Diese Meldung ist im Original am 10. November 2022 erschienen und wurde am 14. November 2022 aktualisiert.
Die Herstellung der 300 Produkte mit dem höchsten Gasverbrauch verursacht knapp 90 Prozent des gesamten Gasverbrauchs der deutschen Industrie. Somit verwendet die Industrie den Großteil ihres Gasbedarfs auf eine kleine Minderheit von Produkten.
Das geht aus einem Gutachten des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hervor, welches erstmals den Gasverbrauch bei der Fertigung einzelner Produkte in Deutschland ermittelt hat. Die Analyse entstand für das Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Wirtschaftsweisen).
Chemische Grundstoffindustrie stark betroffen
Bei einer Vervierfachung des Gaspreises für industrielle Abnehmer in Deutschland erhöhen sich die Herstellungskosten im Durchschnitt aller untersuchten 300 Produkte um 12 Cent je Euro Umsatz. Würde die Kostensteigerung vollständig an die Kunden weitergegeben, müssten die Preise für diese Produkte somit um 12 Prozent steigen.
Laut IWH-Studie kommen die fünf Produkte mit dem höchsten Gasverbrauch pro Euro Umsatz aus der chemischen Grundstoffindustrie. Deren Herstellung in Deutschland dürfte aufgrund der gestiegenen Gaspreise kaum mehr international wettbewerbsfähig sein.
Produktionsdrosselungen bei gasintensiven Produkten
Das IWH-Gutachten berechnet verschiedene Szenarien und geht dabei davon aus, dass steigende Gaspreise vor allem zu Produktionsdrosselungen bei gasintensiven Produkten führen, die leicht durch Importe ersetzt werden können. Trotz heimischer Produktionsausfälle sind dann keine wesentlichen Unterbrechungen der Wertschöpfungsketten in Deutschland zu erwarten.
Würden Produkte mit hoher Gasintensität und hoher Importsubstituierbarkeit überhaupt nicht mehr in Deutschland hergestellt, würde die deutsche Industrie laut IWH-Studie etwa 26 Prozent ihres Gesamtgasverbrauchs einsparen, aber weniger als 3 Prozent ihres Umsatzes verlieren.
„Die deutsche Industrie kann sehr viel Gas bei geringen Umsatzeinbußen einsparen, wenn gasintensive Produkte nicht mehr selbst hergestellt, sondern importiert werden“, sagt Steffen Müller, Leiter der IWH-Abteilung Strukturwandel und Produktivität, der die Studie zusammen mit Matthias Mertens verfasst hat.
Für die Untersuchung verknüpften Müller und Mertens Daten der statistischen Ämter in Deutschland, um Zusammenhänge zwischen industriellem Gasverbrauch und Umsatz auf Ebene von Produkten herzustellen. In einem weiteren Schritt kombinierten sie diese Informationen mit Außenhandelsdaten der Vereinten Nationen, um zu ermitteln, inwiefern die Herstellung von Produkten durch Importe ersetzt werden kann.
Produktionsabläufe miteinbeziehen
Die IWH-Studie betrachtet laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ausschließlich die Produktebene, während produktionstechnische Zusammenhänge, Kuppelproduktion und Lieferkettenabhängigkeiten nicht berücksichtigt wurden. Dem IW zufolge wurde dabei unter anderem missachtet, dass an vielen Chemiestandorten Produktionsprozesse eng verzahnt sind und nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können.
Ein Beispiel ist demnach Ammoniak: Die chemische Verbindung wird auf Basis von Erdgas hergestellt, in der Produktion fällt CO₂ als Nebenprodukt an. Dieses CO₂ ist ein wichtiger Rohstoff für die Lebensmittelindustrie sowie ein Ausgangspunkt für Folgeprodukte wie Adblue. Würde Ammoniak importiert – um den deutschen Erdgasverbrauch weiter zu senken – müssten auch die Koppelprodukte eingeführt werden. (ys)