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Lieferkettengesetz

Lieferkettengesetz: Die Supply Chain soll transparenter werden
Das Lieferkettengesetz verpflichtet zu mehr Kontrolle

Das Lieferkettengesetz verpflichtet zu mehr Kontrolle
Dr. Miriam Saage-Maaß, Leiterin „Wirtschaft und Menschenrechte“, European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Bild: ECCHR
Die Bundesregierung will Unternehmen per Gesetz zur Achtung von Menschenrechten und sozialen Standards bei Geschäften im Ausland verpflichten. Das Vorhaben, das insbesondere den Einkauf adressieren würde, könnte durch die deutsche Ratspräsidentschaft auch auf europäischer Ebene befördert werden.

Jeder Artikel über das geplante Lieferkettengesetz muss mit dem Hinweis auf den Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch beginnen: 2014 starben in den dort ansässigen Textilfabriken, die hauptsächlich für europäische Auftraggeber produzierten, mehr als 1100 Menschen, vor allem Arbeiterinnen. Seitdem ist viel passiert: Sprinkleranlagen wurden installiert, Abkommen über Feuer- und Gebäudesicherheit wurden unterzeichnet, der Mindestlohn wurde erhöht. Doch der enorme Preisdruck führte dazu, dass die Auftragnehmer in Bangladesch an anderen Stellen sparen mussten, um die Sicherheitsstandards einhalten zu können. Die Löhne der Arbeiterinnen sanken.

Folgen der Pandemie

Und dann Corona. „Die globale Krise verschärft viele Probleme, die vorher auch schon da waren“, sagt Dr. Miriam Saage-Maaß vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). „Existenzsichernde Löhne und soziale Absicherung für die Arbeiter und Arbeiterinnen gibt es im globalen Süden oft nicht, sie sind in der Krise sowohl den wirtschaftlichen Folgen als auch den Gesundheitsrisiken hilflos ausgeliefert.“ Die Leiterin „Wirtschaft und Menschenrechte“ erläutert am Beispiel der Textilindustrie in Bangladesch die Auswirkungen des Lockdowns in Europa: „Innerhalb von wenigen Wochen brachen die Umsätze ein und rund eine Million Arbeiter und Arbeiterinnen sind arbeitslos und ohne jedes Einkommen dem Hunger ausgesetzt. Die europäischen Firmen haben einfach ihre Verträge storniert, nachdem sie jahrzehntelang große Gewinne gemacht haben, ohne einen Beitrag zum Aufbau von Arbeitslosen- oder Unfall- und Krankenversicherung zu zahlen.“

Arbeitsauftrag an die Regierung

Harte Vorwürfe, die keinen kalt lassen. Und dennoch – freiwillig kommen die wenigsten Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Verantwortung ausreichend nach. Das ergab eine Untersuchung der Bundesregierung im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Nur 20  Prozent der teilnehmenden Unternehmen gaben an, die Menschenrechtsanforderungen des NAP zu erfüllen. „Mehr als ernüchternd“ sei dies, befand Arbeitsminister Hubertus Heil. Es ist darüber hinaus vor allem ein konkreter Arbeitsauftrag an die Regierung: Denn im Koalitionsvertrag hatte man sich geeinigt, ein Lieferkettengesetz für den Fall auszuarbeiten, dass laut Monitoring weniger als 50 Prozent der Firmen die NAP-Vorgaben schaffen.

Möglicher Regelungsinhalt

Eckpunkte eines „Gesetzes über die Stärkung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in globalen Wertschöpfungsketten“, kurz Sorgfaltspflichtengesetz, sind jetzt bekannt (siehe Kasten): Es verlangt, dass Unternehmen analysieren, wo für sie die größten Risiken für Menschenrechtsverletzungen liegen. Sie müssen dann angemessene Maßnahmen ergreifen, um solche Verletzungen zu verhindern, abzumildern oder wiedergutzumachen, und darüber Bericht erstatten. Und sie sollen haften, wenn sie durch mangelnde Sorgfalt Schäden mitverursachen, die sie hätten vorhersehen und vermeiden können.

Stimmen aus der Wirtschaft

Dagegen läuft nun die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Sturm. „Man kann kein Unternehmen für das Verhalten unabhängiger Dritter in formale Haftung und strafrechtliche Verantwortung nehmen, wenn und weil es gar keinen direkten Zugriff auf diese Dritten hat“, so das Statement der BDA. „Eine solche gesetzliche Lieferkettenhaftung für das Verhalten unabhängiger Dritter würde Unternehmen zu einem Rückzug aus Regionen mit herausfordernder Menschenrechtslage zwingen.“

Die deutsche Wirtschaft steht nicht geschlossen hinter dieser Kritik. 42 Firmen – darunter so bekannte wie Tchibo, Hapag-Lloyd und Nestlé Deutschland – fordern vielmehr selbst eine gesetzliche Regelung ein, mit der sie die Hoffnung auf Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle verknüpfen. „Wir brauchen Fortschritt beim Umweltschutz und der Einhaltung von Menschenrechten, und das ist eine Aufgabe für die gesamte Wirtschaft. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft alleine reichen nicht aus“, erklärt Nanda Bergstein, Direktorin Unternehmensverantwortung bei Tchibo. Sie verlangt „klare und für alle verbindliche Rahmenbedingungen, die Wettbewerbsvorteile auf Kosten der Menschenrechte und des Umweltschutzes verhindern, auf Wirkung zielen sowie Zusammenarbeit fordern und fördern.“ 

Frankreich und Europa

Globalen Krisen will man in Europa gerne geschlossen begegnen. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 wäre Gelegenheit dazu. In Frankreich würde man offene Türen einrennen, denn dort gibt es ein entsprechendes „Wachsamkeitsgesetz“ bereits seit 2017. Dr.  Saage-Maaß vom ECCHR hofft, dass Deutschland als stärkste Wirtschaftsnation der EU das Gesetz rasch verabschiedet: „Mit einem ambitionierten deutschen Lieferkettengesetz würde die Bundesregierung die Debatte um Standards auf europäischer Ebene entscheidend prägen.“

Wichtige Rolle des Einkaufs

Das Gesetz könnte bereits für kleinere und mittlere Unternehmen ab 500 Mitarbeitern gelten, wo Corporate Social Responsibility und Compliance-Vorgaben für nachhaltiges und menschenrechtskonformes Handeln noch wenig etabliert sind. Es wäre dann Aufgabe des Einkaufs, die Supply Chain genau zu durchleuchten und dort umzustrukturieren, wo die Vorgaben nicht erfüllt sind. Ein proaktives Risiko- und Lieferantenmanagement wäre dann nicht nur „nice to have“, sondern zwingend. „Die bloße Vereinbarung entsprechender Verpflichtungserklärungen in Einkaufsverträgen oder die Verpflichtung der Lieferanten auf bestimmte Verhaltenskodizes wird künftig nicht mehr für ein gesetzeskonformes Verhalten ausreichen“, betont Katja Thümmler, Rechtsanwältin bei KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft in Frankfurt. „De facto wurden Verletzungen dieser vertraglichen Bestimmungen bisher kaum geprüft und blieben in der Regel ohne Konsequenzen für die Lieferanten.“ Das neue Gesetz will das ändern und setzt hohe Bußgelder an. Doch die zentrale Rolle des Einkaufs geht über das Vermeiden von Strafen hinaus. „Über den Einkauf werden Impulse in den Markt gegeben, über die der notwendige Transformationsprozess angestoßen werden kann“, ist sich Nanda Bergstein von Tchibo sicher. Nachhaltigkeit befördert zu haben, das würde dem Einkauf gut zu Gesicht stehen.


Dr. Christine Heeg-Weimann Bild: KPMG

Möglicher Inhalt des Gesetzes

Fünf Eckpunkte

Rechtsanwältin Dr. Christine Heeg-Weimann, KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft, erläutert die fünf Eckpunkte des geplanten Sorgfaltspflichtengesetzes:

„1. Verpflichtung der Unternehmen zur Risikoanalyse der eigenen Geschäftstätigkeit im Hinblick auf potenzielle oder tatsächliche Menschenrechtsverletzungen,

2. Verpflichtung der Unternehmen zur Entwicklung und Umsetzung von Abhilfemaßnahmen (wie etwa Schulungen, Prozessanpassungen und Ähnliches) nebst Wirksamkeitskontrolle,

3. Pflicht zur Berichterstattung über identifizierte Risiken und Abhilfeaktivitäten,

4. Etablierung eines wirksamen und vor allem leicht auch für Betroffene zugänglichen Beschwerdeverfahrens sowie

5. Haftungsregelungen, die Betroffenen die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen ermöglichen, sowie Bußgeldvorschriften im Verletzungsfall.“


Freiwillige Selbstverpflichtungen
der Wirtschaft alleine
reichen nicht aus.“
Nanda Bergstein, Tchibo


Die Autorin

Anja Falkenstein, Rechtsanwältin, Karlsruhe

Anja Falkenstein, Rechtsanwältin, Karlsruhe

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