COVID-19 hat zwangsweise forciert, was in der Wirtschaft seit Jahren kontrovers diskutiert wird: das Homeoffice. Für manche Führungskräfte ein Schreckgespenst: In einer Bitkom-Studie (2013) befürchten die Chefs, dass die Produktivität ohne den direkten Austausch mit Kollegen abnimmt. Nach der Studie „Does working from home work?“ (Bloom et al. 2015) mit 16.000 Teilnehmern, sind Mitarbeiter im Homeoffice allerdings 13 Prozent produktiver als im Büro. Dies bestätigen auch Annahmen norwegischer Wissenschaftler um das Team von Nils Brede Moe innerhalb der Forschungsorganisation SINTEF. Sie leisten im Homeoffice mehr unbezahlte Arbeit und leiden sogar öfter an Stress und Schlaflosigkeit. Sie wollen dem Vorwurf entgehen: „Der schafft ja eh nichts.“ Deshalb arbeiten viele Homeoffice-Mitarbeiter zu viel, bis hin zum Burn-out. Diese Tendenz dürfte sich im Rahmen der Corona-Krise noch verstärken. Denn zusätzlich haben Mitarbeiter reale Existenzängste, was den Druck verstärkt. Führungskräfte müssen dem entgegenwirken.
Das sollten Mitarbeiter beachten: Selfcare
Jeder stellt sich Homeoffice so wunderbar vor. Endlich ausschlafen, irgendwann mal nach dem fünften Kaffee zum Computer schlendern, anschalten, schauen, was los, sich wieder kurz hinlegen, weil man ja lieber abends arbeitet. Und das alles im Schlabber-Look. Nun, so einfach ist es eben nicht, sich selbst im Griff zu haben. Deshalb braucht es Stützen vom Unternehmen, Führung und Spielregeln, wie dem entgegengewirkt werden kann, sodass eine professionelle Arbeitseinstellung und -methode auch im Homeoffice einzieht. Als Führungskraft sollten Sie hier mit Rat und Tat Ihren Mitarbeitern zur Seite stehen.
Working 9 to 5 – auch zu Hause
Die Philosophie des Selfcare, also der Selbstfürsorge, hat zum Ziel, dass es einem gut geht. Fühlt ein Mitarbeiter sich wohl, auch im Sinne, etwas Gutes für die Arbeit, den Chef, den Kollegen, den Kunden geleistet zu haben, ist dieser in der Regel motivierter und produktiver. Selfcare bedeutet im Umfeld eines Homeoffice, dass die Führungskräfte und der Mitarbeiter sich darum kümmern, dass sich der Mitarbeiter in seiner heimischen Umgebung wohlfühlt und gleichzeitig professionelle Arbeit während einer definieren Zeit leistet. Drei wichtige Punkte für die Selbstorganisation sind zu klären: wann, wo und wie der Arbeitstag beginnt und endet.
In der „Beginner-Phase“, vor allem bei so einem Zwang wie bei der Corona-Krise, ist vieles noch ungewohnt. Da kann es schon mal passieren, dass ein Kind in eine Videokonferenz reinplatzt. Es ist ein Unterschied, ob wir im Büro oder daheim arbeiten. Das Arbeiten daheim muss erst erlernt werden. Während dieses Prozesses passieren Fehler. Üben Sie Nachsicht und Geduld – mit sich und mit Ihren Mitarbeitern.
Irgendwann muss aber der Alltag im Homeoffice einen professionellen Arbeitstag widerspiegeln. Und da müssen alle auch zu Hause an einem Strang ziehen, der Partner, die Kinder, die (Schwieger-)Eltern, der Hund! Lebt ein Mitarbeiter nicht alleine, muss er mit seinem Umfeld bestimmte Regeln organisieren. So ist eine einfache Regel, allen zu sagen, dass es zur Kernarbeitszeit ein absolutes Tabu ist, ins Büro zu stürmen.
Der Mitarbeiter sollte eine Zeit lang ausprobieren, welche Vorgehensweisen am besten passen. Vielleicht herrscht am Anfang ein Chaos, weil jetzt die gesamte Familie auf engem Raum ganztags zusammen ist. Es gab bisher Familienroutinen, die nun weggefallen sind. Die Arbeitswelt zu Hause muss mit neuen Routinen abgestimmt werden, vielleicht müssen diese erst gefunden werden, was für alle Beteiligten zum Teil sehr schwer sein wird.
Vertrauen aufbringen
Auch zu Hause sollten Pausen bewusst und routiniert durchgeführt werden. Es ist in Ordnung, mit Freunden oder Familienmitgliedern zu telefonieren. Aber dies sollte der „Remoter“ stets außerhalb der Kernarbeitszeit tun und diese Aktivitäten als Pausenzeiten deklarieren. Jede Person im Homeoffice muss klären, wann der Arbeitstag beginnt und endet, und dabei auch die notwendigen Pausen berücksichtigen. Als Führungskraft müssen Sie das Vertrauen aufbringen, dass Ihre Mitarbeiter diszipliniert die vorgegebenen Ziele erreichen. Hier helfen klare Absprachen mit Terminvorgaben.
Die Ruhe vor dem Sturm
Es gilt grundsätzlich zwei verschiedene Arbeitssituationen im Homeoffice zu unterscheiden: Entweder, der Mitarbeiter kommuniziert nach außen ohne Umfeldwahrnehmung durch eine externe Person (z. B. E-Mail-Kontakt mit Chef, Kollege, Kunde etc.) oder der Mitarbeiter kommuniziert aktiv extern per Video oder Telefon. Für beide Fälle sollte der Mitarbeiter eine bestimmte Lokalität im Haus wählen. Dies hat mehrere Facetten. Einerseits spielt die Routine eine wichtige Rolle. An dem gleichen Platz die Arbeit zu verrichten, ähnelt dem Ritual des Gangs ins Büro. Wenn möglich sollte dieser Platz abgetrennt sein vom Familiengeschehen. Zudem wird damit auch das Signal kommuniziert, dass es sich hierbei um den Homeoffice-Arbeitsplatz handelt und nun die Arbeitszeit beginnt. Die Akzeptanz des Ungestörtbleiben-Wollens ist damit eher wahrscheinlich.
Ein weiterer Aspekt ist das Thema Vertraulichkeit. Sollte sich während eines Telefonats herausstellen, dass der Ehepartner mit im Raum ist, stellt sich sofort die Frage nach der Vertraulichkeit. Das kann schnell dazu führen, dass Informationen nicht mehr über diesen Kommunikationskanal weitergegeben werden und der Mitarbeiter von wichtigen Informationsflüssen abgeschnitten wird.
Inzwischen erlauben manche Führungskräfte und Kunden den Arbeitsplatz draußen: das „Gartenbüro“. Hier ist es wichtig, die wirkliche Akzeptanz im Rahmen der Unternehmenskultur zu eruieren. Für manche Unternehmen gilt: Diese Gelegenheit sollte der Mitarbeiter nur nutzen, wenn klar ist, dass kein Kontakt mit der Außenwelt besteht. Telefonate mit Vogelgezwitscher im Hintergrund wirken (noch) unprofessionell. Andere, modern geprägte Unternehmen hingegen präferieren diesen Stil.
Zuletzt gilt: Der Blick ins Private kann auch zu privat sein. Nahezu alle Tools zur Videokonferenz bieten die Zuschaltmöglichkeit von virtuellen Hintergründen oder Weichzeichner, die ein Erkennen des realen Hintergrunds nicht möglich machen.
Die unterschiedlichsten Persönlichkeiten pflegen einen entsprechend variantenreichen Umgang mit ihrer Kleidungsstrategie. Dies trifft sowohl im Unternehmen zu als auch im Homeoffice. Manche Menschen stehen frühzeitig auf, praktizieren ihre Gymnastik, erleben meditativ den Sonnenaufgang und beginnen nach der täglichen Dusche völlig frisch und geschniegelt die Arbeit. Andere wiederum stehen erst kurz vor Arbeitsbeginn auf. Sie lassen sich schnell an der Kaffeemaschine einen Kaffee raus und schleppen sich im Schlafanzug an den Schreibtisch.
Welcher Mitarbeiter würde wohl eher einen Geschäftsabschluss bei einer spontan einberufenen Videokonferenz erzielen können? Aller Bequemlichkeit zum Trotz macht es selbst am Telefon einen Unterschied, ob man im Pyjama auf der Couch liegt oder seriös gekleidet am Schreibtisch sitzt. Selbststeuerung ist ein psychologisches Phänomen. Und die Selbststeuerung im Alltag beginnt mit dem Anziehen und der Wahl der Kleidung.
Kleider machen Leute
Routinen und Gewohnheiten sind neuropsychologische Anker. Deren wiederkehrende Wiederholungen schaffen Produktivität bei der Arbeit. Neben „Das mache ich so“-Regeln sollten sich Mitarbeiter im Homeoffice auch klare „Nicht überall“-Regeln schaffen: nicht überall arbeiten, nicht überall essen, nicht überall ausruhen oder schlafen. Es ist zwar nicht notwendig, sich jeden Tag zu Hause in den Anzug oder in das schicke Kleid zu quetschen. Aber das tägliche „Sich-frisch-machen“ und eine ausgehfähige Kleidung anzuziehen, sollten das Mindeste der Routine sein.
Bei Videokonferenzen sollte ohnehin die Kleidungskultur des Unternehmens bevorzugt werden. Wird von Kunden Anzug oder Kostüm erwartet, so hat der „Remoter“ dies auch im Homeoffice zu tragen. So ist er immer auf spontane Videokonferenzen vorbereitet.
Aus dem Buch
Corona-Krise – Was Führungskräfte jetzt tun müssen
Dieser Beitrag ist ein Abschnitt aus dem unten stehenden Titel, welchen wir mit freundlicher Genehmigung des Hanser-Verlags abdrucken. Der Gewinn aus dem Verkauf geht an „Ärzte der Welt“.
Corona-Krise – Was Führungskräfte jetzt tun müssen. Gerhard Gietl, Helmut Hofbauer, Gabriele Justus, Niklaus Leemann, Reiner Neumann und Micheline Schwarze, Hanser Verlag, 2020. E-Book, 160 Seiten. 9,99 €.
ISBN: 978-3446466685
Gerhard Gietl ist Geschäftsführer der Beratungsgruppe VIA Consulting Group und befasst sich mit der Konzeptionierung und Umsetzung von strategischen Konzepten, Führungsprozessen und Managementsystemen.