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Interview mit Thomas Obermeyer: „Ein klarer Trend zur Individualisierung“

Interview mit Thomas Obermeyer und André Kranz
„Ein klarer Trend zur Individualisierung“

In der Logistik und der C-Teile-Zulieferung tut sich einiges − auch bei Keller & Kalmbach. Wir haben mit Thomas Obermeyer, Geschäftsführer Vertrieb, und André Kranz, Leiter Marketing und Produktmanagement, über aktuelle Trends gesprochen.

Beschaffung aktuell: Warum ist C-Teile-Management trotz der geringen Teilekosten ein wichtiges Unternehmensthema?
Thomas Obermeyer: Mit dem geringen Artikelwert von C-Teilen gehen normalerweise überproportional hohe Kosten bei Beschaffung, Lagerung und Bereitstellung einher. Das C-Teile-Management setzt genau hier an, mit dem Ziel der Prozessoptimierung. Neben hohen Prozesskosten spielt aber auch der Faktor Zeit sowie die Versorgungssicherheit eine Rolle.

Beschaffung aktuell: Dieses Jahr feiert Ihr Unternehmen 140-jähriges Bestehen. Wie hat sich die C-Teile-Belieferung in dieser Zeit verändert?
Obermeyer: Die Entwicklungs- bzw. Innovationszyklen haben sich immens verkürzt. In unseren ersten 100 Jahren gab es – außer technischen Fortschritten bei Produkten, der Verbesserung der Produktqualität und der damit verbundenen Einführung von Qualitätssicherungssystemen – kaum Änderungen in der Kundenbelieferung. Wir sprechen hier vom „klassischen Bestell- und Lieferprozess“. Das bedeutet, der Kunde hat schriftlich oder telefonisch bestellt, woraufhin die bestellten Artikel angeliefert und eingelagert wurden.
1987 haben wir das erste Kanban-System eingeführt: Ein 2-Behälter-System bei Siemens, wobei zwei Behälter mit gleichen Artikeln hintereinander im Regal stehen. Sobald der erste leer ist, rückt der zweite Behälter nach. Der leere Behälter ist somit die Bestellauslösung. Der Fokus lag weniger auf dem Prozess als auf den Artikelbedarfen an sich. Die Systeme blieben über circa 15 Jahre hinweg mehr oder weniger unverändert.

Beschaffung aktuell: Wie ging es nach der Jahrtausendwende weiter?
Obermeyer: Zwischen 2000 und 2010 rückte der Materialfluss in den Mittelpunkt. Anforderung war nun die Lieferung in Kanban-Kreisläufen und die dezentrale Bereitstellung der Artikel. Die Kanbansysteme wurden in der Zeit immer ausgefeilter. Der C-Teile-Anbieter entwickelte sich vom „bloßen“ Lieferanten hin zum Partner.
Die Jahre 2010 bis 2015 waren geprägt von Innovationen in der Datenübertragung und neuen Logistiksystemen sowie einer Ausweitung des Produktprogramms. Das Sortiment wurde also tiefer und breiter. Bei den neuen Technologien sind vor allem RFID-Systeme und Bluetooth-Low-Energy-Lösungen zu erwähnen. Die Bedarfsauslösung erfolgt hier zum Beispiel durch Drehen eines Behälters, Durchfahren eines Gates, den Einwurf eines Behälters oder eines Etiketts in eine RFID-Box oder durch Erreichen des Mindestgewichts eines Behälters.
Seit circa 2016 stellen wir eine Entwicklung vom „Problemlöser“ hin zum „Problemverhinderer“ fest. Das heißt: Der proaktive Informationsaustausch spielt eine größere Rolle ebenso wie eine automatisierte Warenbewirtschaftung inklusive Einbindung weiterer Lieferanten. Es wurden erste Systeme mit bidirektionalem Datenaustausch in Betrieb genommen, sodass etwa direkt am elektronischen Etikett zu sehen ist, ob die Ware schon unterwegs ist. Aber auch neue Aspekte wie die Inhouse-Logistik gewinnen an Bedeutung, also die interne Nachschubsteuerung. Für all diese Anforderungen bieten wir mit eLogistics bereits seit 2016 eine Lösung an. Ergänzend zu den systembezogenen und technischen Weiterentwicklungen zeigt sich, dass Transparenz, Stichwort „Online-Statistik-Tool“, immer wichtiger wird, mehr und mehr Produkte über eine einheitliche Lösung abgewickelt werden sollen und die Qualitätsanforderungen permanent gestiegen sind.

Beschaffung aktuell: Wie sieht es mit den künftigen Veränderungen auf dem Weg zu Industrie 4.0 aus?
André Kranz: Vernetzung und Austausch sind die wichtigen Elemente von Industrie 4.0. Die intelligenten, vernetzten Produktionsanlagen tauschen Daten direkt in Echtzeit aus. Die Maschinen und Anlagen organisieren und koordinieren Abläufe mit IT-Systemen selbst. Der Austausch endet selbstverständlich nicht in der Produktionshalle, sondern bezieht auch uns als C-Teile-Lieferant mit ein. Das heißt, dass wir unsere Kanbansysteme noch weiter digitalisieren, um nicht nur Anlieferung und Bereitstellung im „Normalfall“ leisten zu können, sondern auf Spitzenbedarfe und Ausfälle besser und direkter zu reagieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Digitalisierung von Dienstleistungen, den sogenannten Smart Services. Hierzu gehört zum Beispiel die aktive Information über notwendige Veränderungen im Belieferungssystem oder Wegoptimierungen durch veränderte Platzierungen oder gar der Wechsel eines Artikels in ein anderes Belieferungssystem.

Beschaffung aktuell: Was sehen Sie als besondere Herausforderungen bei der Umsetzung von Industrie 4.0 im C-Teile-Management?
Obermeyer: Herausforderung ist die Digitalisierung der Supply-Chain an sich – und zwar über alle beteiligten Partner hinweg. Darüber hinaus spielt die Skalierbarkeit der Lösungen eine wichtige Rolle sowie die ständige Zugriffsmöglichkeit auf die Daten – möglichst in Echtzeit. Wir sehen in der Zusammenführung der verschiedenen Beteiligten sowie der Datenqualität eine große Herausforderung, der wir uns aber bereits heute stellen. Letztlich sehen wir hier die Chance für eine kontinuierliche Verbesserung von Produkt und Dienstleistung und damit in der Betreuung unserer Kunden. Oberstes Ziel sind Versorgungssicherheit und schlanke, effiziente Prozesse. Als einen der wichtigsten Bausteine sehen wir die Einbindung unserer Mitarbeiter, da sie letztlich dafür Sorge tragen, dass die Herausforderungen bewältigt werden.

Beschaffung aktuell: Wie ist Ihr Unternehmen in puncto Digitalisierung aufgestellt?
Obermeyer: Keller & Kalmbach ist sich bewusst, wie wichtig die digitale Transformation für das Unternehmen ist. Es sind bereits Projekte angelaufen. Angefangen beim hochgradig automatisierten Lager mit Palettier-Roboter für die kundenspezifische Palettierung der Kanbanbehälter über die fortschreitende Digitalisierung der Logistiksysteme inklusive IT-Plattform „eLogistics“ für eine automatisierte Warenbewirtschaftung bis hin zur IT Strategie 2025, die Grundlagen für eine erfolgreiche Ausrichtung schaffen soll.
Zur Koordination all dieser Maßnahmen wurde die neue Stelle des Chief Digital Officers geschaffen, der direkt der Geschäftsführung unterstellt ist. Die Transformation wird niemandem aufgedrückt und schließt alle Mitarbeiter mit ein. Viele der Digitalisierungsprojekte laufen deshalb dezentral.

Beschaffung aktuell: Welche Strategie verfolgen Sie dabei?
Obermeyer: Weltweit sollen für unsere Kunden dieselben Lösungen verfügbar sein – daher ist die Ausrichtung auf die Cloud und das Herauslösen dieser Services aus den ERP-Systemen für uns so wichtig. Unsere IT-Strategie macht uns noch flexibler und erhöht noch die Ausfallsicherheit, die durch das Outsourcen der Rechenzentren schon bei über 99,9 Prozent liegt. In der Cloud hat man auch andere Auswertemöglichkeiten, zum Beispiel bei Machine Learning und Künstlicher Intelligenz, die wir mittelfristig als Benefit an unsere Kunden weitergeben können.
Die digitale Transformation muss immer auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtet werden. Eine beständige Automatisierung von Routineprozessen bezweckt immer, noch mehr Zeit für unsere Kunden zu haben – wer neue Technologien nur nutzt, um Personal abzubauen, wird unseres Erachtens den gestiegenen Kundenanforderungen nicht mehr gerecht werden können.
Kranz: Eine wichtige Rolle für die Digitalisierung spielen die benötigten Daten. Hier sind wir dabei, ein Masterdata-Management-System inklusive Produktinformationssystem (PIM) einzuführen, um die Qualität dieser Daten noch zu steigern. Aber wir treiben auch den Ausbau des Datawarehouses voran, um den gestiegenen Anforderungen an Analysen und Data Science gerecht werden zu können.
Darüber hinaus führen wir gerade ein neues, sogenanntes xCRM-System ein. Es umfasst nicht nur die Abbildung der Beziehung zu unseren Kunden und umgekehrt, sondern auch alle möglichen Konstellationen der Zusammenarbeit mit Lieferanten und Partnern.
Zuletzt ist unsere neue Webpräsenz zu nennen: eine Kombination aus Onlineshop und klassischer Website, auf Basis der eCommerce-Plattform SAP Hybris. Deren modulare und offene Softwarearchitektur ist skalierbar und flexibel für zukünftige Anforderungen.

Beschaffung aktuell: Was verbirgt sich hinter eLogistics?
Obermeyer: Unser Service eLogistics ist eine intelligente Software-Plattform zur automatisierten Warenbewirtschaftung. Sie erleichtert die Steuerung aller Material- und Informationsflüsse von Artikeln mit wiederkehrenden Bedarfen. In eLogistics werden alle relevanten Informationen gebündelt und ausgewertet. Eine Besonderheit ist der bidirektionale Datenaustausch. Hierbei werden Daten nicht nur monodirektional, also Bestelldaten zum Lieferanten gesendet, sondern auch gezielt zurückgespielt. So wird beispielsweise die Liefermeldung direkt auf dem Transponder am Kanban-Behälter angezeigt.
Neben unserem Produktportfolio können auch Artikel von weiteren Lieferanten in die automatisierte Warenbewirtschaftung integriert werden. Es werden sämtliche Bestellungen geprüft, verarbeitet und automatisch an die angebundenen Lieferanten weitergeleitet. Rückmeldungen der Lieferanten werden ebenfalls zentral verarbeitet. Diese Integrationsmöglichkeit stößt auf großes Interesse bei unseren Kunden, da kleine und große Lieferanten auf ein- und derselben Plattform in die Supply-Chain integriert werden.
eLogistics ermöglicht neben der werksinternen Materialversorgung auch die Steuerung einer mehrstufigen Fertigung unter Berücksichtigung des Pull-Prinzips.

Beschaffung aktuell: Wie profitiert der Kunde davon?
Kranz: Der Kunde nutzt, wie zuvor beschrieben, nur noch eine Logistikplattform für die automatische Bewirtschaftung aller Artikel – und das wahlweise auch an unterschiedlichen Bedarfsorten. Durch die Mehrlieferantenfähigkeit wird eine extrem große Artikelvielfalt geboten – letztlich abgestimmt auf die Bedarfe der Kunden. Außerdem kann der Kunde die Inhouselogistik damit steuern. Das System kann an bestehende ERP-Systeme angebunden werden und führt Plausibilitätsprüfungen durch. Es erkennt fehlende Behälter und defekte Transponder sowie unlogische Bestellungen. Die Transponder sind zehn Jahre energieautonom. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist die Skalierbarkeit von eLogistics. Diese ermöglicht jederzeit die Möglichkeit für Erweiterungen.

Beschaffung aktuell: Welche Trends sehen Sie zukünftig in der Belieferung von Industriekunden?
Obermeyer: Es zeigt sich bei unseren Kunden ein klarer Trend zur Individualisierung der Produkte. Also eine Tendenz zur sogenannten Losgröße 1. Sie kommt einer Sonder- bzw. Individualfertigung eines Produkts gleich. Wirtschaftlich fertigen lässt sich nur mit modernen Fertigungsverfahren. Für uns liegt die Herausforderung jedoch in der steigenden Teilevielfalt sowie den schwer planbaren Bedarfsveränderungen. Hier ist Flexibilität gefordert. Modulare C-Teile-Lösungen und Produkt- und Beschaffungs-Know-how auf Weltmarktbasis sind hier von Vorteil.
Ein weiterer Trend ist die Verkürzung der Produktlebenszyklen und der „Time to Market“. Das ist eine Herausforderung für Reaktionszeiten sowie die Beschaffung und Bereitstellung von Artikeln, aber auch hinsichtlich der Notwendigkeit einer schnellen Integration in Kanbansysteme oder elektronische Kataloge.
Weiterhin sehen wir derzeit verstärkt neue Player im B2B-Markt. Das sind einerseits bekannte Unternehmen wie Amazon, die mit Amazon Business in den Markt drücken, aber auch völlig neue Plattformen und Anbieter. Die verstärkte Nachfrage nach mehr Transparenz, Self-Services sowie dem systematischen Datenaustausch auf Basis standardisierter Datenformate ist aber eine Entwicklung, die sich bereits seit Jahren abzeichnet.


Das Unternehmen

Keller & Kalmbach

Der Spezialist für Verbindungselemente, Befestigungstechnik, Werkzeuge sowie

weitere MRO-Artikel ist auch Ansprechpartner, wenn es um intelligentes C-Teile-Management und Logistiklösungen geht. Das Münchner Familienunternehmen wurde 1878 gegründet und erzielte im Geschäftsjahr 2017 mit 800 Mitarbeitern einen Umsatz von 300 Mio. Euro.


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