lieferkette erfolgreich im Detail‧ analysiert. Viele Unternehmen haben bereits ein aussagefähiges Risikomanagement implementiert, das nun um die Menschenrechte und den Umweltschutz erweitert werden muss. Das ist kein Hexenwerk. Das ist machbar. Unterstützung dafür gibt es nicht nur von der Bundesregierung mit dem speziell hierfür etablierten NAP Helpdesk, sondern auch von engagierten NGOs, die bereits über enorme Daten verfügen und aktiv eingebunden werden sollten. Neue Technologien und wissenschaftliche Modelle sind ebenfalls wichtige Helfer. Teilen Sie Ihre Erfahrungen in Brancheninitiativen und arbeiten Sie mit ihren Stakeholdern gemeinsam an der Umsetzung. Diese muss nicht sofort perfekt sein, aber engagiert, fair und transparent. Sie haben die Macht, machen Sie was draus! Jetzt!
Um es vorwegzusagen, kein klar denkender Einkäufer oder eine Einkaufsabteilung wird wissentlich Kinder- oder Sklavenarbeit, lebensgefährdende Produktionszustände oder sonstige moralisch und ethisch verwerfliche Arbeitsbedingungen durch seine Einkaufspolitik, weder aktiv noch passiv, unterstützen.
Das geplante Lieferkettengesetz mag vielleicht harmlos klingen, ist allerdings in seiner konsequent angedachten Anwendung ein gravierender Eingriff in eine weltoffene Wirtschaftspolitik und wird zum weiteren Standortnachteil des Wirtschaftsstandortes Deutschland führen. Naive Politiker und Verbandsvertreter meinen durch bürokratische Regelungen die Welt positiv verändern zu können. Der Effekt wird gleich null sein, allerdings wird der deutschen Wirtschaft ein weiterer Klotz ans Bein gebunden.
Schon im Jahr 2004 hat sich auf Initiative des Miele-Einkaufs meine Organisation zur freiwilligen Selbstverpflichtung nach SA 8000 bekannt. All unsere Einkäufer wurden in dieser Richtung geschult und sensibilisiert, dies galt und gilt besonders für die Einkäufer in China und Indien. Dieser Vorgang ist kein Einzelfall und in vielen Firmen, die ich in den über 40 Jahren meiner aktiven Berufszeit kennengelernt habe, sind genauso vorgegangen. Über 20 Einkaufsreisen habe ich nach Asien begleiten und koordinieren dürfen, kein Einkäufer ist mir untergekommen, den dieser Sachverhalt unberührt ließ. Viele Lieferantenbeurteilungen sehen in ihrer Bewertung die soziale Lage und Situation im Unternehmen vor, ein grober Verstoß führt in der Regel zum Ausschluss des Lieferanten an der weiteren Qualifikation. Ein wesentlicher Pfeiler eines praktizierten Lieferantenmanagements ist die analytische Betrachtung des Lieferantenumfeldes, dazu gehören eben auch die Zustände in den Fabriken.
Hier genau kommen wir auf den Punkt der unterschiedlichen Sichtweisen. Während Politiker, Behörden und Institutionen in Kategorien einer öffentlichen Vergabeverordnung denken, in denen versucht wird, juristisch alle möglichen Belange abzudecken, obliegt dies in der freien Wirtschaft und Industrie den Geschäftsführungen/Management mit ihren gut ausgebildeten und aufgestellten Einkaufsbereichen.
Nirgendwo ist die Effektivität so schlecht, wie im öffentlichen Vergaberecht. Diese liegt nicht an den Einkäufern, die in der Regel mehr wollen aber gehindert werden durch bürokratische Vorgaben, sondern an dem Umfeld. Politiker, Juristen und Beamte meinen, dass man in Verordnungen und Vorschriften alles regeln kann und wenn es keine Regel gibt, dann muss schnellstens eine neue erstellt werden. Die Konsequenz daraus ist, wie mir Einkäufer aus dem öffentlichen Vergabewesen berichtet haben, dass ihr Haus lieber von einer aktiven Einkaufspolitik Abstand nimmt und Juristen und externe Organisationen mit der Durchführung von Ausschreibungen und Einkaufsverhandlungen beauftragt. Gibt es eine größere Bankrotterklärung?
Die größten Probleme sind immer verbunden mit den öffentlichen Vergaben wie: Flughafen Berlin, Autobahnmaut Toll Collect, Hamburger Elb-Philharmonie, Vergabe der Aufträge für Mundschutzmasken im Rahmen CoVid 19, Bundeswehraufträge und viele, viele andere mehr. Wäre hier ein professionelles Einkaufen nach industriellem Muster (im Verbund mit einer ordentlichen Geschäftsführung und Betriebscontrolling) zum Einsatz gekommen, gäbe es diese Probleme und Verschwendung von öffentlichen Steuereinnahmen nicht.
Mit einer Gesetzesnovelle allein wird es nicht getan sein. Darauf folgen der Aufbau neuer Behörden und die Einforderung von unendlich vielen Dokumenten und Zertifikaten. Einer verschlankten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft wird dies nicht dienlich sein. Ferner wird dem Denunziantentum Tür und Tor geöffnet.
Interessant ist auch die Aussage der Initiative, dass dem Verbraucher allein die Verantwortung nicht überlassen werden kann. Wer ist der Verbraucher, ein unmündiges Kleinkind?
Dies alles lässt einen zu der Meinung kommen, dass das geplante Lieferkettengesetz nichts weiter als ein weiterer Schritt in eine Planwirtschaft nach dem Muster DDR 2.0 ist. Strategische Einkaufsabteilungen und deutsche Unternehmen werden mit diesem Gesetz entmündigt, ohne dass sich die Welt in Pakistan, Bangladesch, China, Afrika oder Indien ändern wird.

Yvonne Jamal, Vorstandsvorsitzende, JARO Institut für Nachhaltigkeit und Digitalisierung e. V.

Dipl.-Ing. Wilfried Krokowski, Geschäftsführer der Global Procurement Service

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Das Lieferkettengesetz verpflichtet zu mehr Kontrolle

 

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