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Gut gepolsterter Schaumstoffpreis

Rohstoff des Monats: Polyurethan
Gut gepolsterter Schaumstoffpreis

Wenn Polyethylen vereinfachend für Plastik steht, dann steht Polyurethan für Schaumstoff. Ein omnipotenter Stoff für die Industrie, eine Herausforderung für EinkäuferInnen. Denn der Schaumstoffpreis kennt seit Monaten nur eine Richtung: Es geht aufwärts!

Es gibt mehrere Gründe für die derzeitige Preisrallye bei Polyurethan: So sorgen eine überraschend (wieder) erstarkte Automobilindustrie sowie der Immobilienboom für einen hohen Bedarf an Dämm- und Schaumstoffen. Dazu verteuerte sich allein im letzten halben Jahr der Ausgangsstoff Benzol von 545 Euro auf 742 Euro pro Tonne – ein Anstieg um mehr als 36 Prozent. Dazu kommt, dass wichtige Hersteller ausfallen bzw. ihre Produktion gedrosselt haben. So sind die US-amerikanischen Produktionsanlagen immer noch durch den extremen Wintereinbruch gekennzeichnet, die TDI-Produktion von BASF in Ludwigshafen wird durch zeitweise Abschaltungen beeinträchtigt und das Dow-Joint Venture Sadara Chemical führt schon seit Monaten umfangreiche Wartungsarbeiten durch.

Das alles führt (wie auch bei Polyethylen) zu einem klassischen Verkäufermarkt und der Schaumstoffpreis steigt. Laut dem Branchendienst Kunststoff Information KI verhandeln die Verkäufer derzeit nicht, sie teilen zu. Allokationen waren in den letzten Wochen an der Tagesordnung und wer den verlangten Preis nicht bezahlte, erhielt nicht einmal verringerte Kontingente. Für den europäischen Polyurethan-Markt ist nach Einschätzung von KI in den nächsten Wochen kaum mit einer Entlastung zu rechnen.

PURe Fakten

Die Kunststoffproduktion wächst seit Jahren konstant auf derzeit 380 Mio. Tonnen weltweit. Dieser Trend wird vor allem durch die asiatischen Länder befeuert – allen voran China. In Europa dagegen stagnieren die Produktionsmengen. Die deutsche Kunststoffindustrie ist die größte ihrer Art in Europa und macht ungefähr ein Drittel des europäischen Marktes aus – allerdings mit rückläufiger Tendenz. Am häufigsten wird Kunststoff in Europa für Verpackungen genutzt (40 %), gefolgt von der Bauindustrie (20 %) sowie der Automobilbranche (10 %). Polyurethan macht ungefähr sieben Prozent des weltweit verarbeiteten Kunststoffes aus.

MDI oder TDI

Die Eigenschaften von Polyurethan (PUR) werden von den beiden verwendeten Ausgangsmaterialien bestimmt: Polyol und Isocyanat. Polyole werden aus Mineralöl hergestellt und sind bei Raumtemperatur zähflüssig. Sie dienen neben der PUR-Herstellung beispielsweise auch als Zuckeraustauschstoff oder als Frostschutzmittel. Als Isocyanat dienen Methylen-Diphenyl-diisocyanat (MDI) oder Toluol-Diisocyanat (TDI). Wird ein Polyol mit einem dieser Isocyanate vermischt, entsteht durch eine sogenannte Polyadditionsreaktion Polyurethan. Geschieht dies in einer wasserhaltigen Umgebung, entsteht Gas und das wiederum führt zu einer Schaumbildung. Dabei wird zwischen PUR-Hartschäumen und PUR-Weichschäumen unterschieden. Diese machen in Summe etwa 90 Prozent aller Polyurethan-Produkte aus – zum Beispiel in Form von Bauschäumen, Dämmplatten, Autositzen, Polstern, Matratzen und Schuhsohlen. Ohne H2O entstehen dagegen flexible oder harte Kunststoffe.

Ein besonders anspruchsvolles Anwendungsgebiet sind Integralschaumstoffe (Strukturschaumstoffe), deren Dichte von innen nach außen kontinuierlich zunehmen. Sie besitzen damit einen porösen Kern sowie eine nahezu massive Randzone.

Verwendet man bei der Herstellung höherwertige Alkohole, entstehen stabile quervernetze Molekülketten und in Folge Hartplastik, Klebstoffe, Farben und Lacke. Nach der Aushärtung können sie nur noch mechanisch verändert werden. Prominentes Beispiel für solche Duroplaste ist die Außenkarosserie des Trabant. Von wegen Pappe!

Marktentwicklung

PUR auf Basis von MDI macht mehr als die Hälfte des gesamten PUR-Verbrauchs aus und baut diesen Vorsprung kontinuierlich weiter aus. Ein Grund dafür ist der Bedarf der Bauindustrie, die immer mehr MDI-basiertes PUR verbraucht – eine Folge der gesetzlichen Vorgabe nach optimierter Dämmung von Immobilien.

Umweltverträglichkeit und Recycling

Die Folie über und die Schale unter den Äpfeln im Supermarkt bestehen zumeist aus Polyurethan – sind mithin lebensmittelecht und umweltfreundlich. Das gilt allerdings nicht für den Herstellungsprozess. Für die Produktion werden unter anderem Chlor und Isocyanat eingesetzt – beides hochgiftige Stoffe. Auch das Recycling ist problematisch: PUR-Abfallprodukte aus der Industrie und von den Verbrauchern landen größtenteils auf Mülldeponien und in Verbrennungsanlagen.

BUND und Greenpeace sind besorgt: „Bei der Verbrennung von PUR werden zahlreiche gefährliche Chemikalien wie Isocyanate, Blausäure und Dioxine freigesetzt. In Deponien wirkt der Stoff giftig und zersetzt sich in klimaschädliche Stoffe“, urteilen die Umweltschützer.

Substituieren lässt sich Polyurethan nur mit spürbaren Qualitäts- und Funktionalitäts-Abstrichen. Um ihre Umweltbilanz zu verbessern, arbeiten PUR-Hersteller deshalb an Prozessverbesserungen. Diese beziehen sich primär auf die eingesetzten Rohstoffe. So bietet der Hersteller Lanxess mit Adipen Green ein Polyurethan an, das mit Polyolen auf Basis von Stärke hergestellt wird. Darüber hinaus arbeitet ein skandinavisches Konsortium derzeit an einem Verfahren, bei dem PUR-Abfälle in ihre Grundbausteine zerlegt werden. Diese Monomere können dann erneut in den Stoffkreislauf eingehen.

Michael Grupp, Journalist, Stuttgart


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