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Wie geht es weiter mit den europäischen Stahl-Herstellern?

Stahlpreisentwicklung aktuell – eine Analyse
Wie geht es weiter mit den europäischen Stahl-Herstellern?

Der Präsident des Weltstahlverbandes und Voestalpine-Chef Dr. Wolfgang Eder erneuerte jüngst seine Aussage, dass Europa aus Kostengründen langfristig mehr als die Hälfte der Stahlproduktion verlieren werde. Grund hierfür seien die hohen Energiekosten sowie die Ausgaben für den CO2-Zertifikate-Handel.

In zahlreichen Berichten liest man seit Monaten von Überkapazitäten im Markt. Zudem haben viele Produzenten bereits intensive Optimierungs- und Verschlankungsprogramme hinter sich. In Sachen Effizienzsteigerung ist daher ein Großteil möglicher Potenziale schon ausgeschöpft. So konnten Kapazitätsrückgänge und Stilllegungen in Europa bis dato größtenteils vermieden werden, sogar auf dem niedrigen Preisniveau aus 2014 und der ersten Monate dieses Jahres konnten die Stahlhersteller noch Gewinne erzielen.

Die Renditen werden dabei aber nicht in jedem Fall langfristig ausreichend sein, sodass zu befürchten ist, dass sich Investoren irgendwann überlegen werden, ihr Kapital in anderen Bereichen zu platzieren. Dies gilt sicherlich nicht pauschal, aber insbesondere für Hersteller, die weniger stark im Hightech-Stahlmarkt vertreten sind. Sollte sich daher an der aktuellen Situation nichts ändern, sind mittelfristig rückläufige Kapazitäten zu erwarten. Was aber passiert, wenn die Stahlpreise noch weiter zurückgehen oder die Herstellkosten anziehen?
Bereits jetzt erleben wir bei den einfachen Qualitäten einen weiteren Rückgang der Preise, dies insbesondere aufgrund der chinesischen Exporte. Hier bleibt abzuwarten, inwieweit sich dies fortsetzt oder ob ggf. tatsächliche weitere Pleiten chinesischer Hersteller dem entgegenwirken und als Folge dessen die chinesischen Exporte wieder zurückgehen. Die Entwicklung des staatlichen Herstellers Sinosteel sollte man daher jetzt beobachten. Macht China seine Ankündigung wahr und lässt die schwächsten – auch staatliche – Unternehmen wirklich pleitegehen? Im Moment ist die Lage aber erst einmal weiter so, dass chinesische Exporte die Preise drücken und die Protektion in Europa durch entsprechende Zölle nur langsam reagieren kann (www.finanzmarktwelt.de).
Bezüglich Erz und Kohle wird von Experten zwar keine Kostensteigerung erwartet, aber die aus den Klimazielen und -schutzauflagen der EU resultierenden CO2-Reduzierungen sind mit den aktuellen Herstellverfahren nicht zu erreichen. Daher müssen von den Unternehmen in erheblichem Maße Zertifikate gekauft werden. Hierdurch werden die Margen weiter reduziert. Robrecht Himpe, Vorstand von ArcelorMittal und Chef des europäischen Stahlverbandes Eurofer zu diesem Thema: „Wenn die Klimaschutzpläne der EU-Kommission wirklich so umgesetzt werden, kann das für die Stahlindustrie lebensbedrohlich werden.“ (www. wiwo.de). Gemeint ist der Beschluss der Kommission bezüglich der ab 2019 beginnenden Reduzierung der Zertifikate im Emissionshandel. Durch die Verknappung soll der Preis von derzeit unter zehn Euro pro Tonne CO2 deutlich angehoben werden. Nach Ansicht der Brüsseler Kommission sollen so die Anreize verstärkt werden, um in klimaschonende Technologien zu investieren. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl rechnet hingegen mit Mehrbelastungen von 1 Mrd. jährlich allein für die deutsche Stahlindustrie. Die bereits jetzt angespannte Situation dürfte also noch kritischer werden, Wolfgang Eder wird mit seinen Befürchtungen tendenziell richtig liegen. Auch die von ihm genannten 60 % Rückgang der Stahlproduktion erscheinen nicht unrealistisch. Die von Robrecht Himpe angekündigte Entwicklung von Mehrkosten, die teilweise die aktuellen Gewinne überschreiten würden, halten wir branchenweit hingegen nicht für wahrscheinlich. Dennoch: Selbst ein Premium-Anbieter wie Voestalpine, der aktuell bei ca. 450 Mio. Euro Gewinn bzw. ca. 11 % EBITDA im europäischen Stahlgeschäft liegt, wird bei erwarteten 200 Mio. Euro jährlichen Zusatzkosten für CO2-Zertifikate seine Marge annähernd halbieren. Dies sind zwar nicht die befürchteten roten Zahlen, auf breiter Front werden Investoren sich aber langfristig vermutlich nicht mit EBITDA-Margen um die 5 % zufrieden geben. In unteren Preis- und Qualitätssegmenten ist die Situation ohnehin entsprechend schlechter.
In Großbritannien sind bereits die ersten entsprechenden Auswirkungen zu beobachten: SSI UK wird liquidiert, der größte britische Stahlhersteller Tata Steel will 1200 Mitarbeiter entlassen (www.handelsblatt.com). Neben den oben genannten Einflüssen verschärfen hier das aktuell sehr starke Pfund sowie die höheren englischen Energiekosten die Situation. Es steht zu befürchten, dass diese Zusatzeffekte jedoch nur ein „Brandbeschleuniger“ sind und in Kürze auch bei uns die ersten Auswirkungen zu spüren sein werden.
Die letzten Weltmarkt-Absatzprognosen beispielsweise stimmen alles andere als optimistisch. In China wird auch in den nächsten Jahren mit rückläufigen Stahlbedarfen gerechnet, in Indien, dem Land mit den größten Steigerungsraten im Stahlbedarf weltweit, ist ein Ausbau der eigenen Kapazitäten bis 2025 auf 300 Mio. Tonnen – von heute 90 Mio. Tonnen – geplant (www.nzz.ch). Wir von Stahlkompakt rechnen zwar nicht mit kurzfristigen, massiven Einschnitten in Europa, aber manchmal überholen sich solche Prognosen schneller als man denkt und eine weitere negative Entwicklung am Weltmarkt könnte der berühmte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Hochwertiger Stahl wird auch weiter in Europa hergestellt und damit bei etablierten Quellen zu beschaffen sein. Da der Aufbau einer internationalen Lieferkette Zeit und Aufwand erfordert, bis diese dann auch stabil funktioniert, wäre es jedoch ratsam, sich jetzt zumindest in den unteren Preis- und Qualitäts-Segmenten mit dem globalen Beschaffungsmarkt eingehender zu beschäftigen und eine entsprechende Sourcing-Strategie zu entwickeln. Regelmäßige Risikobewertungen bestehender Lieferketten und eher ein Dual- statt des Single-Sourcing könnten wichtige Bestandteile einer solchen Strategie sein.
Aus unserer Sicht besteht dabei allerdings kein Grund, in Hektik zu verfallen. Noch bestehen in Europa nicht unerhebliche Überkapazitäten, daran wird sich höchstwahrscheinlich auch kurzfristig nichts ändern.
Mehr zum Thema, insbesondere auch zu den aktuellen Stahlpreisentwicklungen, finden Sie auf www.stahl-kompakt.de.
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