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Rohstoff des Monats: Erdgas

Rohstoff des Monats: Erdgas
Erdgas im industriellen Einsatz

Grüner wirds nicht: Vier Tüten Grünabfall ergeben nach der Aufbereitung genug Treibstoff, um einen städtischen Bus einen Kilometer voranzubringen. Erdgas als Energieträger einer nachhaltigen Zukunft? Ja – wenn da nur nicht das umweltschädliche Methan wäre. Oder die Energiewende. Oder Fracking …

In Oslo kommt der Treibstoff vom Kompost: In Norwegens Hauptstadt werden jährlich 50.000 Tonnen Bioabfälle gesammelt und dann bei 4,5 bar gekocht. In Bioreaktoren entsteht aus dem organischen Substrat innerhalb von 24 Tagen ein Gasgemisch aus 60 Prozent Methan und 40 Prozent CO2. In einer Aufbereitungsanlage wird es auf mindestens 96  Prozent Methan angereichert und dann wie konventionelles Erdgas verwendet – in diesem Fall in den Tanks von 135 Nahverkehrsbussen. Einen vergleichbaren Weg verfolgt Berlin, wo bereits 160 gasbetriebene Müllfahrzeuge unterwegs sind. Insgesamt gibt es in Deutschland 9500 Biogasanlagen – drei Viertel davon werden von Landwirten betrieben. Nach dem Abschalten der Atomkraftwerke hat sich der Anteil an Bioenergie kurzzeitig verdoppelt. Heute allerdings kämpft die einstige Vorzeigebranche der Energiewende ums Überleben. Nachdem 2017 das System für Wind-, Solar- und Bioenergie von festen Vergütungen auf freie Ausschreibungen umgestellt wurde, rechnen sich viele Biogas-Anlagen nicht mehr.

Alternativ dazu wird aktuell auch über die Nutzung überschüssiger Windkraft diskutiert, kurz Power-to-Gas oder noch kürzer P2G genannt. Bei diesem Verfahren wird Wasser durch Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Dieser Wasserstoff wird daraufhin in das Erdgasnetz eingespeist und mischt sich mit dem darin enthaltenen Erdgas. Das Prinzip ist nicht neu: Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden dem damaligen Stadtgas rund 50 Prozent Wasserstoff zugesetzt.

Umweltbilanz

Dezentral im Schatten von Windrädern eingesetzt, könnte das P2G-Verfahren langfristig die Transportproblematik des wetterabhängigen Windkraftstroms entschärfen. Allerdings fokussiert sich die politisch initiierte Energiewende derzeit mehr auf Stromtrassen von den Offshore-Feldern in der Nordsee zu den Industriezentren im Süden der Republik.

P2G ist die einzige Fördermöglichkeit für umweltneutrales Gas. Zwar entstehen bei der Verbrennung von Erdgas im Vergleich zur Steinkohle bis zu 40 Prozent weniger Kohlendioxid; gegenüber der Braunkohle sind es sogar 50 Prozent Ersparnis. Gleichzeitig entweichen aber entlang der Produktions- und Lieferketten von konventionellem Erdgas große Mengen an Methan (CH4). Dies gilt auch für den Transport von Flüssiggas, das mit 100 bis 200 bar in Hochdruckpipelines oder in Tankschiffe gepumpt wird. Nach Schätzungen der Internationale Energieagentur IEA in Paris gehen durchschnittlich rund 1,7 Prozent der weltweit geförderten Gasmenge durch Leckagen verloren. Das entspricht gemäß Einschätzung des IEA dem Klimaeffekt von 160 Mrd. Tonnen Kohlen-dioxid oder umgerechnet der CO2-Emission sämtlicher Kohlekraftwerke Chinas bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Denn CH4 ist ein Klimakiller mit dem dreißigfachen Schad-potenzial von CO2. Rund ein Drittel der globalen Erderwärmung seit der vorindustriellen Zeit geht laut einer aktuellen „Literaturstudie zur Klimarelevanz von Methanemissionen bei der Erdgasförderung sowie dem Flüssiggas- und Pipelinetransport nach Deutschland“ von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGR auf Methan zurück. Andere Quellen wie die Royal University of London sprechen sogar von gut zwei Dritteln. Vor diesem Hintergrund warnt der International Council on Clean Transportation (ICCT), dass der oft geforderte Einsatz von Erdgas im internationalen Seeverkehr mehr schaden als nutzen könnte. Der ICCT rechnet vor, dass Schiffe mit Gasantrieb unter dem Strich derzeit 80 Prozent mehr klimaschädliche Emissionen verursachen als solche mit herkömmlichem Schiffsdiesel. Die gute Nachricht: CH4 baut sich im Laufe der Zeit in der Atmosphäre selber ab.

Förderung und Transport

Natürliches Erdgas ist farb- und geruchlos, leichter als Luft und bei 600 °C entzündbar. Bei der Verbrennung entstehen als Reaktionsprodukte vor allem Wasser und Kohlenstoffdioxid. Es tritt häufig zusammen mit Erdöl auf, wobei sich das leichtere Gas über dem schweren Erdöl ansammelt. Beide Rohstoffe entstanden durch die gleichen geologischen Prozesse: Aus großen Mengen von abgestorbenen maritimen Kleinstlebewesen, die sich am Meeresboden unter Sauerstoffentzug zu Faulschlamm zersetzen. Im Laufe von Jahrmillionen kann sich dieser Schlamm unter hohes Drücken und Temperaturen in Erdgas umwandeln, das sich in durchlässigem Speichergestein ansammelt. Für die Entstehung einer Lagerstätte sind auch undurchlässige Deckschichten über und neben dem Gasvorkommen notwendig. Ein Gasfeld kann durch seismische Messungen aufgespürt werden. Die einfachste Form der anschließenden Förderung ist das einfache Anbohren der Lagerstätte, aus welcher das Gas mit einem Druck von bis zu 600 bar entweichen kann. Fehlt dieser Druck, oder ist das Gas in porösem Gestein eingeschlossen, kommt Fracking zum Einsatz. Dabei wird unter Drücken von bis zu 1300 bar ein Gemisch von Wasser, Quarzsand und Additiven in das Gestein gepresst, das daraufhin aufbricht und das Gas freigibt.

Fracking ist umstritten, weil es geologische Strukturen verändert und weil Frack-Fluide unter Tage das Grundwasser verunreinigen können. Die genaue Zusammensetzung des geförderten Gases schwankt in Abhängigkeit zur Lagerstätte, es besteht aber immer hauptsächlich aus hochentzündlichem Methan. In den allermeisten Fällen muss es aufbereitet werden – sprich, giftige, korrosive und nicht brennbare Stoffe entfernt sowie das Methan angereichert werden.

Woher und wohin

Erdgasförderung und Verbrauch wachsen jährlich durchschnittlich um rund fünf Prozent. Experten erwarten nach der Corona- Krise einen weiteren Anstieg des globalen Erdgasverbrauches. Die globalen Erdgas-ressourcen betrugen im Jahr 2018 unverändert 629 Bill. m³. Die Russische Föderation, Iran und Katar besitzen zusammen mehr als die Hälfte der weltweiten Erdgasreserven. Weltweit größter Importeur ist seit 2018 erstmals China. 45 Prozent der globalen Erdgasimporte gehen nach Europa, 9,5 Prozent nach Deutschland. Wir beziehen Erdgas vor allem aus Russland (40 %), den Niederlanden (29 %) und Norwegen (21 %). Die größten deutschen Erdgasfelder liegen in Niedersachsen in drei bis fünf Kilometern Tiefe. Sie decken aktuell acht Prozent unseres Bedarfs.

Erdgas wird in Deutschland vor allem zur Wärmegewinnung genutzt – über die Hälfte der Haushalte heizt inzwischen mit Erdgas, Tendenz steigend. 37 Prozent gehen an gewerbliche Kunden, namentlich sind dies die chemische Industrie sowie Glas- und Stahlerzeuger. Die Bedeutung von Erdgas nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. Ein Grund dafür sind die immer strengeren Emissionsauflagen, die mit feinstaubarmem Erdgas leichter zu erreichen sind als etwa mit Kohle oder Öl. Dazu kommen prozess-bedingte Vorteile: Die Warmumformung von Stahlblechen erhöht die Steifigkeit des Materials, sodass beispielsweise bei der Karosserie eines VW Golf durch dünnere Bleche insgesamt 23 Kilogramm eingespart werden können. Bei temperaturkritischen Prozessen bewährt sich Erdgas auch deshalb, weil mit diesem Energieträger Wärme punktgenau dosiert und eingehalten werden kann. Diese Eigenschaften schätzt unter anderem die Glas- und Porzellanindustrie.


Michael Grupp, freier Journalist in Stuttgart

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