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Chinesisches Handelsrecht

Vertragsgestaltung mit chinesischen Handelspartnern in Corona-Zeiten
Handel und Händel mit China

Chinas Außenhandel mit Deutschland ist nach offiziellen Zahlen des chinesischen Zolls im Mai 2020 um knapp zehn Prozent eingebrochen. Dabei ging der Export um gut zwei Prozent zurück, Importe reduzierten sich um 15 Prozent. Der Rückgang ist Corona geschuldet – und war damit in den meisten Fällen unabsehbar. Was tun, wenn der asiatische Kunde bzw. Lieferant kurzfristig Verträge und Fristen nicht einhalten kann?

Rund um den Globus gilt: Höhere Gewalt setzt Vertragsrecht außer Kraft. Als Rechtsfolge werden die betroffenen Parteien von ihren Hauptleistungspflichten befreit – und damit auch von eventuellen Schadenersatzansprüchen. Auch für die Abnehmer hat der Eintritt von höherer Gewalt Konsequenzen: Es entfallen eventuell vereinbarte Vorleistungsverpflichtungen.

Kommt eine Zusammenarbeit wegen höherer Gewalt zum Erliegen, sind vier Folge-szenarien möglich: Erstens wird der Vertrag automatisch aufgelöst, zweitens können Vertragspflichten für die Dauer der höheren Gewalt ausgesetzt werden oder drittens erhält jede Partei innerhalb einer bestimmten Frist ein außerordentliches Kündigungsrecht. Die vierte (und empfehlenswerte) Alternative besteht in der gemeinsamen Prüfung von Alternativlösungen. Die Rahmenbedingungen dafür regelt entweder ein entsprechender Vertrag oder die jeweilige nationale bzw. internationale Gesetzgebung. Dabei gilt: Individualrecht steht über internationalem Recht und dieses wiederum über nationalen Regelungen. Deshalb muss zuerst einmal geprüft werden, welches Recht überhaupt zur Anwendung kommt. Eine Wahlklausel kann im Rahmen eines Vertrages ausdrücklich auf die Rechtsordnung eines bestimmten Landes verweisen. Dabei sollte von einem Gerichtsstand in Deutschland abgesehen werden, da deutsche Urteile in China nur bedingt vollstreckt werden können. Empfehlenswert ist dagegen eine Schieds-gerichtsklausel. Als Signatarstaat der New Yorker Konvention müssen alle chinesischen Gerichte die Entscheidungen ausländischer Schiedsgerichte ohne weitere Prüfung anerkennen und vollstrecken. Generell sind internationale Rechtsordnungen großzügiger in der Bejahung höherer Gewalt, als europäische Gesetze im Allgemeinen und das deutsche Recht im Besonderen. Im Corona-Umfeld haben chinesische Gerichte teilweise sogar eigenverschuldete Zahlungsprobleme als Force Majeure-Gewalt eingestuft.

Wenn höhere Gewalt absehbar wird

Neben dem Verweis auf die Rechtsordnung eines Landes können im jeweiligen Vertrag auch die Rahmenparameter für höhere Gewalt individuell festgelegt werden. Dabei werden in Zukunft Pandemien sicherlich eine größere Rolle spielen als bisher. Darüber hinaus können weitere Ereignisse wie zum Beispiel Streiks oder die Gefahren auf hoher See als höhere Gewalt eingeordnet werden – die bisher nicht automatisch unter diese Klausel fallen. Es kann aber auch geregelt werden, was nicht als höhere Gewalt gelten soll: Zum Beispiel Stromausfälle, da diese mit entsprechenden Vorsorgemaßnahmen verhindert werden können. Von besonderer Bedeutung für bestehende und zukünftige Verträge ist der unabsehbare weitere Verlauf von Corona. Selbst mit dem Abflachen der aktuellen Infektionswelle kann Stand heute nicht ausgeschlossen werden, dass es zu weiteren Infektionswellen kommt. Ob diese dann von Gerichten weiterhin als unvorhersehbar und unvermeidbar eingestuft werden, ist nicht absehbar. Bei zukünftigen Verzögerungen und Ausfällen ergibt sich damit eine Rechtsunsicherheit, die sich im Vorfeld durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen aus der Welt schaffen lassen.

Internationales Recht

Sieht der vorliegende Vertrag keine Regelung in Bezug auf höhere Gewalt vor, kommt ergänzend zum Bürgerlichen Gesetzbuch BGB maßgeblich das UN-Kaufrecht CISG zur Anwendung. Gemäß Artikel 79 CISG muss eine Vertragspartei nicht für Folgeschäden eintreten, wenn sie beweist „… dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereiches liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, diesen bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen.“ Die entsprechende Definition im chinesischen Recht lautet gemäß Artikel 180 der Allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts der VR China: „Ein objektiver Umstand, der nicht vorhersehbar ist, unvermeidlich und unüberwindlich.“ Das trifft auf die Corona-geschädigten Provinzen in China sicherlich zu. Infolge stellen die chinesischen Außenhandelskammern sowie die Industrieverbände inländischen Firmen sogenannte Force Majeure-Zertifikate aus. Inzwischen können auch Unternehmen ohne Sitz in China ein solches Zertifikat beantragen – die bürokratischen Hürden sind allerdings höher als für ihre chinesischen Marktpartner.

Darüber hinaus betonen chinesische Gerichte, dass Force Majeure-Zertifikate nur eine Indiz-Wirkung besitzen und nicht in jedem Fall höhere Gewalt beweisen. Sie dienen damit bestenfalls als Grundlage für Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern. Eindeutig ist dagegen der Nachweis einer Einschränkung infolge einer entsprechenden behördlichen Anordnung. In diesem Fall haben chinesische Gerichte höhere Gewalt bereits bestätigt. Ergänzend gilt: Gemäß Artikel 118 des chinesischen Vertragsgesetzes muss eine Partei die andere rechtzeitig benachrichtigen, wenn sie den Vertrag aufgrund höherer Gewalt nicht ausführen kann. Zur eigentlichen Mitteilung gehören neben dem Vertrag auch Bescheinigungen der lokalen Regierungen, sowie gegebenenfalls Nachweise über Verzögerungen auf dem See-, Land- oder Luftweg.

Kulturelle Rahmenbedingungen

Parallel zu dieser Benachrichtigung sollte am besten gemeinsam geklärt werden, wie Nachteile für beide Parteien abgefedert werden können. Dabei ist das asiatische Rechtsverständnis zu beachten. In der chinesischen Kultur werden Verträge als Zwischenresultat angesehen, das jederzeit neu verhandelt werden kann. Nachverhandlungen werden als Anpassungen an die jeweils aktuellen Rahmenbedingungen angesehen und gelten nicht als Vertragsbruch. Und zweitens ist der Weg vor ein chinesisches Gericht untrennbar mit einem Abbruch aller Geschäftsbeziehungen verbunden – quasi eine finale Klärung verbleibender Ansprüche und Rechte auf verbrannter Erde.

Unmöglichkeit der Leistung

Wird eine asiatische Messe oder Veranstaltung von den Behörden untersagt, können daraufhin Verträge beispielsweise von Messebauern, Ausstellern oder Catering-unternehmen nicht mehr erfüllt werden. In diesem Fall liegt eine Unmöglichkeit der Leistung vor, die infolgedessen auch nicht mehr erbracht werden muss. Allerdings verliert der Lieferant gleichzeitig den Anspruch auf Vergütung und muss eventuelle Anzahlungen zurückerstatten. Etwas anders sieht es bei der Buchung von Hotelzimmern aus. Durch die Absage entfällt nur einer von vielen möglichen Anlässen für die Buchung, das Zimmer könnte ja auch anderweitig genutzt werden. Deshalb entfällt hier die Berechtigung zum Rücktritt von der Buchung. Allerdings räumen viele internationalen Hotels großzügige Rücktrittsrechte ein.

Auch hier gilt deshalb: möglichst frühzeitig miteinander reden.


Michael Grupp, freier Journalist in Stuttgart

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