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Neue Welt des Einkaufs: Datenkapitalismus und Digitalisierung

20 Jahre BMÖ: Festakt im Haus der Ingenieure und Zukunftsprognosen
Neue Welt des Einkaufs: Datenkapitalismus und Digitalisierung

Neue Welt des Einkaufs: Datenkapitalismus und Digitalisierung
Bild: BME

Paradigmenwechsel, Künstliche Intelligenz, Einkauf 4.0: Der BMÖ – Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich als maßgeblicher Gestalter der Einkaufscommunity in Österreich gestattete sich am 5. Juni im Wiener Haus der Ingenieure einen kurzen Rückblick auf erfolgreiche 20 Jahre – Verantwortliche, Referenten und 100 Gäste aus Politik, Institutionen und Unter-nehmen warfen aber vor allem einen Blick voraus in neue Arbeitswelten und veränderte Rollen, in die es hineinzuwachsen gilt. BMÖ-Präsident Dr. Christian Haring (Director Global Supply Chain Management, AVL List GmbH) machte deutlich: „Zukaufanteile von bis zu 80 Prozent unterstreichen die besondere Bedeutung des Einkaufs für die Wertschöpfung der Unternehmen. In Zukunft werden der Einkauf von Innovation und das Management von Beziehungen entlang der internationalen Supply Chains den Erfolg und Unterschied ausmachen.“ Digitalisierung dürfe nicht alleine unter technischem Gesichtspunkt betrachtet werden. „Wir müssen auch Zusammenarbeitsformen bench-marken. Wer nicht weiß, warum Projekte nicht zu erwarteten Erfolgen geführt haben, lernt nichts für die Zukunft.“ Gerade das sei aber angesichts dringend erforderlicher neuer Denkstrukturen nötig, so Haring.

Bundesministerin Dr. Margarete Schramböck, zuständig für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, kündigte in ihrer Videobotschaft an, die Rahmenbedingungen für Österreichs Unternehmen zügig ändern zu wollen. Stichworte: Senkung von Lohnnebenkosten und Steuern für mehr Wettbe-werbsfähigkeit. Sie betonte die Rolle des Einkaufs und mithin die des BMÖ als Gestalter von Netzwerken. Dkfm. Heinz Pechek (Geschäftsführender BMÖ-Vorstand), wies darauf hin, dass fehlen-de Rechtsgrundlagen rund um die Digitalisierungsproblematik die Unternehmen ebenso hemmten wie der unzulängliche Breitbandnetzausbau. Österreich stehe laut Digital Economy and Society In-dex (DESI) der Europäischen Kommission 2018 gerade mal auf Platz 11 in der globalen Digitalisie-rungslandschaft, knapp vor Malta, Litauen und Deutschland. Pechek: „Diese Rahmenbedingungen erschweren dem Einkauf, neben seiner Kosten-, Zeit-, Qualitäts- und Innovationsfunktion, die zusätzliche Verantwortung für die 4.0-Sicherung des Unternehmens durch adäquate Technologie-, System- und Lieferantenauswahl.“

„Nicht die Geschwindigkeit an sich wird in Zeiten des Datenkapitalismus entscheidend sein, sondern die gute und vor allem richtige Information“, meinte Prof. Dr. Ing. Johann Günther (Vizepräsident a. D., Donau Universität Krems). Menschlicher Zusammenarbeit komme dabei besondere Bedeutung zu. Günther riet dazu, sich zunehmend auf soziale Netzwerke, etwa Xing und Linkedin, einzustellen: „Hierüber werden in Zukunft Geschäftskontakte zu Kollegen und Kunden systematisch aus-gebaut.“ Das Social Web sorge auch für „ein besseres Bild von Lieferanten, ihrer Geschäftsstruktur und Bonität“. Günthers These: „Social Media wird zum Treiber einer neuen Einkäufergeneration.“ Univ. Prof. Dr. Helmut Zsifkovits (Montanuniversität Leoben), verwies darauf, angesichts der vielen „smart„ (klug, intelligent) zu gestaltenden Produkte, Lösungen, Fabriken und Supply Chains den Faktor „Werte“ nicht zu vergessen: „Wir müssen analysieren, welche Werte es aus der analogen Welt zu bewahren gilt, bevor wir neue schaffen.“ Zsifkovits bezeichnete gutes Prozessdesign als Grundvoraussetzung für Industrie 4.0. Auch er unterstrich die wachsende Bedeutung der „persönlichen Ebene“, die durch digitale Prozesse eher wachsen werde.

Auch Prof. Dr. Robert Fieten (ehemaliges Vorstandsmitglied des BME e. V., Frankfurt), sieht in Wertschöpfungsnetzwerken 4.0 „den mitdenkenden Menschen“ im Mittelpunkt. Der Einkauf werde durch Algorithmen nicht substituiert. Fieten: „Der operative Einkauf wird automatisiert und wandert eventuell in Shared Service Center. Der strategische Einkauf wird zum strategischen Business Partner und Trusted Advisor.“ Univ. Prof. Horst Bischof (Vizerektor für Forschung, Technische Uni-versität Graz) machte in seinem Vortrag über Künstliche Intelligenz deutlich: „Wir haben die Tendenz, die Auswirkungen von Umwälzungen schneller zu prophezeien als diese dann tatsächlich eintreffen.“ Dennoch dürfe man die Konsequenzen langfristiger Trends nicht unterschätzen.

Den Erfolgsfaktor Qualifikation hob Prof. Dr. Lisa Fröhlich (Präsidentin, Cologne Business School (CBS; Professur für Strategisches Beschaffungsmanagement) hervor. Aktuell sei der Einkauf noch zu stark in seiner historischen Funktion verankert, bedingt durch fehlende Prozessreife und mangelnde Ressourcen, aber auch durch „zu wenig Selbstbewusstsein“, obwohl das angesichts der Bedeutung als Wertschöpfungspartner Nummer 1 im Unternehmen nicht angebracht sei. Fröhlich forderte dazu auf, Querdenken und Kreativität „unbedingt“ zuzulassen. Digitale Geschäftsmodelle erforderten den Wechsel von einer kontroll- bzw. befehlsorientierten Führung hin zu einem unterstützenden, kooperativen Führungsstil. Die CBS-Präsidentin wies zugleich darauf hin, dass auch die Wissenschaft bisher noch keinen umfassenden Überblick über das Innovations- und Wert-schöpfungspotenzial, das durch den Einkauf generiert werden könne, herausgearbeitet habe. Ihr Lehrstuhl arbeite gerade daran. Heinz Pechek: „Abzuwarten bleibt auch, welche neuen Ergebnisse Forschungsprojekte an der Universität Twente in Holland bringen.“ Hier beschäftige sich der auch mit dem BMÖ verbundene Prof. Dr. Holger Schiele mit der Rolle von Avataren im Verhandlungsprozess.

Dr. Silvius Grobosch (Hauptgeschäftsführer des BME e.V.) schlug als Abschlussredner einen Bogen über 20 Jahre Verbundenheit der Verbände. Mit der BMÖ-Gründung im Juni 1998 habe eine bis heute andauernde, vertrauensvolle länderübergreifende Kooperation begonnen. Grobosch hob unter anderem das seit 2008 veranstaltete Bodenseeforum (Partner auch procure.ch, Schweiz), die jährliche BME- und BMÖ-Erhebung „Stimmungsbarometer Elektronische Beschaffung“ sowie g-meinsame Veranstaltungen zum Thema Sourcing in Osteuropa hervor. Beiden nationalen Verbän-den sei besonders daran gelegen, KMU durch strukturierte Angebote eine solide Basis für gute Geschäfte und qualifizierte Weiterbildung zu verschaffen.

IFPSM-Award

Zum Abschluss des BMÖ-Events wurde Dr. Christian Haring vom Weltverband International Federation of Purchasing and Supply Management (IFPSM) ausgezeichnet. CEO Malcolm Youngson verlieh dem BMÖ-Präsidenten den Garner Thémoin Award für besonderes Engagement.

Ausblick: Statements zu Einkauf und Industrie der Zukunft Zitate:

Dkfm. Heinz Pechek, Geschäftsführender Vorstand BMÖ, 6. Juni 2018

  • Die Digitalisierung zeigt ihre Auswirkungen auf allen Ebenen der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Der Einkauf in den Unternehmen ist davon voll betroffen, mehr noch, er ist Treiber der Digitalisierung der globalen Wertschöpfungsnetzwerke und der Kunden-Lieferanten-Beziehungen.
  • Österreich hat nach wie vor großen Aufholbedarf im Breitbandnetz. Der nach wie vor zu langsame Ausbau hemmt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Hier muss dringend Tempo aufgenommen werden.
  • Industrie 4.0, Digital Enterprise und Digital Procurement (Einkauf 4.0) benötigen als Grundlage zeitnah einheitliche IT-Standards, angepasste Rechtsgrundlagen (Haftung etc.) und verlässliche Maßnahmen zur Datensicherheit.
  • Unternehmen kämpfen mit einer Vielzahl heterogener IT-Tools im Unternehmen. Notwendig sind multitaskingfähige IT-Systeme, um eine tiefe reale Vernetzung – ohne Brüche an den diversen in-ternen/externen Schnittstellen – auch global realisieren zu können.
  • Anbieter im Bereich Einkauf, Logistik, Supply Chain Management sind gefordert, Standards zu schaffen und IT-Lösungen bzw. Bausteine aus Kundensicht nutzwertig zu konsolidieren.
  • Digitalisierung bietet die Chance, die derzeit vielerorts noch unzulängliche Vernetzung Lieferant-Unternehmen-Kunde zu optimieren. Dazu bedarf es freilich harmonisierter Schnittstellen und un-komplizierter Anbindungen, beispielsweise via Apps.
  • Einkauf muss/wird strukturierte Daten als Wettbewerbsfaktor nutzen. Es gilt, das Thema Big Data offensiv anzugehen, Komplexität zu reduzieren und systematisch Datenqualität herbeizuführen.
  • Neue Geschäftsmodelle werden zu neuen Zusammenarbeitsformen in neuer Arbeitswelt führen.
  • Geschäftsleitung/Führungskräfte werden neue, auch temporäre Projektstrukturen ermöglichen und zugleich Anreize zur Beteiligung schaffen.
  • Der Einkauf wird intensiver mit Konstruktion, Entwicklung, Produktion und IT vernetzt zusammenarbeiten.
  • Collaborative Engineering wird zum Digital Engineering mit Lieferanten und Kunden in der gesamten Prozesskette – unter Mitgestaltung, teilweise auch unter Führung von Einkauf und Supply Chain Management.
  • Für Potenzialträger anderer Abteilungen wird der Einkauf zunehmend interessant. Es gilt darum, in enger Abstimmung mit HR und Geschäftsleitung Karrierepfade aufzuzeigen.
  • Es gilt, in Netzwerken auch mit externen Partnern systematisch Erfahrungen zu generieren.
  • Die Ausbildung der Einkäufer muss um Schwerpunkte wie Technik, Informatik, Recht erweitert werden. Die BMÖ-Akademie unterstützt mit entsprechenden Qualifizierungsformaten.
  • Der BMÖ steht seit 20 Jahren für Austausch von Praktikern und Wissenschaftlern. Durch Veranstaltungsformate wie Round Tables, Seminare, Konferenzen, Master- bzw. MBA-Studiengänge stärkt der Verband Kompetenz und Leistungsfähigkeit von Unternehmen, Mitarbeitern und Teams.

Die Fotogalerie der Veranstaltung gibts hier.

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