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Bewertungsinstrument zur Optimierung der Einkaufsleistung

Das EFQM-Modell
Bewertungsinstrument zur Optimierung der Einkaufsleistung

Qualitätsmanagementsysteme wie DIN EN ISO 9000ff., QS 9000 und VDA 6 sind, gemessen an ihrem Anspruch, eine permanente Qualitätsverbesserung zu bewirken, gescheitert. Verantwortlich für diesen empirischen Befund ist das in den Unternehmen anzutreffende Bemühen, ausschließlich den formellen Anforderungen der Normen zu genügen, um ein Zertifikat zu erhalten.

Prof. Dr. Willi Muschinski,Dipl.-Ing., Dipl. Wirtsch.-Ing. (FH) Stefan Vouri

Mit Zertifikaten alleine lassen sich jedoch nachhaltige Qualitäts- und Prozessverbesserungen nicht implementieren. Das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung der Unternehmensleistung erfordert vielmehr einen Denkansatz, der Qualität als umfassende Basis für die Optimierung aller Unternehmensaktivitäten versteht, was sich letztlich im Unternehmenserfolg niederschlägt. Auf diesem Grundgedanken basiert Total Quality Management.
TQM-Philosophie
Total Quality Management ist ein langfristiges Konzept, um die Qualität sämtlicher Leistungen eines Unternehmens durch die Mitwirkung aller Mitarbeiter zu gewährleisten und kontinuierlich zu verbessern. Dabei werden zum einen alle unternehmensinternen Aktivitäten vom Marketing über Entwicklung und Konstruktion, Einkauf, Produktion, Vertrieb, Logistik bis hin zu Kundendienst und Kundenbetreuung mit einbezogen. Zum anderen umfasst Total Quality Management auch die externen Dimensionen Gesellschaft und Umwelt. Total Quality Management stellt somit ein ganzheitliches Unternehmensführungskonzept dar. Es basiert auf den folgenden fünf Prinzipien:
•Kundenorientierung,
•Prozessorientierung,
•Mitarbeiterorientierung,
•Gesellschaftliche Orientierung,
•Kontinuierliche Verbesserung.
Obwohl die TQM-Philosophie von vielen Unternehmen positiv bewertet wird, zeigt sich bei ihrer praktischen Umsetzung, dass ein einheitliches, ganzheitlich konzeptionelles TQM-Verständnis fehlt. Um den Mangel eines einheitlichen, definierten TQM-Verständnis zu beheben, wurden nationale TQM-Realisierungsmodelle (Deming Prize in Japan; der Malcolm Baldrige National Quality Award in den USA) entwickelt. In Europa dient mittlerweile das EFQM-Modell als Leitbild zur Umsetzung von Total Quality Management.
Das europäische EFQM-Modell
Das EFQM-Modell beruht auf dem Zusammenwirken von neun Kriterien, welche in fünf Befähiger-Kriterien und vier Ergebnis-Kriterien unterteilt werden (vgl. Abb. 1). Während die Befähiger-Kriterien Führung, Politik und Strategie, Mitarbeiterorientierung, Ressourcen und Prozesse die Güte der Unternehmensführung bewerten, zeigt die Ergebnis-Seite die Resultate des unternehmerischen Handelns in den Dimensionen Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterzufriedenheit, Gesellschaftliche Verantwortung und Geschäftsergebnisse auf.
Jedem der neun Hauptkriterien ist eine maximal erreichbare Punktzahl zugeordnet. Die Summe der zu erreichenden Punkte aller Kriterien beträgt im Idealfall 1.000 und verteilt sich gleichmäßig auf die Bereiche Befähiger und Ergebnisse.
Das EFQM-Modell verfolgt von seiner Struktur her kein starres, normatives Vorgehen, sondern überlässt es jedem Unternehmen, einen eigenen Ansatz zur Umsetzung von Total Quality Management zu finden. Daher werden die einzelnen Kriterien nur durch knappe inhaltliche Erläuterungen umschrieben.
Selbstbewertung (Self-Assessment)
Das EFQM-Modell wird vorwiegend als Diagnose- oder auch als Selbstbewertungs-Tool angewendet. Die Selbstbewertung ist eine umfassende, regelmäßige und systematische Überprüfung sämtlicher Aktivitäten und Ergebnisse des eigenen Unternehmens. Ziel der Selbstbewertung ist neben Überprüfung der eigenen Leistung eine kontinuierliche Verbesserung der Aktivitäten. Dabei werden erfolgskritische Verbesserungspotentiale identifiziert und geeignete Verbesserungsmaßnahmen eingeleitet. Die periodische Durchführung des Selbstbewertungsprozesses ermöglicht die graduelle Messung der erzielten Fortschritte. Desweiteren dienen die Ergebnisse der Selbstbewertung als Grundlage für ein internes und externes Benchmarking.
TQM-Standortbestimmung im Einkauf
Die Ermittlung des TQM-Umsetzungsgrades im Einkauf erfolgt generell für alle neun Kriterien. Aufgrund der Modellkomplexität und der Vielzahl der zu überprüfenden Kriterien einschließlich Subkriterien wird die praktische Umsetzung am Beispiel des Kriteriums „Politik und Strategie“ dargestellt (vgl. Abb. 2). Dabei empfiehlt es sich in zwei Schritten vorzugehen.
1.Qualitative TQM-Standortbestimmung; sie umfasst:
•die Transformation des EFQM-Kriteriums und seiner jeweiligen Subkriterien in einkaufsrelevante Indikatoren,
•die Ermittlung benchmarkingfähiger Praxisbeispiele je Indikator um den Zielerreichungsgrad zu bestimmen und
•den Soll-/Ist-Vergleich der eigenen Vorgehensweise mit dem Best-in-Class- oder Best-Practice-Benchmark.
2.Quantitative TQM-Standortbestimmung. Die Bewertung der Umsetzung erfolgt durch die Einkaufsleitung (Selbstbewertung) mit folgendem Ablauf:
•Identifikation von Stärken und Verbesserungsbereichen,
•Bewertung der Einkaufsleistung unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus der qualitativen TQM-Standortbestimmung anhand der EFQM-Bewertungstabellen,
•Priorisieren von Verbesserungsbereichen,
•Maßnahmenkatalog (Meilensteinplan) ausarbeiten mit Festlegung von Verantwortlichkeiten und Terminen.
Um die bisher noch weitgehend abstrakte Vorgehensweise inhaltlich zu konkretisieren, wird am Subkriterium „Planung und Entwicklung der Einkaufsstrategie“ eine TQM-Standortbestimmung beschrieben. Erste Hilfestellungen hierzu geben zunächst die allgemeinen Ansatzpunkte des Subkriteriums, wie sie im EFQM-Modell vorgegeben sind. Danach sind laut EFQM bei der Evaluierung des Subkriteriums „Planung und Entwicklung der Einkaufsstrategie“ folgende Aspekte zu berücksichtigen:
Wie die Einkaufsorganisation
–ihre Werte, Mission und Vision erarbeitet,
–Einkaufspolitik und -strategie aufgrund von relevanten Informationen entwickelt und diese in Einklang mit den Werten, der Mission und der Vision hält,
–kurz- und langfristige Notwendigkeiten und Anforderungen gegeneinander abwägt,
–die Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Interessengruppen berücksichtigt,
–die gegenwärtigen und zukünftigen Wettbewerbsvorteile identifiziert,
–die Prinzipien von Total Quality Management in ihrer Politik und Strategie zum Ausdruck bringt.
Diese Subkriterien sind in einem weiteren Schritt durch Benchmarkingbeispiele zu präzisieren.
Als Benchmarkingpartner können dienen:
  • 1.Die EQA-Gewinner und/oder
  • 2.Best-of-Class- und/oder Best-Practice-Unternehmen.
Nachdem die Partner ermittelt sind, ist deren methodisches Vorgehen darzustellen. Als Benchmark-Beispiel sei hier der Planungs- und Entwicklungsprozess einer Einkaufsstrategie in einem fiktiven Musterunternehmen beschrieben:
Der Strategiebildungsprozess des Musterunternehmens ist dreistufig aufgebaut:
1.Aufgaben der Unternehmensleitung•Jährliche Zielvorgaben für den Einkauf unter Berücksichtigung –der gegenwärtigen und prognosti- zierten Marktbedingungen,–der Ressourcen im Einkauf und–Analyse der Erfüllung des Vor- jahresplans;
•Priorisierung der einzuleitenden Maßnahmen,
•Zielvereinbarung mit der Einkaufsleitung,
•Jährliche Überprüfung der Einkaufsstrategie.
2.Aufgaben der Einkaufsleitung•Präzisierung der Zielvorgaben der Geschäftsleitung hinsichtlich–strategischer Stoßrichtungen,–der generellen Einkaufspolitik,–der generellen Lieferantenpolitik,–Organisationsentwicklung,–der Ressourcenplanung.
•Konkretisierung der Zielvorgaben für Materialfelder bezüglich –Preisentwicklung,–Lieferantenanzahl und -merkmale,–Lieferantenintegration (Anteil der Wertschöpfungspartnerschaften),–Global-Sourcing-Anteile,–Single-Sourcing-Anteile,–Rahmenvertrag-Anteile,–Mehrjahresvereinbarungen;
•Verabschiedung von Meilensteinplänen,
•Zielvereinbarung mit dem Abteilungsleiter im Einkauf.
3.Aufgaben der Abteilungs-/Gruppenleiter im Einkauf•Präzisierung der unter 2. genannten Zielvorgaben je Materialgruppe,
•Zielvereinbarungen mit Einkaufssachbearbeitern.
Als nächster Schritt ist das eigene Vorgehen bei der Planung und Entwicklung der Einkaufspolitik aufzunehmen. Der Ist-Zustand im betrachteten Unternehmen lässt sich wie folgt beschreiben:
  • 1.Die Unternehmensleitung•definiert jährlich grob die Lieferan- tenstrategie,•erstellt jährliche Budgetvorgaben,•halbjährlich die Entwicklung der Materialkosten,•gibt für konkrete Projekte Kosten- reduzierungsvorgaben,•verabschiedet den jährlichen Stellen- plan, abgestimmt auf die An- forderungen des Einkaufs.
  • 2.Die Zielvorgaben der Unternehmensleitung bilden für die Einkaufsleitung den Rahmen für die Festlegung der eigenen Zielsetzungen und Maßnahmen:•Je Materialgruppe werden Ziele definiert. Inhalte sind:–Materialkostenentwicklung,–Lieferantenanzahl,–Global-Sourcing-Anteil,–Single-Sourcing-Anteil,–Rahmenvertrags-Anteile,
•Personalentwicklung,
•Organisationsentwicklung;
•die Kontrolle der Umsetzung der Zielvorgaben erfolgt halbjährlich zu festgelegten Review-Terminen.
Nach der Aufnahme des Ist-Zustandes ist das eigene Vorgehen dem Benchmarkingbeispiel gegenüberzustellen. Der Vergleich bezweckt folgende Ziele:
  • 1.Erkennen von Stärken und Schwächen der eigenen konzeptionellen Methodik,
  • 2.realistisches Einschätzen der eigenen Vorgehensweise beim Selbstbewertungsprozess,
  • 3.Identifizieren von Ansatzpunkten zur Verbesserung des Planungsprozesses.
Im Rahmen der sich dann anschließenden quantitativen TQM-Standortbestimmung ermitteln die Mitarbeiter und Führungskräfte ein einkaufsinternes Stärken-Schwächen-Profil, welches gemeinsam mit den Ergebnissen des Benchmarkingprozesses ein Gesamtbild des untersuchten Teilbereichs ergibt.
Für das obige Fallbeispiel weist der Selbstbewertungsprozess für das Befähiger-Kriterium „Politik und Strategie“, Unterpunkt „Entwicklung der Einkaufsstrategie“ folgendes Stärken-Schwächen-Profil auf:
Nachdem die Stärken und Schwächen des Einkaufsbereichs bekannt sind, erfolgt im obersten Führungskreis die Bepunktung mit Hilfe der EFQM-Bewertungstabellen. Die Bewertung differenziert den Sachverhalt in gleichgewichtete Indikatoren, die einerseits das konzeptionelle Vorgehen und andererseits dessen Realisierung messen. Eine komprimierte Übersicht über die Evaluierungskriterien gibt Abb. 3 wieder.
Übersetzt auf unser Fallbeispiel ergibt sich aus dem Stärken-Schwächen-Profil für das Befähiger-Kriterium „Politik und Strategie“, Unterpunkt „Entwicklung der Einkaufsstrategie“ folgende Punktbewertung:
Vorgehen: 40 %
Umsetzung: 30 %
Gesamtergebnis: 35 %
Das Bewertungsergebnis des Befähiger-Kriteriums „Politik und Strategie“ ergibt sich aus der gewichteten Addition der Prozentwerte aller vier Subkriterien (vgl. Abb. 2).
Die Ermittlung der EQA-Punktzahl für die Organisationseinheit Einkauf basiert auf der Bewertung aller Kriterien des EFM-Modells. Dabei werden die ermittelten Prozentwerte je Kriterium mit ihrer Gewichtung gemäß Modellvorgabe multipliziert. Die Addition der gewichteten Punkte ergibt den EQA-Wert (vgl. Abb. 4).
Eine unternehmensübergreifende Einordnung der erreichten EQA-Punktzahl lässt sich anhand folgender Richtwerte vornehmen. So ergibt sich für ein Qualitätsmanagementsystem gemäß DIN EN ISO 9001 eine Punktzahl von ca. 250 EQA-Punkten, eine Realisierung von QS 9000 bzw. VDA 6 entspricht ca. 450 EQA-Punkten. Qualitätsmanagementsysteme stellen somit eine gute Basis für die Einführung von Total Quality Management dar. Erfolgreiche EQA-Bewerber erreichen ca. 600 EQA-Punkte, die EQA-Gewinner liegen bei ca. 800 EQA-Punkten (vgl. Abb. 5).
Fazit
Das EFQM-Modell ist ein effektives Diagnose-Instrument für die Ermittlung der Unternehmensleistung oder bezogen auf den Einkauf der Einkaufsleistung. Ausgehend von den in der TQM-Standortbestimmung ermittelten Stärken und Verbesserungsbereichen können strukturierte Verbesserungsaktivitäten eingeleitet werden. Werden periodisch TQM-Standortbestimmungen durchgeführt, so wird ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess in Gang gesetzt (vgl. Abb. 6). Das EFQM-Bewertungssystem ermöglicht, die erzielten Verbesserungen nachvollziehbar darzustellen.
Der Einsatz des EFQM-Modells als Bewertungsmodell ist nicht nur auf das Gesamt-Unternehmen beschränkt, sondern es kann auch auf einzelne Organisationsbereiche wie z.B. Marketing, Entwicklung und Konstruktion, Einkauf, Produktion, Vertrieb, Logistik, Kundendienst etc. angewendet werden. Des Weiteren kann durch die Möglichkeit der Verwendung selbstdefinierter Gewichtungen für die einzelnen Kriterien und Subkriterien das EFQM-Modell an die unternehmensspezifischen bzw. einkaufsspezifischen Anforderungen angepasst werden.
Literatur:
–European Foundation for Quality Management: Selbstbewertung 1997. Richtlinien im Unternehmen, Brüssel
–Horváth & Partner (Hrsg.): Qualitätscontrolling, Stuttgart 1997
Stärken:
  • 1.Die Einkaufsstrategie ist detailliert beschrieben und definiert,
  • 2.Definition der Einkaufsstrategie je Materialgruppe,
  • 3.regelmäßige Überprüfung der Umsetzung anhand klar definierter Messgrößen,
  • 4.die Geschäftsführung ist in die Entwicklung der Einkaufsstrategie einbezogen.
Schwächen:
  • 1.Starke Preisfokussierung,
  • 2.Umsetzungsschritte sind nicht im Meilensteinplan festgeschrieben,
  • 3.interdisziplinäre Aspekte werden unzureichend berücksichtigt,
  • 4.kein durchgängiger Zielvereinbarungsprozess bis hin zur Sachbearbeiterebene,
  • 5.die Einkaufstrategie beinhaltet keine finanziellen Anreize für hervorragende Mitarbeiterleistungen bei ihrer Umsetzung.
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