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Lieferverträge nach Brexit - das sagen die Experten

Brexit ändert das Handelsrecht
Lieferverträge nach dem Brexit

Die Welt schaut nach London: Faszinierend und erschreckend zugleich mutet der Kampf der britischen Regierung an, das Brexit-Votum des Volkes umzusetzen. Noch immer ist unklar, wie sich der Austritt gestaltet – ob hart oder weich. Dessen ungeachtet lohnt sich ein Blick auf das Handelsrecht, das vor allem Zölle, Lieferbeziehungen und die zukünftige Vertragsgestaltung betrifft.

Von A wie Außenhandelsrecht bis Z wie Zölle – zu jedem Buchstaben kann man ein Rechtsproblem finden, das seine Ursache im Brexit-Begehren der Briten hat. Fokussiert man sich auf die Einkäufer in deutschen Unternehmen, so stehen das Aufrechterhalten der Lieferkette sowie das Gestalten zukünftiger Lieferbeziehungen ganz oben auf der Liste der zu klärenden Punkte.

Zwei tragende Pfeiler der deutschen Wirtschaft sind vom Geschehen besonders betroffen: die Automobilbranche und die chemisch-pharmazeutische Industrie. Das Vereinigte Königreich (UK) ist nicht nur ein wichtiger Handelspartner und ein bedeutender Absatz- wie Beschaffungsmarkt in der EU, sondern für die hiesige Chemiebranche auch Produktions- und Vertriebsstandort. Die deutschen Importe sind seit dem UK-Referendum 2016 kontinuierlich auf Sinkflug. Und auch bei den Autobauern sind die Verflechtungen der Lieferketten mit dem Vereinigten Königreich eng: Auf der Insel werden deutsche Autos zusammengebaut, viele Kfz-Teile werden von dort importiert.

Nicht nur für Unternehmen dieser Wirtschaftszweige ist die Frage nach dem neuen Handelsrecht und den Zöllen entscheidend. „Ab dem Ausscheiden aus der Europäischen Union werden Waren wahrscheinlich mit Zöllen belegt, also teurer“, sagt Professor Dr. Thomas Wieske vom Institut für Logistikrecht & Riskmanagement an der Hochschule Bremerhaven. Viele Unternehmen nehmen daher derzeit vermehrt Ware auf Lager – sogar von Hamsterkäufen ist die Rede. „Dieses Konzept läuft dem Just-in-time-Ansatz moderner Logistik genau entgegen“, konstatiert Wieske. „Trotzdem kann es sinnvoll sein, sich rechtzeitig ein Lager anzulegen, um Preiserhöhungen und Lieferengpässe zumindest kurzfristig vermeiden zu können.“

Zölle belasten Lieferbeziehungen

Schon jetzt, bevor das Vereinigte Königreich als Zollausland gilt, sollten sich Einkäufer über die künftig anfallenden Kosten der Verzollung Gedanken machen. „Da der Zollaustritt von der UK-Seite veranlasst wurde, könnte überlegt werden, ob diese Zusatzkosten durch den UK-Hersteller übernommen werden müssen“, sagt Wieske. Es wird auszuhandeln sein, ob der Lieferant nach Deutschland liefern soll oder der Käufer die Ware in Großbritannien abholt. Im ersten Fall wird das Risiko von Importkosten beim Lieferanten liegen, im zweiten Fall beim einkaufenden Unternehmen. Langfristig wird es sicher am sinnvollsten sein, sich nach alternativen Lieferanten in der Europäischen Union umzusehen. „Für manchen UK-Exporteur kann es dann durchaus Sinn machen, sich eine eigene Betriebsstätte innerhalb der EU zuzulegen“,, rät Logistikexperte Wieske.

Auch in Sachen Präferenzmanagement können sich erhebliche Konsequenzen ergeben. „Bei der Ausfuhr von Waren in Drittländer“, mit denen die EU ein Freihandelsabkommen geschlossen hat, können Exporteure einen Präferenzzollsatz in Anspruch nehmen – sofern die Waren nach den Ursprungsregeln verzollt wurden und nachweisbar einen hinreichenden Anteil an Vormaterialien aus der EU aufweisen“, erklärt Carsten Bente, Senior Consultant bei AEB, dem Softwarehaus für Außenhandel und Logistik in Stuttgart. „Nach dem Brexit können sich Unternehmen nicht mehr darauf verlassen, dass ein im Vereinigten Königreich erfolgter Beitrag zu einem hergestellten Erzeugnis als EU-Beitrag betrachtet wird.“ Unternehmen sollten laut Bente daher ihre Lieferketten überprüfen und damit beginnen, alle in Großbritannien und Nordirland erfolgenden Beiträge als solche „ohne Ursprungseigenschaft“ zu behandeln, wenn sie sicherstellen möchten, dass ihre Erzeugnisse einen Präferenzursprung in der EU besitzen.

Der juristische Leitsatz der alten Römer „Pacta sunt servanda“, übersetzt: „Verträge sind einzuhalten“, hat auch in Brexit-Zeiten Gültigkeit. „Was Einkäufer daher vor allem prüfen sollten, sind die Incoterms“, rät AEB-Berater Bente. „Was habe ich mit britischen Lieferanten vereinbart, beispielsweise EXW, also ExWork/Ab Werk, oder DDP, also Delivered Duty Paid/Verzollt geliefert?“ Manche Incoterms-Klausel, die in jahrelangen Lieferbeziehungen keine Rolle gespielt hat, gerät damit plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses.

Bestehende Lieferverträge nach dem Brexit

„Lieferverträge werden so bestehen bleiben, wie sie abgeschlossen wurden“, bestätigt Rechtsanwalt Dr. Tristan Wegner von O&W Rechtsanwälte in Hamburg. „Ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht entsteht wegen des Brexits nicht automatisch, nur wenn das Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Die Hürden dafür sind aber hoch.“ Wenn sich die Umstände radikal ändern, kann man sich zwar theoretisch auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. Dann müssen die Umstände, die zu diesem Wegfall geführt haben, bei Vertragsschluss allerdings unvorhersehbar gewesen sein. „Da der Brexit seit dem Referendum 2016 bekannt ist, dürfte dieser Ausstieg aus einem Vertrag nicht mehr funktionieren“, so Rechtsexperte Wegner.

Vorbereitungen auf ein geändertes Handelsrecht

Dass der Ausstieg der Briten aus der EU eher hart als weich werden könnte, scheint der Bundesregierung erst im Herbst vergangenen Jahres gedämmert zu haben. Erst im September legte sie das Brexit-Übergangsgesetz vor, das Regelungen in Sachen Staatsangehörigkeit trifft. Im Oktober folgte dann ein Gesetzentwurf, der sich mit Gesellschaften in der Rechtsform der sogenannten Limited (Ltd.) beschäftigt. Mit dieser Gesellschaftsform gibt es hierzulande schätzungsweise 8.000 bis 10.000 Unternehmen. Mit dem Wirksamwerden des Brexits verlieren diese Gesellschaften ihre Niederlassungsfreiheit und werden nicht mehr als solche anerkannt. Das Gesetz sieht nun eine Umwandlungsmöglichkeit in eine andere Rechtsform vor, wenn die betroffenen Unternehmen dies vor Wirksamwerden des Brexits notariell beurkunden lassen.

Auch der Zoll rüstet sich: Mit dem Haushalt 2019 wurden der Zollverwaltung rund 900 Planstellen für den Mehraufwand im Zusammenhang mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union bewilligt. Auch in Berlin scheint man daran anzuzweifeln, ob die Anwendung des Unionszollkodex nach dem Brexit reibungslos gelingen kann.


Extra

Was beim Abschluss von neuen Lieferverträgen zu beachten ist

Rechtsanwalt Dr. Tristan Wegner, Experte für internationales Handels- und Transportrecht von der Hamburger Kanzlei O&W Rechtsanwälte, empfiehlt:

  • Ein Gerichtsstand im Vereinigten Königreich oder englisches Recht sollten aktuell nicht vereinbart werden, da noch nicht geklärt ist, wie britische Urteile in der EU anerkannt und vollstreckt werden – auch wenn einiges dafür spricht, dass eine Anerkennung erfolgen wird.
  • Es empfehlen sich ausdrückliche Klauseln, wer das Risiko von Zöllen oder Verzögerungen bei der Import- und Exportabfertigung tragen soll.
  • Zu klären ist ferner, wie man damit umgeht, dass GB-Lieferanten keinen EU-Ursprung der Waren mehr bescheinigen können.
  • Empfehlenswert sind auch „Neuverhandlungsklauseln“. Die Parteien verpflichten sich damit, den Vertrag und die Details neu zu verhandeln, wenn das Schicksal von Großbritannien endgültig feststeht.

Anja Falkenstein,
Rechtsanwältin,
Karlsruhe

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