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Persönlichkeitsmerkmale im Einkauf

Aus der Forschung: Soft Skills
Persönlichkeitsmerkmale im Einkauf – auch Psychopathen lassen sich steuern

Persönlichkeitsmerkmale im Einkauf – auch Psychopathen lassen sich steuern
Prof. Dr. Lutz Kaufmann von der WHU Valendar und Düsseldorf hat mit seinem Kollegen zum Thema unterschiedliche Persönlichkeitsstrukturen im Einkauf geforscht. Bild: WHU
Dunkle Persönlichkeitsmerkmale eines Managers können durchaus nützlich sein – zumindest, wenn es gilt, bei negativen Ereignissen in der Lieferkette entschlossen zu handeln. Das hat die Wirtschaftshochschule (WHU) Vallendar wissenschaftlich untersucht. Wann solche Eigenschaften von Vorteil sind und wann nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Streiks, Naturkatastrophen, Übernahme eines Lieferanten, plötzlicher Stopp von Innovationsprojekten, unvorhergesehene Preisforderungen: Einkäufer und Supply Chain Manager müssen stets auf der Hut sein. Prägnante Beispiele: die aktuelle Corona-Situation oder auch die Eskalation bei VW im Jahr 2016, als der OEM die Produktion in sechs deutschen Werken stoppen musste, weil Lieferant Prevent seine Leistungen eingestellt hatte. Grund: Streit wegen Kündigung von Verträgen in einem anderen Land. Wie die verantwortlichen Manager bei überraschenden Ereignissen reagieren, ist erfolgskritisch für das gesamte Unternehmen. Nun wurde erstmals ermittelt: Das Ganze ist nicht nur eine Frage des adäquaten Maßnahmenmanagements. Entscheidende Bedeutung kommt auch dem Charakter der Verantwortlichen zu, die die Fäden in der Hand halten.

Praxischeck bei Konsumgüterproduzent

Ein europäischer Weltmarktführer im wettbewerbsintensiven Konsumgütersektor mit Drehkreuz in Asien wollte genau verstehen, welche Faktoren auf individueller Ebene den Bewältigungserfolg bei unerwünschten Ereignissen unterstützen. Prof. Dr. Lutz Kaufmann und Dr. Stéphane Timmer von der WHU – Otto Beisheim School of Management, Vallendar und Düsseldorf, untersuchten daraufhin rund ein Jahr lang vor Ort in Asien intensiv Strukturen und Handlungsmodi. Sie verzeichneten 54 unerwünschte Ereignisse. Rund 50 Einkaufs- und Betriebsleiter aus der europäischen Zentrale und aus Asien gaben Interviews aus erster Hand. Dabei haben die Wissenschaftler erstmals zwei Sichtweisen kombiniert: Auf individueller Ebene wurden Faktoren wie Führungspersönlichkeit, kognitive Modi und der Umgang mit Lieferantenverantwortung analysiert. Die Firmenebene bezog sich auf zwei Unternehmenshandlungen: Puffern (Lösungen ohne Zusammenarbeit mit dem aktuellen Lieferanten) sowie Überbrücken (Lösungen in Kooperation mit dem aktuellen Lieferanten, etwa Verhandeln langfristiger Verträge.

Psychopathen und Narzissten

Das Duo Kaufmann/Timmer setzt auf der psychologisch erforschten „dunklen Triade“ im Bereich Management auf: Psychopathie (Impulsivität, Gefühllosigkeit, ruchlose Züge, antisoziale Verhaltensweisen), Narzissmus (Inszenierung übermäßig positiver Selbstbilder) und Machiavellismus (Manipulativität, strategisch-rechnerische Ausrichtung). Psychopathen bevorzugen danach Einzelaktionen aufgrund ihrer antisozialen Eigenschaften. Sie verletzen zwischenmenschliche Normen und sind überharte Verhandlungstaktiker. Narzissten lancieren gerne interne Abstimmungen, um ihr eigenes Image aufzupolieren. Aber auch diese sozial Aversiven können sich in bestimmter Arbeitsumgebung auszeichnen, z. B. durch mutige Entscheidungen oder Reformen. Aber lässt sich in solchen Fällen der Bewältigungserfolg beurteilen?

Bisher kam bei den Betrachtungen der „dunkle Triade“ die Rolle des Einzelnen und des konkreten „Nutzwerts“ für das Unternehmen zu kurz. Kaufmann und Timmer bezogen erstmals den konkreten Projekterfolg ein. Also: Wie reagieren unterschiedliche Einkäufertypen auf unerwünschte Ereignisse in der Lieferkette – sind die Manager rational oder emotional getrieben? Wie gehen sie mit Schuldzuweisungen um? Übergeordnete (Charakter-)Frage der Untersuchung: Wie kann das Unternehmen die zu ermittelnden zutiefst „menschlichen Erkenntnisse“ zukünftig bewusst bei Bewältigungsmaßnahmen wie funktionsübergreifend integriertem Puffern und Überbrücken nutzen?

Erkenntnisse für die Praxis

Einkaufsmanager können sowohl mit und ohne dunkle Persönlichkeitsmerkmale positive Ergebnisse erzielen – wenn sie „angemessen“ auf unerwünschte Ereignisse in der Lieferkette reagieren. So erbringen Psychopathen große Bewältigungserfolge, wenn ihr „natürlicher“ Modus durch emotionale Verarbeitungsmodi begleitet wird. „Dazu gehört freilich auch ein hohes Maß an Gewissenhaftigkeit“, so Lutz Kaufmann. Einkaufsmanager ohne psychopathische Eigenschaften erzielen hingegen hohen Bewältigungserfolg bei funktionsübergreifenden integrierten Pufferaktionen. Erfolge hängen allerdings auch von anderen Bedingungen ab. Beispiel: Wer umgehend handelte, erzielte zwar bessere Ergebnisse als Kollegen, die im ersten Schritt erstmal Informationen gesammelt haben. Wer Arroganz an den Tag legte, neigte aber auch dazu, der Gegenpartei mehr Verantwortung zuzuschieben – und das wiederum hatte zuweilen schlechtere Ergebnisse zur Folge. Extrovertierte entscheiden sich bei kritischen Ereignissen eher für Zusammenarbeit mit Lieferanten, Introvertierte agieren lieber allein. Einkäufer neigen natürlich zum Lieferantenwechsel, wenn der Partner zwar fähig, aber nicht gewillt ist, seine Versprechen einzuhalten. Ist der Lieferant hingegen dazu bereit, aber nicht in der Lage, droht ihm der Manager viel seltener mit Auftragsverlust. Der Einkäufer verfolgt dabei logischerweise Hintergedanken.

Archetypen in Sachen „Erfolg“

Beobachtet wurden drei Archetypen, die zu hohen Bewältigungserfolgen führen.

Erfolgreiche Psychopathen. Sie machen massiv den Lieferanten für das Ereignis verantwortlich. Bei ihrer Entscheidung, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, bestrafen sie den Anbieter aber nicht direkt. Stattdessen kooperieren sie kurzfristig, um langfristig eine taktische Hebelwirkung zu erzielen. Beispiel: Ein getadelter und gestrichener Lieferpartner wurde nach einem Audit wieder aufgenommen. Das schaffte Goodwill und führte bei späteren Verhandlungen zu deutlich günstigeren Vertragsbedingungen.

Erfolgreiche Narzissten. Sie machen den Anbieter nicht verantwortlich. Ihnen geht es nicht um langfristige taktische Gewinne. Sie konzentrieren sich vielmehr darauf, gemeinsam mit dem Lieferanten zu handeln – und zugleich gegenüber Vorgesetzten und Kollegen anderer Abteilungen die eigene Hartnäckigkeit und Fähigkeit bei der Bewältigung von Problemen unter Beweis zu stellen! Aussage: „Der Lieferant konnte die Explosion nicht vorhersehen. Wir arbeiteten gemeinsam am Problem, um die Beziehung aufrechtzuerhalten. Es waren viele Abteilungen involviert. Aber das Steuern war echt harte Arbeit.“

Erfolgreiche Lobbyisten. Sie weisen keine klar psychopathischen Merkmale auf und setzen etwa auf (die untersuchten) Maßnahmen wie funktionsübergreifend integrierte Überbrückung und Puffer. Aber: Hierbei verschlechterte sich das Verhältnis zum Lieferanten während der Vertragsverhandlungen rapide. Beispiel: In diesem Fall wurde dem Lieferpartner Arroganz vorgeworfen; er habe nicht zugehört, große Fehler gemacht und sich überdies geweigert, „wettbewerbsfähige“ Preise anzubieten. Zudem habe er gedroht, alle Innovationsprojekte zu stoppen. Nach anfänglichem Widerstand überzeugte der Einkaufsmanager geschickt andere Abteilungen, gemeinsam intern alternative Versorgungsoptionen zu prüfen. Das führte letztlich zur Entwicklung eines zweiten Lieferanten, nahm aber auch einige Zeit in Anspruch.

Erfolglose Psychopathen. Die Fähigkeit, Menschen zu manipulieren, unterscheidet erfolgreiche von erfolglosen Psychopathen. Beispiel: Die Preise eines Hauptlieferanten stiegen wegen höherer Rohstoffpreise erheblich. Man hätte gut eine gemeinsame Lösung aushandeln können. Dabei wäre auch die emotionaler Ebene zum Tragen gekommen. Stattdessen wurde – rein rational – direkt ein Unterlieferant kontaktiert. Man zentralisierte die Kommunikation mit den internen Stakeholdern, führte schließlich eine Ausschreibung durch und war am Ende gezwungen, einen neuen Preis zu akzeptieren. Bewältigungserfolg: ziemlich gering.

Erfolglose Einzelgänger. Auch dieser Archetyp führt zu einem geringen (bis keinem!) Bewältigungserfolg. Beispiel: Ein lokaler Einkaufsleiter wurde von einer Preiserhöhung eines Alleinlieferanten überrascht. Spontane Reaktion: Ohne Einbindung seiner Zentralkollegen checkte er allein aufwendig Alternativen, war dann aber doch gezwungen, die Preiserhöhung zu akzeptieren – wie eigentlich zu erwarten war. Erst später fand er heraus, dass sein Unternehmen auch andere Produkte vom selben Anbieter bezieht – zu spät.

Empfehlungen für die Praxis

Zwei spezifische, dunkle Persönlichkeitsmerkmale – Psychopathie und Narzissmus – können bei Reaktionen auf unerwünschte Ereignisse kritisch sein, weil oft negative Faktoren wie Hybris, Autoritarismus, Paranoia und psychische Macht einfließen. Von Vorteil für das Unternehmen ist laut Studie z. B. der Typus des „erfolgreichen Psychopathen“. Dieser versteht es, seine Emotionen zu managen bzw. zu kanalisieren. Er wird in Zusammenarbeit mit dem Anbieter am ehesten einen hohen Bewältigungserfolg realisieren. Lutz Kaufmann rät darum: „CPOs sollten auch eine Bestandsaufnahme dunkler Persönlichkeitsmerkmale und kognitiver Fähigkeiten ihrer Manager veranlassen, am besten mit Persönlichkeitsprofilings, Umfragen und direkten Beurteilungen durch leitende Angestellte und Kollegen. Daraus lassen sich Managerprofile für die Personalbesetzung ableiten.“ So ließen sich beispielsweise Einkaufsleiter mit dunklen Persönlichkeitsmerkmalen benennen, wenn es darum geht, bei unerwünschten Ereignissen in der Lieferkette eine anbieterzentrierte Bewältigung einzubringen (hier: funktionsübergreifende, integrierte Überbrückung). Wer weniger dunkle Soft Skills aufweise, sei dagegen bei firmenzentrierter Bewältigung (hier: funktionsübergreifend integrierte Pufferung) vielfach die bessere Alternative, um den Gesamterfolg für das Unternehmen (und nicht für den Einzelnen) herbeizuführen.

Kaufmann und Timmer empfehlen Verhaltenstrainings. Es gelte zu erkennen, ob und wie sich Menschen in einem bestimmten Kontext in sozial akzeptabler Weise an widrige Umstände anpassen. Verschiedene Sicht- und Verhaltensweisen anzunehmen, sei durchaus trainierbar. „Unternehmen können so die Widerstandsfähigkeit ihrer Unternehmen gegen negative Auswirkungen in der Lieferkette stärken“, so Kaufmanns Fazit.


Sabine Ursel, Journalistin, Wiesbaden

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