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„Ein wenig“ Verhandlungsmacht zu haben, kann gefährlich sein

Die Rollen einer Alternative und des Ankerns
„Ein wenig“ Verhandlungsmacht zu haben, kann gefährlich sein

„Ein wenig“ Verhandlungsmacht zu haben, kann gefährlich sein
Gute Beispiele für gelungene aber auch gescheiterte Verhandlungen finden sich oft im Profi-Sport. Bild: Maridav/Fotolia
In manchen Business-Verhandlungen kann es hilfreicher sein, keine Alternative (BATNA – Best Alternative To a Negotiated Agreement) zu haben, als nur eine Schwache. Sonst läuft man Gefahr, sich selber zu ankern. Mit dem Eröffnungsangebot zu „punkten“ ist jedoch extrem wichtig.

Die Personen, die mich kennen, wissen, dass ich ein begeisterter American Football Fan bin. Deshalb werde ich meine Kernaussage mit einem Beispiel aus diesem Sport verdeutlichen. In der Stadt Atlanta gibt es einen Club, der „Falcons“ heißt. Im Jahr 1975 verhandelte Leigh Steinberg, frisch gebackener Sportagent, mit den Falcons. Steinberg vertrat einen Anfänger (Rookie) Quarterback Namens Steve Bartkowski. Dieser wurde von den Falcons in der ersten Auswahlrunde (Draft) gezogen. Der Club hatte aber auch anderen Optionen auf dieser Position, falls sie sich mit Bartkowski nicht auf ein Gehalt einigen würden. Der Quarterback hingegen nicht. Entweder einigte er sich mit den Falcons, oder er würde nicht in der NFL-Liga mitspielen. Er war gezwungen, ein Angebot des Clubs anzunehmen.

Trotz dieser Lage entschied sich der Agent Steinberg im Namen seines Klienten ein Gehalt von 750.000 Dollar zu fordern. Dieses Gehalt verdiente zu jener Zeit kein anderer Spieler in der Liga. Erst recht kein Rookie. Selbstverständlich zeigten sich die Falcons empört über eine solche Forderung. Nichts desto trotz unterzeichneten sie am Ende der Verhandlung mit Bartkowski einen Vertrag über 600.000 Dollar. 1975 war das der teuerste Vertrag der NFL.

In Verhandlungen glauben viele, dass selbst ein klein wenig Macht besser sei als gar keine. Wenn Gespräche mit einem heißbegehrten Kunden scheitern, versuchen Verhandler manchmal kleinere, unwirtschaftliche Deals abzuschließen. Kleine sind immerhin besser als keine. Die Denkweise ist nachvollziehbar. Forschungen zeigen aber, dass schwache Alternativen eher Probleme am Verhandlungstisch schaffen. Das ist ein Paradigmenwechsel.

Angebote und Anker

Die Alternative zu einer Vereinbarung (BATNA „Best Alternative To a Negotiated Agreement“) ist eine wichtige Machtquelle für jeden Verhandler. Dadurch setzt man sich höhere Ziele, macht herausforderndere Eröffnungsangebote und traut sich eher, einen fairen Anteil vom Mehrwert, vom „Kuchen“, für sich in Anspruch zu nehmen. Ist eine Alternative – egal wie schlecht – also doch besser als nichts? Man mag geneigt sein, dem zuzustimmen. Wenn die Verhandlung scheitert, ist es besser, etwas in der Hinterhand zu haben um das Durcheinander nach dem Verhandlungsabbruch zu minimieren. Diese klare Logik führt jedoch nicht immer zu rationalen Entscheidungen in der realen Welt.

In dem obigen Beispiel wäre die Verhandlung wahrscheinlich ganz anders gelaufen, wenn der Quaterback und sein Agent ein zweites, wenn auch nur geringes Angebot von einem weiteren Team vorliegen gehabt hätten. Wahrscheinlich wäre die Eingangsforderung des Agenten Steinberg nicht so kühn gewesen. Wahrscheinlicher wäre es gewesen, dass der Agent jedes Angebot der Falcons, das 100.000 Dollar überstiegen hätte, als erwägungswert angesehen hätte – sein Anker wäre viel geringer ausgefallen. Hätte er ein Gegenangebot als BATNA gehabt, hätte er sich unfreiwillig von dieser Zahl ankern lassen. So wie sich die Falcons von den 750.000 Dollar Forderung haben ankern lassen.

Schwache BATNA, starker Anker

Das Forscherteam um Schaerer hat mithilfe von Experimenten bewiesen, dass eine schwache Alternative ein starker Anker (für sich selbst) ist. In einem der Experimente mussten jeweils zwei Probanden die Rolle von Käufer und Verkäufer spielen. Der Eine verkaufte eine Starbucks-Kaffeetasse, der Andere wollte sie kaufen. Die Probanden wurden auf Basis Ihrer Fähigkeit, den korrekten Preis der Tasse (8,90 Euro) einzuschätzen, ausgesucht. Die Verkäufer erhielten, bevor sie sich mit den Käufern trafen, einen Anruf von einem vermeintlich weiteren Kaufinteressenten. Die Hälfte der Verkäufer erhielt ein Angebot in Höhe von 1,50 Euro vom neuen Kaufinteressenten. Die andere Hälfte erhielt gar kein Angebot vom neuen Kaufinteressenten. Also hatten einige eine BATNA, andere nicht. In den darauffolgenden Verhandlungen wurden die Verkäufer instruiert, als Erste ein Angebot zu unterbreiten und mit dem Käufer so lange zu verhandeln, bis sie sich auf einen Preis geeinigt haben.

Probanden, die vor der Verhandlung angerufen wurden und denen kein weiteres Angebot im Telefonat angeboten wurde, die also keine BATNA hatten, fühlten sich nach dem Telefonat in einer schwächeren Verhandlungsposition. Nichtsdestotrotz eröffneten die Probanden ohne Alternative mit signifikant höheren Forderungen als diejenigen mit einer BATNA. Und sie erreichten tatsächlich auch bessere Ergebnisse.

Der Ankereffekt einer eindeutigen, jedoch schwachen Alternative übertrumpfte das subjektive Machtempfinden. In anderen Experimenten der Studie zeigte sich, dass eine starke Alternative ebenso einen starken Anker darstellt, und Personen mit einer starken BATNA sich höhere Ziele setzen und auch besser performen, im Vergleich zu denjenigen mit einer schwachen oder mit gar keiner.

Die Erkenntnisse der Studien stellen die traditionelle Überzeugung „eine Alternative zu haben ist immer besser“ infrage. Dies wäre uneingeschränkt richtig, wenn wir uns logisch benehmen würden, doch Menschen lassen sich von einer schwachen Alternative beeinflussen und „stapeln tiefer“ als sie es sollten. Das bedeutet nicht, dass man die Suche nach Alternativen für einen Deal sofort einstellen sollte, um sich selbst nicht zu ankern. Es heißt aber, dass man in einer Verhandlung stets parallel versuchen sollte, seine Alternative immer stärker zu machen, um den aktuellen Stand des Deals mit seiner Alternative gut vergleichen und um im Notfall ruhigen Gewissens drauf zurückgreifen zu können.

Die Erkenntnisse der Studie erlauben vier Schlussfolgerungen:

  • Ankern mit der Maximalforderung

Wenn die Alternative zur Vereinbarung schwach erscheint, sollte man sich ausschließlich auf seine Maximalforderung konzentrieren. In einem anderen Experiment haben Schaerer, Swaab und Galinsky herausgefunden, dass Verhandler, die angewiesen wurden sich auf Ihr Maximalziel zu konzentrieren und ihre schwache BATNA zu ignorieren, höhere Eingangsforderungen stellten und bessere Ergebnisse erzielten, als die Verhandler, die explizit instruiert wurden, sich auf ihre Alternative zu konzentrieren. Menschen denken ihr Gegenüber könnte viel weniger geben, als dieser tatsächlich in der Lage ist (small-pie bias). Wenn man aber die „Größe des Kuchens“ unterschätzt, wird man folglich auch unterschätzen, wie viel man vom Kuchen verlangen kann. Es ist also ratsam, es beim Unterbreiten des ersten Angebots aggressiver zu tun, als man zunächst geneigt ist. Bazerman/Malhotra empfehlen sich selbst zu fragen „Was ist die höchste Zahl, die ich rechtfertigen kann?“. Die Frage hilft über anfängliche, zögerliche Instinkte hinweg zu kommen. Somit nennt man keine realitätsfremde Zahl, sondern eine, zu der man eine „Geschichte“ erzählen kann.

  • Risikoanalyse bei Gefühl der Machtlosigkeit

Verhandler, die keine Alternative haben, fühlen sich oft so, als ob sie nichts zu verlieren hätten und unterliegen dem Impuls, sehr aggressive Forderungen zu stellen – genauso, wie es der Agent Steinberg für den Quarterback tat. Die Gefahr besteht, dass man über das Ziel hinausschießt. Aggressive Forderungen können kurzfristig aufgrund des Ankereffekts erfolgreich sein, sie können aber nachteilig sein, wenn der Verhandler dadurch als naiv wahrgenommen wird, oder wenn sich die Gegenseite derart empört, dass sie den Verhandlungstisch verlässt. Bevor man zu hoch ansetzt, sollte man den Verhandlungsspielraum und die Risiken analysieren.

  • Hinzufügen weiterer Forderungen

Die „Kaffee“-Experimente zwangen die Probanden, sich lediglich auf ein Verhandlungsthema zu einigen: auf den Preis der Kaffeetasse. Glücklicherweise liegen in den meisten Wirtschaftsverhandlungen mehr Themen auf dem Verhandlungstisch. Oder man kann weitere Themen hinzufügen. Dadurch kann man eine schwache Verhandlungsposition beim Preis abmildern und ein Ergebnis erzielen, das für beide Seiten tragbar ist.

  • Erfolgreich mit Eröffnungsangebot ankern

Zahlreiche Verhandler denken, dass sie ihr erstes Angebot mit Fakten und Argumenten unterstützen müssen, um ihrer Forderung mehr Gehalt zu geben. Manche sind vielleicht der Ansicht, dass selbst ein schwaches Argument, das die Forderung unterstützt, die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Ihr Verhandlungspartner auf die Forderung eingeht. Denn wenn man mit der Forderung schon den Anker für die weitere Diskussion wirft, müsste doch ein Anker, der von Argumenten gestützt wird, noch wirkungsvoller sein.

Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Wenn ein Verhandler sein erstes Angebot rechtfertigt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sein Gegenüber negativ darauf reagiert. Der Grund dafür liegt im Gefühl des Verhandlungspartners, dass man den Spielraum einengen und ihm das Denken abnehmen möchte. In Situationen, in denen es für den Gegenüber einfach ist, Gegenargumente zu präsentieren, ist dieser in der Regel weniger zugänglich für den Anker-Effekt.

Der Autor

Calin-Mihai Isman, Negotiator & Mediator, Isman & Partner, Köln

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