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Einkaufsexpertin im Chemieeinkauf

Martina Boxberger, Executive Director Corporate Strategic Sourcing, Merz Pharma GmbH
Der Einkauf ist durch die Krise deutlich sichtbarer geworden

Die Merz Pharma GmbH & Co. KGaA in Frankfurt am Main ist ein international tätiges Unternehmen mit den Schwerpunkten Aesthetics, Therapeutics und Consumer Care. Mit Martina Boxberger, Executive Director Corporate Strategic Sourcing, sprach Beschaffung aktuell über wertgeschätzte Einkäufer, Rohstoffverfügbarkeit und Vorratshaltung in der Krise.

Beschaffung aktuell: Frau Boxberger, was ist für Sie das Spannende am Einkauf?

Martina Boxberger: Ganz klar die enorme Vielfalt an Aufgaben, die ich hier habe. Ich bin direkt nach meinem Studium in den Einkauf gegangen. International zu arbeiten, das hat mir extrem gut gefallen. Ich habe es auch immer sehr genossen, so unglaublich viele Schnittstellen zu den anderen Bereichen im Unternehmen zu haben und dadurch immer mitten im Geschehen zu sein. Der Einkauf bietet die Chance, sehr viele Dinge von Anfang an mit zu entwickeln, zu gestalten und zukunftsorientiert voranzutreiben. Das hat mich von Anfang begeistert und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Beschaffung aktuell: Wie ist Ihre Einkaufsorganisation aufgebaut?

Boxberger: Unser Einkauf gliedert sich in die Bereiche Direct und Indirect. Direct umfasst alles, was die Produkte betrifft, also Rohstoffe und Packmittel, aber auch den Einkauf bei Lohnherstellern. Der Bereich Indirect ist zuständig für alles andere: vom Consulting bis hin zu Marketing Media, Flottenmanagement und Facility Management. Aber auch Toilettenpapier. Unsere Mitarbeiter sind entsprechend eingeteilt, wir haben ein Team von globalen Lead Buyern im strategischen Einkauf für den Direct-Bereich und eins für den Indirect-Bereich. Unser strategischer Einkauf sitzt in Frankfurt und macht die globalen Verträge, hat allerdings auch Mitarbeiter in den USA oder in Mexiko. Die Lead Buyer sind also ein bisschen verteilt, aber es ist immer eine zentrale und globalisierte Entscheidung. Der operative Einkauf dagegen sitzt dezentral an den jeweiligen Standorten.

Beschaffung aktuell: Verschiedene Studien der letzten Jahre sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Einkauf in der Pharmaindustrie nur eine untergeordnete Rolle spielt. Teilen Sie diese Auffassung?

Boxberger: Früher war das sicher so. Ich habe vor elf Jahren bei Merz angefangen, und da waren die zentralen Unternehmensfunktionen tatsächlich weniger bedeutend. Das hat sich allerdings geändert, und gerade wenn man sich die jüngsten Entwicklungen ansieht, nicht zuletzt die aktuelle Corona-Epidemie, dann spürt man schon deutlich, dass diese Funktionen, insbesondere der strategische Einkauf und die Supply Chain, deutlich aufgewertet wurden. Sie haben stark an Bedeutung und Wertschätzung gewonnen. Vielleicht braucht es erst eine Krise, um den Mehrwert zu sehen, den der Einkauf für das Unternehmen generiert, um trotz der Krise im Geschäft weiterhin erfolgreich zu sein. Auch bei uns sind die Zentralfunktion des Einkaufs und der Supply Chain deutlich sichtbarer geworden. Wir sind auch vorher schon sehr früh in die meisten Projekte mit einbezogen worden, aber die Anerkennung und die Wertschätzung haben zugenommen und wir sind nun noch dichter am Geschehen als vorher.

Beschaffung aktuell: Bei Ihnen hat der Einkauf schon immer von Anfang an mit am Tisch gesessen?

Boxberger: Wir haben das vor ein paar Jahren eingeführt, das ist für uns auch enorm wichtig. Wir sind von Beginn an bei einem Projekt mit dabei. Einerseits um mit unserer Expertise beratend zu unterstützen, aber auch, um schon sehr früh dabei zu helfen, für den Fachbereich eine Gesamtkostenbetrachtung aufzubauen. Oder wie wir die Lieferketten effizient absichern können. Wir arbeiten sehr eng mit dem Bereich Forschung und Entwicklung zusammen und können so das Augenmerk auf Aspekte lenken, die sonst vielleicht aus dem Fokus geraten würden, etwa die Möglichkeit oder Notwendigkeit einer Second Source. Wir sind also von der ersten Idee an beteiligt, über die Frage, welche Produkte in die engere Auswahl kommen, die Marktforschung, die Suche nach Rohstoffen und die Wahl der richtigen Verpackung bis hin zur Vermarktung.

Beschaffung aktuell: An Ihre Einkäufer werden ja ziemliche Anforderungen gestellt, wenn sie das alles abdecken sollen …

Boxberger: Das ist richtig. Exemplarisch an einem Projekt, fangen wir meist mit der Marktforschung an, das macht eine Lead Buyerin, die das globale Marketing unterstützt. Dann geht es weiter mit einem Experten, der sich rein um den Rohstoffeinkauf kümmert. Das gleiche gilt für die Packmittel, und so zieht sich das durch alle Funktionen im strategischen Einkauf. Wir suchen unsere Lead Buyer von Anfang an nach diesen speziellen Kenntnissen aus. Wenn ich neue Mitarbeiter einstelle, dann achte ich insbesondere auf die Branchenkentnisse. Unsere Lead Buyerin für den Bereich Marketing und Media beispielsweise war vorher lange in Agenturen tätig und kennt das Geschäft deshalb schon sehr gut von der anderen Seite. Auf diese Expertise kommt es uns an, die einkaufsspezifischen Kenntnisse werden dann bei uns im Unternehmen verfeinert.

Beschaffung aktuell: Wonach suchen Sie Ihre Lieferanten aus?

Boxberger: Sowohl produkt- als auch projektbezogen. Wir machen immer eine Risikoanalyse und eine Risikobetrachtung pro Produkt, pro Lieferant oder pro Projekt. Und dann überprüfen wir diesen Kreis, den wir ausgewählt haben, auf Themen wie Qualität, Kosten und Nachhaltigkeit.

Beschaffung aktuell: Wie wichtig ist das Thema Nachhaltigkeit?

Boxberger: Es wird immer wichtiger. Vor ein paar Jahren war das noch nicht so. Aber für uns wird es vor allem im Consumer-Care-Bereich immer präsenter. Es beeinflusst zunehmend die Kaufentscheidung vieler Verbraucher, ob das Duschgel, das sie verwenden, nachhaltig produziert und umweltfreundlich verpackt ist. Wir haben bei Merz spezielle Teams, die sich um die Nachhaltigkeit unserer Produkte kümmern. Da ist dann, auch wenn es um die Verpackung geht, immer der verantwortliche Lead Buyer mit dabei. Hier sind wir unter anderem auf der Suche nach alternativen und umweltfreundlichen oder recycelten Materialen.

Beschaffung aktuell: Welchen Beitrag kann der Einkauf Ihrer Meinung nach zur Wertschöpfung eines Unternehmens beitragen?

Boxberger: Der Einkauf hat ja gewisse Hebel zur Verfügung, um die Kosten seines Unternehmens zu senken und damit auch das Unternehmensergebnis zu verbessern. Wir machen viel Consulting, achten aber natürlich darauf, unsere Ziele zu erreichen, zum Beispiel mithilfe von Marktanalysen und Ausschreibungen.

Wir versuchen immer, eine gewisse Spielmasse zu haben, damit wir gut verhandeln können. Wir vermeiden nach Möglichkeit Single Sources. Daneben arbeiten wir verstärkt daran, unsere Prozessketten mithilfe von Medien und neuen Systemen zu optimieren.

Neben der Profitmaximierung ist die Unterstützung von neuen Prozessen und Systemen und auch deren Weiterentwicklung ein ganz wichtiger Punkt, weil wir ja durch unsere diversen Schnittstellen sehr dicht am Markt sind.

Durch die Expertise unserer Lead Buyer bekommen wir Neuerungen in diesen verschieden Kategorien sehr früh mit, davon profitieren dann die einzelnen Fachbereiche.

Beschaffung aktuell: Es gibt nach wie vor einen großen Hype um das Thema Blockchain, gleichzeitig sind die Fälle, in denen diese Technologie tatsächlich in der Praxis eingesetzt wird, noch überschaubar. Sehen Sie die Blockchain als Zukunftstechnologie für die Pharmaindustrie?

Boxberger: Wir nutzen es bisher nicht, aber ich bin davon überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich das ändern wird. Gerade für den Consumer-Bereich, in dem wir stark vertreten sind, könnte ich mir den Einsatz einer Blockchain gut vorstellen. Insbesondere für alles, was ein bisschen generischer ist, ebenso für sich schnell verändernde Produkte wie beispielsweise Kosmetikartikel – hier würde es vor allem beim Verpackungsmaterial Sinn machen.

Beschaffung aktuell: Ein Vorteil der Blockchain ist ihre Transparenz, was vielleicht nicht unbedingt im Sinne der Hersteller ist …

Boxberger: Das ist sicher auch ein Knackpunkt beim Einsatz dieser Technologie. Nicht nur die Lieferanten, sondern auch der Wettbewerb würde ganz genau hinschauen, und gerade im Consumer-Bereich ist der Wettbewerb extrem groß. Das muss kein No-go sein – je nachdem wie die Blockchain aufgebaut ist und vor allem wie abgrenzbar sie ist, kann ein Einsatz durchaus Sinn machen, aber nur, wenn man sicherstellen kann, dass wirklich nur der Lieferant und das Unternehmen die Informationen teilen. So lange es aber noch Transparenz nach außen gibt, halte ich es für schwierig, weil man eben auch dem Wettbewerber die gleiche Transparenz gibt.

Beschaffung aktuell: Wie schützen Sie die Sicherheit Ihrer Lieferkette?

Boxberger: Wir haben ein Risikomanagement und eine Risikoanalyse aufgebaut, mit deren Hilfe wir unsere Lieferanten und auch unsere Produkte hinsichtlich möglicher Risiken bewerten. In diese Bewertung geht zum Beispiel ein, in welchem Teil der Erde ein Lieferant sitzt und wir groß dort das Risiko von Naturkatastrophen wie beispielsweise Erdbeben ist. Aber auch, wie es um die finanzielle Stabilität des Lieferanten bestellt ist.

Es gibt einen umfangreichen Katalog von Kriterien, die in regelmäßigen Abständen überprüft werden, sodass wir möglichst frühzeitig einen guten Überblick über mögliche Risikofaktoren haben und entsprechend gegensteuern können. Wir haben dadurch sehr früh gesehen, wie stark China von der Pandemie betroffen war und konnten so auch sehr früh und sehr schnell reagieren.

Wir haben uns bereits im vergangenen Dezember entsprechend bevorratet und sind deshalb bisher auch sehr sicher und ohne irgendwelche Beeinträchtigungen durch die Krise gekommen.

Ich bin allerdings davon überzeugt, dass da noch große Herausforderungen auf uns zukommen, weil viele Auswirkungen der Krise sich erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung bemerkbar machen. Nach dem Lockdown haben wir unsere Risikoanalyse noch einmal überarbeitet, um uns im Hinblick auf die Risiken auf den verschiedenen Kontinenten besser abzusichern. Das funktioniert allerdings nur bedingt, denn manche Rohstoffe gibt es eben nur in bestimmten Teilen der Welt.

Beschaffung aktuell: Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen für den Einkauf in Ihrer Branche?

Boxberger: Beim Klimawandel und den immer häufiger auftretenden Naturkatastrophen, weil die sich ganz direkt auf die Verfügbarkeit der Rohstoffe auswirken, die wir einkaufen. Dazu kommt, wie wir jetzt lernen mussten, das Risiko einer globalen Pandemie. Die Herausforderung liegt insbesondere darin, dass wir in allen Fällen unglaublich schnell reagieren müssen.

Bei den Umweltkatastrophen besteht die Gefahr, dass uns von heute auf morgen bestimmte Naturprodukte wegfallen. In vielen unserer Produkte ist zum Beispiel Eukalyptusöl oder Mandelöl enthalten. Wenn es in dem Bezugsgebiet dieser Öle nun eine Naturkatastrophe gibt, dann ist das für uns verheerend, denn dann gibt es das Produkt schlichtweg nicht. Diese Verfügbarkeit abzusichern und die entsprechende Qualität zu gewährleisten, das ist derzeit die größte Herausforderung, vor der wir stehen.

Das Interview führte für Beschaffung aktuell
Ulrike Dautzenberg, freie Journalistin, Wiesbaden.


Das Unternehmen

Merz Pharma GmbH

… ist ein internationales Ästhetik- und Pharmaunternehmen mit Hauptsitz in Frankfurt am Main, deutschen Produktionsstandorten in Reinheim und Dessau und weiteren internationalen Standorten. Das Unternehmen entwickelt und produziert unter anderem Produkte und Medizintechnikgeräte für die ästhetische Medizin, Arzneimittel für Patienten, die an neurologischen Bewegungsstörungen leiden, sowie weitere verschreibungspflichtige Medikamente.


Die Frau

Martina Boxberger

… machte 1996 in Geisenheim Abitur. Nach kaufmännischer Ausbildung bei der Linde AG absolvierte sie dort bis 2002 ein duales Studium mit dem Abschluss zum BWL-Diplom.
Im Anschluss stieg Sie bei Linde zur Einkäuferin für Produktionsmaterial auf.
Nach einer Station beim internationalen Einkauf der United Technologies Corporation, wechselte sie 2008 als Lead Buyer General Procurement & Packaging zu Merz. Im Jahr 2012 folgte die Beförderung zum Head of Global Strategic Sourcing EMEA, APAC & LATAM. Im Jahr 2017 wurde ihr Verantwortungsbereich noch um die Rolle des Global Business Process Officers erweitert.


Vielleicht braucht es erst eine Krise, um den Mehrwert zu sehen, den der Einkauf für das Unternehmen generiert, um trotz der Krise im Geschäft weiterhin erfolgreich zu sein.“
Martina Boxberger


Nach dem Lockdown haben wir unsere Risikoanalyse noch einmal überarbeitet, um uns im Hinblick auf die Risiken auf den verschiedenen Kontinenten besser abzusichern. Das funktioniert allerdings nur bedingt, denn manche Rohstoffe gibt es eben nur in bestimmten Teilen der Welt.“
Martina Boxberger

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