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Bedeutungszuwachs durch Konzernwachstum und Globalisierung

Der Virtuelle Zentraleinkauf
Bedeutungszuwachs durch Konzernwachstum und Globalisierung

Für die konsequente Erschließung von Einsparpotenzialen im Serieneinkauf durch kommerzielle und technische Bündelungseffekte benötigen Großunternehmen neben qualifizierten Einkäufern die geeignete Einkaufsorganisation. Gerade im Hinblick auf zunehmende Unternehmensgrößen und fortschreitende Internationalisierung ergeben sich gleichermaßen Chancen und Aufgaben für den Einkauf.

Anselm Uttenweiler

Bislang reagieren Unternehmen bei der Neuausrichtung ihrer Einkaufsorganisation noch zögerlich. Die notwendige standortübergreifende Vernetzung des Einkaufs wird mit dem Argument der Werkshoheit häufig blockiert, die Folgen sind Reibungsverluste mit einkäuferisch nicht durchdrungenen Märkten und Technologien. Der Virtuelle Zentraleinkauf mit einer klaren, werksübergreifenden Warengruppenverantwortung hat indessen viel für sich.
Der Einkauf im Umfeld von Großunternehmen
Mit Unternehmenszusammenschlüssen verspricht man sich nicht nur eine stärkere Position gegenüber Wettbewerbern, sondern auch Umsatz- und Ertragssteigerungen, für die letztendlich Kosteneinsparungen auf breiter Ebene verlangt werden. In produzierenden Unternehmen können diese Einsparungen in den Bereichen Material, Fertigung und Overhead erzielt werden. Während die letzten beiden Bereiche mit der Thematik Personalabbau sensible und politisch delikate Kostenreduzierungsobjekte darstellen, kann der Materialbereich unmittelbar in Angriff genommen werden: Innerhalb weniger Wochen lassen sich Konditionen vergleichen, Volumina bündeln und neue Abschlüsse tätigen.
Die ersten Einsparungen greifen kurzfristig. Die Bedeutung des Einkaufs wird unterstrichen durch den mittlerweile im Materialbereich großen Kostenhebel von häufig über 50% der Gesamtkosten. Dagegen erfordern strategische Entscheidungen in der Produktion, die zu Produktsegmentierung oder Standortzusammenlegungen führen, lange Vorbereitungszeiten, wodurch die gewünschten Effekte deutlich zeitversetzt zu solchen aus dem Materialbereich auftreten.
Dehnen sich Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit aus – sei es durch internes Wachstum, Zukäufe, Verschmelzungen o.ä. – hat dies Konsequenzen für die Neuausrichtung des Einkaufs. Ein Unternehmenswachstum führt den Aufgabenbereich des Einkaufs in neue Dimensionen – durch zusätzliche Werke oder Produktbereiche, durch neue Märkte. Entsteht durch Unternehmenswachstum ein Nebeneinander von einzelnen Einkaufsorganisationen unterschiedlicher Unternehmenseinheiten, z.B. in Folge einer Firmenakquisition, ist eine Verknüpfung dieser Einkaufsorganisationen herzustellen. Dabei bilden sich regelmäßig Organisationsdeterminanten heraus, beispielsweise eine technologisch abgrenzbare Commodity oder ein geographisch definierter Zuliefermarkt, nach denen der Einkauf ausgerichtet werden muss.
Das Wachstum international operierender Unternehmen erfolgt häufig durch Zusammenschluss mit Wettbewerbsunternehmen oder Firmen gleicher Branche. Diese Arten des Wachstums stellen ideale Konstellationen dar, die dem Einkauf Potenziale zur Kostenreduzierung bieten. In diesen Fällen erstreckt sich das zusätzliche Einkaufsvolumen auf Technologien und auf solche Märkte, die im gleichen oder engen Zusammenhang mit dem bisherigen Volumen stehen. Ansätze wie Lieferantenbündelung, Standardisierung oder technisches Benchmarking können verfolgt werden, ohne dass ein grundsätzlich unterschiedliches technologisches oder marktbezogenes Know-how des Einkaufs erworben werden muss. Voraussetzung zur Erschließung der Potenziale ist beispielsweise die Ausdehnung der Einkaufsfunktion auf zusätzliche Werke oder geographische Märkte.
So spielt der Einkauf bei der Erschließung von Kostenpotenzialen durch Unternehmenserweiterungen eine wichtige Rolle. Dabei ist klar, dass bestimmte Potenziale erst nach entsprechenden Vorarbeiten, z.B. einer Plattformstrategie von Produkten oder der Variantenreduzierung von Enderzeugnissen, zur Entfaltung kommen. Die produktstrategischen und technischen Voraussetzungen sind von Vertrieb und Entwicklung zu schaffen. Die Bewertung und Umsetzung solcher Potenziale liegt im Einkauf. Dazu muss er sich bei veränderten Rahmenbedingungen des Unternehmens organisatorisch neu zwischen Markt und internen Abteilungen aufstellen.
Charakteristik des Virtuellen Zentraleinkaufs
Der Virtuelle Zentraleinkauf steht im Gegensatz zu der bei Großunternehmen häufig anzutreffenden Konstellation eines dezentralen Einkaufs. Letzterer erhält seine Daseinsberechtigung in erster Linie durch die Profit-Center-Struktur der Standorte, die ihrerseits uneingeschränkten Zugriff auf einen lokalen Einkauf fordern, um Lieferleistung und Materialkosten der Lieferanten unmittelbar kontrollieren und steuern zu können. Ein physisch lokaler Einkauf in direkter Berichtslinie zur Werksleitung kommt dieser Struktur entgegen, nicht aber zwangsläufig dem Gesamtunternehmen, da die einkaufsbezogenen Zusammenhänge verschiedener Unternehmensstandorte und die damit einhergehenden Einsparungsmöglichkeiten nicht berücksichtigt werden.
Dieser Tatsache tragen Unternehmen meist dadurch Rechnung, dass die für eine gleiche Warengruppe zuständigen Standorteinkäufer miteinander kooperieren, Benchmarking durchführen und gemeinsame Verträge mit den Lieferanten schließen. Es wird ein Lead-Buyer definiert, der projektweise die gemeinsamen Bemühungen zur Erschließung der Synergien koordiniert.
Sofern gleiche Produkte oder Technologien standortübergreifend zu beschaffen sind, greift dieser Ansatz nicht weit genug. Die verantwortlichen Standorteinkäufer haben – berichtend an das Werk – erfahrungsgemäß das letzte Wort und hebeln den Lead-Buyer aus. Die Mengen schrumpfen mit der Folge, dass die Verhandlungsargumentation zum Nachteil aller übrigen Werke in sich zusammenbricht.
Einzig erfolgversprechend ist für diesen Fall die Zuteilung der vollen Einkaufsverantwortung innerhalb einer Warengruppe für mehrere Standorte an eine Person, den Commodity Leader. Dieser nimmt die Interessen des Unternehmens, nicht die eines einzelnen Standortes, wahr und fungiert als Einkaufsdienstleister der Standorte. Disziplinarisch berichtet er an den Zentral- bzw. Unternehmenseinkauf, funktional an den jeweiligen Werkseinkauf bzw. die Werksleitung. Lieferantenauswahl, Verhandlungen, Technologiebenchmarks etc. für alle betroffenen Standorte liegen nun in einer Hand.
Im Rahmen des Virtuellen Zentraleinkaufs werden aus Sicht der Einkäufer innerhalb schmalerer Produkt- oder Dienstleistungsspektren Märkte und Technologien stärker durchdrungen. Es sei an dieser Stelle betont, dass es bei der geeigneten Organisationsform nicht um einen Vergleich zwischen den jeweils benötigten Ressourcen im Einkauf geht, sondern um deren bestmögliche Zuordnung zu den Aufgaben im Konzerneinkauf. Man kann aber davon ausgehen, dass der Virtuelle Zentraleinkauf bei gleicher Einkaufsleistung des Unternehmens tendenziell weniger Mitarbeiter als dezentrale Organisationsformen benötigt – die Erfahrungswerte liegen bei einer 10 bis 15% geringeren Mitarbeiterstärke.
Am treffendsten lässt sich diese Organisation als Virtueller Zentraleinkauf beschreiben – virtuell deshalb, weil nicht alle verantwortlichen Commodity Leader physisch an einem gemeinsamen Standort lokalisiert sein müssen, sondern in Abhängigkeit der Warengruppengewichte prinzipiell beliebig über die Werke verstreut sein können.
Mögliche Potenziale
Worin liegen nun die Stärken des Virtuellen Zentraleinkaufs im Vergleich zu Organisationsformen mit mehr dezentraler, standortbezogener Einkaufsverantwortung?
•Einheitliche Einkaufsstrategie:
Typisches Merkmal einer dezentral geprägten Organisation – sei es mit oder ohne Lead-Buyer, der kein funktionales Durchgriffsrecht gegenüber den Werken besitzt – ist das Fehlen einer schlüssigen Warengruppenstrategie. Regelmäßig ergeben sich Diskrepanzen zwischen den Werken, wenn es um ein abgestimmtes Vorgehen hinsichtlich Lieferantenpanel, Wertschöpfungstiefe, Neuentwicklungen u.ä. geht. Das Unternehmen läuft Gefahr, Botschaften widersprüchlichen Inhalts an die Lieferanten auszusenden. Die Folgen sind, dass sich kommerzielle und technische Potenziale aufgrund der Einkaufsmacht des Unternehmens schwerer umsetzen lassen, und eine Vertrauensbildung zu den strategischen Lieferanten und somit auch eine enge Partnerschaft zum beiderseitigen Nutzen aufs Spiel gesetzt wird.
•Produkt-/ Technologie-Know-how:
Durch den gebündelten Produktbezug erwirbt der Commodity Leader fundierte Produktkenntnis. Dies ist gerade bei technologisch komplexen, erklärungsbedürftigen Produkten von Vorteil. Der Einkäufer wird so zum kompetenten Ansprechpartner sowohl der Vertriebsseite des Lieferanten als auch der eigenen technischen Abteilungen. Durch die Verantwortung in einer Hand wird umgekehrt vermieden, dass das gleiche Know-how an mehreren Standorten von unterschiedlichen Einkäufern redundant erworben werden muss.
Der Commodity Leader wird durch den Produktfokus in die Lage versetzt, sämtliche Kostenpotenziale in bezug auf technische Modifikationen am Produkt wie Material-, Spezifikations- oder Designänderungen zu initiieren und interdisziplinär in Zusammenarbeit mit den Lieferanten und technischen Abteilungen umzusetzen. Der Produktfokus ermöglicht es ihm, die Rolle eines echten Technologiemanagers im Einkauf wahrzunehmen.
•Technische Standardisierung zwischen den Werken:
Ein beträchtliches Bestreben zur Erzielung nachhaltiger Einsparungen gilt der Standardisierung von Produkten, d.h. der Verwendung von Gleichteilen für verschiedene Anwendungen oder Standorte. Für Zeichnungsteile ist in der Regel die Entwicklung der Prozessverantwortliche, für andere Waren oder Dienstleistungen häufig der Einkauf. Entscheidend für die Umsetzung dieser Potenziale auf der Beschaffungsseite ist auch hier, dass sowohl detaillierte Produktkenntnis vorhanden ist als auch dass die Empfehlungen bzw. Entscheidungen von lediglich einer verantwortlichen Person, dem Commodity Leader, ausgesprochen werden.
Diese Konstellation wird wichtig für solche Fälle, in denen die Entwicklungsabteilung weder technologiebezogen noch werksbezogen, sondern kundenbezogen ausgerichtet ist. Für unterschiedliche Kunden entstünden dann konstruktiv unterschiedliche Lösungen. Für den technischen Einkauf besteht die Aufgabe darin, die Variantenreduktion monetär zu bewerten und ggf. entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
•Erweiterte Markt- und Lieferantenkenntnis:
Im Zuge der Globalisierung dehnt sich der potenzielle Beschaffungsmarkt geographisch aus. Solange sich der Zustand eines Technologie- und Lohngefälles zwischen verschiedenen Regionen fortsetzt und gleichzeitig Transaktions- und Logistikkosten abnehmen, wird dieser Trend anhalten. Facheinkäufer müssen zum Aufspüren der richtigen Lieferquelle auch entlegene Märkte kennen, die alleinige Kenntnis von lokalen oder regionalen Lieferanten reicht nicht mehr aus.
Hier ist eine ausgedehnte Analyse- und Reisetätigkeit notwendig, die sich auf bestimmte Produktgruppen beschränken muss. Der Aufgabenbereich des Commodity Leader dehnt sich folglich bei gleichzeitiger Konzentration auf bestimmte Warengruppen geographisch aus. Analog den Vorteilen eines gebündelten Technologie-Know-hows erwirbt der Commodity Leader für seine Warengruppe ein vollständigeres Bild der Märkte, was sonst nur – wenn überhaupt in diesem Schärfegrad – mit höherem Aufwand über die Koordination dezentral angesiedelter Facheinkäufer möglich wäre.
•Kommerzielle Bündelungseffekte zwischen den Standorten:
Auf der Abnehmerseite stehen den Lieferanten internationale Konzerne gegenüber, deren Standorte gleiche Warengruppen bzw. Technologien vereinnahmen. Schlüsselaufgabe des Einkaufs ist es, diese Anfragemacht zu nutzen und sie bei den Lieferanten als economies of scale in Form reduzierter Preise umzusetzen. Je enger die Standorte bei dieser Aufgabe zusammenarbeiten, desto größer sind die Aussichten auf Erfolg. Bei kommerziell bündelbaren Bedarfen verschiedener Abnehmer sollte die Vergabe- und Verhandlungsverantwortung deshalb in der Person des Commodity Leader zusammengefasst werden.
Voraussetzungen
Der Virtuelle Zentraleinkauf ist an bestimmte Bedingungen geknüpft, ohne die er nicht die geeignete Organisationsform darstellt oder sein Potenzial nicht voll entfalten kann. Zu diesen Voraussetzungen zählen zum einen unternehmens-, markt- und produktbezogene Spezifika, die vom Einkauf nicht beeinflussbar sind. Die zweite Gruppe von Voraussetzungen bezieht sich auf entsprechend auszugestaltende organisatorische und mitarbeiterbezogene Kriterien.
Sofern gleiche Warengruppen bzw. Technologien von mehreren Standorten gleichzeitig vereinnahmt werden, lassen sich Einsparungen im Einkaufsbereich realisieren. Je näher die Standorte geographisch beisammen liegen und je größer die Ähnlichkeit der jeweiligen Produktspektren, desto höher das ausschöpfbare Potential und die Notwendigkeit einer eindeutigen standortübergreifenden Commodity-Zuständigkeit.
Ein weiteres Kriterium liegt in Typ und Verteilung der Beschaffungsmärkte: Je weniger potenzielle Beschaffungsmärkte existieren und je punktueller sie auftreten, desto schwieriger die Markttransparenz und höher die Wichtigkeit für eine zentrale Einkaufsverantwortung. Aber auch in der Situation eines flächendeckenden, geographisch verteilten Beschaffungsmarktes mit zahlreichen potenziellen Lieferquellen kann der Commodity Lead sinnvoll sein. Dieser erstreckt sich dann häufig auf eine abgegrenzte Region zur Versorgung bestimmter Standorte bei gleichzeitiger Koordination zwischen den unterschiedlichen geographischen Bezugsquellen innerhalb einer Warengruppe.
Das Kriterium der Produktkomplexität ist für die Vorteilhaftigkeit des Virtuellen Zentraleinkaufs mehrwertig. Handelt es sich um einfache Produkte oder um solche, die sich eindeutig über ihre Spezifikation beschreiben lassen (z.B. Halbzeuge), so ließen sich zwar entsprechende Beschaffungsvorgänge aufgrund der hohen Teiletransparenz (Vergleichbarkeit von Typ, Qualität und Preis) durch dezentral verantwortliche Facheinkäufer koordinieren. Umgekehrt kann aber durch einen zentral verantwortlichen Warengruppeneinkäufer ohne vergleichbaren Koordinationsaufwand für weltweite Anfragen und Lieferantenhandling eine Bedienung mehrerer Standorte geleistet werden.
Auch im Falle von volumenträchtigen Warengruppen komplexer Technologie (z.B. beschichtete, hochpräzise Drehteile) kann der Virtuelle Zentraleinkauf seine Stärken ausspielen. Entscheidend ist hierbei, dass sich der Commodity Leader über den Produktfokus zum Experten solcher Technologien macht. Seine Produktkenntnis gepaart mit einer entsprechenden Marktdurchdringung befähigt ihn, die Standorte professionell zu beraten und Einsparungsmöglichkeiten durch Benchmarking und Value Engineering bestmöglich zu realisieren. Mit der Organisationsform dezentral verantwortlicher Einkäufer wäre der gleiche Effekt, wenn überhaupt, nur mit höherer Mitarbeiterkapazität zu erreichen.
Ähnlich wie das Kriterium der Produktkomplexität verlangt auch die Innovationsgeschwindigkeit von Waren (z.B. bei DV-Hardware) nach Spezialisten im Einkauf. Es wäre unangemessen und wenig effizient, entsprechendes Experten-Know-how mehrfach in Form von dezentraler Standortverantwortung aufzubauen. Ebenso verhält es sich bei Gütern mit schnellen, innovationsbedingten Preisveränderungen (z.B. elektronische Bauelemente), die aufmerksamste (globale) Marktbeobachtung durch qualifizierte Einkäufer erfordern.
Ein weiteres Kriterium bei der Beurteilung des Virtuellen Zentraleinkaufs für produzierende Unternehmen sind die Standorte der Entwicklung in Relation zu den Fertigungsstandorten. Drei unterschiedliche Situationen lassen sich dabei abgrenzen:
– Werk und zugehörige Entwicklungsabteilung (evtl. zuständig für weitere Werke) liegen zusammen;
– die für ein Werk zuständige Entwicklungsabteilung fällt nicht mit dem Werksstandort zusammen (sondern liegt bei einem anderen Werk oder bildet einen eigenen Standort);
– ein Werk besitzt keine zugehörige Entwicklungsabteilung (falls keine Neuanläufe, sondern nur Verlagerungen aus anderen Werken abgewickelt werden).
Unter sonst gleichen Rahmenbedingungen zeigt sich in der Praxis, dass die Form der dezentralen Einkaufsverantwortung um so weniger tauglich ist, je unabhängiger der Fertigungsstandort von einer Entwicklungsabteilung ist. Wichtig ist die adäquate Gestaltung der Schnittstellen zwischen Einkauf und Entwicklung bzw. Fertigung.
Organisatorischer Aufbau
Für den Aufbau eines Virtuellen Zentraleinkaufs müssen grundlegende organisatorische Voraussetzungen geschaffen werden. Dazu gehört eine funktionale Gliederung des Einkaufs entsprechend der unterschiedlichen wahrzunehmenden Aufgaben. Am Beispiel des Produktions-materialeinkaufs seien folgende Funktionen aufgeführt:
– Commodity Leader: standortübergreifender Gesamt-Einkaufsverantwortlicher für (eine) bestimmte Warengruppe(n);
– Advanced-Buyer: einkaufsverantwortlich für die auftragsbezogene Abwicklung von Neuteilen bis zum Serienstart;
– Development-Buyer: einkaufsverantwortlich für die Abwicklung von Entwicklungsprojekten im Rahmen der Basis- oder Zukunftsentwicklung;
– Plant-Buyer: einkaufsverantwortlich für werksspezifische Belange bzw. operative Aufgaben.
Der Advanced-Buyer bedient im Bereich des Neuteileeinkaufs dieselben Werke wie der zugehöriger Commodity Leader, tendenziell jedoch ein breiteres Warengruppenspektrum. Maßgebend für die Anfrage- und Vergabepolitik des Advanced-Buyer sind die strategischen Vorgaben des Commodity Leader.
Der Development-Buyer ist werksunabhängig lokalisiert und bedient meist technologieübergreifend ein oder mehrere Entwicklungszentren.
Werksgebunden arbeiten Plant-Buyer, die den Commodity Leader in operativen Tätigkeiten oder werksspezifischen Fragestellungen unterstützen. Ihr Beschaffungsspektrum beinhaltet mehrere Warengruppen.
Der Informations- und Berichtsfluss läuft zwischen diesen Funktionen zentral über den Commodity Leader, der quasi sternförmig zu den anderen Funktionen angeordnet ist. Der Commodity Leader ist mit seinem detaillierten Technologie- und Marktverständnis einkaufsbezogener Experte und Ansprechpartner innerhalb seiner Warengruppe.
Im Rahmen von Entwicklungsprojekten ergeben sich in dieser Konstellation Schnittstellen von Entwicklung und Fertigung zum Commodity Leader und Werkseinkauf (Serienweiterentwicklung/ Value Engineering) sowie zum Development-Buyer (Basisentwicklung) und Advanced-Buyer (Anwendungsentwicklung).
Die Berichtslinien innerhalb des Virtuellen Zentraleinkaufs wirken aufgrund der Aufgabenteilung und räumlichen Distanz der Einkäufer komplex, sind jedoch in der Praxis mit klaren ablauforganisatorischen Vorgaben gut beherrschbar.
Der Werkseinkäufer (Plant-Buyer) und der Advanced-Buyer berichten disziplinarisch an den Werkseinkaufsleiter, der wiederum wie der Commodity Leader und der Development-Buyer an einen übergeordneten Einkaufsleiter mit Verantwortung über mehrere Werke. Die funktionale Berichterstattung erfolgt dagegen vom Plant-Buyer an den Commodity Leader, vom Advanced- und Development-Buyer an den Commodity Leader sowie die jeweiligen Entwicklungs-Projektleiter. Der Commodity Leader selbst und der Werkseinkaufsleiter berichten funktional an den übergeordneten Einkaufsleiter des Zentraleinkaufs.
Unternehmen müssen sich darüber im klaren sein, dass mit der Einführung eines Virtuellen Zentraleinkaufs der Werkseinkaufsleiter in seinen Kompetenzen beschnitten wird. Seine Warengruppenzuständigkeit einschließlich der Ergebnisverantwortung tritt er an die Commodity Leader ab, die ihrerseits an Gewicht gewinnen. Der Commodity Leader nimmt die Rolle des Dienstleisters für das Werk bzw. den Werkseinkauf ein.
Als wesentliche Aufgaben des Werkseinkaufs- bzw. -Materialwirtschaftsleiters verbleiben:
–Verantwortung des werksspezifischen Einkaufs;
–Verantwortung der (zeit-/ qualitätsgerechten) Neuanläufe;
–Verantwortung der (einkaufsbezogenen) Aktivitäten im Bereich Logistik, Disposition und Qualitätssicherung;
–Mitsprache bei strategischen Entscheidungen zu Make-or-buy, qualitätsbedingten Verlagerungen etc.;
–Beurteilung und Kontrolle der von den jeweiligen Commodity Leadern für das Werk entwickelten Strategie und des geleisteten Einkaufserfolgs.
Gestaltungsempfehlungen
Für den Aufbau eines Virtuellen Zentraleinkaufs ist zunächst zu klären, welche Warengruppen standortübergreifende Synergien besitzen. Für diese Warengruppen muss festgelegt werden, auf welche Werke bzw. geographische Ausdehnung sich ein Commodity Leader erstrecken soll. In der Praxis zeigt sich, dass sich der Commodity Leader häufig auf kontinentaler, z.T. auch nationaler Ebene erstreckt, seltener auf subnationaler Region. Weltweite Warengruppenverantwortung würde den Synergien bei einigen Produkten gerecht werden (z.B. elektronische Bauelemente), ist aber aus logistischen Gründen durch einen einzelnen Commodity Leader kaum zu bewerkstelligen. Stattdessen zieht man die Konstruktion kontinentaler Leads mit multilateraler Abstimmung vor.
Die nächste Frage zielt auf den festen Standort eines Commodity Leader ab. Es bieten sich drei Varianten an:
  • 1. Eigener Standort für den gesamten Zentraleinkauf (also Zentraleinkauf im klassischen Sinne, in dem alle betreffenden Commodity Leader räumlich zusammengefasst sind), nicht zwangsläufig werksbezogen;
  • 2. Entwicklungsstandort für die betreffende Technologie-/Warengruppe, ebenfalls nicht zwingend werksbezogen;
  • 3. Werk mit entsprechendem Warengruppengewicht/-volumen oder Technologiebreite innerhalb der Warengruppe.
Variante 1 bietet sich zum Beispiel für Handels- oder Finanzdienstleistungsunternehmen mit einem engmaschigen Netz nationaler Standorte an und stellt dann einen echten Zentraleinkauf ohne geographische Verteilung der Commodity Leader dar. Für produzierende Unternehmen ist sie dann eine mögliche Konstellation, wenn es sich um ein dominantes Werk handelt (hohes Einkaufsvolumen; Partnerwerke ohne Neuanläufe).
Variante 2 kann für solche Fälle eine Alternative sein, in denen es sich um ein Entwicklungszentrum für verschiedene Werke handelt.
Andernfalls ist die 3. Variante vorzuziehen, da hier die Synergien aufgrund des Werkbezugs (Schnittstellen zu Fertigung und technischen Abteilungen) und gleichzeitig die Vorteile aus dem Warengruppengewicht (Priorisierung) genutzt werden können.
Die beiden gegensätzlichen Tendenzen für die Standorte der Commodity Leader, nämlich zum einen die lokale Häufung, zum anderen die geographische Verteilung, weisen jeweils Vor- und Nachteile auf. Die örtliche Konzentration erleichtert die übergreifende Steuerung der Commodity Leader sowie deren Kommunikation untereinander. Dagegen besitzt die geografische Verteilung den großen Vorteil, dass unterschiedliche Märkte (z.B. Länder) von den Commodity Leaders besser durchdrungen werden. Hieraus resultiert die in der verarbeitenden Industrie am meisten anzutreffende Konstellation, dass die Commodity Leader je nach werksbezogenem Gewicht der Warengruppe an geographisch unterschiedlichen Orten verankert werden.
Je nach Rahmenbedingungen können selbstverständlich auch Varianten dieser Form zur Anwendung kommen.
Es ist evident, dass mit stärkerem Warengruppenvolumen die funktionale Arbeitsteilung im Einkauf zunimmt. Das kann im Umkehrschluss bedeuten, dass der Commodity Leader Aufgaben des Advanced- oder Development-Buyer innerhalb seiner Warengruppe übernimmt, um nicht vertretbare Schnittstellen oder ein von mehreren Seiten ausgehendes Lieferantenhandling zu vermeiden.
Darüber hinaus verlangen bestimmte Regionen (z.B. Südostasien oder Osteuropa) aus kulturellen, sprachlichen oder logistischen Gründen häufig nach Einkäufern, die sich vollständig diesen Märkten – und zwar warengruppenübergreifend – widmen und geeignete Lieferantenbeziehungen im Auftrag der Commodity Leader aufbauen. Erfahrungsgemäß ergeben sich für den Lieferantenaufbau in solchen Märkten die besten Chancen, in denen eigene Werke vertreten sind und diese verhältnismäßig einfach auf den regionalen Beschaffungsmarkt zurückgreifen können. Der Weg zu Lieferungen an Partnerstandorte beispielsweise in Westeuropa ist dann nicht mehr weit.
Für den Aufbau des Virtuellen Zentraleinkaufs ist es von großer Bedeutung, die strategische Kompetenz des dezentralen Werkseinkaufs adäquat zu dimensionieren. Im Extremfall kann sich die Situation ergeben, dass z.B. im Bereich Büromaterial im nationalen Filialnetz eines Finanzdienstleisters jegliche dezentrale Einkaufskompetenz abgezogen wird. Allenfalls verbleibt dezentral (bei den Bedarfsträgern) ein Mitspracherecht zur Festlegung eines standardisierten Warenkorbs.
Ebenso sollte z.B. für die Beschaffung mittelkomplexer Stanzteile in einem europaweiten Einzugsgebiet eines Automobilzulieferers kein strategischer Vor-Ort-Einkauf vorgesehen werden, lediglich Tätigkeiten der Qualitätssicherung, Logistik und Disposition müssen beim Werk verankert bleiben.
Die standortübergreifende Einkaufsverantwortung stellt hohe Anforderungen an die Qualifikation der Commodity Leader. Von ihnen wird erwartet, in wirtschaftlichen wie technischen Dimensionen zu denken und zu handeln. Kommunikationsfähigkeit, Durchsetzungsvermögen und Führungskompetenz sind unabdingbare Voraussetzungen. Darüber hinaus verlangt die Bearbeitung und Bedienung internationaler Märkte und Standorte versierte Sprachkenntnisse, kulturelles Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft zu ausgedehnter Reisetätigkeit.
Im Zuge der Einführung eines Virtuellen Zentraleinkaufs muss das Unternehmen erkennen, welche Mitarbeiter die notwendigen Fähigkeiten hierzu besitzen (oder erlernen können) oder ob zusätzliche Ressourcen zu rekrutieren sind. Von Kompromissen bei der Mitarbeiterauswahl zur Reduzierung der Personalkosten ist in jedem Fall abzuraten.
Organisatorische Veränderungen in einem Konzern sind kein leichtes Unterfangen. Der Aufbau eines Virtuellen Zentraleinkaufs bedeutet eine umfassende Veränderung bestehender Strukturen, Schnittstellen und Aufgaben, der beharrliche Widerstände aus vielen Richtungen entgegengestellt werden. Sind jedoch die Rahmenbedingungen förderlich, kann sich das Management dieser Anpassung nicht verschließen, sollen die propagierten Einkaufssynergien aus der Unternehmensgröße nicht auf der Strecke bleiben.
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