In einer Krisensituation ist jede Strategie erst mal wertlos. Die Hauptaufgaben des Managements liegen darin, das Unternehmen stabil zu halten. Der Fokus liegt dabei auf der Liquidität, den Mitarbeitern und der Unternehmenskultur. Genannt wird das „Führen auf Sicht“. Das ist eine Taktik, keine Strategie, denn Strategien haben einen langfristigen Zeithorizont und basieren auf einer sauberen Analyse.
Im Moment ist das Bild der Zukunft noch sehr verschwommen. Die neuen Realitäten müssen sich erst manifestieren, bevor eine Strategie für die Zeit nach der Krise formuliert werden kann. Wir sprechen hier von einer Post-Corona-Strategie. Dabei wird es sieben strategische Handlungsfelder geben, die im Folgenden skizziert sind.
Eins: Sicherung des Fundaments
Ihr Unternehmen steht auf einem bestimmten Fundament. Dieses Fundament wurde durch die Krise unter Umständen beschädigt. Als dringende strategische Maßnahme müssen Sie dieses Fundament stärken.
Zunächst stellt sich die Frage, was dieses Fundament ausmacht. An erster Stelle steht das Offensichtliche: die Finanzen. Die Liquidität sollte nicht nur Ihren regulären Betrieb bei einer vorerst flauen Geschäftsentwicklung abdecken, sondern auch nötige Investitionen im Rahmen der Post-Corona-Strategie erlauben.
Ein anderer Baustein sind die Mitarbeiter. Fragen Sie: Inwiefern wurde die Moral der Mitarbeiter durch die Krise in Mitleidenschaft gezogen? Welche Folgen hat die Kurzarbeit? Definieren Sie konkrete Maßnahmen, um diese Probleme zu adressieren.
Je nach Art Ihres Geschäfts gibt es weitere wichtige Bausteine. Denken Sie dabei an Stakeholder wie Kunden, Lieferanten oder Geschäftspartner, vergessen Sie aber nicht die soften Faktoren wie etwa die Reputation oder Kultur des Unternehmens.
Deklinieren Sie die wichtigen Punkte durch, sodass Sie wissen, welche Maßnahmen strategisch ergriffen werden müssen, um mit diesen Bausteinen das Fundament zu stärken. Konzentrieren Sie Ihre Überlegungen konsequent auf die Zukunft. Die Post-Corona-Strategie wird andere Anforderungen an das Unternehmen stellen als die Vergangenheit.
Zwei: Neudefinition der Kundenstruktur
Die Corona-Krise wird deutliche Spuren in Ihrem Kundenuniversum hinterlassen. Manche Kundengruppen werden weniger Kaufkraft haben, andere werden aufgrund krisenbedingter Insolvenz wegfallen. Nehmen Sie als Basis für eine strategische Aufstellung eine aktualisierte Marktsegmentierung vor. Das Ziel dabei ist es, den Gesamtmarkt in homogene Kundensegmente zu strukturieren. Gängige Kriterien im B2C-Bereich sind etwa Einkommen, Alter, Bildung, Beruf, Familiensituation oder Interessen. In B2B-Märkten segmentiert man etwa nach Kundengröße, Branche, Standort oder Professionalisierungsgrad. Sind diese Marktsegmente herausgearbeitet, müssen Sie sich Gedanken machen, wie sich Kaufverhalten und Bedürfnisse verändern werden. Auf Basis dieser Auslegeordnung können Sie ableiten, auf welche Kundensegmente Sie sich strategisch fokussieren sollten und auch wie sich Ihr Angebot anpassen muss.
Drei: Evaluation der Wettbewerbssituation
Genau wie bei den Kunden wird sich auch die Wettbewerberlandschaft durch die Corona-Krise verändern. Bereits der Lockdown wird einige Wettbewerber in die Knie zwingen, in der andauernden Rezession werden weitere folgen. Bei dieser Ausgangslage werden viele Branchen von einem Preiskampf geprägt sein.
Hier müssen Sie mit Hypothesen zu Ihren konkreten Wettbewerbern arbeiten. Die Fragen sind: Welche Wettbewerber sind zu schwach, um die Krise zu überstehen? Welche Wettbewerber haben kürzlich große Investitionen getätigt, die sie „ins Schwitzen“ bringen könnten? Welche Wettbewerber könnten sich vielleicht zusammenschließen? Welchen neuen Wettbewerbern könnte der Markteintritt gelingen? Zeichnen Sie auf Basis Ihrer Hypothesen ein Bild der neuen Wettbewerbslandschaft.
Vier: Fortsetzung des Digitalisierungsschubs
Die Corona-Krise hat die meisten Unternehmen ins kalte Wasser geworfen, was den Stand der Digitalisierung betrifft. Viele mussten feststellen, dass Homeoffice nur dann funktioniert, wenn Mitarbeiter das nötige Equipment haben. Andere mussten gar realisieren, dass wichtige Dokumente nur analog vorhanden sind. Die Corona-Krise ist der Weckruf für alle: Spätestens jetzt muss die Digitalisierung angepackt werden.
Diejenigen mit einem bereits hohen Digitalisierungsgrad sollten Projekte weitertreiben. Unternehmen mit einem geringen Digitalisierungsgrad brauchen einen Masterplan über einen langen Zeithorizont. Es wird nicht möglich sein, diese offene Flanke kurzfristig zu schließen. Sinnvoll ist eine Vorgehensweise step-by-step. Starten Sie in diesem Fall mit der Digitalisierung einzelner Geschäftsprozesse.
Mindestens genauso wichtig wie ein gut getakteter Masterplan ist die kulturelle Veränderung. Diese muss vom Management kommen.
Fünf: Review des Sourcings
Die Corona-Krise hat die Vulnerabilität unserer globalisierten Wertschöpfungsketten zutage gebracht. Schlüsselkonzepte wie Just-in-time, Outsourcing und Offshoring sind plötzlich zur Achillesferse geworden.
Diesen Konzepten abzuschwören wäre falsch. Die Globalisierung hat nicht nur unsere Unternehmen effizienter und leistungsfähiger gemacht, sondern hat uns auch neue Märkte erschlossen und war somit einer der Wachstumstreiber der jüngeren Vergangenheit.
Auch hier liegt die sinnvolle Vorgehensweise im Herunterbrechen der Problematik in Aspekte, um dann in der Analyse die beste Lösung für das Unternehmen zu identifizieren. So kann man etwa die Abhängigkeit von einem in China gefertigten Teil auch entschärfen, indem man einen höheren Bestand im Inland vorhält, ohne gleich die Produktion ins Inland zu verlagern.
Sechs: Neubewertung der Führungskräfte
Eine Krisensituation ist ein guter Test für die Qualität der Führungskräfte. Die Stresssituation offenbart, wer Ruhe und Überblick behält oder wem die Führung durch Mikromanagement und unklare Ansagen entgleitet. Diese Erkenntnisse sind zentral für die künftige Entwicklung des Unternehmens.
Eine Neubewertung der Kunden- und Wettbewerbssituation verlangt andere Profile der Führungskräfte. Die Post-Corona-Strategie muss diese Anforderungen für eine erfolgreiche Implementierung beschreiben. Anschließend folgt der Abgleich mit den aktuellen Führungskräften. In der Strategie muss definiert werden, wie eventuelle Lücken zwischen vorhandenen Führungskräften sowie den notwendigen Profilen zur Neuausrichtung geschlossen werden. Dabei sind sowohl Schulungen als auch externe Rekrutierungen denkbar.
Sieben: Radikales Kostenprogramm starten
Die Corona-Krise macht nicht nur ein Kostenprogramm nötig, sondern sie steigert auch die Akzeptanz eines solchen unter den Mitarbeitern. Das ist eine einmalige Chance. Jedes Unternehmen hat Ineffizienzen und heilige Kühe, die bisher nicht angefasst werden durften. Diese können Sie nun angehen. Behandeln Sie dabei jede Kostenposition, als ob sie als neue Ausgabe bewilligt werden müsste.
Nutzen Sie die Gunst der Stunde und gehen Sie radikal vor. Das schafft Freiräume für neue Investitionen in die Zukunft.
Es wäre jedoch ein Fehler, „mit dem Rasenmäher“ vorzugehen und jede Abteilung aufzufordern, einen bestimmten Prozentsatz der Kosten einzusparen, denn die beschriebenen Ineffizienzen sind nicht gleichmäßig verteilt. Der Rasenmäher bestraft diejenigen, die bisher gut gehaushaltet haben.
Königsklasse Implementierung
Ihre Post-Corona-Strategie kann erst nach der heißen Phase der Krise festgelegt werden. Trotzdem können Sie jetzt damit beginnen, die strategischen Initiativen in einer Strategiegruppe zu formulieren. Die Gruppe zeichnet die Post-Corona-Strategie so weit vor, dass sie zum richtigen Zeitpunkt schnell beschlossen werden kann.
Schließlich folgt die Implementierung; hier scheitern die meisten Strategien. Etablieren Sie dafür einen Steuerungsausschuss, der regelmäßig tagt, um den Fortschritt der einzelnen Initiativen zu begleiten. Mit einem sauberen Set-up wird auch die Implementierung gelingen und Ihr Unternehmen wird gestärkt aus der Krise hervorkommen.
Aus dem Buch
Corona-Krise – Was Führungskräfte jetzt tun müssen
Dieser Beitrag ist ein Abschnitt aus dem unten stehenden Titel, welchen wir mit freundlicher Genehmigung des Hanser-Verlags abdrucken. Der Gewinn aus dem Verkauf geht an „Ärzte der Welt“.
Corona-Krise – Was Führungskräfte jetzt tun müssen. Gerhard Gietl, Helmut Hofbauer, Gabriele Justus, Niklaus Leemann, Reiner Neumann und Micheline Schwarze, Hanser Verlag, 2020. E-Book, 160 Seiten, 9,99 €.
ISBN: 978-3446466685
Niklaus Leemann ist selbstständiger Strategy Advisor für führende Unternehmen. Dabei konzentriert er sich auf die langfristige strategische Entwicklung dieser Unternehmen.