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Planung im Kreislauf

Supply Chain Management
Planung im Kreislauf

Viele Industrieunternehmen spüren die Konjunktur in den Auftragsbüchern. Besonders die Nutzfahrzeughersteller müssen hochvolatile Schwankungen in ihren Supply Chains ausbalancieren. Doch nicht nur die großen Konzerne haben aus den Erfahrungen der Krisenjahre gelernt, wie das Beispiel Schmitz Cargobull zeigt.

So schnell geht es eigentlich nur auf der Achterbahn zu. Kaum ist die Spitze erklommen, folgt der nächste Abschwung. Doch der Nervenkitzel, den Kirmesbesucher direkt vor Augen haben, treibt vielen Logistikplanern in den Unternehmen mehr als nur Sorgenfalten auf die Stirn. Denn in hochvolatilen Märkten lassen sich Abschwünge, die auch schnell an Fahrt gewinnen können, häufig nur schwer vorhersehen. Genauso gilt dies natürlich auch umgekehrt für eine boomartig anziehende Nachfrage. Besonders für die Hersteller von Nutzfahrzeugen bleibt die optimale Planung in der Lieferkette eine ständige Herausforderung.

Das gilt für Zugmaschinen- bzw. Motorwagenhersteller wie Daimler oder MAN in gleicher Weise wie für Hersteller von Aufbauten bzw. Sattelaufliegern wie Schmitz Cargobull. In der derzeitigen Konjunkturphase sind die Produktionsrückgänge im Zugmaschinen-Bereich deutlich stärker zu spüren, was sicher auch mit der bestehenden Unsicherheit vor dem Inkrafttreten der neuen Abgasnorm Euro 6 für schwere Nutzfahrzeuge zum 1. Januar 2014 zusammenhängt. Daher könnte mancher Euro zwischenzeitlich in die Anschaffung eines neuen Aufliegers fließen und den konjunkturbedingten Rückgang in der Nachfrage etwas abfedern. Allerdings bleiben auch diese Hersteller von den volatilen Entwicklungen nicht unberührt. Dabei konnte etwa Schmitz Cargobull als umsatzstärkster europäischer Hersteller von Anhängern und Aufliegern mit einem Umsatzplus von 29 Prozent auf 1,64 Mrd. Euro gerade erst ein erfolgreiches Geschäftsjahr mit deutlichen Stückzahlzuwächsen verbuchen. Die Fahrzeugproduktion stieg um 19 Prozent auf gut 43 000 Fahrzeuge.
Was vor gut 120 Jahren als Schmiede begann, hat sich zu einem international operierenden Anbieter gemausert. Die Produktpalette reicht von Sattelkoffern, Anhängern und Aufbauten für Trockenfracht und Kühltransporte über Sattelpritschen für Fertigwaren und Sattelkipper für Schüttgut bis zu Sattel-Containerchassis und Anhängern mit Wechselaufbauten für intermodale Verkehre. Hinzu kommt ein komplettes Angebot von Dienstleistungen in den Bereichen Finanzierung, Wartung, Ersatzteile, Telematik und Gebrauchtfahrzeuge. Heute produziert Schmitz Cargobull mit über 4.400 Mitarbeitern in sechs industriellen Fertigungsstätten in Europa. Seit Herbst 2012 allerdings nicht mehr unter Volldampf, denn der konjunkturelle Rückgang hat sich auch in den Auftragsbüchern von Schmitz Cargobull deutlich, wenn auch produktbezogen unterschiedlich bemerkbar gemacht. Die Bremsspuren sehen aber deutlich schwächer aus im Vergleich zu dem enormen Einbruch infolge der Finanzkrise im Herbst 2008. „Wir haben es geschafft, frühzeitig und in ausreichendem Maße auf die Bremse zu treten“, sagt Peter Schonefeld, Leiter des Liefernetzwerkes bei Schmitz Cargobull. Ein wichtiges Instrument dabei: die „rollierende Planung“. Doch der Vergleich mit der Situation der Krisenjahre zeigt auch, an welchen Stellen man im Instrumentenkasten über andere, deutlich verbesserte Möglichkeiten verfügt. „Wir waren damals auf einem ganz anderen, eher rudimentären Planungsniveau und eher noch in den Anfängen eines synchronisierten unternehmensweiten Planungsprozesses unterwegs“, erinnert sich Schonefeld. Auch organisatorisch waren die Strukturen noch längst nicht so klar ausgeprägt. „Mittlerweile haben wir eine ganz andere Sensibilität für die Indikatoren, die wir heute im monatlichen Zyklus abprüfen“, stellt der Logistik-Manager fest. Ziel ist, die bestmögliche Transparenz über zu erwartende Absätze, die Kapazitätssicht im Produktions- und Beschaffungsnetzwerk und darüber hinaus die zu erwartende Ergebnisperspektive zu gewinnen. Dabei erweist sich der institutionalisierte Planungsprozess als komplex, aber in sich schlüssig und streng getaktet.
Auf der obersten Ebene ist die strategische Planung angesiedelt. Hier wird über einen zeitlichen Horizont von ca. fünf Jahren die wesentliche Unternehmensausrichtung festgelegt. Darunter wird in einer jährlichen Geschäftsjahresplanung mit einem Horizont über drei Jahre die Zielausrichtung konkretisiert und auf die Werke, Märkte, Produkte etc. heruntergebrochen. In der Ebene darunter folgt dann die rollierende Planung. Hier geht es in einer kürzeren unterjährigen Perspektive um Anpassungen und erforderliche Steuerungsimpulse. Zum Instrumentenkasten gehören dabei sowohl die Kostenstrukturen und Kapazitätsverfügbarkeiten als auch Möglichkeiten der verstärkten Marktbearbeitung. Auf dieser monatlichen Basis können notwendige Anpassungen vorgenommen werden. Das Feintuning im Kurzfristbereich erfolgt durch die „operative Planung“.
In der rollierenden Planung liegt die entscheidende Stellschraube in der kurzfristigen Reaktion auf eintretende Marktschwankungen. In dem Steuerungsgremium sind neben dem Vorstand die Geschäftsbereichs- bzw. Werkleiter, die Vertriebsleiter, das Controlling sowie der Strategische Einkauf und das Supply Chain Management (SCM) vertreten. Dazu wurde ein Planungskreislauf erarbeitet, der sich in fünf Schritte unterteilt und synchron mit der Vertriebsplanung startet. Dabei laufen die beiden wesentlichen „Planungsäste“‚ Material- und Kapazitätsplanung sowie Absatzplanung monatlich auf ein gemeinsames Ziel zu. Grundlage ist die grobe Stückzahlerwartung auf der Werkebene für die kommenden Monate. Die Planung bewegt sich dann in einem Korridor zwischen maximalen und minimalen Produktionsvolumina. Als wichtige Indikatoren dienen z. B. aktueller Auftragseingang, größere Kundenanfragen, mögliche Auftragsumterminierungen, das Abholverhalten der Kunden sowie weitere externe Indikatoren.
Da Schmitz Cargobull grundsätzlich nach dem Prinzip ‚Make to Order‘ fertigt, existiert für jedes produzierte Fahrzeug auch ein Kundenauftrag. Wichtig und interessant für die Planung ist auch ein regelmäßiger Blick auf den Hof, wo die fertigen Fahrzeuge in einer Terminreichweite von in der Regel ein bis zwei Wochen auf die Abholung durch den Kunden warten. Gerade in einer Situation rückläufiger Produktion in wichtigen Industriebranchen und sinkender Transportvolumen muss ein wachsames Auge auf das Abholverhalten gelegt werden. Zunehmende Standzeiten auf dem Hof signalisieren also auch schwächere Marktimpulse und erlauben Rückschlüsse für die eigene Kapazitäts- und Produktionsplanung. Gerade in diesem Punkt erkennt Peter Schonefeld wichtige Fortschritte gegenüber der Situation in der Krisenzeit 2008/09: „Wir hatten damals Hofbestände in einer Reichweite von drei bis vier Wochen mit der entsprechenden Cashbindung.“
Weitere wichtige Hinweise für die Planung gibt der Blick auf den Produkt-Mix der komplexeren und einfacheren Fahrzeuge und die damit zusammenhängenden Fragen des Personalbedarfs. Doch gerade in diesem Punkt stehen die Planer vor neuen Herausforderungen. Durch das hochvolatile Nachfrageverhalten im Zusammenhang mit einem steigenden Qualitätsniveau muss die Frage der Mitarbeiterbindung und des Einsatzes von Leiharbeitern besonders betrachtet werden. Die Bindung der Stammkräfte und der massive Einsatz von Kurzarbeit in der letzten Abschwungphase hat es rückblickend auch ermöglicht, mit dem nachfolgenden starken Anziehen der Nachfrage auch wieder Schritt halten zu können. Im Blick nach vorn wagt Schonefeld die Prognose, dass die Erfahrungen im Umgang mit Kurzarbeit dieser auch ihren Schrecken ein wenig genommen haben.
In die Materialbedarfsplanung fließen Indikatoren über verfügbare Kapazitäten am Markt ein. So können kurz- oder mittelfristige Engpässe schneller identifiziert und entsprechende Gegenmaßnahmen platziert werden. Im äußersten Fall können auch Stückzahlgrenzen in der Produktion eingezogen werden. Das Ziel ist, im ersten Schritt aus der Werkperspektive eine gemeinsame Abstimmung der Stückzahlerwartung zu bekommen. Mit dieser relativ groben Erwartung auf der Fahrzeugmix- und Baugruppenebene kommen im zweiten Schritt die Lieferanten ins Spiel. Ihnen würde eine genaue Prognose bis auf Artikelebene nicht wirklich weiterhelfen. Die Abweichungen in einem volatilen Marktumfeld wären anschließend viel zu groß. „Unsere Philosophie auf der Beschaffungsseite ist, unserem Liefernetzwerk Informationen nur so detailliert wie nötig zu Verfügung zu stellen“, erklärt Schonefeld. Wichtig sei aber auch, immer wieder die Verfügbarkeiten auf der Lieferantenseite zu hinterfragen. Daher gehören regelmäßige Abstimmungen mit den Lieferanten vor Ort und der ständige Austausch zum Pflichtprogramm der Supply Chain Manager. „Wir haben diese Form der Kommunikation nach den Erfahrungen von 2008/09 intensiviert, weil sie uns und unseren Partnern hilft, sich auf die stetig wechselnden Marktverhältnisse einzustellen“, bestätigt der Leiter des Liefernetzwerkes. Nur durch diese intensive Kommunikation sei es aber auch möglich gewesen, die „Schockstarre“ auf der Lieferantenebene 2009 zu überwinden und neues Vertrauen in die wieder anziehende Materialnachfrage aufzubauen. „SCM hat für uns eine ganz andere Bedeutung bekommen“, sagt Schonefeld. Der Abdeckungsgrad der Baugruppen mit Supply Chain Managern habe sich deutlich erhöht. Zudem ist SCM inzwischen zu einer eigenen Abteilung im Unternehmen geworden. Ganz wichtig für das mittelständische Unternehmen sei aber, „dieses Thema in unserer mittel- und langfristigen Unternehmensstrategie verankert zu haben“. Auch das Verständnis, „stärker in Netzwerken denken zu müssen“, habe deutlich zugenommen. Sicherlich hat Schmitz Cargobull im Unterschied zu größeren Konzernen im Nutzfahrzeugbereich noch nicht die Möglichkeiten des „Global Balancing“, also Nachfrageschwankungen in Europa durch Wachstumsimpulse in China oder Nordamerika kompensieren zu können. Allerdings sei das aktuelle Joint Venture mit Chinas größtem Lkw-Hersteller Dongfeng „ein Schritt in diese Richtung“. Auf der anderen Seite habe das Unternehmen aber die Chance, am Wachstum auf neuen, schnell wachsenden Märkten partizipieren zu können.
Ein wichtiger Punkt in der rollierenden Planung ist erreicht, wenn die Rückmeldungen der Lieferanten in einem dritten Schritt bewertet, erste Kapazitätsmaßnahmen detailliert bzw. initiiert sind und dieses Gesamtbild über Lieferketten und Lieferanten dann mit der vorläufigen Absatzplanung synchronisiert wird. „Im Regelfall decken wir mit unserer Korridorabschätzung ab, was die Absatzplanung einsteuert“, sagt Schonefeld. Zeitgleich zur Kapazitätsabstimmung im Liefer- und Produktionsnetzwerk findet auf der Vertriebsebene eine übergreifende Abstimmung über die einzelnen Produkte und Absatzmärkte statt. Im vierten Schritt werden die verschiedenen Perspektiven – Absatz, Kapazität und finanzielle Ergebniserwartung – synchronisiert. Es entsteht ein fundierter Überblick über die unternehmensweite Geschäftserwartung. Damit sind auch Abweichungen vom ursprünglichen Kurs aus der Geschäftsjahresplanung und ein entsprechender Korrekturbedarf zu erkennen. Anpassungen können somit kurzfristiger vorgenommen werden. Eine Folge kann z. B. das Einsetzen einer Art „Task Force“ sein, die sich dann dezidiert mit konkreten Steuerungsmaßnahmen auseinandersetzt. Natürlich schaffe diese rollierende Korrektur zunächst „auch eine gewisse Unruhe“, räumt Peter Schonefeld ein. Diese Unruhe führe aber auch zu „einer entsprechenden Vitalität und Fitness in der Organisation“.
Der Planungskreislauf schließt sich mit dem fünften Schritt, wenn die gewonnenen Informationen wieder in die Supply-Chain-Organisation gelangen. Bei wesentlichen Abweichungen zu den bisherigen Korridorplanungen werden die entsprechenden Daten an die Lieferanten direkt und unverzüglich nochmals nachgesteuert. Im anderen Fall startet der Kreislauf nach rund zwei Wochen erneut. Paradox scheint, dass Absatzrückgänge um bis zu 90 Prozent wie im Konjunkturtal 2008/09 auch als Chance begriffen werden können. Für Peter Schonefeld ist Schmitz Cargobull ein Beispiel dafür, wie eine zunächst als Bedrohung empfundene Krise rückblickend die Möglichkeit eröffnet hat, Prozesse mit einer entsprechenden Nachhaltigkeit ganz neu zu gestalten. Auf jeden Fall hat diese Erfahrung zu einer starken Dynamisierung im Planungsprozess geführt. Daher blickt der Logistik-Manager etwas gelassener auf künftige Marktschwankungen: „Rollierende Planung ist sicher kein Allheilmittel, aber wir haben damit ein weiteres Werkzeug, das uns hilft, mit den starken Marktvolatilitäten deutlich besser umzugehen.“
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