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Legal Tech

Legal Tech – neue Angebote für Rechtsdienstleistungen
Rechtsberatung wird digital – Legal Tech

In den Markt für Rechtsdienstleistungen kommt Bewegung: Dank Digitalisierung gibt es neuartige Angebote sowohl von kleinen Start-ups als auch von den großen Anwaltskanzleien. Was sich hinter Legal Tech verbirgt, sollte nicht nur die Rechtsabteilung, sondern auch der Einkauf wissen, denn es geht um effektivere Abläufe und damit Einsparpotenziale.

Die „Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen“ füllen aktuell 218 schwarze Buchbände mit Goldprägung, kosten 1999 Euro und sind ideale Staubfänger in jeder Regalwand. Das Image der Rechtswissenschaft: trocken, angestaubt, unmodern. Doch jetzt wird Jura digital. Es entwickeln sich neue Rechtsdienstleistungsprodukte, die auch für Unternehmen interessant sind. „In der Rechtsberatung werden weniger komplexe Aufgaben zunehmend automatisiert“, sagt Rechtsanwalt Volker Herrmann vom Berliner Büro der Taylor Wessing Rechtsanwaltsgesellschaft, einer weltweit tätigen Großkanzlei. „Damit wird der Zugang zum Recht erleichtert.“

Smarte Verträge

„Legal Tech“ steht für „Legal Services & Technology“ und bezeichnet den Einsatz von Innovationen, Algorithmen und neuen Technologien auf dem Rechtsmarkt. Es gibt eine Vielzahl von Anbietern, die häufig aus der Gründerszene kommen. Die digitale Plattform Smartlaw, an der Anwalt Herrmann mitarbeitet, erstellt beispielsweise mithilfe von Vertragsgeneratoren Verträge und Rechtsdokumente für den Alltagsgebrauch, etwa Mietverträge, Arbeitsverträge oder AGB für den Onlineshop. Die Vertragsanalysesoftware von rfrnz, einem Start-up aus München, wendet sich an Unternehmen, Rechtsabteilungen sowie Kanzleien und nutzt künstliche Intelligenz, um juristische Routinetätigkeiten zu automatisieren. „Unsere Software hilft Unternehmen dabei, Verträge schneller und effektiver zu prüfen. Sie erkennt automatisiert relevante Informationen in Verträgen und kann damit Inhalte, Risiken oder Lücken identifizieren“, erläutert Dr. Sven von Alemann, Mitbegründer und Geschäftsführer von rfrnz. „Das eignet sich besonders für die Prüfung von Standardverträgen wie Geheimhaltungserklärungen, Auftragsverarbeitungsvereinbarungen oder Ähnliches, aber auch für die Prüfung von großen Datenmengen wie in einer Due-Diligence-Prüfung oder in Compliance-Fällen.“ Unternehmen, die diese Lösung nutzen möchten, erhalten Zugang zur rfrnz-Plattform, wo sie direkt Verträge hochladen und mit den dafür vortrainierten Modellen analysieren können. „Wenn es für einen bestimmten Vertragstyp oder eine spezielle Klausel noch keine vortrainierten Modelle gibt, dann arbeiten wir mit dem Kunden daran, diese schnell und flexibel bereitzustellen“, so der Jurist.

Alternative Rechtsdienstleister

Für den Einkauf von Rechtsdienstleistungen erweitert sich die Angebotspalette enorm. Neben den Anwaltskanzleien drängen verstärkt die juristischen Ableger der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auf den Markt, und neben den Legal-Tech-Produkten bieten neuerdings sogenannte alternative Rechtsdienstleister juristisches Personal an. Sie vermitteln Projektanwälte an Kanzleien sowie Rechtsabteilungen und reagieren so auf die gestiegene Nachfrage nach skalierbaren flexiblen Ressourcen. „Will eine Rechtsabteilung auch künftig die gesteckten Effizienzziele erreichen – Stichwort: more for less –, wird sie nicht darum herumkommen, die neuen Leistungserbringer zu berücksichtigen“, sagt Prof. Dr. Bruno Mascello, Vize-Direktor im Geschäftsbereich Law & Management der Executive School of Management, Technology and Law an der Universität St. Gallen.

Kooperation Rechts- und Einkaufsabteilung

Dem Experten für Legal Management ist wichtig, dass Einkauf und Rechtsabteilung dabei kooperieren. „Der ganze Einkauf von Rechtsdienstleistungen hat sich laufend weiter professionalisiert und verbessert. Größere Rechtsabteilungen richten sich mit Operations Manager ein, arbeiten mit der Beschaffungsabteilung zusammen und bilden gar eine Subdivision Legal Procurement“, so Mascello. Ein Best Practice für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Einkaufsabteilung und Legal Department liefert die Deutsche Bahn, die durch ein crossfunktionales Team Anwaltshonorare in Millionenhöhe einsparen konnte (siehe Beschaffung aktuell, Ausgabe 1–2/2020, S. 28 f.).

Digitale Transformation der Rechtsabteilung

Das Einsparpotenzial bei Rechtsdienstleistungen ist enorm und so steigt der Druck auf die Rechtsabteilungen, „die trotz steigender Anforderungen häufig Personalkürzungen verkraften müssen“, wie Rechtsanwalt Henrik von Wehrs vom Frankfurter Büro der Großkanzlei Allen & Overy weiß. Auch hier gilt: Digitalisierung braucht Vereinheitlichung und Standardisierung. Das setzt eine gründliche Analyse aller Tätigkeiten voraus. „Natürlich kann man sich vorab von all den tollen Angeboten auf dem Markt inspirieren lassen, aber die vorgelagerten Hausaufgaben werden sie nicht ersetzen“, ist sich Wissenschaftler Mascello sicher.

rfrnz-Gründer von Alemann empfiehlt, mit einem einfachen Anwendungsfall zu starten. „Dabei kann man sehen, ob der Anbieter passt, wie der interne Bedarf aussieht und welche Arbeitsabläufe verändert oder verbessert werden sollten.“ Vom Abwarten alleine lerne man nichts, so der Jurist. „Der passendste Anbieter ist derjenige, der das Problem des Kunden am besten löst. Die Größe des Unternehmens ist dabei nicht so wichtig.“ Entscheidend sei vielmehr, dass der Anbieter zeigen könne, wie eine Lösung funktioniert und wie sie in den Arbeitsprozess des Kunden passt. „Man sollte schnell eine konkrete Demo des Produkts sehen oder einen Proof of Concept vereinbaren“, rät von Alemann.

Zukunft des Rechtsmarkts

„Dass Mandanten in Zukunft Teilleistungen und komplette Produkte nach dem Online-Warenkorb-Prinzip einkaufen werden, halten wir für sehr wahrscheinlich“, sagt Legal-Tech-Experte von Wehrs, der die rechtlichen Digitalisierungsprojekte von Allen & Overy europaweit verantwortet. Einkäufer sollten sich also mit der komplexen Warengruppe „Rechtsberatung“ auskennen und in enger Abstimmung mit den Inhouse-Juristen die mandatierten externen Kanzleien wie in einem klassischen Lieferantenmanagement steuern.

Die Großkanzleien setzen bereits etliche Legal-Tech-Anwendungen ein, von denen Mandanten profitieren können: Vertragsmanagementsysteme, Tech-basierte Analysen, die Prozessrisiken abwägen, Tools, die Dokumente nach bestimmten Kriterien automatisch auslesen und filtern, sowie Analyse-Werkzeuge, die etwa messen können, welche Klauseln eines Vertrages immer wieder zu Nachverhandlungen führen.

Wenn der Anwalt von Standardtätigkeiten befreit ist, kann sich das positiv auf die Beratungsqualität bei komplexen Sachverhalten und unklarer Rechtslage auswirken. In solchen Fällen werden auch in Zukunft ein persönliches Gespräch zwischen Mandant und Anwalt sowie eine aufwendige Argumentation in einem individuellen Schriftsatz notwendig sein. „Ein Tool, das Rechtsabteilung und Anwalt spart und CEOs selbst zu Experten auf jedem Rechtsgebiet macht, existiert nicht“, ist sich Anwalt Herrmann sicher. Er berichtet aber von einer anderen möglichen Entwicklung: dem vollständig automatisierten Verfahren, bei dem die Entscheidung eines Rechtsstreits nach Eingabe der Parameter maschinell getroffen wird. „Diese Idee steckt praktisch noch in den Kinderschuhen und ist rechtsethisch hoch kontrovers“, berichtet Herrmann.

Ob dann, wenn der „Robo-Richter“ entscheidet, noch jemand in den 218 schwarzen Bänden mit Goldprägung blättern wird, darf bezweifelt werden.


Man sollte schnell eine konkrete Demo des Produkts sehen oder einen Proof of Concept vereinbaren.“
Sven von Alemann


Anja Falkenstein, Rechtsanwältin, Karlsruhe

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