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Das neue Abmahnrecht ab Dezember 2020

Neues Abmahnrecht
Gefahr oder Segen für den fairen Wettbewerb

Gefahr oder Segen für den fairen Wettbewerb
Rechtsanwalt Dr. Nikolas Gregor, CMS Hasche Sigle Partnerschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern mbB, Hamburg Bild: CMS
Das Gesetz gegen Abmahnmissbrauch ist seit Dezember 2020 in Kraft. Es soll das massenhafte Abmahnen als lukratives Geschäftsmodell verhindern. Was kleine und mittlere Unternehmen schützt, gefährdet gleichzeitig die außergerichtliche Streitbeilegung.

Das Wettbewerbsrecht reguliert sich in Deutschland durch Selbstkontrolle: Verstöße werden nicht vorrangig von Behörden geahndet, sondern „untereinander“. Wenn jemand gegen Verbraucherschutzvorschriften und Kennzeichnungs- bzw. Informationspflichten verstößt, dürfen seine Mitbewerber sowie bestimmte anerkannte Verbände ihn abmahnen. Sie bereinigen damit, quasi stellvertretend für die Allgemeinheit, den Wettbewerb und dürfen die daraus resultierenden Einnahmen für ihre Zwecke verwenden.

Bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) etwa kamen so im vergangenen Jahr 2,4 Millionen Euro zusammen: hauptsächlich Abmahngebühren sowie Konventionalstrafen, die Unternehmen wegen Verstößen gegen das Lauterkeitsrecht zahlen mussten (darunter zahlreiche Autohändler, die bei der Bewerbung der Modelle den Energieverbrauch nicht ordnungsgemäß angegeben hatten).

Doch für die derzeit 78 beim Bundesamt der Justiz verzeichneten Verbände könnten die Einnahmen jetzt schrumpfen. Denn das „Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“ verschärft seit Dezember vergangenen Jahres die Anforderungen an Abmahnungen und beschränkt die Höhe etwaiger Vertragsstrafen.

Kein Aufwendungsersatz

Die Formvorschriften, die ein Abmahnschreiben einhalten muss, sind nun in § 13 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) genau normiert (siehe Kasten). Nach wie vor ist es prinzipiell zulässig, von einem Mitbewerber zu verlangen, dass er gewisse Verstöße unterlässt. Beispiele: Ein Händler wirbt mit irreführenden Preisen, benutzt eine falsche Widerrufsbelehrung oder hat kein Impressum auf seiner Website. Die Aufwendungen, die dem Abmahnenden durch die Recherche, das Anschreiben und eine eventuell erforderliche anwaltliche Überprüfung entstehen, konnte er bislang von dem Adressaten ersetzt verlangen („Abmahngebühren“).

Dieser Aufwendungsersatz ist seit Dezember dann ausgeschlossen, wenn es um bloße Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet geht und der Abmahnende ein Wettbewerber ist. Ebenso, wenn es um Datenschutzverstöße geht und der Abgemahnte weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigt. Bei einer Erstabmahnung kann der abmahnende Mitbewerber keine Vertragsstrafe mehr verlangen, wenn der Adressat weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt. Durch diese neuen Regeln werden kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vor finanziellen Schäden geschützt und formale Fehler weniger hart bestraft.

Dubiose Geschäftemacherei

Die beim Justiz-Bundesamt gelisteten Vereinigungen – neben DUH etwa ADAC, BUND und die Verbraucherzentralen der Länder – können Aufwendungsersatz und Vertragsstrafen weiterhin geltend machen, denn der Gesetzgeber geht von deren Redlichkeit aus. Doch es tummeln sich noch andere Akteure auf dem Abmahnmarkt, die gewerbsmäßig an der Unwissenheit anderer verdienen. „Es gibt leider immer wieder ‚schwarze Schafe‘ – insbesondere kleine, zum Teil dubiose Vereine –, die Bagatellverstöße zum Anlass nehmen, Unternehmen abzumahnen und damit vor allem Abmahngebühren und Vertragsstrafen einzutreiben“, berichtet Dr. Nikolas Gregor, Experte für Wettbewerbsrecht im Hamburger Büro der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Diese schwarzen Schafe hat der Gesetzgeber im Visier. „Durch die Verringerung finanzieller Anreize soll der Abmahnmissbrauch eingedämmt werden“, führt er dazu in der Gesetzesbegründung aus.

Doch es ist unklar, ob die Missstände tatsächlich so groß sind wie angenommen. Rechtsanwalt Gregor hat Zweifel: „Das Justizministerium schätzt, dass zehn Prozent aller Abmahnungen missbräuchlich sind. Woher diese Zahl kommt, ist aber völlig unklar.“ Auch Dr. Reiner Münker, Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs („Wettbewerbszentrale“), bemängelt das Fehlen einer validen Faktenbasis. „Der Gesetzgeber hat das deutsche Wettbewerbsrecht unter Generalverdacht gestellt und an vielen Detailschrauben des bisher effizienten Rechtsdurchsetzungssystems gedreht.“ Man habe aus den Augen verloren, dass die Abmahnung gerade zum Schutz der Abgemahnten geschaffen worden sei, nämlich als Möglichkeit, einen Streit untereinander, außerhalb der Gerichte, beizulegen, so Münker. Denn ohne das Instrument der Abmahnung müsste direkt Klage erhoben werden.

Beide Experten sind der Ansicht, dass der Gesetzgeber sich eher für die Reduzierung der vielen Kennzeichnungs- und Informationspflichten hätte einsetzen sollen. „Das würde der gesamten Wirtschaft helfen, insbesondere KMU, und missbräuchlichen Abmahnungen die wichtigste Grundlage entziehen“, sagt Geschäftsführer Münker. Die Rechtsstellung der tatsächlich von Abmahnmissbrauch betroffenen Gewerbetreibenden sei durch die Gesetzesänderung nicht verbessert worden.

Im Gegenteil: „Wenn nicht alle Vorgaben, was eine Abmahnung nun alles enthalten muss, beachtet werden, ist die Abmahnung selbst bei einem schweren Verstoß unberechtigt, und der Abgemahnte hat einen Gegenanspruch auf Ersatz seiner Anwaltskosten“, erläutert Wettbewerbsrechtler Gregor. Wer Angst vor dieser möglichen Folge hat, lässt zukünftig womöglich lieber die Finger davon, einen Konkurrenten abzumahnen – eine Gefahr für das System der Selbstregulierung.

Umgekehrt hat der Empfänger einer Abmahnung nun die Möglichkeit, diese aus rein formalen Gründen zurückzuweisen. „Wer ein Abmahnschreiben erhält – insbesondere wegen Verstößen im Internet oder wegen Datenschutzverstößen –, sollte von einem Anwalt prüfen lassen, ob es berechtigt ist und die neuen Vorgaben einhält“, rät Gregor.

Gegen den Missbrauch

Gelangen Wettbewerbsverstöße vor Gericht, galt bisher der sogenannte fliegende Gerichtsstand: War der Kläger ein konkurrierendes Unternehmen, konnte er sich an alle Gerichte wenden, in deren Bezirk die Rechtsverletzung begangen wurde. Bei Verstößen im Internet waren quasi alle Landgerichte in ganz Deutschland gleichermaßen zuständig.

Nach der Neuregelung ist nun immer das Gericht am Sitz des Beklagten anzurufen. „Das Bundesjustizministerium war der Meinung, dass der fliegende Gerichtsstand einen Anreiz zum Missbrauch biete, da sich der Kläger sein Gericht aussuchen könne“, erläutert Anwalt Gregor. Er bedauert: „In der Praxis haben sich Unternehmen jedoch immer wieder an die gleiche Gruppe von Landgerichten gewandt, sodass sich dort über die Jahre eine Expertise in diesem Spezialgebiet herausgebildet hat.“ Diese droht nun verloren zu gehen, dank der schwarzen Schafe.


Die Autorin: Anja Falkenstein,

Rechtsanwältin, Karlsruhe


Gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)

§ 13 UWG Abmahnung; Unterlassungsverpflichtung; Haftung

(1) Die zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten sollen den Schuldner vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen.

(2) In der Abmahnung muss klar und verständlich angegeben werden:

1. Name oder Firma des Abmahnenden sowie im Fall einer Vertretung zusätzlich Name oder Firma des Vertreters,

2. die Voraussetzungen der Anspruchsberechtigung nach § 8 Absatz 3,

3. ob und in welcher Höhe ein Aufwendungsersatzanspruch geltend gemacht wird und wie sich dieser berechnet,

4. die Rechtsverletzung unter Angabe der tatsächlichen Umstände,

5. in den Fällen des Absatzes 4, dass der Anspruch auf Aufwendungsersatz ausgeschlossen ist.


Serie Einkaufsrecht

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