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Digitaler Produktpass – Informationen entlang der Wertschöpfung zur Förderung von Nachhaltigkeit

Förderung von Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft
Digitaler Produktpass – Informationen entlang der Wertschöpfung

Digitaler Produktpass – Informationen entlang der Wertschöpfung
Der digitale Produktpass ergänzt die physische Produktinstanz um eine virtuelle Produktrepräsentation zur Vorhaltung von Informationen. Bild: Siarhei/stock.adobe.com

Mithilfe des digitalen Produktpasses sollen entlang der Wertschöpfungskette entstehende Informationen global bereitgestellt werden. Für Unternehmen ergeben sich durch den Informationsgewinn neue Möglichkeiten die Zirkularität in der Wertschöpfung zu erhöhen und Konsumenten können die Informationen bei Kaufentscheidungen einbeziehen. Der folgende Artikel thematisiert den digitalen Produktpass und damit einhergehende technischen Herausforderungen bei der Umsetzung.

Einer Vielzahl von Herausforderungen der heutigen Gesellschaft sind nicht durch individuelle Bemühungen und Maßnahmen einzelner Akteure zu bewältigen. Vielmehr gilt es ganzheitliche Lösungen zu finden, welche die Realität einer global vernetzen Welt berücksichtigen und miteinbeziehen. Die Idee einer solchen Lösung stellt der von der EU-Kommission ins Leben gerufene digitale Produktpass dar. Das Konzept wurde 2019 im Rahmen des European Green Deals als Instrument für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft vorgestellt.

Die durch Globalisierung entstandenen komplexen Wertschöpfungsketten erschweren den Zugriff auf die Informationen in vorangegangenen Wertschöpfungsschritten. Das Fehlen dieser ganzheitlichen Informationen bringt folgende Konsequenzen:

  • Kundenperspektive: Eine bewusst nachhaltige Kaufentscheidung kann durch einen Endkunden nur bedingt getroffen werden. Relevante Informationen (ökologische und soziale Kennzahlen mit Bezug auf die gesamte Wertschöpfungskette) werden nicht vertrauenswürdig zur Verfügung gestellt.
  • Unternehmensperspektive: Die Erhaltung bestehender Ressourcen in einer Kreislaufwirtschaft wird durch das Fehlen relevanter Informationen erschwert. Als Beispiel können fehlende Anleitungen zur Durchführung von Reparaturen genannt werden. Ein weiteres Beispiel sind das Nichtvorhandensein von genauen Materialzusammensetzungen, welche zur Optimierung von Recyclingaktivitäten genutzt werden könnten.

Der digitale Produktpass versucht diese Herausforderungen durch die digitale Vorhaltung relevanter Informationen zu lösen. Entlang der Wertschöpfungskette entstehende Informationen können global bereitgestellt und von anderen Akteuren verwendet werden. Konsumenten können diese bereitgestellten Informationen bei Kaufentscheidungen einbeziehen und für Unternehmen ergeben sich durch den Informationsgewinn neue Möglichkeiten die Zirkularität in der Wertschöpfung zu erhöhen.

Verbesserter Informationsaustausch entlang der Wertschöpfungskette

Die nachfolgende Grafik illustriert die Problematik des konventionellen Informationsflusses entlang der Wertschöpfungskette und wie dieser Informationsfluss durch den digitalen Produktpass optimiert werden kann. Der Produktpass ergänzt die physische Produktinstanz um eine virtuelle Produktrepräsentation (digitaler Zwilling) zur Vorhaltung von Informationen. Das grundlegende Prinzip wird anhand einer stark vereinfachten Wertschöpfungskette erläutert. In der Realität einer globalisierten Wirtschaft sind Wertschöpfungsketten ungemein komplexer.

Bild: AOE

Anhand der folgenden in der Grafik hervorgehobenen Bereiche kann das Konzept des digitalen Produktpasses beschrieben werden:

  • Konventionelle Wertschöpfung: Die konventionelle Wertschöpfungskette ist durch den physischen Produktfluss und einen nicht standardisierten Informationsfluss beschrieben. Die zur Herstellung benötigten Materialien und das anschließend aus diesen Materialien zusammengesetzte Endprodukt bewegen sich zuverlässig entlang der Wertschöpfungskette. Dies gilt nicht für die dazugehörigen Informationen. Eine Weitergabe der Informationen zwischen einzelnen Akteuren findet zwar statt, jedoch führt dies nicht zur Weitergabe aller während der Wertschöpfung entstanden Informationen. Insbesondere nach der Nutzung des Produktes sind viele Informationen verloren und stehen den auf den Nutzer folgenden Akteuren nicht mehr zur Verfügung.
  • Digitaler Zwilling: Dem Informationsverlust in der konventionellen Wertschöpfung soll das Konzept des digitalen Zwillings entgegenwirken. Die Grafik illustriert den durch einen digitalen Zwilling sichergestellten kontinuierlichen Anstieg an Informationen. Auf diese aggregierten Informationen können in der Wertschöpfungskette nachfolgende Akteure zugreifen – auch nach der Nutzung des Produktes bzw. am Ende des Produktlebenszyklus. Der digitale Zwilling befindet sich auf einer vertrauenswürdigen Datenablage. Zunächst reicht es diese Datenablage als abstraktes Konzept zu verstehen – im Konkreten könnte eine solche Datenablage zentralisiert durch eine vertrauenswürdige Institution oder auch dezentral durch die involvierten Akteure bereitgestellt werden. Jeder Akteur kann dem digitalen Zwilling neue Informationen hinzufügen oder bereits bereitgestellte Informationen abrufen.
    Die Verknüpfung der physische Produktinstanz und dem virtuellen Abbild erfolgt durch die Zuweisung einer eindeutigen Kennung. Diese Kennung ist auf der physischen Produktinstanz vorzufinden (z.B. in Form einer Nummer, Strichcode oder QR-Code) und dient als eindeutiger Identifikator beim Austausch von Informationen mit der vertrauenswürdigen Datenablage.
  • Produkttransparenz und erhöhte Zirkularität: Der geschaffene digitale Zwillinge und die dort abgelegten Informationen über eine Produktinstanz können nun genutzt werden, um den Akteuren entlang der Wertschöpfungskette zusätzliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Zum Zeitpunkt der Produkterwerbs stehen dem potenziellen Nutzer nun ganzheitlichere Informationen zur Verfügung, welche in die Entscheidung eines bewussten und nachhaltigen Kaufs einbezogen werden können. Andere Akteure können auf Basis der neuen Informationen mit verbesserten Prozessen und Angeboten die Zirkularität innerhalb der Wertschöpfung erhöhen. In der Grafik exemplarisch angedeutet findet sich das Rückführen von Materialien durch optimiertes Recycling auf Basis besseren Wissens über Materialzusammensetzungen. Ein weiteres Beispiel ist die Verlängerung der Nutzungsdauer eines Produktes durch Förderung von Reparaturen mithilfe der zur Verfügung gestellten Anleitungen und Hinweisen.

Der digitale Produktpass als vertrauenswürdige Ablage

Die Einordnung des digitalen Zwillings in den Prozess der Wertschöpfung wurde in vorangegangenem Abschnitt vorgenommen. Nachfolgend wird zur weiteren Verdeutlichung die Sicht auf die in einem digitalen Zwilling vorgehaltenen Daten eingenommen.

Bild: AOE

Dargestellt ist die Umschließung bzw. Verknüpfung der Daten mit der physischen Produktinstanz. Es ist anzumerken, dass es sich bei den dargestellten Daten um Beispiele handelt – je nach Produkt können unterschiedliche Daten eine Rolle spielen. Außerdem ist die Dateninteraktion der unterschiedlichen Akteure der Wertschöpfungskette am unteren Rand der Grafik angedeutet. Betrachten wir den digitalen Zwilling, so sehen wir folgende Kategorisierung der Daten.

  • Geburtsdaten: Daten, die bei Erschaffung der Produktinstanz definiert werden und sich über den Lebenszyklus des Produkts nicht verändern (statische Daten).
  • Lebensdaten: Daten, die während des Produktlebenszyklus ergänzt werden und sich während diesem auch verändern können (dynamische Daten).
  • Metadaten: Übergeordnete Daten, die anhand bereits gespeicherter Daten abgeleitet werden können oder von Akteuren der Wertschöpfungskette und autorisierten Institutionen (z.B. Zertifizierungsstellen) ergänzt werden.

Durch das Konzept der vertrauenswürdige Datenablage ist sicherzustellen, dass die gespeicherten Daten und die daraus resultierenden Informationen für Datenkonsumenten korrekt und nachträglich nicht manipulierbar sind.

Verschiedene Initiativen zur Etablierung von Standards

Der Weg vom theoretischen Konzept des digitalen Produktpasses zu Standardisierungsbemühungen und konkreten Umsetzungen wird von unterschiedlichen Initiativen vorangetrieben. Einzelne Initiativen konzentrieren sich zumeist auf konkrete Produktgruppen, Branchen oder Anwendungsfälle. So können die dort individuell vorzufindenden individuellen Gegebenheiten und Bedürfnissen berücksichtigt werden und Ergebnisse in der Praxis geschaffen werden. Dieses Vorgehen erlaubt – neben dem Hervorbringen konkreter Ergebnisse – die Möglichkeit in abgestecktem Rahmen zu wachsen und im Austausch mit anderen Initiativen von Erfahrungen und Lösungen zu lernen.

Die nachfolgende Grafik illustriert exemplarisch das parallele Existieren zweier Standardisierungsinitiativen.

Bild: AOE

Innerhalb der Initiativen befinden sich unterschiedliche Unternehmen (graue Gebäude). Von diesen Unternehmen innerhalb des Bezugsrahmens einer Standardisierungsinitiative haben einige bereits den Standard implementiert (grünes Klemmbrett) wohingegen andere Unternehmen dieser Implementierung noch nicht gefolgt sind. Zudem ist in der Grafik angedeutet wie Unternehmen, die den Standard implementieren, auf eine gemeinsame vertrauenswürdige Datenablage (dargestellt durch blauen Zylinder) zurückgreifen.

Auch wenn Standardisierungsinitiativen an unabhängigen Lösungen arbeiten, so ist die Schnittmenge der zu definierenden und umzusetzenden technischen Aspekte groß. Folgende technischen Aspekten stellen eine Auswahl dar, welche im Rahmen der Initiativen zu behandeln sind.

  • Definition von Daten, Datenformaten und Schnittstellen: Festlegung relevanter Daten und Datenstrukturen in welchen die Daten zwischen den einzelnen Akteuren ausgetauscht werden können.
  • Bereitstellung einer vertrauenswürdigen Datenablage: Erarbeitung und Umsetzung eines konkreten Konzepts für die vertrauenswürdigen Datenablage unter Berücksichtigung relevanter Anforderungen. Die Datenvorhaltung muss für den gesamten Lebenszyklus eines Produktes sichergestellt sein. Die Speicherung der Daten muss vertrauenswürdig sein: Durchgeführt durch eine zentrale vertrauenswürdige Institution, dezentral durch die datenbereitstellenden Akteure oder dezentral durch einen vertrauenswürdigen Datenspeicher (Blockchain).
  • Sicherstellung des Schutzes und der Vertraulichkeit von Daten: Die Vertraulichkeit der auszutauschenden Daten muss sichergestellt werden. Im Einzelnen muss festgelegt werden, ob gewisse Daten nur bestimmten Akteuren bereitgestellt werden sollen. Hierfür müssen – unter Berücksichtigung der konkreten Implementierung der vertrauenswürdigen Datenablage – entsprechende technische Lösungen umgesetzt werden.

Die individuellen Anforderungen der einzelnen Initiativen bestimmen die konkrete Implementierung der technischen Lösung. Initiativen können auch bei der technischen Umsetzung voneinander lernen und das Herausbilden gewisser Erfolgsrezepte ist zu erwarten.

Unterschiedliche technische Herausforderungen

Die tatsächliche Umsetzung des Standards erfordert Digitalisierungskompetenzen bei den implementierenden Unternehmen: Der Umgang mit existierenden Daten und die Transformation in das durch den Standard definierte Format sind erforderlich. Diese Daten müssen über Schnittstellen bereitgestellt und technische Integrationen zum Abrufen der von anderen Akteuren bereitgestellte Informationen müssen etabliert werden. Abhängig vom Konzept der durch den Standard festgelegten vertrauenswürdigen Datenablage stellt die Persistenz und das Garantieren der Sicherheit (Cyber Security) weitere wichtige Fähigkeiten dar.

Zusätzlich werden Kompetenzen im Bereich der Softwareentwicklung benötigt, um auf den durch den Standard neu verfügbaren Daten neuartige Mehrwertdienste zu entwickeln. Unter Mehrwertdienste wird hier die konkrete Implementierung der zu Beginn des Artikels als Beispiel genannten Lösungen zur Förderung von Nachhaltigkeit (z.B. Bereitstellung von ganzheitlichen ökologischen und sozialen Kennzahlen für den Endkunden) und Erhöhung der Zirkularität in der Wirtschaft (z.B. Optimiertes Recycling durch Einbeziehung zusätzlicher Daten über Materialzusammensetzungen).

Als Grundlage für zukünftige Optimierungen und Ausrichtung an neuen Anforderungen sollten die durch die genannten Kompetenzen geschaffenen technischen Lösungen im Rahmen einer strategischen IT-Architektur erfolgen. Die nachfolgende Grafik visualisiert das grundsätzliche Prinzip und Aufgaben, die bei der Entwicklung von Mehrwertdiensten im Kontext des digitalen Produktepasses auf ein konkretes Unternehmen zukommen.

Bild: AOE

Als Grundlage für die Entwicklung eines neuen Dienstes muss eine Integration in die Datenlandschaft des entsprechenden Standards erfolgen. Diese Integration beinhaltet zwei Perspektiven: Die Nutzung der Daten anderer Akteure und die Bereitstellung der eigenen Daten.

  • Nutzen von Daten: Zur Nutzung von Daten anderer Akteure muss die technische Integration zu Schnittstellen der vertrauenswürdigen Datenablage implementiert werden (siehe in Grafik: Client).
  • Bereitstellen von Daten: Zur Bereitstellung von Daten für andere Akteure müssen die im Unternehmen vorgehaltenen Daten (siehe in Grafik: Interne Datenspeicher) in das für das Standard benötigte Format transformiert werden (siehe in Grafik: ETL). Zusätzlich müssen, je nach technischer Umsetzung der vertrauenswürdigen Datenablage, Schnittstellen zur Verfügung gestellt oder die Daten in einem externen Speicher abgelegt werden.

Aufbauend auf die beschriebene Datenintegration können von dem Unternehmen relevante Mehrwertdienste (siehe in Grafik: Mehrwert/Optimierungen) umgesetzt werden.

Fazit

In vorangegangenem Text wurde nach der Vorstellung des Konzepts des digitalen Produktpasses ein Einblick in den Ansatz der verteilten Standardisierungsinitiativen gegeben. Anschließend wurden die technischen Aufgaben und Herausforderungen für die den Standard implementierenden Unternehmen auf abstrakter Ebene beschrieben. Neben der eigentlichen Herausforderung sinnvolle, auf bestimmte Produktgruppen und Branchen zugeschnittene Standards zu definieren, sind Digitalisierungskompetenzen in den implementierenden Unternehmen gefordert. Es wird spannend zu beobachten sein welche Standards und technischen Konzepte sich im Rahmen des digitalen Produktpasses etablierenden werden und wie die technischen Aufwände in den Unternehmen gemeistert werden können.

Bild: AOE

Der Autor:
Max Beer ist Solution Architect bei AOE. Er beschäftigte sich in den letzten Jahren hauptsächlich mit der Entwicklung von Lösungen in der Aviation-Industrie und arbeitet nun an Softwarelösungen im Bereich Industrie 4.0.

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