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Einfluss der Corona-Krise auf den Stahlmarkt

Stahlpreisentwicklung aktuell – eine Analyse
Einfluss der Corona-Krise auf den Stahlmarkt

Einfluss der Corona-Krise auf den Stahlmarkt
Die Corona-Krise könnte den Stahlmarkt, der bis jetzt von Überproduktionen bestimmt war, stark verändern. Bild: kasarp/stock.adobe.com
Die negativen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Rohstahlproduktion in Deutschland sind deutlich sichtbar. Im zweiten Quartal 2020 hat die Produktion das Niveau des Vorjahres um 26 Prozent unterschritten, nachdem sie bereits im ersten Vierteljahr um 6 Prozent gesunken war. Wird die Marktbereinigung weiter beschleunigt?

Seit vielen Jahren ist der Stahlmarkt durch nicht unerhebliche Überkapazitäten geprägt, Zusammenschlüsse von Stahlproduzenten sind immer wieder ein Thema. Indes, wirklich viel Aufregendes ist in diesem Zusammenhang aus Gesamtmarkt-sicht bislang nicht passiert. Wir hatten in einer der vergangenen Ausgaben bereits darauf hingewiesen, dass ein Leben mit diesen Überkapazitäten über einen derart langen Zeitraum ohne staatliche Einmischung kaum möglich gewesen wäre. Diesbezüglich muss man sich bewusst machen, dass in diesem Umfeld offensichtlich einige Player am Markt aktiv sind, deren Geschäftsmodell recht eng „auf Kante genäht“ ist. Die Corona-Krise könnte nun allerdings dafür sorgen, dass ein schon länger erwarteter Bereinigungsprozess der Branche beschleunigt wird.

Denn bei den aktuellen Geschehnissen (Stand 29.05.2020) ist durchaus zu erwarten, dass staatliche Unterstützungen für den Stahlsektor in einigen Ländern jetzt nicht mehr in dem bisherigen Maße zur Verfügung stehen werden. Die finanziellen Folgen der Corona-Krise sind für alle Länder immens, Hunderte von Milliarden Mehrausgaben werden die Staatshaushalte belasten. Die bisherigen Subventionen, unter anderem von eigentlich gar nicht wettbewerbsfähigen Stahlherstellern, muten da ein wenig wie „Luxus“ an. Bis jetzt subventionierte Stahlanbieter könnten nun aber tatsächlich vom Markt verschwinden. Gleiches gilt für Unternehmen mit vor der Corona-Krise bereits geringen Margen und daher auch weniger Rücklagen. Auch hier könnte es zu Verschiebungen am Markt kommen.

Was in den nächsten Monaten in diesem Bereich tatsächlich passieren wird, ist aber nichtsdestotrotz kaum vorhersehbar. Wir wissen schlichtweg nicht, wie lange die aktuellen Beschränkungen und Beeinträchtigungen dauern werden. Ebenso wenig kennen wir die finanzielle Situation der verschiedenen internationalen Player. Wer kann wie lange durchhalten?

Wie entwickeln sich die Produktionsmengen?

Fakt ist, dass erst einmal heruntergefahrene Hochöfen nicht „mal eben“ wieder gestartet werden. Es ist daher wichtig, den Markt weiterhin zu beobachten. Wo reduzieren sich Kapazitäten? Betreffen diese den von mir eingekauften Stahl? Es besteht die Gefahr von Engpässen, insbesondere sobald die Wirtschaft wieder hochfährt, da das Angebot am Stahlmarkt eher träge und erst mit Verzug der Nachfrage nachfolgen wird.

Aktuell liegen uns bezüglich der Produktionsmengen die Zahlen für März und April 2020 vor. Hier ist bereits ein „Corona-Effekt“ deutlich zu erkennen. Schon im März lag die Rohstahlproduktion in Deutschland laut Wirtschaftsvereinigung Stahl mit −3,29 Mio. Tonnen über zehn Prozent unter dem Vorjahresmonat (Elektrostahl −13,5 %; Oxygenstahl −8,8 %). Im April wurden dann nur noch 2,56 Mio. Tonnen produziert, womit wir bereits fast 25 Prozent unter dem Vorjahresniveau liegen (Elektrostahl −16,1 %; Oxygenstahl −27,1 %). Auf europäischer Ebene beziffert worldsteel (Quelle: www.worldsteel.org) das Minus für April 2020 auf 22 Prozent dem gegenüber Vorjahresniveau (für März −20 %).

Deutsche Anbieter sind von dieser Entwicklung – die sich jedenfalls kurzfristig nicht deutlich verbessern dürfte – selbstverständlich nicht ausgenommen. Aktienanalysten warnen beispielsweise vor dem Einstieg in den Stahlmarkt: Eine schnelle Erholung sei nicht in Sicht, Anleger sollten die Branche meiden und vorerst an der „Seitenlinie“ bleiben, so etwa Maximilian Völkl vom Anlegermagazin „Der Aktionär“ in einer aktuellen Aktienanalyse (Quelle: www.aktiencheck.de). Entsprechende Nachrichten sind der Presse auch zu deutschen Anbietern zu entnehmen.

Die Auswirkungen für Stahleinkäufer

Für Stahleinkäufer bedeutet dies im Ergebnis, dass ihnen Beschaffungsquellen wegbrechen könnten. Im Worst Case, etwa bei einer Lieferanten-Insolvenz, nützen einem auch etwaige vertraglich zugesicherte Liefermengen nichts. Nur aufgrund eines abgeschlossenen Vertrages kann ich mich deshalb nicht zurücklehnen.

Wenn etwa ein Viertel weniger Angebotsmenge im Markt ist, muss dies sehr genau beobachtet werden, insbesondere da dieser Rückgang individuell je Stahlsorte und Format sehr stark abweichen kann. Als Einkäufer sollte ich mich daher sehr intensiv mit meinen Stahlhändlern über genau meine Bedarfe unterhalten, Risiken in den Lieferketten individuell bewerten und entsprechende Maßnahmen ableiten. Wir weisen immer wieder darauf hin: Es gibt nicht DEN Stahlmarkt!

Es ist daher Zeit für ein proaktives Risikomanagement. Verfügbarkeiten zu sichern ist in den nächsten Monaten an einigen Stellen gegebenenfalls wichtiger als ein auf den letzten Cent optimierter Einkaufspreis.

Die Lage der stahlverbrauchenden Industrien

Ergänzend noch ein wenig Statistik bezüglich der wesentlichen Stahlverbraucher:

Automotive: Die Pkw-Produktion in Deutschland ist im März mit 288.000 Stück um 37 % gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken. Im April wurden laut VDA dann nur noch 10.900 Pkw produziert (Rückgang um 97 %).

Maschinenbau: „In den März-Zahlen werden wir die Folgen der Ausbreitung des Virus deutlich sehen. Immerhin meldeten uns 84 Prozent der VDMA-Mitglieder in einer Umfrage von Ende März gravierende bis merkliche Auftragseinbußen“, so VDMA-Chefvolkswirt Dr. Ralph Wiechers (Quelle: www.it-production.com). Die nackten Zahlen bestätigen diese Befürchtung: Der Volumenindex Auftragseingang Investitionsgüter Inland für 03/2020 ging um 23,4 Prozent gegenüber dem Vormonat zurück (Quelle: destatis).

Baugewerbe: Im Baugewerbe sahen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes über die Auftragseingänge im März mit „nur“ -10,5 Prozent gegenüber dem Vormonat auf den ersten Blick noch nicht ganz so dramatisch aus. Die größte Gefahr für die Baubranche bestand zunächst darin, dass die Produktion durch Probleme bei den Baustoff- und Baumaterialzulieferern, durch Erkrankungen in den Baubelegschaften oder durch behördliche Maßnahmen noch deutlich gebremst werden könnte.

Tatsächlich war die deutsche Bauindustrie aber im Wesentlichen wegen des hohen Auftragsbestandes zum Jahreswechsel vorerst gut durch die Krise gekommen. Neue Aufträge kamen dann aber im Baugewerbe – nachdem die Auftragsbücher Anfang des Jahres noch prall gefüllt waren – seit Beginn der Corona-Krise kaum mehr hinzu. Dazu der Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB), Peter Hübner, sagte Ende Mai: „Wir haben seit einem Monat extreme Einbrüche im Auftragseingang.“ (Quelle: www.handelsblatt.com). Der Verband gehe insofern davon aus, dass die Umsätze für 2020 nach dem Boom der letzten Jahre mit teilweise zweistelligen Wachstumsraten allenfalls stagnieren werden.

Diese Einschätzungen werden durch die Unternehmen bestätigt. Eine Umfrage unter den Mitgliedern des HDB aus Mitte April ergab folgende Einschätzungen: 58 Prozent (262 Unternehmen) haben geantwortet, dass sie durch die Auswirkungen des Corona-Virus in ihrer Leistungserbringung bereits heute behindert sind, 28 Prozent melden sogar eine starke Einschränkung (Quelle: www.bauindustrie.de).

Entwicklungen genau beobachten

Aufgrund dieser starken Veränderungen auf Angebots- und auf Nachfrageseite kann es zu sehr unterschiedlichen Entwicklungen kommen. Mit über 2000 Stahlsorten und diversen Formaten und Abmessungen öffnet sich ein fast unendliches Feld von kleinen einzelnen Stahlmärkten, in denen Angebot und Nachfrageverhältnisse sehr unterschiedlich beeinflusst werden. An der einen Stelle kann es zu Engpässen kommen, da das Angebot stärker einbricht, an anderer Stelle kann es genau umgekehrt sein. Einkäufer müssen sich in „ihren“ Stahlmärkten sehr gut auskennen und konsequent deren aktuelle Entwicklungen beobachten.

Mehr zum Thema „Stahl und Stahlbeschaffung“, insbesondere auch zu den aktuellen Stahlpreisentwicklungen, finden Sie auf

www.stahl-kompakt.de


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