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Neue Arbeits- & Führungsprinzipien für den Einkauf

Agilität im Einkauf, Teil 3 – New Work
Neue Arbeits- & Führungsprinzipien für den Einkauf

Agile Methoden wie Kanban oder Scrum sind „in aller Munde“ und finden langsam aber sicher Einzug in den Einkauf. Begleitend wird allerdings immer wieder deutlich, dass hierfür organisatorisch-personelle Voraussetzungen bestehen. In diesem dritten Teil der Serie „Agilität im Einkauf“ wird unter dem Begriff „New Work“ diese wichtige Perspektive eröffnet.

Eigentlich ist „New Work“ ein „alter Hut“ – die Idee besteht schon seit den 1970er-Jahren. Doch die Digitalisierung, die ja auch zum Aufschwung agiler Denkweisen geführt hat, hat dem Konzept „neues Leben eingehaucht“. Obwohl nach wie vor kein einheitliches Verständnis existiert: Grob umrissen wird ein „neues Arbeiten“ in der digitalisierten und globalisierten Welt beschrieben. Dazu gehören z. B. das Arbeitsumfeld, Führung, aber auch ein neues Verständnis für die eigene Arbeit – inhaltlich wie örtlich.

Für den Einkauf als intern wie extern vernetzte Abteilung mit hoher Bedeutung als Schnittstelle sind hiervon alle Bestandteile relevant. Die starke Projektorientierung im Einkauf (z. B. Entwicklung von Warengruppenstrategien, Ausschreibungen) legt nahe, noch stärker als bisher das Prinzip der Selbstorganisation zu betonen. Das heißt, dass EinkäuferInnen Zeit- und Aufgabenplanung bzw. –durchführung im Dialog mit den Bedarfsträgern eigenständig entwickeln und vorantreiben – ohne übermäßig starre Prozessregime oder intensive Kontrolle durch Führungskräfte. Selbst Freigabeprozesse können hier weniger hierarchisch gestaltet werden, während agile Methoden wie Kanban oder Scrum für Transparenz und Struktur bei der Aufgabenerledigung sorgen können.

Eng damit verknüpft in New Work sind neue Arbeitsmodelle, vor allem „Flexibles Arbeiten“. Was die Corona-Pandemie (nicht nur) Einkaufsabteilungen notgedrungen abverlangt hat, wird hier zum Prinzip. MitarbeiterInnen teilen sich ihre Arbeitszeit (weitgehend) selbstständig ein und wählen, dank digitaler Hilfsmittel wie VPN-Einwahl in ERP-Systeme oder den längst etablierten Videokonferenzen, den Arbeitsort selbst. Das kann sogar der Schrebergarten mit WLAN-Verbindung sein.

Voraussetzung für ein solch freies Arbeiten ist ein neues Verständnis von Führung. Hier ist ein Stilwandel erkennbar, von hierarchisch-formalen Ansätzen, mündend im Bild der Führungskraft als „vorgesetzten Befehlshaber“. In der Auffassung von New Work tritt an diese Stelle ein(e) „LeaderIn“, die als empathischer Coach fungiert. Diese(r) setzt sein/ihr Wissen ein, um alle Mitglieder des Einkaufsteams individuell besser zu machen sowie ein gemeinschaftlich getragenes Zielbild zu erreichen. Strategien werden demnach nicht mehr „top-down“ vorgegeben, sondern unter Beteiligung aller Betroffenen entwickelt.

Dieser neue Führungsansatz lässt ggf. einen Reflex bzw. eine Befürchtung entstehen: „Aber wie sorge ich dann dafür, dass die Arbeit trotzdem gemacht wird?“. Grundidee ist hier, dass die Sinnhaftigkeit der Arbeit neuen Werten folgt. Tatsächlich zeigt sich, initial oft bei jüngeren EinkäuferInnen, eine neue Auffassung, was Arbeit für sie bedeutet. Werte wie Nachhaltigkeit und „Work-Life-Balance“ sind hier bekannte Beispiele. Diese zu vermitteln und in einen unternehmerischen Kontext zu setzen, wird dabei sowohl als Aufgabe der Eigenmotivation als auch der Führungskraft gesehen. Dabei gilt es z. B., den Beitrag des Einkaufs zum Unternehmenserfolg bewusst zu machen und das eigene Handeln hieran auszurichten. Bei der TransnetBW GmbH beispielsweise wurden so etablierte Fokusziele wie „Einsparungen“ sukzessive von einer gesamtheitlicheren, nachhaltigeren Denkweise abgelöst – ohne, dass notwendigerweise wirtschaftliche Aspekte zurückstehen.

Diese neue Wert- und Kundenorientierung kann ebenso helfen, die Rolle und Wahrnehmung des Einkaufs im Unternehmen und bei Lieferanten neu auszurichten und aufzuwerten. Oft noch als gestrenge „Kostendrücker“ oder „Richtlinienpolizei“ empfunden, hilft die unternehmerische Denkweise, in der Zusammenarbeit mit Bedarfsträgern und Externen, das gesamtheitliche Optimum in den Fokus zu nehmen. Dies ist umso wichtiger, als davon ausgegangen wird, dass cross-funktionale und unternehmensübergreifende Projekte die zukünftig dominierende Organisationsform sein werden. Dadurch müssen sich funktionale Verankerungen, z. B. Warengruppen als gängige Strukturierungsdimension des Einkaufs, nicht zwingend auflösen. Der Bedarf an beschaffungsobjekt- oder marktspezifischem Spezialwissen bleibt absehbar bestehen. Erforderlich ist eher ein höheres Maß an persönlicher Flexibilität, nachdem sich Teamzusammensetzungen projektbezogen häufiger wandeln werden.

Diese Flexibilität sowie generell Innovationskraft soll ein offeneres, dynamischeres Arbeitsumfeld fördern. Hier gibt es eine Vielfalt von Möglichkeiten, z. B. mit offenen Arbeitsplätzen, gemeinsamen Freizeitaktivitäten der Teams bis hin zum berühmt-berüchtigten „Kickertisch“, der eine kleine Abwechslung und Auflockerung im Arbeitsalltag bewirken soll. Bei der TransnetBW GmbH in Stuttgart wiederum wurde ein Büroflur zur Interaktionsfläche: Die EinkaufsmitarbeiterInnen waren aufgefordert, die Wände selbst zu gestalten – ob mit Fotos, Zeitschriftenartikeln oder Event-Hinweisen, war vollkommen freigestellt. Aufwendiger sind sogenannte „Kreativ- oder Innovationsräume“, wo mit Raumgestaltung und Möblierung agiles, innovatives Arbeiten an spezifischen Herausforderungen unterstützt werden soll.

Solche Räume erfordern ggf. nicht unerhebliche Investitionen. Auch die weiteren vorgestellten „New Work“-Elemente bedingen, je nach Unternehmen, einen erheblichen Kulturwandel. Insofern stellt sich die Frage nach den Vorteilen einer Umsetzung. Hier werden typischerweise eine höhere Motivation bei den MitarbeiterInnen, steigende Anziehungskraft bei der Rekrutierung von Fachkräften, eine stärkere Innovationskraft sowie zunehmende Wertschätzung und damit Einflusspotenziale bei den Stakeholdern (wie Bedarfsträgern, Lieferanten oder Unternehmensleitung) gesehen.

In welchem Umfang die Vorteile wirksam werden, hängt dabei natürlich von der Intensität der Umsetzung sowie der Unternehmenskultur ab. Der Wandel zu einer agilen Organisation ist keinesfalls für jedes Unternehmen in gleichem Umfang und Tempo erforderlich. In eher traditionellen Unternehmen darf also durchaus bewusst „leichter dosiert“ werden (lesen Sie hierzu mehr in der Folgeausgabe von Beschaffung aktuell, dem vierten und letzten Artikel der Reihe „Agilität im Einkauf“).

Andererseits sollte klar sein, dass der Einsatz agiler Methoden wie Kanban oder Design Thinking ohne einen Kulturwandel kaum möglich ist. Bei genauer Betrachtung wird deutlich: Eine Abteilung, wie z. B. der Einkauf, kann per se gar nicht agil sein. Es sind immer die individuellen Organisationsträger – MitarbeiterInnen wie Führungskräfte – die Agilität leben „müssen“. New Work wird so zur Grundvoraussetzung organisatorischer Agilität.


Agiler Einkauf. Mit Scrum, Design Thinking & Co. die Beschaffung verändern.Florian C. Kleemann.Gabler Verlag, Wiesbaden, 2020.ISBN: 978-3658319427

Literaturtipp

Wer Argumente sucht, wie sich
Agilität im Arbeitsumfeld Einkauf
bewähren kann, wird in diesem „Essential“ schnell fündig.


Prof. Dr. Florian C. Kleemann

lehrt an der Hochschule München Einkauf & Beschaffung und koordiniert das Studienprogramm „Digital Procurement & Supply Management“.


Ramona Niederschweiberer

ist Master-Studentin für
„Digital Procurement & Supply Management“ an der Hochschule München.


Domenico Gentile

ist Leiter Einkauf bei der TransnetBW GmbH in Stuttgart. Er hat den Bereich gemeinsam mit seinem Team seit 2019 gezielt nach agilen Prinzipien gestaltet.

 

Hier finden Sie die komplette Beschaffung-aktuell-Reihe: Agilität im Einkauf.

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