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Finanzieller Neustart

Risikomanagement in der Praxis
Finanzieller Neustart

Massive Umsatzeinbrüche, Forderungsausfälle und dann kommt der Einkäufer und meldet steigende Materialkosten. So kann ein Unternehmen schnell in eine finanzielle Schieflage geraten. Unser Autor zeigt wie ein Unternehmen finanziell ganz neu ausgerichtet wurde, einschließlich Risikomanagement und Optimierung des Forderungsmanagements.

Ein mittelständisches Technologieunternehmen war in seiner Branche sehr erfolgreich. Ausgelöst durch die Finanzkrise und das dadurch verhaltene Investitionsverhalten von gewerblichen Kunden musste das Unternehmen von 2008 an massive Umsatzeinbrüche hinnehmen, die zu einer angespannten Ertragslage führten.

Auch das Zahlungsverhalten und die Zahlungsfähigkeit einiger Kunden verschlechterten sich deutlich, so dass es in einigen Fällen zu hohen Forderungsausfällen kam. Zudem erhöhte sich der Zwischenfinanzierungsbedarf für Materialkosten. Diese Situation hatte direkte Auswirkungen auf die Liquidität des Unternehmens und führte es in eine existenzbedrohende Situation.
Im Rahmen einer Restrukturierung sollte das Unternehmen strukturell so aufgestellt werden, dass es zukünftig schneller Veränderungen von marktseitigen Rahmenbedingungen erkennt und schneller auf diese reagieren kann. Damit lag der Kern der Restrukturierung auf der Rückgewinnung von Kunden bzw. von Umsätzen, der Kostenoptimierung und der Anpassung der Unternehmensstrukturen.
Vor dem Hintergrund der angespannten Liquiditätssituation war es aber auch ein wesentliches Ziel der Beratungsunterstützung, die Liquidität des Unternehmens kurzfristig zu verbessern und die sehr hohen fälligen Forderungsbestände (rund 1,8 Mio. Euro) möglichst schnell abzubauen. Zugleich sollten aber auch bereits schon drohende Forderungsausfälle verhindert werden.
Ein Teilprojekt „Analyse und Optimierung des Forderungsmanagements“ im Rahmen der Restrukturierung hatte die folgenden inhaltlichen Schwerpunkte:
  • Ermittlung von Schwachstellen im bestehenden Forderungsmanagement (organisatorische Strukturen, Instrumente und Prozesse) und Umsetzung notwendiger Maßnahmen zur Prozessoptimierung, Effizienzsteigerung und Risiko-minimierung.
  • Analyse der Kundenstrukturen und der Gründe für die Forderungsausfälle.
  • Vorbereitung und Begleitung der zeitnahen Durchführung von Kundengesprächen zur Realisierung von Zahlungseingängen.
  • Überprüfung und Anpassung des bestehenden Risikomanagements.
Das Forderungsmanagement des Unternehmens war wohl eine Schwachstelle und in der Finanzbuchhaltung angesiedelt. Der Geschäftsprozess „Rechnungserstellung – Zahlungseingangsüberwachung – Mahnwesen“ war in einer Arbeits- oder Organisationsanweisung nur grob beschrieben. Der Teilprozess für ein effizientes, termingerechtes Mahnwesen war hinsichtlich der Verantwortlichkeiten für die einzelnen Prozessschritte/Aufgaben nicht eindeutig geregelt. Zudem existierten über achtzig unterschiedliche Zahlungsbedingungen, die sich nur geringfügig unterschieden, die aber nicht einheitlich und transparent in den Kundenstammdaten hinterlegt waren. Diese Intransparenz erschwerte die Rechnungserstellung (Fehlerquote) und die Nachverfolgung der verschiedenen kundenspezifischen Zahlungsziele, Skonti und Bonusregelungen.
Im Unternehmen existierte keine durchgängige IT-Infrastruktur zur Unterstützung der Geschäftsprozesse. Neben dem ERP-System waren verschiedene andere Software-Systeme z. B. für die Warenwirtschaft, die Unternehmensplanung, für das Controlling und das Berichtswesen im Einsatz. Zudem gab es „Nebenbuchhaltungen“ in Excel, die u. a. ebenfalls für das Berichtswesen genutzt wurden. Zwischen den IT-Systemen bestanden zahlreiche Schnittstellen, die bei der teilweise noch manuellen Datenübertragung zu Fehlern führten und die eine empfängerorientierte Aufbereitung der Geschäftskennzahlen für ein aussagefähiges verlässliches Reporting erschwerten.
Der Vertrieb hatte systemtechnisch keinen direkten und zeitnahen Zugriff auf rechnungsrelevante Daten wie Zahlungsziele, Zahlungsbedingungen, Zahlungseingänge oder auf den Status laufender Mahnvorgänge. Diese Informationen erhielt der Vertrieb turnusmäßig einmal pro Monat oder auf Anfrage. Da Forderungsausfälle bis zum Jahr 2007 vernachlässigbar waren (durchschnittlich 0,2-0,4 % vom Umsatz im Zeitraum 2004-2006) wurde auf eine umfassende Organisationsanweisung für die Nachverfolgung von überfälligen Forderungen verzichtet. Die Nachverfolgung offener Forderungen erfolgte letztendlich auch nicht durch den Vertrieb, sondern ausschließlich durch die Finanzbuchhaltung.
For „verlorene“ Kunden und Forderungsverluste gab es viele Gründe. In der Finanzkrise gingen die Umsätze für „Neuprodukte“ mit fast allen Kunden gravierend zurück; weitere Umsatzrückgänge konnten zum großen Anteil durch das Ersatzteilgeschäft aufgefangen werden. Im Ergebnis ging der Gesamtumsatz 2007 bis 2009 um 25 Prozent zurück. Die Anzahl der kaufenden A-Kunden reduzierte sich von 2007 bis 2009 um 35 Prozent; die der B-Kunden um 21 Prozent und die der C-Kunden um 26 Prozent. Ein anderer Teil war in Zahlungsschwierigkeiten, zahlungsunfähig und/oder musste Insolvenz anmelden. Zu diesen Umsatzrückgängen kamen Forderungsausfälle, auch von Bestandskunden (siehe Tabelle Kundenstruktur).
Im Rahmen einer Analyse wurde nun ermittelt, wie es zu den Forderungsausfällen kommen konnte und welche internen Schwachstellen diese Situation begünstigten:
  • Die Bonität der betreffenden Neukunden und Bestandskunden wurde nicht regelmäßig geprüft; das Unternehmen hatte von diesen Kunden keine Signale zu Zahlungsschwierigkeiten oder gar einer möglichen drohenden Insolvenz erhalten können.
  • Bei Aufträgen > 70 000 Euro wurden zu geringe Anzahlungen gefordert; in der Regel nur < 15 % des Auftragswertes.
  • 60 Prozent der Kunden mit Zahlungs- rückstand wurden trotzdem weiterhin beliefert.
  • Kein Bestandskunde, der einen Zahlungsrückstand aufwies, wurde auf „Vorkasse“ gesetzt; dies erfolgte nur ab 2008 bei Neukunden.
  • Es wurden bei keinem Auftrag/Kunden Eigentumsvorbehalte/Bankbürgschaften verlangt.
  • Informationen über offene Posten wurden nicht zeitnah kommuniziert.
  • Der Zeitraum bis zur Aktivierung des Mahn- und Inkassowesens war zu lang.
  • Unzureichende Kommunikation über die Gründe von Zahlungsverzögerungen zwischen Technik, Vertrieb und Administration (z.B. Abarbeitung von Restmängeln an ausgelieferten Anlagen; Endabnahme noch nicht erfolgt).
  • Die persönliche Kontaktaufnahme mit dem Kunden durch den Vertriebsleiter oder Geschäftsführer erfolgte zu spät.
  • Verantwortlichkeiten für die Forderungsrealisierung waren für eine Krisensituation nicht klar geregelt.
Im nächsten Schritt ging es darum, Forderungen sichern und Liquidität verbessern. Erster Ansatzpunkt war die Entwicklung, Abstimmung und zeitnahe Umsetzung eines neuen Forderungsmanagement-Konzepts. Kern des Konzepts war ein verbindlicher Geschäftsprozess, der die Auftragsbearbeitung von der Auftragsannahme bis zum Inkassovorgang verständlich und verbindlich mit klaren Verantwortlichkeiten regelte.
Parallel dazu wurden mit „kritischen“ Kunden Gespräche aufgenommen, um offenem Forderungen einzuholen oder abzusichern. Die folgenden Punkte waren in unterschiedlicher Ausprägung Gegenstand dieser Gespräche:
  • Verhandlung von Zahlungsplänen zum Abbau des Forderungsbestandes.
  • Verhandlung von Rabatten bei sofortiger Barzahlung.
  • Einholen von Sicherheiten bzw. Bank- bürgschaften.
  • Verhandlung neuer Zahlungskonditionen (insbesondere Verkürzung der Zahlungsziele).
  • Erhöhung der Anzahlungen auf mindestens 25 % vom Anlagenwert; erst nach Eingang der Anzahlung Bestätigung eines Liefertermins an den Kunden.
  • Selektive Auflösung bestehender Konsignationsläger.
Durch die eingeleiteten Sofortmaßnahmen konnten die Forderungsausfälle in den Jahren 2010 und 2011 wieder deutlich unter ein Prozent des Gesamtumsatzes reduziert werden; die Liquiditätssituation des Unternehmens konnte ab 2010 so entscheidend verbessert werden, dass die Mindestliquiditätsreserve wieder gesichert war und der Zwischenfinanzierungsbedarf erheblich reduziert werden konnte.
Der neue Geschäftsprozess für die Auftragsabwicklung bzw. das Forderungsmanagement bestand unter anderem aus folgenden Komponenten:
Auftragsannahme
  • Aufträge werden grundsätzlich nur schriftlich entgegen genommen (gilt für Anlagen-, Reparatur- sowie Ersatzteilaufträge). Als schriftlich in diesem Sinne gilt neben dem schriftlichen Auftrag des Kunden auch die rechtsverbindliche Unterzeichnung einer Auftragsbestätigung.
  • Vor Auftragsannahme ist die technische Machbarkeit von der technischen Abteilung zu prüfen und zu bestätigen.
  • Alle Verträge, die Vereinbarungen von Pönalen enthalten, sind von der Rechtsabteilung zu prüfen und von der Geschäftsführung freizugeben.
  • Zahlungsbedingungen dürfen nur in begründeten Ausnahmefällen von der Standardbedingungen abweichen.
Rechnungslegung
  • Rechnungen sind zeitnah zu erstellen und zu versenden (Zielsetzung: Am Tag nach Lieferung bzw. Leistungserbringung spätestens jedoch am dritten Arbeitstag nach Lieferung bzw. Leistungserbringung – gilt analog für Teillieferungen).
  • Die Anzahlungsfrist für Kundenaufträge mit Anzahlungsvereinbarungen beträgt 14 Tage ab Rechnungsdatum. Maßgeblich ist der Geldeingang auf einem eigenen Bankkonto.
  • Erfolgt die vereinbarte Anzahlung nicht fristgerecht, werden alle Produktions- und Beschaffungsaktivitäten bis zum Zahlungseingang eingefroren. Dies ist dem Kunden durch den Vertrieb zeitnah schriftlich mitzuteilen. (Achtung: Wichtig ist der Hinweis darauf, dass eine aus der verspäteten Anzahlung resultierende mögliche Terminverzögerung nicht durch das Unternehmen zu vertreten ist).
  • Ausnahmen von diesen Regelungen bedürfen der schriftlichen Genehmigung durch ein Mitglied der Geschäftsführung.
Besicherung von Aufträgen – Kreditlimits – Bonitätsprüfung
  • Die Form der Absicherung (Akkreditive, Vorauskasse, Garantien der Kundenbank, Anzahlungen etc.) von Kundenaufträgen erfolgt grundsätzlich auf der Basis der Risikobewertung eines geeigneten Institutes – vorzugweise der Hausbank.
  • Die Kreditlimits werden von den Vertriebsleitern vorgeschlagen und sind von der jeweiligen Geschäftsführung schriftlich zu genehmigen („Kreditlimit-Vorschlags-Liste“ wird abgezeichnet). Erst danach werden die Kreditlimits in den Kundenstammdaten hinterlegt.
  • Kriterien für die Festlegung eines Kreditlimits sind in erster Linie das aktuelle Zahlungsverhalten des Kunden (Auffälligkeiten) in den vergangenen 12 Monaten, Auskünfte eines geeigneten Instituts (Hausbank, Auskunfteien) und Informationen aus dem Markt.
  • Die Festlegung von Kreditlimits erfolgt nach den in einer Tabelle festgelegten Regeln.
  • Übersteigt ein neuer Auftrag eines Kunden das bereits ausgeschöpfte Kreditlimit (wegen noch laufender Aufträge) ist eine Auftragsannahme nur durch die schriftliche Genehmigung der Geschäftsführung möglich.
  • Ausnahmen von diesen Regelungen bedürfen der schriftlichen Genehmigung durch ein Mitglied der Geschäftsführung.
Mahnverfahren Forderungen
  • Einmal wöchentlich wird von der Buchhaltung eine Liste der überfälligen Forderungen erstellt und an den für das Mahnwesen zuständigen Mitarbeiter im Vertrieb zur Bearbeitung weitergeleitet. Die Mahn-Aktivitäten werden in der Mahnliste dokumentiert. Diese Dokumentation ist sechs Monate zu archivieren.
  • Bei den Mahnstufen 1 und 2 ist es der Vertriebsleitung freigestellt, in welcher Form die Zahlungserinnerung erfolgt (telefonisch, E-Mail, Mahnschreiben).
  • Bei Mahnstufe 3 erfolgt automatisch eine schriftliche Mahnung, die von der Geschäftsführung abzuzeichnen ist.
  • Ist auch diese Mahnung erfolglos wird im Anschluss umgehend ein Inkasso-Verfahren eingeleitet.
  • Ausnahmen von diesen Regelungen bedürfen der schriftlichen Genehmigung durch ein Mitglied der Geschäftsführung.
Parallel hierzu wurden Mitarbeiter des Finanzwesens, des Controllings und des Vertriebs hinsichtlich der neuen Geschäftsprozesse geschult. Zweiter Ansatzpunkt war die Einrichtung eines Früherkennungssystems für den Risikofall „Forderungsausfälle“.
Frühzeitig Risiken erkennen Das Technologieunternehmen verfügte über kein durchgängiges Risikomanagementsystem, in dem die wesentlichen existenzgefährdenden Risiken identifiziert, beschrieben und nach ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und möglicher Schadenshöhe dokumentiert worden sind. Aus diesem Grunde war das Unternehmen, das jahrelang überproportional Umsatz und Ergebnis verbessern konnte auf die Auswirkungen der Finanzkrise nicht eingestellt. Somit fehlten den Mitarbeitern auch festgelegte Steuerungsmechanismen, mit denen sie das Forderungsausfallrisiko hätten frühzeitig reduzieren können.
In der Konsequenz wurde für das Unternehmen ein Risiko-Früherkennungssystem entwickelt. Dieses gewährleistet zukünftig, dass alle Risiken (und auch Chancen), die auf das Unternehmen einwirken, frühzeitig anhand ausgewählter Indikatoren erkannt werden. Eine eindeutige Kategorisierung erleichterte hierbei die systematische Erfassung und Analyse der Risiken und verringert zukünftig die Wahrscheinlichkeit, dass diese unerkannt bleiben. Die Risiken wurden nach festgelegten Regeln von den Mitarbeitern und der Geschäftsführung einheitlich bewertet.
Restrukturierungsergebnis Die umfassenden Restrukturierungsmaßnahmen fanden in den Jahren 2010 und 2011 statt. Die Entwicklung und zeitnahe Umsetzung der Maßnahmen zur Optimierung des Forderungsmanagements erfolgte gemeinsam mit den Mitarbeitern des Unternehmens.
Im Rahmen dieses Projektes konnte ein erheblicher Beitrag zur Sicherstellung der Liquidität für das Unternehmen geleistet werden.
Positive Ergebnisse waren insbesondere:
  • Der Anteil „gefährdeter“ Forderungen konnte u.a. durch den Abschluss von Zahlungsplänen und durch Bürgschaften zu über 60 Prozent gesichert werden.
  • Die Forderungslaufzeit wurde von rund 120 Tagen auf < 45 Tage reduziert.
  • Die Forderungsausfälle konnten bis 2011 auf rund 0,5 Prozent vom Umsatz gesenkt werden (siehe Tabelle Forderungsausfälle 2007-2011).
  • Der Zwischenfinanzierungsaufwand wurde um rund 235 000 Euro p.a. gesenkt.
Schließlich ist auch die turnusmäßige Aktualisierung des Risikomanagement-Handbuches im Controlling angesiedelt worden. In diesem Zusammenhang hat das Unternehmen im Jahre 2011/2012 auch die IT-Infrastruktur angepasst, Schnittstellen auf ein Minimum reduziert und ein zielgerichtetes Management-Informations-System eingeführt.
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