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Lieferkettengesetz: Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg?

Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)
Lieferkettengesetz: Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg?

Lieferkettengesetz: Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg?
Der Krieg in der Ukraine hat weitreichende Auswirkungen, auch auf die Lieferbeziehungen. Wer Geschäfte mit russischen Unternehmen macht ist jetzt gefordert – vor allem, wenn es um bestehende Verträge geht. Bild: trueffelpix/stock.adobe.com

Zum 1. Januar 2023 tritt das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (im Folgenden „LkSG“) in Kraft. Es verpflichtet deutsche Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmer:innen im Inland zum Schutz von Menschenrechten und Umweltbelangen in der eigenen Geschäftstätigkeit und der Lieferkette. Doch was bedeuten unvorhergesehene politische und wirtschaftliche Ereignisse wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine für die Umsetzung der neuen LkSG-Pflichten? Wie können Unternehmen den Anforderungen bei solchen Ereignissen künftig nachkommen?

Das LkSG normiert die Pflicht für Unternehmen, ein Risikomanagementsystem in ihrer Lieferkette zu etablieren. Dieses muss in den verschiedenen Bereichen des Unternehmens verankert sein, zum Beispiel der Compliance-Abteilung, der Personalabteilung und dem Einkauf. Weiterhin müssen Unternehmen regelmäßig und anlassbezogen Risikoanalysen durchführen. Sie sollen transparent machen, welche Auswirkungen nicht nur die eigenen Unternehmensaktivitäten auf Menschen und Umwelt haben – sondern die gesamte Lieferkette samt aller Zulieferer. Dafür kommt es auf eine angemessene Methodik an, die Unternehmen hilft, Risiken zu identifizieren, zu bewerten und zu priorisieren, um so wirksame Maßnahmen festzulegen. Konkret ist die Ausgestaltung der Risikoanalyse jedoch nicht gesetzlich festgelegt. Die Folge: Unternehmen müssen mit Blick auf ihre Zulieferer selbst eine strukturierte Methodik etablieren, die die Einschätzung von Wahrscheinlichkeit, Art und Schwere sowie das Einflussvermögen auf Risiken oder etwaige Verstöße geschützter Rechtspositionen erlaubt. Mittelbar durch die Anforderungen des LkSG muss auch der Einkauf seine Einkaufsentscheidungen künftig besonders kritisch reflektieren.

Auf welche Risiken es ankommt, ist abschließend in § 2 LkSG geregelt. Der Katalog umfasst menschenrechtliche Risiken, wie Missachtung von Arbeitsschutz oder Ungleichbehandlung in der Beschäftigung, und umweltbezogene Risiken, wie die Herstellung und Verwendung von Quecksilber und der nicht umweltgerechte Umgang mit Abfällen.

Kriege als solche sind davon nicht unmittelbar erfasst. Doch obwohl sie kein ausdrückliches Risiko im Sinne des LkSG darstellen, beeinflussen Kriege mittelbar die Menschenrechts- und Umweltlage in der Lieferkette. Etwa können sich aufgrund der Kriegssituation Prioritäten verschieben und lokale Gesetze, Verhaltenskodizes und Standards vernachlässigt werden.

Wie hätten Unternehmen aktuell handeln müssen?

Wäre das LkSG bereits heute in Kraft getreten, wie sollten Unternehmen mit (un)mittelbaren Zulieferern in der Ukraine handeln? Zuerst wäre eine anlassbezogene Risikoanalyse als Reaktion oder in Vorschau auf die damit verbundene Veränderung in ihrem Geschäftsfeld empfehlenswert. Das LkSG unterscheidet im Umfang der zu ergreifenden Maßnahmen zwischen Tier 1 (unmittelbare) und Tier n (mittelbare) Lieferanten. Tier 1 stellt dabei strengere Sorgfaltsanforderungen und umfasst mit unmittelbaren Zulieferern jeden Vertragspartner, der zur Produktherstellung oder zur Erbringung der Dienstleistung notwendig ist – vom Rohstofflieferanten über den Zulieferer komplexer Bauteile und Komponenten bis zum IT-Dienstleister. Doch auch mittelbare Zulieferer sind zu beachten, wenn Unternehmen aufgrund der Kriegssituation tatsächliche Anhaltspunkte über eine Pflichtverletzung vorliegen (sog. „substantiierte Kenntnis“). Der Ukrainekrieg beherrscht aktuell die Medien und hat mittelbar Auswirkungen auf deutsche Unternehmen – eine substantiierte Kenntnis dürfte also grundsätzlich anzunehmen sein.

Risiken und ihre Treiber

Im Rahmen der Risikoanalyse bei Zulieferern sind insbesondere die mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen und die Annexion ukrainischen Staatsgebiets durch russische Streitkräfte als Risikotreiber beachtlich, wenn sie das Unternehmen zum Beispiel durch Lieferverzögerungen beeinflussen. Unternehmen müssen damit rechnen, dass sich kriegsbedingt Risiken zur Missachtung des Arbeitsschutzes und der Koalitionsfreiheit erhöhen. Auch potenzielle Risiken im Hinblick auf exzessive Anzahl von Überstunden durch wegfallende Arbeitskraft entsandter Soldaten könnten als erhöht eingestuft werden und sollten durch die Auswahl geeigneter Methoden identifiziert und bewertet werden. Auch bei der Risikoanalyse sind mittelbare Auswirkungen relevant: Verknappte Lieferkapazitäten in der Ukraine können dazu führen, dass die Produktionsvolumina an anderer Stelle erhöht werden und auch die damit einhergehenden Risiken steigen. Sind für die Einordnung und entsprechende Maßnahmen weitere Informationen über Produktionsstandorte und vom Zulieferer umgesetzte Maßnahmen nötig, sollten Unternehmen diese lieber früher als später einholen.

Lieferanten aus der Pflicht nehmen?

CocaCola, Goldmann Sachs, Ikea und viele weitere: Während viele Unternehmen ihr Russland-Geschäft bereits ohne gesetzliche Pflicht mit Beginn des Angriffskriegs stoppten, sind mit Inkrafttreten des LkSG künftig alle Unternehmen in der Pflicht, auf Basis ihrer Risikoanalysen geeignete Maßnahmen abzuleiten. Wichtig: Im rechtlichen Sinn kann der Krieg als höhere Gewalt oder Unmöglichkeit eingeordnet werden, eine grundsätzliche Leistungsbefreiung des Zulieferers wäre die Folge. Sonst gelten die Anforderungen des LkSG. Eine mögliche Maßnahme für Unternehmen könnte sein, Leistungen von Lieferanten in Kriegsgebieten nicht wie vertraglich vereinbart zu verlangen beziehungsweise abzurufen, wenn dies Beschäftigte vor Ort in unmittelbare Gefahr bringen könnte. Eine generelle Pflicht zum Abbruch von Geschäftsbeziehungen besteht jedoch nicht – sie ist das letzte Mittel, wenn die Rechtsverletzungen nicht anders beseitigt werden können.

Klärende Handreichungen sind vonnöten

Die Lage bleibt weiter unübersichtlich. Allgemeine Umsetzungs-, Orientierungshilfen und Praxisleitfäden, wie die Nachverfolgung von Lieferketten erfolgen kann, wurden bereits angekündigt. Insbesondere für Sonderfälle macht die Volatilität klärende Handreichungen zur Herstellung von Rechtssicherheit und -klarheit des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle dringend erforderlich, so auch zu Risikoanalysen im Kriegsfall. Neben rein rechtlichen Ausführungen sollten auch operative Hinweise enthalten sein, die Unternehmen eine gesetzeskonforme Implementierung des LkSG in bestehende Abläufe ermöglichen.

Empfehlungen der Experten

Bis dahin empfehlen wir, dass Unternehmen nach Inkrafttreten des LkSG Kriege und sonstige politische Umbrüche bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten konsequent berücksichtigen. Neben den möglichen gesetzlichen Folgen – im Einzelfall etwa behördliche Kontrollen, oder die Durchsetzung von Zwangs- und Bußgeldern – sind Unternehmen auch dem öffentlichen Druck ausgesetzt. Die Umsetzung des LkSG sollte daher unter Berücksichtigung der geschützten Rechtspositionen besonders sorgfältig erfolgen.

 

Die Autoren:

Dr. Tobias v. Tucher, LL.M. Eur, Rechtsanwalt/Partner bei PwC Legal, Praxisgruppe IP, IT, Commercial und Datenschutz
Dr. Jan Joachim Herrmann, Partner bei PwC Deutschland, Management Consulting Procurement
Felix Kesselberg, Manager bei PwC Deutschland, Management Consulting Procurement
Beate Schindlbeck, Rechtsanwältin / Senior Associate bei PwC Legal, Praxisgruppe IP, IT, Commercial und Datenschutz

Die Autoren erarbeiten seit Sommer 2021 ganzheitliche Lösungsansätze zur Umsetzung des LkSG in PwC‘s interdisziplinären Center of Excellence und haben bereits umfassende Umsetzungserfahrung aus mehreren laufenden Projekten mit Kunden aus verschiedenen Branchen.

 

Zusammenfassung:

Der Krieg in der Ukraine hat weitreichende Auswirkungen, auch auf die Lieferbeziehungen. Wer Geschäfte mit russischen Unternehmen macht ist jetzt gefordert – vor allem, wenn es um bestehende Verträge geht. „Ist die Lieferung an einen Kunden in Russland nicht von Sanktionen umfasst und die Vertragsabwicklung noch möglich, besteht weiterhin die Pflicht zur Vertragserfüllung“, erläutert Tobias von Tucher, Rechtsanwalt und Partner bei PwC Deutschland. Ein Dilemma für deutsche Lieferanten, denn besonders bei russischen Kunden stellt sich die Frage, ob diese angesichts der internationalen Sanktionen faktisch noch zahlungsfähig sind. „Wenn begründete Zweifel an der Bezahlung bestehen, sollten zusätzliche Sicherheiten verlangt werden“, rät von Tucher.

 

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