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EU-Lieferkettengesetz : Supply-Chain-Transparenz mit Graphtechnologie

EU-Lieferkettengesetz
Supply Chain-Transparenz mit Graphtechnologie

Supply Chain-Transparenz mit Graphtechnologie
Die Lieferkette hat sich verändert und mit ihr die Anforderungen an Transparenz und Rückverfolgbarkeit. Bild: Mika Baumeister/Unsplash

Die Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Wirtschaftskrise – auf der Sorgenliste von Supply-Chain-Managern muss sich das Thema Nachhaltigkeit momentan hinten anstellen. Doch mit dem EU-Lieferkettengesetz kann sich das schnell ändern. Mit dem Gesetz rückt die Transparenz der Supply Chain wie nie zuvor in den Vordergrund – auch für die Beschaffung.

Der Einkauf widmet sich momentan dem Dringlichen vor dem Wichtigen. Laut einer Umfrage beschäftigt Unternehmen vor allem die Sicherung ihrer Lieferketten (83 %) und der wachsende Kostendruck (72 %). Das Thema Nachhaltigkeit (32 %) fällt hingegen zurück. Dabei hat das Beschaffungsmanagement eigentlich einen großen Einfluss auf die Nachhaltigkeitsstrategie. Kriterien wie die Langlebigkeit von Produkten, das Umweltzertifikat eines Händlers oder kurze Transportwege fließen verstärkt in die Entscheidungen für oder gegen einen Zulieferer ein.

Vom Tisch ist das Thema Nachhaltigkeit also nicht. Zumal auch von Seiten des Gesetzgebers der Druck steigt. So ist seit dem 1. Januar 2023 in Deutschland das Lieferkettengesetz (LkSG) in Kraft. Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden sind verpflichtet, bei all ihren Produkten strenge Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz innerhalb der gesamten Supply Chain einzuhalten. Noch schärfere Auflagen plant die EU mit ihrem im Februar 2022 vorgelegten Entwurf.

Risk Assessment: Klimaschutz und Menschenrechte

Die dynamischen und teils undurchschaubaren globalen Lieferketten stellen Unternehmen dabei vor eine Mammutaufgabe. Die Risiken, die es zu bewerten und zu entschärfen gilt, sind divers und komplex. Zudem stehen verschiedene Branchen und Hersteller vor unterschiedlichen Herausforderungen.

Für einige wird es zukünftig darum gehen, Auswirkungen des Klimawandels auf die Geschäftskontinuität abzuschwächen. Andere müssen versuchen, ihre Lieferkette auf nachhaltigere Praktiken umzustellen – angefangen bei kürzeren Transportwegen über die Nutzung erneuerbarer Energien bis hin zur Einführung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, um Abfall zu reduzieren und Material zu recyclen. Zudem wird es grundsätzlich noch wichtiger, Wertschöpfungsketten auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen, unethische Rekrutierungspraktiken, Kinderarbeit und moderne Sklaverei zu kontrollieren.

Technische Umsetzung: Graphtechnologie

KI-basierte Managementsysteme helfen, diese Prozesse neu aufzusetzen, Daten über den gesamten Lieferantenstamm hinweg zusammenzuziehen und Zulieferer im Rahmen der Due Diligence zu prüfen. Um ein solches holistisches Datenbild jedoch in die Praxis umzusetzen, braucht es spezielle Datenbanksysteme. Graphdatenbanken eignen sich hier besonders gut, um heterogene Informationen über mehrere Systeme und Datensilos hinweg zu vernetzen und in einen semantischen Kontext zu stellen. Dabei werden Objekte (z. B. Zulieferer, Hersteller) als Knoten dargestellt, die über sogenannte Kanten (z. B. Liefer- und Transportweg) miteinander verbunden sind. Beiden kann eine beliebige Anzahl von qualitativen oder quantitativen Eigenschaften zugewiesen werden– etwa die Liefermenge, der Preis oder eben auch ein Compliance-Zertifikat.

Was zunächst komplex klingt, ist im Grunde die realitätsnahe Abbildung von Lieferkette auf Datenebene. Das Schöne daran: Das Datenmodell lässt sich über das Knoten-Kanten-Prinzip flexibel erweitern. Erhält der Einkauf also neue Informationen über seine Zulieferer, können diese ohne Unterbrechung des Systems eingepflegt und für Analysen herangezogen werden.

Bild: Neo4j

Graph-Algorithmen für die Risikoanalyse

Graphdatenbanken sind dabei extrem schnell. Anders als bei herkömmlichen Datenbanken hängt die Geschwindigkeit bei Abfragen nämlich nicht von der Datenmenge ab. Entscheidend ist lediglich die Anzahl der für eine gewünschte Abfrage relevanten Beziehungen. Anwender können so bei ihrer Recherche von einem beliebigen Punkt im Lieferanten-Netzwerk aus starten und sich entlang der Kanten von Knoten zu Knoten vor und zurück bewegen. So finden Compliance-Manager beispielweise mit nur wenigen Sprüngen (sogenannte Hops) einen bestimmten Zulieferer und die mit ihm verbundenen Materialdeklarationen und vereinbarten Verhaltenskodizes.

Für Analysen und Simulationen kommen in den Graphdatenbanken unterschiedliche Algorithmen zum Einsatz. Über „Pathfinding“-Algorithmen lassen sich beispielsweise Routen in der Transportlogistik optimieren. Der Algorithmus „Betweenness Centrality“ identifiziert Flaschenhälse und zeigt, wo es bei einem plötzlichen Ausfall eines Zulieferers schnell zu Lieferengpässen kommen kann. Der Community Detection-Algorithmus wiederum deckt Auffälligkeiten innerhalb von Lieferantenaudits auf und gibt damit wichtige Hinweise, welche Zulieferer einer genauen Prüfung unterzogen werden sollten. Mit den richtigen Daten angereichert, schafft der Graph also die Grundvoraussetzung, um die im Lieferkettengesetz vorgeschriebenen jährlichen Risikoanalysen durchzuführen.

Drei Beispiele aus der Praxis

Grundsätzlich lässt sich Graphtechnologie in unterschiedlichen Bereichen entlang der Lieferkette einsetzen – von der Supplier Discovery über die Transportlogistik bis hin zur Risikoanalyse und der Compliance. Wie vielfältig die graphbasierten Systeme arbeiten, zeigen die folgenden drei Anwendungsbeispiele:

Transparency One: Lebensmittel auf dem Prüfstand

Der Supply-Chain-Experte Transparency One entwickelte eine Plattform, um Lieferkettendaten in der Lebensmittelindustrie ganzheitlich abzubilden. Über standardisierte Templates und Dashboards werden Daten von Lieferanten in der ganzen Welt abgefragt, im Graphen abgelegt und allen Mitgliedern der Lieferkette zur Verfügung gestellt. Neben allgemeinen Informationen für die Lieferantenqualifizierung fließen hier auch Daten über die Sozialverantwortung der einzelnen Zulieferer, den vor Ort getroffenen Umweltschutzmaßnahmen (z. B. Bewässerungstechniken) sowie Zertifizierungen (z. B. die RSPO, Roundtable for Sustainable Palm Oil) zusammen.

Auf dieser Basis kann das System automatisch Analysen durchführen und somit das Risiko von moderner Sklavenarbeit, dem Sourcing von Chemikalien- und Konfliktmineralien oder ökologische Missständen (z. B. Entwaldung in Brasilien) ermitteln. Die zentrale Datensicht sowie die Integration in bestehende Produktionssysteme (z. B. ERP, PLM) erlaubt eine Rückverfolgbarkeit der Inhalts- und Rohstoffe von Lebensmitteln auf Batch-Lot-Ebene.

OrbitMI: Navigieren auf den Weltmeeren

Der Logistikspezialist OrbitMI unterstützt mit seiner „Vessel Performance“-Lösung Chartergesellschaften und Reedereien, ihre Transportketten in der kommerziellen Schifffahrt zu optimieren. Das maritime Navigations-System berechnet nicht nur in Echtzeit die schnellste Route von Frachtschiffen zum Zielhafen. Anwender können via What-If-Analysen und Graph-Algorithmen auch den Kurs mit den geringsten CO2-Emissionen identifizieren und das Emissionsvolumen von Fahrten durch Sonderzonen (Emission Control Areas (ECAs)) prognostizieren.

Der Einsatz solcher Lösungen gewinnt für Logistikdienstleister und Unternehmen gleichermaßen an Bedeutung. Immerhin verursacht die kommerzielle Schifffahrt etwa eine Milliarde Tonnen CO2 jährlich und damit rund 2,5 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen. Wer es schafft, seine Flotte effizienter zu steuern, kann neben wirtschaftlichen Vorteilen (Stichwort: Kraftstoffpreise) auch die wachsenden regulatorischen Anforderungen im Seeverkehr erfüllen und als Nachhaltigkeits-Plus an seine Kunden entlang der Lieferkette weitergeben.

ScoutBee: Den richtigen Zulieferer finden

Das Berliner Startup Scoutbee entwickelte ein KI-Tool für die Lieferantensuche. Den Datenkontext liefert dafür ein Knowledge Graph, in dem Informationen über die jeweiligen Zulieferer sowie extern verfügbare Daten miteinander verknüpft sind. Die 360-Grad-Ansicht auf das Lieferantennetzwerk betrachtet die einzelnen Zulieferer nicht nur aus der Datenperspektive, sondern bezieht das gesamte Spektrum der Beziehungen sowie der darin enthaltenen Komplexität mit ein. Dank des Visualisierungstools Neo4j Bloom bleiben die globalen Lieferketten dabei überschaubar und lassen sich ohne besondere Graph-Kenntnisse von Einkäufern und Supply Chain-Managern nutzen.

Supplier Discovery. Bild: Scoutbee

Größter Mehrwert der cloudbasierten Graph-Lösung ist dabei die Performance. Die Supplier Discovery läuft bis zu 75 Prozent schneller ab. Statt einer langwierigen und mühsamen Suche, die bis zu  sechs Monate dauern kann und 100-180 Arbeitsstunden in Anspruch nimmt, können Hersteller einen passenden Partner bereits nach sechs Wochen mit deutlich weniger Arbeitsaufwand (8-10 Stunden) ausfindig machen.

Fazit

Unabhängig vom Einsatzgebiet und regulatorischen Auflagen: Der datengetriebene Ansatz im Supply Chain Management und im Einkauf wird für Unternehmen zum wichtigen Instrument. Die Lieferkette hat sich nachhaltig verändert und mit ihr die Anforderungen an Transparenz und Rückverfolgbarkeit. Dabei geht es nicht nur darum, Risiken entlang globaler Lieferketten frühzeitig zu identifizieren, sondern diese auch zu managen. Technologien rund um Graphdatenbanken, ML und KI sind dafür Grundvoraussetzung, um Beschaffungsprozesse sowohl zukunftsfähig als auch nachhaltig zu gestalten.

Bild: Stefan Kolmar

Der Autor:

Stefan Kolmar
leitet seit 2015 bei Neo4j als Vice President das Field Engineering für die Regionen EMEA und APAC.

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